Читать книгу Bei Ostwind hörten wir die Leute schreien - Immo Opfermann - Страница 7

Bedingungen bei Kriegsende Als am 1. September 1944 der Befehl zur Räumung des Stammlagers Natzweiler-Struthof gegeben wurde, war klar, dass die Insassen in Außenlager überstellt und Transporte sofort in die Wüste-Lager geleitet werden mussten, zumal die Kommandantur sich auf die andere Rheinseite ins badische Guttenbach zu begeben hatte. Am 22.11.1944 trafen die Amerikaner das Lager Natzweiler-Struthof leer an und funktionierten es am 27.11.44 zu einem Internierungslager um, in dem nun die Sieger ihre politischen Häftlinge, d. h. ehemalige Funktionsträger des NS-Regimes in Gefangenschaft hielten. Ein zweisprachiges Hinweisschild in Natzweiler-Struthof macht dies 2015 deutlich: „Kurz nach der Evakuierung der KZ-Häftlinge dient das Hauptlager neuerlich als Lager für politische Gefangene, dieses Mal im Sinne der französischen Sieger. Es wird zu einem der Internierungsorte im Elsass, wo man der Kollaboration verdächtige Menschen oder Deutsche aus der Region festhält … Alle sind ohne Gerichtsverfahren hier.“ Das ehemalige Nazi-KZ Natzweiler-Struthof mit ca. 4000 Internierten wurde also Vorbild für den Fall, dass die künftigen Besatzer ein aufgegebenes Lager für sich requirierten.1 Dies ist auch die Voraussetzung für die Fragen im Zusammenhang mit dem wieder verwendeten ehemaligen „Wüste“-Lager Dormettingen, nachdem die Franzosen am 20. April 1945 im hiesigen Raum eingetroffen waren. 1 Frédérique Neau-Dufour: Le camp après le camp: le trou noir de 1945–1949 (Der Struthof als Internierungslager: das Schwarze Loch der Jahre 1945–1949). Vortrag, gehalten beim Kolloquium am 2. und 3. Dezember 2015 im Institut Historique Allemand, 8 Rue du Parc Royal, Paris. Das Zitat davor stammt aus einer Tafel der Ausstellung über die Verwendung des Lagers. Die letzten drei Aprilwochen 1945 kennzeichnen den Anfang vom Ende der Naziherrschaft auch in der Region um Balingen und Schömberg. Dem Vormarsch der alliierten Truppen trug die Kreisleitung der NSDAP Balingen-Hechingen dadurch Rechnung, dass sie am 2. April 1945 ein Schreiben „An die Bevölkerung des Kreises Balingen-Hechingen!“ veröffentlichte, das der Bevölkerung befahl, sich durch „Umquartierung“ in Sicherheit zu bringen: „Durch den Einsatz motorisierter Kräfte gelingt es oft dem Gegner überraschend in Gegenden vorzustoßen, die sich bis dahin in guter Sicherheit gefühlt haben. Um für alle möglichen Fälle vorbereitet zu sein, und um jeden einzelnen und uns allen sinnlose Handlungen zu ersparen, ist es zweckmäßig, wenn sich jeder auf den Ernstfall vorsorglich vorbereitet. Es ist befohlen, daß dort, wo eine Räumung notwendig wird, dieselbe total durchgeführt wird, das heißt, daß die gesamte deutsche
Bevölkerung diesen Raum aus bestimmten militärischen Gründen verläßt.“ Ebenfalls am 2. April 1945, Ostermontag, beschlossen die Verantwortlichen, besonders der DÖLF (Deutsche Ölschiefer-Forschungsgesellschaft), dass alle KZ-Häftlinge aus den „Wüste“-Lagern abzutransportieren und durch zivile Arbeitskräfte zu ersetzen und diese in den bisherigen Lagern unterzubringen seien.2 2 Arno Huth: Das doppelte Ende des „K. L. Natzweiler“ auf beiden Seiten des Rheins. Neckarelz, 2013, S. 301. Die Evakuierung des zuletzt eröffneten „Wüste“-KZ Dormettingen war am 6. April begonnen worden: Eigentlich vorgesehen bereits für den 2. April, verzögerte sich der Bahntransport in offenen Waggons, weil die wenigen geschlossenen für die SS und ihre Familien benötigt wurden. Der Transport nach Allach dauerte dann auch vom 6. bis 12. April: Die Listen aus Dachau beurkunden 163 Häftlinge aus „Natzweiler-Dormettingen“. Mit dem gleichen Ziel begann gleichzeitig die Räumung des „Wüste“-Lagers Erzingen. Dienstag, der 17. April, steht für den Beginn der Todesmärsche: Das Lager Schömberg, das „Bahnhofs“-KZ, mit dem „Bestand“ von „nur mehr 617“ Häftlingen (letzte Eintragung des flüchtigen Lagerältesten Hoffmann) wurde evakuiert, ebenso Dautmergen, Schörzingen, Frommern und Bisingen, nachdem auch hier Bahntransporte, z. B. der aus Dautmergen vom 7. April 978, arbeitsunfähige Häftlinge in Richtung Dachau befördert hatten. Die Zeichen des nahenden Endes waren demnach sicht- und hörbar. Der Dormettinger Bürgermeister Berner erinnert sich, dass „am 18. April abends gegen 8 Uhr […] die Sprengung der Neckarbrücken aus Richtung Rottenburg-Horb zu hören“ gewesen sei. Deutsche Truppen wollten also die Alliierten am weiteren Vormarsch hindern. Dieser ließ sich jedoch nicht mehr aufhalten. Ein Flugblatt der US-Amerikaner „An den Bürgermeister“ bestätigte: „Amerikanische Truppen sind im Anmarsch auf Ihre Stadt“, „Widerstand gegen unsere Truppen würde die Zerstörung Ihrer Stadt zur Folge haben. Rasche Übergabe jedoch wird die Stadt und ihre Bewohner vor einem solchen Schicksal bewahren.“ „Sie haben die Wahl zwischen Übergabe und Schonung Ihrer Ortschaft oder Widerstand und Vernichtung.“ Diese Ankündigung gilt selbstverständlich auch für die anrückenden französischen Truppen, denn erst die US-Führung hatte ermöglicht, dass Frankreich als vierte zukünftige Besatzungsmacht mit einer eigenen Besatzungszone auf Kosten der amerikanischen etabliert wurde. Nach der sog. Direktive JCS 1067 des Generalstabs der Streitkräfte der USA vom 26. April 1945 hatten sich die Militärregierungen zu formieren. Unter Punkt vier heißt es: „Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat […] Bei der Durchführung der Besetzung und Verwaltung müssen Sie gerecht, aber fest und unnahbar sein.“ „Es muss den Deutschen klargemacht werden, daß Deutschlands rücksichtslose Kriegführung und der fanatische Widerstand der Nazis die deutsche Wirtschaft zerstört und Chaos und Leiden unvermeidlich gemacht haben und daß sie nicht der Verantwortung für das entgehen können, was sie selbst auf sich geladen haben.“

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