Bereits 1944 hatten die Alliierten während des Vormarsches Kategorien für Verhaftungen und Internierungen entwickelt. „Vorgesehen war, dass am Kriegsende außer den Mitgliedern der Gestapo und der SS auch Funktionäre der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände sowie Mitglieder des Staatsapparats interniert werden sollten.“ Ein „Arrest Categories Handbook Germany“ der „Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force“ legte im April 1945 diese Kategorien fest.3 3 Arrest-Kategorien-Handbuch – Deutschland, herausgegeben vom Obersten Hauptquartier des Alliierten Expeditionskorps, April 1945. In: Das sowjetische Speziallager Nr. 2 1945–1950. Katalog zur ständigen historischen Ausstellung, hgg. von Bodo Ritscher, Göttingen, 1999, S. 24 f. Als man im April 1945 auf dem Rathaus Schömberg wie allenthalben glaubte, die NS-Herrschaft sei vorüber, hängte man schleunigst NS-Adler und Hitlerbild ab, die allerdings deutlich sichtbare verräterische Spuren auf der Tapete hinterließen. Waren sie Symbol für die Aufklärungsaufgaben der Nachkriegszeit? Kann man Vergangenheit und Schuld wie ein Bild abhängen? Wenig später wurde die Arrestzelle des Rathauses wieder benötigt für Männer, deren Schicksal im Nachkriegslager Dormettingen besiegelt wurde. Die Schwierigkeiten beginnen mit der Bezeichnung: Ein ehemaliges nationalsozialistisches Konzentrationslager wurde in der unmittelbaren Nach-NS-Zeit, nachdem es nur kurze Zeit leer gestanden hatte, wieder mit dem Begriff „Lager“ charakterisiert und bekam zur Unterscheidung nur ein anderes Epitheton, „schwarzes Lager“. Benutzte man die aus dem NS-Regime bekannte Bezeichnung aus Gewohnheit auch für die „Gegenseite“? Schließlich waren jetzt ehemalige Vertreter des besiegten Regimes eingesperrt. Die Eröffnung des letzten „Wüste“-KZ Dormettingen im Januar 1945, obwohl schon länger fertig, hatte noch einmal gezeigt, dass die NS-Herrschaft funktionierte. Deshalb war es ein sichtbares Zeichen des Endes, als die vom Regime angeordnete Räumung des Lagers spätestens am 17. April 1945 beendet war, nachdem alle Insassen seit 6./12. April per Bahn nach Dachau oder Allach abtransportiert worden waren. Sie erhielten dort neue Nummern.4 Aus diesem Grunde trifft die Bezeichnung „befreites KZ“ nicht zu, weil die französischen Befreier erst am 20. April in der Raumschaft eintrafen. Allerdings dürfte die Besatzungsmacht das aufgegebene Lager nach dem Vorbild des Stammlagers Natzweiler-Struthof wohl für eigene Zwecke requiriert haben, als französisches Kriegsgefangenen- oder Internierungslager, das nach und nach neue Häftlinge aufnahm oder aufnehmen sollte. 4 Listen aus Dachau mit Dachau-Nummern: Es sind die Nummern 154 638 bis 154 662 = 24 mit dem Datum 6. und 12. April 1945 und 155 898 bis 156 071 = 173 mit dem Datum 12. April mit der Bezeichnung „Zugang am 12. 04. von Natzweiler-Dormettingen“, also zusammen 197 Männer. Die Bezeichnungen wechseln von Sch. = Schutzhäftling, Sch.Po. = polnischer Schutzhäftling (oder anderer Nationen), Sch.Po. J. = Schutzhäftling polnischer Jude, Po. J. = polnischer Jude. Das KZ Dormettingen dürfte für viel mehr Häftlinge Platz geboten haben, aber vermutlich sind die Insassen des KZ Dautmergen mit denen Dormettingens vermischt worden, weil die Arbeitsstellen von beiden Lagern „beschickt“ wurden. Auch die Insassen des KZ Erzingen wurden zu diesem Zeitpunkt per Bahn nach Allach transportiert. Weil die offizielle Politik der Kommandanturen die ehemaligen großen und kleinen Funktionäre des NS-Regimes betreffend nicht direkt durchschaubar war, konnte sich ein selbst ernannter „Kommandant“ für das ehemalige KZ Dormettingen etablieren, eine eigene private „Kommandantur“ in Dotternhausen und sein „Privat“-Lager in Dormettingen, ein „KZ auf eigene Faust“, errichten. Der Begriff „wildes KZ“, der heute den bei Beginn der Nazizeit für die schnell verhafteten politischen Gegner 1933 benötigten Lager zugeordnet wird, trifft auf Dormettingen in der unmittelbaren Nachkriegszeit also nicht zu. Die „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28. Februar 1933, die als „Rechtsbasis“ für das „Dritte Reich“ gilt, wurde von Hitler dazu benutzt, vermeintliche und tatsächliche politische Gegner verhaften zu lassen. In kürzester Zeit waren deshalb die Gefängnisse überfüllt, sodass „Konzentrationslager“ die Gegner schnell aufnehmen konnten. Das erste „KL“, so die offizielle Abkürzung, in Deutschland war nicht Dachau, „wie immer wieder fälschlicherweise behauptet wird“. Vielmehr „entstand Anfang März 1933 das ‚Sammellager‘ für Funktionäre der KPD in dem kleinen Ort Nohra, der westlich von Weimar in Thüringen liegt“5. 5 Hans-Günter Richardi, Eleonore Philipp und Monika Lücking: Dachauer Zeitgeschichtsführer. Die Geschichte der Stadt im 20. Jahrhundert mit zeitgeschichtlichen Rundgängen durch den Ort und durch die KZ-Gedenkstätte. Herausgegeben von der Stadt Dachau. 2. Aufl. 2001, S. 74. – Vgl. Hans-Günter Richardi, Schule der Gewalt. Das Konzentrationslager Dachau. München, 1995. – Zur „Reichstagsbrandverordnung“ als „Rechtsbasis“ des Nationalsozialismus: Karl Ploetz: Auszug aus der Weltgeschichte und „Enzyklopädie des Nationalsozialismus“. – Stichwort „wilde Konzentrationslager“. In: „Das nationalsozialistische Lagersystem“ CCP), herausgegeben von Martin Weinmann, für 2001 Frankfurt am Main 1990, Seite LXXX. Das Landgericht Rottweil benutzt die Überschrift „Illegales KZ in Dormettingen“: Ks 3/51 2 Js 7223/47. – Die Pfarrer nennen 1977, als sie die Gedenkfeier auf dem KZ-Friedhof Schömberg einführen, das ehemalige Nazi-KZ Dormettingen „wildes Lager“. Siehe unten S. 72. – Die „Ortschronik Erzingen 1950–1989“ spricht von „Dormettinger Todeslager“ auf Blatt 39 zum Jahr 1952. Verschiedene Bezeichnungen
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