Читать книгу Bei Ostwind hörten wir die Leute schreien - Immo Opfermann - Страница 9

Drei Stempel der französischen Besatzungsmacht des Jahres 1945. Oben vom 5. Mai, Gignoux (?), Sûreté mit dem Vermerk „Vu“ = „gesehen“, unten November 1945, Kübler. Selbstverständlich war bei aller Unsicherheit für viele Vorsicht geboten. Zwar glaubte man sich aus zwölf Jahren Diktatur zu kennen, sodass man sich fragte, wer nun nach der Niederlage opportunistisch auf wessen Seite sei, wer wie zur Rechenschaft gezogen werde oder davonkomme: Profiteure des Regimes mussten ja mit Gefangennahme, Verhaftung und Aburteilung rechnen. „Solange die Deutschen noch die Uniform getragen haben, hat man nichts gegen den Hitler gehört, erst als die Franzosen kamen, dann hat man alles mögliche gehört vom deutschen Mund. Worte gegen den Hitler, die sie da gefunden haben … Sie wussten, jetzt kommt die Besatzung und ‚wenn wir etwas getan haben, dann werden wir vielleicht zur Verantwortung gezogen.‘ So war die Lage“, sagte Eduard Rock-Tabarowski, ein befreiter griechischer Zivilarbeiter zur Situation.8 Nun begannen Schweigen und Sprachlosigkeit aus Angst, verständlich, wenn man bedenkt, dass kriegsgefangene Franzosen seit Ende des Jahres 1940 z. B. in Schömberg eingesetzt waren und viele Schömberger vier Jahre lang von den französischen Kriegsgefangenen hatten profitieren können. Listen aus dem Stadtarchiv Schömberg registrieren den „Nachweis über den Einsatz von Kriegsgefangenen“, der zumindest in den Jahren 1942/43 ziemlich genau dokumentiert ist. Nimmt man die Nachkriegsliste, die nach dem „Befehl No 1792 des Generals Koenig“ angelegt wurde, hinzu, so handelt es sich um 31 kriegsgefangene und 141 deportierte Franzosen, die bei der DÖLF (s. o.) und in der Landwirtschaft hatten arbeiten müssen, nachdem sie im Rathaus angefordert worden waren. Nahrungs- und Waschmittel waren vom Lebensmittelgeschäft Faulhaber mit der „Stadtgemeinde“ abgerechnet worden.9 Die französischen Kriegsgefangenen hatten zunächst in der Schömberger Zehntscheuer in einem Anbau neben dem Leichenwagendepot, danach in der sog. „Bläsle-Fabrik“ Unterkunft gefunden, der Betreiber der Wirtschaft „Lamm“ hatte das Essen geliefert.10 8 Eduard Rock-Tabarowski, ehemaliger Zwangsarbeiter aus Athen im Gespräch mit Dorothee Wein am 01.02.2006: „Wir waren Menschen zweiter Klasse.“ Teile des Gesprächs sind veröffentlicht in Volker Mall/Harald Roth: „Jeder Mensch hat einen Namen“. Gedenkbuch für die 600 jüdischen Häftlinge des KZ-Außenlagers Hailfingen-Tailfingen. Berlin, 2009, S. 261 ff. 9 Stadtarchiv Schömberg Nr. 1562. – Berücksichtigt man die Eintragungen im Schuldenbuch des Lebensmittelgeschäftes Faulhaber, so werden bereits im Dezember des Jahres 1940 „5 Eßtöpfe“ für „Franzosen“ benötigt, die zu Lasten des Rathauses aufgeschrieben sind. Diesem Buch ist zu entnehmen, dass dem Rathaus gelieferte Nahrungsmittel wie „Kaffee, Kaffeeersatzmittel, Marmelade, Pudding, Reis, Käse, Grieß …“, Waschmittel „Imi, Henko, Waschpulver, Weißwäsche“, aber auch Hygieneartikel wie „Seife, Rasierseifen“ vermerkt wurden. Man kann deshalb feststellen, dass es den Franzosen zu diesem Zeitpunkt des Krieges, weil sie in der Verantwortung der Wehrmacht standen, besser ging als den späteren KZ-Häftlingen, die von der SS beschafft und von der OT ausgebeutet wurden. – Kopien des Schuldenbuches freundlicherweise von Marlies Pfeiffer-Blepp, deren Mutter Wera geb. Faulhaber die Waren für die Franzosen lieferte. 10 Freundliche Mitteilung von Josef Faulhaber, Fuhrunternehmer, dem Verfasser mitgeteilt am 21. März 2009. – Das Dokument A 1384 aus dem Stadtarchiv Schömberg bestätigt die Einrichtung des Kriegsgefangenenlagers. „Bläsle“-Fabrik, weil in dem Gebäude vorher Mundharmonikas für die Firma Hohner hergestellt worden waren. Vgl. Opfermann, Schömberg-Chronik. Der Tag der „Überrollung“ war ein „Tag der Befreiung“ für die vielen fremd- und „ausländischen Zivilarbeiter“, für Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge, die teilweise in die Orte, in denen sie in Lagern interniert gewesen waren, zurückkehrten, um ihre Landsleute zu suchen und zu beraten, wie es weitergehen werde. „Der Kreis Balingen hatte damals 70300 Einwohner; dazu kamen 9000 deutsche Flüchtlinge aus luftkriegsgefährdeten Gebieten, z. B. dem Ruhrgebiet […] und 8000 Ausländer […] aller Nationen“.11 Ein Zeitungsbericht von 1955 spricht nach zehn Jahren sogar von 12000 zur Zwangsarbeit verpflichteten Menschen, die eingesetzt gewesen seien.12 11 Foth, wie Anm. 7. 12 Balinger Volksfreund vom 20.04.1955, Sonderbeilage „Das Ende zwischen Neckar und Oberrhein“. „Die lokale Verwaltung stand einer solchen Lage unfähig gegenüber. Manche Beamte waren Soldaten, und ihren zu alten Vertretern fehlte es an Aktivität und Kenntnissen. Die Polizei war nicht in der Lage, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Feuerwehr und die öffentlichen Dienste waren desorganisiert“.13 13 Foth, wie Anm. 7. Deshalb bemühte sich die Besatzungsmacht Frankreich, potenziellen anarchischen Zuständen dadurch vorzubeugen und Ordnung herzustellen, dass sie Kommandanten für die jeweiligen „Ortskommandanturen“ einsetzte, z. B in Ratshausen oder in Schömberg. Dessen Stadtchronik stellt zum 22. April 1945 fest, „aus den Reihen der Zivilarbeiter“ sei ein Kommandant genommen worden. „Er war korrekt und hat manches Unrecht abgestellt.“14 14 Ortschronik Schömberg zum 22.04.1945 „Einsetzen eines Ortskommandanten aus den Reihen der Zivilarbeiter …“ Stadtarchiv Schömberg AB 638. – In Schörzingen wurde ein ehemaliger französischer Zivilarbeiter eingesetzt, der Vater von Liliane Gesson, die später Recherchen auf den Spuren ihres Vaters machte, der die Exhumierungen in Schörzingen in Fotos hatte dokumentieren lassen. Diese Formulierung legt die Vermutung nahe, dass es anderswo nicht sehr korrekt zuging. Der Name des Kommandanten war Doyer, der „auf Werk 9 als Bulldogfahrer tätig gewesen war.“ Über den Ort, wo die französische Kommandantur Schömberg untergebracht war, gibt es unterschiedliche Erinnerungen: Es waren exponierte Häuser, z. B. der „Herrenspittel“, das Gasthaus zum „Plettenberg“ als Kasino für Offiziere, die „Traube“ für Unteroffiziere. In der Villa des Fabrikanten Munding „residierte“ General König. Im ehemaligen „Konsum“, dem Haus Konrad Eha, „unterhielt eine französische Sanitätsabteilung eine Schreibstube“. Andere sprechen vom „Konsum“ als der regulären Kommandantur, die Anlaufstelle für mögliche Beschwerden und Ausgangspunkt für die ersten Maßnahmen der Sieger gewesen sei. Diese bestanden unter anderem in der „Suche nach Kriegsverbrechern und Nazis sowie deren Verhaftung“, so schrieb Jean Gonnet, Militärgouverneur für den Kreis Balingen, allerdings nach (!) der Zeit des Schwarzen Lagers Dormettingen. „Dazu müssen gefährliche Nazis gesucht und verhaftet, Widerständler aufgespürt, Waffen konfisziert, eine entnazifizierte Verwaltung und Polizei eingesetzt, der öffentliche Dienst reorganisiert sowie die Versorgung wiederhergestellt, die Kriegsgefangenen und Deportierten umgesiedelt, registriert und heimgeschickt sowie Bewegungsfreiheit (innerhalb der Zone) geregelt werden. […] Der Unterhalt der Truppen besteht aus Requisition und Beschlagnahmung, der Versorgung mit Lebensmitteln, Ausrüstungsgegenständen, Wohnungen und deren Ausstattung.“15 15 Geschichte der Kreisdelegation von Balingen, Vorwort, S. 43. In: Blau-Weiß-Rot: Leben unter der Trikolore. Die Kreise Balingen und Hechingen in der Nachkriegszeit 1945 bis 1949. Herausgeber Landratsamt Zollernalbkreis, bearbeitet von Andreas Zekorn. Zollernalb-Profile. Schriftenreihe des Zollernalbkreises. Band 5, Balingen 1999. S. 43 ff. Besonders S. 37. Fritz Fortmann erstellte als Repräsentant, Geschäftsführer und Prokurist der DÖLF eine Liste, auf der ehemalige Parteigenossen und Amtsträger des Nationalsozialismus genannt wurden. Weil Fortmann sich als wichtigster Mann der DÖLF, der Französisch sprach, der Besatzungsmacht andienen konnte, beginnt mit dieser ominösen Liste die Denunziation, die alles bewirkte: schnell, in vorauseilendem Gehorsam, willkürlich und mutmaßlich in Trennung zwischen privaten Feinden und Freunden angelegt, ist sie bis heute im kollektiven Bewusstsein Inbegriff und Synonym für Denunziantentum per se, um die eigene Haut zu retten und mit Unliebsamen abzurechnen. Nach ihr wurden die entsprechenden Verhaftungen vorgenommen – ob noch durch den Polizisten Rösch, ist unklar, sodass im Ortsarrest des Rathauses in Schömberg nach und nach ungefähr 15 bis 20 Männer auf engstem Raum eingesperrt waren, in „Zimmer 3 inhaftiert“ und dann auf „3 Zimmer verteilt“, bis „am nächsten Morgen“, 20.04.45, „Oberleutnant De Laitre […] mit seinem Adjutanten, dem Tschechen Milan“ erschienen sei.16 16 Aussage Friedrich Geise, des ehemaligen Leiters von „Wüste“ 9, am 17. August 1948. In: Staatsarchiv Sigmaringen 9/720/1/A 4. Hier beginnt die Geschichte des „Schwarzen Lagers“, denn der selbst ernannte Kommandant von Dotternhausen, Lieutnant Delètre, riss die Macht an sich und nahm mit seinen Spießgesellen angeblich in französischem Namen Verhaftungen und Requirierungen vor. Es traf auch Angehörige der DÖLF, weshalb deren Vorgeschichte wichtig ist. Ölschiefer Nachdem Rudolf Rohrbach, während der NS-Zeit Gauamtsleiter für Technik in Stuttgart, durch die Vermittlung seines Freundes Dr. Fritz Todt, des Gründers der „Organisation Todt“ (OT), eine Befreiung vom Bauverbot zur Errichtung eines Zementwerkes in Dotternhausen bewirkt hatte, konnte er 1939 noch vor Kriegsbeginn darangehen, an der beabsichtigten Stelle mit dem Bau zu beginnen. Die Wahl des Standortes war bedingt durch ein genügend großes Ölschiefer-Vorkommen, denn die Ausnahmegenehmigung war daran gebunden, dass mit der Zementherstellung auch eine Ölschieferschwelanlage errichtet werde. Die Produktion von Schieferöl aus schwäbischem Schiefer Epsilon wurde als „Wehrmachtsbauvorhaben“ bezeichnet: Kalksteinvorkommen und Bahnanschluss als weitere Komponenten des Standortes waren vorhanden, außerdem war hier eine Seilbahn vom Plettenberg in das stillgelegte Zementwerk Balingen für den Kalksteintransport bekannt.17 Für das neue Werk in Dotternhausen am Albtrauf benötigte Rohrbach entsprechende Ingenieure, Techniker und Arbeitskräfte, die Straßen anlegen und das ganze Gelände betriebsgeeignet machen konnten. 17 Vgl. Opfermann, Schömberg-Buch, S. 220 ff. Als die vom Arbeitsamt Balingen vermittelten „130 kriegsgefangenen Franzosen“ sich durch „ihre Flucht über den Steinbruch auf dem Plettenberg“ Ende des Jahres 1941 der Weiterarbeit entzogen hatten, wurden der Baustelle und dem späterem Betrieb russische Kriegsgefangene zugewiesen. Sie bildeten „bis Kriegsende den Stamm“ der Arbeiter.18 18 Rudolf Rohrbach: Ein Ölschiefer-Werk entsteht. 1987. S. 42 – Die russischen Kriegsgefangenen, die im Werk ein eingezäuntes Lager hatten, arbeiteten auch im Kalksteinbruch auf dem Plettenberg, wo sie in der „Hütte neben dem alten Schafhaus wohnten. Das Essen brachten ihnen zwei Dotternhausener Frauen von unten auf den Berg“, so Helmut Künstle. In: Am Fuß des Plettenbergs, hgg. von der Gemeinde Dotternhausen. Dotternhausen 1994, sog. „Heimatbuch“, S. 316. Nach diesen Russen ist der sog. „Russenweg“ am Plettenberg benannt. – Zwei Russen hätten sich vor einem Luftangriff in einem Bombentrichter in angebliche Sicherheit gebracht, weil nicht zweimal eine Bombe in den gleichen Trichter falle: Beide wurden getötet. – Diese beiden am 27.02. und die am 18.04.1945 beim letzten Luftangriff auf das Zementwerk getöteten fünf Russen wurden am Plettenberg in einem Grab verscharrt, die Stelle mit einer Art Kreuz markiert.

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