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Immo Opfermann
Bei Ostwind hörten wir die Leute schreien
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Impressum
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Vorwort Wer sich auch noch 2019 in Deutschland mit der Geschichte des Nationalsozialismus und der Kultur des Erinnerns widmet, bekommt unweigerlich zu hören, ob man nicht endlich auf positive Dinge in der deutschen Geschichte blicken dürfe, ob nicht schon alles hinreichend erforscht, gesagt, wiederholt worden und es Zeit sei, den Blick nicht zurück, sondern nach vorn zu richten. Was dieses Buch betrifft, so beschreibt sein Inhalt nur einen kleinen Ausschnitt innerhalb des geschichtlichen Geschehens, geografisch und zeitlich, aber auch hinsichtlich der überschaubaren Zahl der Opfer: 18 namentlich bekannte Männer wurden im „Schwarzen Lager“ Dormettingen ermordet, ungefähr 60 Männer und Frauen, deren Namen nicht alle bekannt sind, kamen – teilweise nach unvorstellbarer Folter – mit dem Leben, jedoch schwer traumatisiert, davon. Mit den großen NS-Lagern verglichen, scheint dieses eine Quantité négligeable in den Augen mancher zu sein, die nach Zahlen aufrechnen, zumal die Opfer Vertreter des gerade untergegangenen Regimes waren. Gerade darum haben diese ein Recht darauf, einem Konglomerat von Gerüchten, Halbwissen, Heucheleien, Verschleierungen und Ausschmückungen entrissen zu werden, die sich immer noch um die Ereignisse ranken. Es gibt noch Zeitzeugen, die sich erinnern, und es gibt Familien und deren Nachkommen, von denen manche immer noch herb tragen an jenen Verbrechen, die dort begangen wurden. Denn gerade für sie, die selbst über Jahre nach Antworten gesucht haben mögen, gibt es viel Widersprüchliches und Undurchschaubares. Ziel dieses Buches ist es, mithilfe von belastbaren Quellen und dem Vergleich vieler einzelner Zeugenworte, schriftlicher wie mündlicher, Zusammenhänge aufzudecken, neue Kenntnisse über das Lager zu vermitteln, Ereignisse einander zuzuordnen, zu ergänzen, Missverständnisse auszuräumen und damit auf bis heute quälende Fragen von Angehörigen antworten zu können.
Bedingungen bei Kriegsende Als am 1. September 1944 der Befehl zur Räumung des Stammlagers Natzweiler-Struthof gegeben wurde, war klar, dass die Insassen in Außenlager überstellt und Transporte sofort in die Wüste-Lager geleitet werden mussten, zumal die Kommandantur sich auf die andere Rheinseite ins badische Guttenbach zu begeben hatte. Am 22.11.1944 trafen die Amerikaner das Lager Natzweiler-Struthof leer an und funktionierten es am 27.11.44 zu einem Internierungslager um, in dem nun die Sieger ihre politischen Häftlinge, d. h. ehemalige Funktionsträger des NS-Regimes in Gefangenschaft hielten. Ein zweisprachiges Hinweisschild in Natzweiler-Struthof macht dies 2015 deutlich: „Kurz nach der Evakuierung der KZ-Häftlinge dient das Hauptlager neuerlich als Lager für politische Gefangene, dieses Mal im Sinne der französischen Sieger. Es wird zu einem der Internierungsorte im Elsass, wo man der Kollaboration verdächtige Menschen oder Deutsche aus der Region festhält … Alle sind ohne Gerichtsverfahren hier.“ Das ehemalige Nazi-KZ Natzweiler-Struthof mit ca. 4000 Internierten wurde also Vorbild für den Fall, dass die künftigen Besatzer ein aufgegebenes Lager für sich requirierten.1 Dies ist auch die Voraussetzung für die Fragen im Zusammenhang mit dem wieder verwendeten ehemaligen „Wüste“-Lager Dormettingen, nachdem die Franzosen am 20. April 1945 im hiesigen Raum eingetroffen waren.
1
Frédérique Neau-Dufour: Le camp après le camp: le trou noir de 1945–1949 (Der Struthof als Internierungslager: das Schwarze Loch der Jahre 1945–1949). Vortrag, gehalten beim Kolloquium am 2. und 3. Dezember 2015 im Institut Historique Allemand, 8 Rue du Parc Royal, Paris. Das Zitat davor stammt aus einer Tafel der Ausstellung über die Verwendung des Lagers. Die letzten drei Aprilwochen 1945 kennzeichnen den Anfang vom Ende der Naziherrschaft auch in der Region um Balingen und Schömberg. Dem Vormarsch der alliierten Truppen trug die Kreisleitung der NSDAP Balingen-Hechingen dadurch Rechnung, dass sie am 2. April 1945 ein Schreiben „An die Bevölkerung des Kreises Balingen-Hechingen!“ veröffentlichte, das der Bevölkerung befahl, sich durch „Umquartierung“ in Sicherheit zu bringen: „Durch den Einsatz motorisierter Kräfte gelingt es oft dem Gegner überraschend in Gegenden vorzustoßen, die sich bis dahin in guter Sicherheit gefühlt haben. Um für alle möglichen Fälle vorbereitet zu sein, und um jeden einzelnen und uns allen sinnlose Handlungen zu ersparen, ist es zweckmäßig, wenn sich jeder auf den Ernstfall vorsorglich vorbereitet. Es ist befohlen, daß dort, wo eine Räumung notwendig wird, dieselbe total durchgeführt wird, das heißt, daß die gesamte deutsche
Bevölkerung diesen Raum aus bestimmten militärischen Gründen verläßt.“ Ebenfalls am 2. April 1945, Ostermontag, beschlossen die Verantwortlichen, besonders der DÖLF (Deutsche Ölschiefer-Forschungsgesellschaft), dass alle KZ-Häftlinge aus den „Wüste“-Lagern abzutransportieren und durch zivile Arbeitskräfte zu ersetzen und diese in den bisherigen Lagern unterzubringen seien.2
2
Arno Huth: Das doppelte Ende des „K. L. Natzweiler“ auf beiden Seiten des Rheins. Neckarelz, 2013, S. 301. Die Evakuierung des zuletzt eröffneten „Wüste“-KZ Dormettingen war am 6. April begonnen worden: Eigentlich vorgesehen bereits für den 2. April, verzögerte sich der Bahntransport in offenen Waggons, weil die wenigen geschlossenen für die SS und ihre Familien benötigt wurden. Der Transport nach Allach dauerte dann auch vom 6. bis 12. April: Die Listen aus Dachau beurkunden 163 Häftlinge aus „Natzweiler-Dormettingen“. Mit dem gleichen Ziel begann gleichzeitig die Räumung des „Wüste“-Lagers Erzingen. Dienstag, der 17. April, steht für den Beginn der Todesmärsche: Das Lager Schömberg, das „Bahnhofs“-KZ, mit dem „Bestand“ von „nur mehr 617“ Häftlingen (letzte Eintragung des flüchtigen Lagerältesten Hoffmann) wurde evakuiert, ebenso Dautmergen, Schörzingen, Frommern und Bisingen, nachdem auch hier Bahntransporte, z. B. der aus Dautmergen vom 7. April 978, arbeitsunfähige Häftlinge in Richtung Dachau befördert hatten. Die Zeichen des nahenden Endes waren demnach sicht- und hörbar. Der Dormettinger Bürgermeister Berner erinnert sich, dass „am 18. April abends gegen 8 Uhr […] die Sprengung der Neckarbrücken aus Richtung Rottenburg-Horb zu hören“ gewesen sei. Deutsche Truppen wollten also die Alliierten am weiteren Vormarsch hindern. Dieser ließ sich jedoch nicht mehr aufhalten. Ein Flugblatt der US-Amerikaner „An den Bürgermeister“ bestätigte: „Amerikanische Truppen sind im Anmarsch auf Ihre Stadt“, „Widerstand gegen unsere Truppen würde die Zerstörung Ihrer Stadt zur Folge haben. Rasche Übergabe jedoch wird die Stadt und ihre Bewohner vor einem solchen Schicksal bewahren.“ „Sie haben die Wahl zwischen Übergabe und Schonung Ihrer Ortschaft oder Widerstand und Vernichtung.“ Diese Ankündigung gilt selbstverständlich auch für die anrückenden französischen Truppen, denn erst die US-Führung hatte ermöglicht, dass Frankreich als vierte zukünftige Besatzungsmacht mit einer eigenen Besatzungszone auf Kosten der amerikanischen etabliert wurde. Nach der sog. Direktive JCS 1067 des Generalstabs der Streitkräfte der USA vom 26. April 1945 hatten sich die Militärregierungen zu formieren. Unter Punkt vier heißt es: „Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat […] Bei der Durchführung der Besetzung und Verwaltung müssen Sie gerecht, aber fest und unnahbar sein.“ „Es muss den Deutschen klargemacht werden, daß Deutschlands rücksichtslose Kriegführung und der fanatische Widerstand der Nazis die deutsche Wirtschaft zerstört und Chaos und Leiden unvermeidlich gemacht haben und daß sie nicht der Verantwortung für das entgehen können, was sie selbst auf sich geladen haben.“
Bereits 1944 hatten die Alliierten während des Vormarsches Kategorien für Verhaftungen und Internierungen entwickelt. „Vorgesehen war, dass am Kriegsende außer den Mitgliedern der Gestapo und der SS auch Funktionäre der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände sowie Mitglieder des Staatsapparats interniert werden sollten.“ Ein „Arrest Categories Handbook Germany“ der „Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force“ legte im April 1945 diese Kategorien fest.3
3
Arrest-Kategorien-Handbuch – Deutschland, herausgegeben vom Obersten Hauptquartier des Alliierten Expeditionskorps, April 1945. In: Das sowjetische Speziallager Nr. 2 1945–1950. Katalog zur ständigen historischen Ausstellung, hgg. von Bodo Ritscher, Göttingen, 1999, S. 24 f. Als man im April 1945 auf dem Rathaus Schömberg wie allenthalben glaubte, die NS-Herrschaft sei vorüber, hängte man schleunigst NS-Adler und Hitlerbild ab, die allerdings deutlich sichtbare verräterische Spuren auf der Tapete hinterließen. Waren sie Symbol für die Aufklärungsaufgaben der Nachkriegszeit? Kann man Vergangenheit und Schuld wie ein Bild abhängen? Wenig später wurde die Arrestzelle des Rathauses wieder benötigt für Männer, deren Schicksal im Nachkriegslager Dormettingen besiegelt wurde. Die Schwierigkeiten beginnen mit der Bezeichnung: Ein ehemaliges nationalsozialistisches Konzentrationslager wurde in der unmittelbaren Nach-NS-Zeit, nachdem es nur kurze Zeit leer gestanden hatte, wieder mit dem Begriff „Lager“ charakterisiert und bekam zur Unterscheidung nur ein anderes Epitheton, „schwarzes Lager“. Benutzte man die aus dem NS-Regime bekannte Bezeichnung aus Gewohnheit auch für die „Gegenseite“? Schließlich waren jetzt ehemalige Vertreter des besiegten Regimes eingesperrt. Die Eröffnung des letzten „Wüste“-KZ Dormettingen im Januar 1945, obwohl schon länger fertig, hatte noch einmal gezeigt, dass die NS-Herrschaft funktionierte. Deshalb war es ein sichtbares Zeichen des Endes, als die vom Regime angeordnete Räumung des Lagers spätestens am 17. April 1945 beendet war, nachdem alle Insassen seit 6./12. April per Bahn nach Dachau oder Allach abtransportiert worden waren. Sie erhielten dort neue Nummern.4 Aus diesem Grunde trifft die Bezeichnung „befreites KZ“ nicht zu, weil die französischen Befreier erst am 20. April in der Raumschaft eintrafen. Allerdings dürfte die Besatzungsmacht das aufgegebene Lager nach dem Vorbild des Stammlagers Natzweiler-Struthof wohl für eigene Zwecke requiriert haben, als französisches Kriegsgefangenen- oder Internierungslager, das nach und nach neue Häftlinge aufnahm oder aufnehmen sollte.
4
Listen aus Dachau mit Dachau-Nummern: Es sind die Nummern 154 638 bis 154 662 = 24 mit dem Datum 6. und 12. April 1945 und 155 898 bis 156 071 = 173 mit dem Datum 12. April mit der Bezeichnung „Zugang am 12. 04. von Natzweiler-Dormettingen“, also zusammen 197 Männer. Die Bezeichnungen wechseln von Sch. = Schutzhäftling, Sch.Po. = polnischer Schutzhäftling (oder anderer Nationen), Sch.Po. J. = Schutzhäftling polnischer Jude, Po. J. = polnischer Jude. Das KZ Dormettingen dürfte für viel mehr Häftlinge Platz geboten haben, aber vermutlich sind die Insassen des KZ Dautmergen mit denen Dormettingens vermischt worden, weil die Arbeitsstellen von beiden Lagern „beschickt“ wurden. Auch die Insassen des KZ Erzingen wurden zu diesem Zeitpunkt per Bahn nach Allach transportiert. Weil die offizielle Politik der Kommandanturen die ehemaligen großen und kleinen Funktionäre des NS-Regimes betreffend nicht direkt durchschaubar war, konnte sich ein selbst ernannter „Kommandant“ für das ehemalige KZ Dormettingen etablieren, eine eigene private „Kommandantur“ in Dotternhausen und sein „Privat“-Lager in Dormettingen, ein „KZ auf eigene Faust“, errichten. Der Begriff „wildes KZ“, der heute den bei Beginn der Nazizeit für die schnell verhafteten politischen Gegner 1933 benötigten Lager zugeordnet wird, trifft auf Dormettingen in der unmittelbaren Nachkriegszeit also nicht zu. Die „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28. Februar 1933, die als „Rechtsbasis“ für das „Dritte Reich“ gilt, wurde von Hitler dazu benutzt, vermeintliche und tatsächliche politische Gegner verhaften zu lassen. In kürzester Zeit waren deshalb die Gefängnisse überfüllt, sodass „Konzentrationslager“ die Gegner schnell aufnehmen konnten. Das erste „KL“, so die offizielle Abkürzung, in Deutschland war nicht Dachau, „wie immer wieder fälschlicherweise behauptet wird“. Vielmehr „entstand Anfang März 1933 das ‚Sammellager‘ für Funktionäre der KPD in dem kleinen Ort Nohra, der westlich von Weimar in Thüringen liegt“5.
5
Hans-Günter Richardi, Eleonore Philipp und Monika Lücking: Dachauer Zeitgeschichtsführer. Die Geschichte der Stadt im 20. Jahrhundert mit zeitgeschichtlichen Rundgängen durch den Ort und durch die KZ-Gedenkstätte. Herausgegeben von der Stadt Dachau. 2. Aufl. 2001, S. 74. – Vgl. Hans-Günter Richardi, Schule der Gewalt. Das Konzentrationslager Dachau. München, 1995. – Zur „Reichstagsbrandverordnung“ als „Rechtsbasis“ des Nationalsozialismus: Karl Ploetz: Auszug aus der Weltgeschichte und „Enzyklopädie des Nationalsozialismus“. – Stichwort „wilde Konzentrationslager“. In: „Das nationalsozialistische Lagersystem“ CCP), herausgegeben von Martin Weinmann, für 2001 Frankfurt am Main 1990, Seite LXXX. Das Landgericht Rottweil benutzt die Überschrift „Illegales KZ in Dormettingen“: Ks 3/51 2 Js 7223/47. – Die Pfarrer nennen 1977, als sie die Gedenkfeier auf dem KZ-Friedhof Schömberg einführen, das ehemalige Nazi-KZ Dormettingen „wildes Lager“. Siehe unten S. 72. – Die „Ortschronik Erzingen 1950–1989“ spricht von „Dormettinger Todeslager“ auf Blatt 39 zum Jahr 1952. Verschiedene Bezeichnungen
des Schwarzen Lagers „Illegales Lager“, „illegales Gefangenenlager“, „illegales KZ“ (in)
Dormettingen, „wildes Lager“, „französisches Häftlingslager“ oder „Dormettinger Todeslager“, „Schwarzes Lager“: Mehr als ein halbes Dutzend Bezeichnungen waren und sind bis heute über dieses Lager im Umlauf bzw. urkundlich im Totenbuch von Dormettingen bezeugt. Der Begriffswirrwarr spiegelt die Unsicherheit der Verhältnisse und das Unwissen über die Zustände im Lager. „Schwarzes Lager“ trifft den fürchterlichen Sachverhalt, dass nämlich schwärzeste Taten, Verbrechen von Verbrechern begangen wurden. „Schwarzes Lager“ Dormettingen steht dafür, dass Täter sich auf brutale Weise austobten, Opfer bestialisch quälten und ermordeten, sich bereicherten, indem sie die Wohnungen der Verhafteten plünderten. Nach dem Lärm der letzten Kriegstage war die Stille vor der Ankunft der Sieger am 20. April 1945, einem Freitag, zu spüren: Ab dem 17. April, die ganze Woche schon, hatte man die Geräusche der Auflösung der Lager in Schömberg und Schörzingen gehört und gesehen, vorher bereits auf den Bahnhöfen Dotternhausen und Schömberg den Abtransport der Gefangenen in offenen Güterwaggons beobachtet. Den letzten Fliegerangriff auf das Zementwerk am 18. April, bei dem der Schornstein zerstört wurde, konnten Anhänger wie Gegner des Regimes als sichtbares Zeichen des endgültigen Untergangs werten. Noch am 20. April hatten kurz vor dem Eintreffen der Franzosen englische Flugzeuge die SS-Baracken des Lagers Dautmergen bombardiert, fünf getötete SS-Männer wurden hastig auf dem Schömberger Friedhof begraben: Endzeitstimmung und Angst vor Chaos, vor der Zukunft nach dem offensichtlichen Scheitern des Nationalsozialismus, vor der erwarteten Rache der Sieger beherrschten je nach Temperament die Menschen. Aus dem Schömberger Gasthaus „Traube“ sind Parolen wie „Der Friede wird furchtbar“ und „Sauft und fresst, die gemeinsame Himmelfahrt steht vor der Tür“ von Angehörigen der SS überliefert.6 Denn genau zwölf Jahre nachdem die Stadt Schömberg am 18. April 1933 Adolf Hitler zum Ehrenbürger gemacht hatte, war das Naziregime zu Ende.
6
Freundliche Mitteilung der Traubenwirtstochter E. Z. – Vgl. Opfermann, Schömberg 1919–1946. In: Geschichte der Stadt Schömberg. Herausgegeben im Auftrag der Stadt Schömberg anlässlich der 750-Jahr-Feier 2005 von Casimir Bumiller, S. 236 f. „Die tiefe Niedergeschlagenheit einer Bevölkerung, die noch kaum die militärische Katastrophe Deutschlands realisierte“, wurde von den Siegern festgestellt.7
7
So wird der französische Administrator Oberst Jean Gonnet zitiert bei Wilhelm Foth: 1945–1949: Chaos und Neuanfang. In: „Heimatkundliche Blätter“ Balingen Nr. 1 Jahrgang 43, 31.01.1996.
Drei Stempel der französischen Besatzungsmacht des Jahres 1945. Oben vom 5. Mai, Gignoux (?), Sûreté mit dem Vermerk „Vu“ = „gesehen“, unten November 1945, Kübler. Selbstverständlich war bei aller Unsicherheit für viele Vorsicht geboten. Zwar glaubte man sich aus zwölf Jahren Diktatur zu kennen, sodass man sich fragte, wer nun nach der Niederlage opportunistisch auf wessen Seite sei, wer wie zur Rechenschaft gezogen werde oder davonkomme: Profiteure des Regimes mussten ja mit Gefangennahme, Verhaftung und Aburteilung rechnen. „Solange die Deutschen noch die Uniform getragen haben, hat man nichts gegen den Hitler gehört, erst als die Franzosen kamen, dann hat man alles mögliche gehört vom deutschen Mund. Worte gegen den Hitler, die sie da gefunden haben … Sie wussten, jetzt kommt die Besatzung und ‚wenn wir etwas getan haben, dann werden wir vielleicht zur Verantwortung gezogen.‘ So war die Lage“, sagte Eduard Rock-Tabarowski, ein befreiter griechischer Zivilarbeiter zur Situation.8 Nun begannen Schweigen und Sprachlosigkeit aus Angst, verständlich, wenn man bedenkt, dass kriegsgefangene Franzosen seit Ende des Jahres 1940 z. B. in Schömberg eingesetzt waren und viele Schömberger vier Jahre lang von den französischen Kriegsgefangenen hatten profitieren können. Listen aus dem Stadtarchiv Schömberg registrieren den „Nachweis über den Einsatz von Kriegsgefangenen“, der zumindest in den Jahren 1942/43 ziemlich genau dokumentiert ist. Nimmt man die Nachkriegsliste, die nach dem „Befehl No 1792 des Generals Koenig“ angelegt wurde, hinzu, so handelt es sich um 31 kriegsgefangene und 141 deportierte Franzosen, die bei der DÖLF (s. o.) und in der Landwirtschaft hatten arbeiten müssen, nachdem sie im Rathaus angefordert worden waren. Nahrungs- und Waschmittel waren vom Lebensmittelgeschäft Faulhaber mit der „Stadtgemeinde“ abgerechnet worden.9 Die französischen Kriegsgefangenen hatten zunächst in der Schömberger Zehntscheuer in einem Anbau neben dem Leichenwagendepot, danach in der sog. „Bläsle-Fabrik“ Unterkunft gefunden, der Betreiber der Wirtschaft „Lamm“ hatte das Essen geliefert.10
8
Eduard Rock-Tabarowski, ehemaliger Zwangsarbeiter aus Athen im Gespräch mit Dorothee Wein am 01.02.2006: „Wir waren Menschen zweiter Klasse.“ Teile des Gesprächs sind veröffentlicht in Volker Mall/Harald Roth: „Jeder Mensch hat einen Namen“. Gedenkbuch für die 600 jüdischen Häftlinge des KZ-Außenlagers Hailfingen-Tailfingen. Berlin, 2009, S. 261 ff.
9
Stadtarchiv Schömberg Nr. 1562. – Berücksichtigt man die Eintragungen im Schuldenbuch des Lebensmittelgeschäftes Faulhaber, so werden bereits im Dezember des Jahres 1940 „5 Eßtöpfe“ für „Franzosen“ benötigt, die zu Lasten des Rathauses aufgeschrieben sind. Diesem Buch ist zu entnehmen, dass dem Rathaus gelieferte Nahrungsmittel wie „Kaffee, Kaffeeersatzmittel, Marmelade, Pudding, Reis, Käse, Grieß …“, Waschmittel „Imi, Henko, Waschpulver, Weißwäsche“, aber auch Hygieneartikel wie „Seife, Rasierseifen“ vermerkt wurden. Man kann deshalb feststellen, dass es den Franzosen zu diesem Zeitpunkt des Krieges, weil sie in der Verantwortung der Wehrmacht standen, besser ging als den späteren KZ-Häftlingen, die von der SS beschafft und von der OT ausgebeutet wurden. – Kopien des Schuldenbuches freundlicherweise von Marlies Pfeiffer-Blepp, deren Mutter Wera geb. Faulhaber die Waren für die Franzosen lieferte.
10
Freundliche Mitteilung von Josef Faulhaber, Fuhrunternehmer, dem Verfasser mitgeteilt am 21. März 2009. – Das Dokument A 1384 aus dem Stadtarchiv Schömberg bestätigt die Einrichtung des Kriegsgefangenenlagers. „Bläsle“-Fabrik, weil in dem Gebäude vorher Mundharmonikas für die Firma Hohner hergestellt worden waren. Vgl. Opfermann, Schömberg-Chronik. Der Tag der „Überrollung“ war ein „Tag der Befreiung“ für die vielen fremd- und „ausländischen Zivilarbeiter“, für Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge, die teilweise in die Orte, in denen sie in Lagern interniert gewesen waren, zurückkehrten, um ihre Landsleute zu suchen und zu beraten, wie es weitergehen werde. „Der Kreis Balingen hatte damals 70300 Einwohner; dazu kamen 9000 deutsche Flüchtlinge aus luftkriegsgefährdeten Gebieten, z. B. dem Ruhrgebiet […] und 8000 Ausländer […] aller Nationen“.11 Ein Zeitungsbericht von 1955 spricht nach zehn Jahren sogar von 12000 zur Zwangsarbeit verpflichteten Menschen, die eingesetzt gewesen seien.12
11
Foth, wie Anm. 7.
12
Balinger Volksfreund vom 20.04.1955, Sonderbeilage „Das Ende zwischen Neckar und Oberrhein“. „Die lokale Verwaltung stand einer solchen Lage unfähig gegenüber. Manche Beamte waren Soldaten, und ihren zu alten Vertretern fehlte es an Aktivität und Kenntnissen. Die Polizei war nicht in der Lage, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Feuerwehr und die öffentlichen Dienste waren desorganisiert“.13
13
Foth, wie Anm. 7. Deshalb bemühte sich die Besatzungsmacht Frankreich, potenziellen anarchischen Zuständen dadurch vorzubeugen und Ordnung herzustellen, dass sie Kommandanten für die jeweiligen „Ortskommandanturen“ einsetzte, z. B in Ratshausen oder in Schömberg. Dessen Stadtchronik stellt zum 22. April 1945 fest, „aus den Reihen der Zivilarbeiter“ sei ein Kommandant genommen worden. „Er war korrekt und hat manches Unrecht abgestellt.“14
14
Ortschronik Schömberg zum 22.04.1945 „Einsetzen eines Ortskommandanten aus den Reihen der Zivilarbeiter …“ Stadtarchiv Schömberg AB 638. – In Schörzingen wurde ein ehemaliger französischer Zivilarbeiter eingesetzt, der Vater von Liliane Gesson, die später Recherchen auf den Spuren ihres Vaters machte, der die Exhumierungen in Schörzingen in Fotos hatte dokumentieren lassen. Diese Formulierung legt die Vermutung nahe, dass es anderswo nicht sehr korrekt zuging. Der Name des Kommandanten war Doyer, der „auf Werk 9 als Bulldogfahrer tätig gewesen war.“ Über den Ort, wo die französische Kommandantur Schömberg untergebracht war, gibt es unterschiedliche Erinnerungen: Es waren exponierte Häuser, z. B. der „Herrenspittel“, das Gasthaus zum „Plettenberg“ als Kasino für Offiziere, die „Traube“ für Unteroffiziere. In der Villa des Fabrikanten Munding „residierte“ General König. Im ehemaligen „Konsum“, dem Haus Konrad Eha, „unterhielt eine französische Sanitätsabteilung eine Schreibstube“. Andere sprechen vom „Konsum“ als der regulären Kommandantur, die Anlaufstelle für mögliche Beschwerden und Ausgangspunkt für die ersten Maßnahmen der Sieger gewesen sei. Diese bestanden unter anderem in der „Suche nach Kriegsverbrechern und Nazis sowie deren Verhaftung“, so schrieb Jean Gonnet, Militärgouverneur für den Kreis Balingen, allerdings nach (!) der Zeit des Schwarzen Lagers Dormettingen. „Dazu müssen gefährliche Nazis gesucht und verhaftet, Widerständler aufgespürt, Waffen konfisziert, eine entnazifizierte Verwaltung und Polizei eingesetzt, der öffentliche Dienst reorganisiert sowie die Versorgung wiederhergestellt, die Kriegsgefangenen und Deportierten umgesiedelt, registriert und heimgeschickt sowie Bewegungsfreiheit (innerhalb der Zone) geregelt werden. […] Der Unterhalt der Truppen besteht aus Requisition und Beschlagnahmung, der Versorgung mit Lebensmitteln, Ausrüstungsgegenständen, Wohnungen und deren Ausstattung.“15
15
Geschichte der Kreisdelegation von Balingen, Vorwort, S. 43. In: Blau-Weiß-Rot: Leben unter der Trikolore. Die Kreise Balingen und Hechingen in der Nachkriegszeit 1945 bis 1949. Herausgeber Landratsamt Zollernalbkreis, bearbeitet von Andreas Zekorn. Zollernalb-Profile. Schriftenreihe des Zollernalbkreises. Band 5, Balingen 1999. S. 43 ff. Besonders S. 37. Fritz Fortmann erstellte als Repräsentant, Geschäftsführer und Prokurist der DÖLF eine Liste, auf der ehemalige Parteigenossen und Amtsträger des Nationalsozialismus genannt wurden. Weil Fortmann sich als wichtigster Mann der DÖLF, der Französisch sprach, der Besatzungsmacht andienen konnte, beginnt mit dieser ominösen Liste die Denunziation, die alles bewirkte: schnell, in vorauseilendem Gehorsam, willkürlich und mutmaßlich in Trennung zwischen privaten Feinden und Freunden angelegt, ist sie bis heute im kollektiven Bewusstsein Inbegriff und Synonym für Denunziantentum per se, um die eigene Haut zu retten und mit Unliebsamen abzurechnen. Nach ihr wurden die entsprechenden Verhaftungen vorgenommen – ob noch durch den Polizisten Rösch, ist unklar, sodass im Ortsarrest des Rathauses in Schömberg nach und nach ungefähr 15 bis 20 Männer auf engstem Raum eingesperrt waren, in „Zimmer 3 inhaftiert“ und dann auf „3 Zimmer verteilt“, bis „am nächsten Morgen“, 20.04.45, „Oberleutnant De Laitre […] mit seinem Adjutanten, dem Tschechen Milan“ erschienen sei.16
16
Aussage Friedrich Geise, des ehemaligen Leiters von „Wüste“ 9, am 17. August 1948. In: Staatsarchiv Sigmaringen 9/720/1/A 4. Hier beginnt die Geschichte des „Schwarzen Lagers“, denn der selbst ernannte Kommandant von Dotternhausen, Lieutnant Delètre, riss die Macht an sich und nahm mit seinen Spießgesellen angeblich in französischem Namen Verhaftungen und Requirierungen vor. Es traf auch Angehörige der DÖLF, weshalb deren Vorgeschichte wichtig ist. Ölschiefer Nachdem Rudolf Rohrbach, während der NS-Zeit Gauamtsleiter für Technik in Stuttgart, durch die Vermittlung seines Freundes Dr. Fritz Todt, des Gründers der „Organisation Todt“ (OT), eine Befreiung vom Bauverbot zur Errichtung eines Zementwerkes in Dotternhausen bewirkt hatte, konnte er 1939 noch vor Kriegsbeginn darangehen, an der beabsichtigten Stelle mit dem Bau zu beginnen. Die Wahl des Standortes war bedingt durch ein genügend großes Ölschiefer-Vorkommen, denn die Ausnahmegenehmigung war daran gebunden, dass mit der Zementherstellung auch eine Ölschieferschwelanlage errichtet werde. Die Produktion von Schieferöl aus schwäbischem Schiefer Epsilon wurde als „Wehrmachtsbauvorhaben“ bezeichnet: Kalksteinvorkommen und Bahnanschluss als weitere Komponenten des Standortes waren vorhanden, außerdem war hier eine Seilbahn vom Plettenberg in das stillgelegte Zementwerk Balingen für den Kalksteintransport bekannt.17 Für das neue Werk in Dotternhausen am Albtrauf benötigte Rohrbach entsprechende Ingenieure, Techniker und Arbeitskräfte, die Straßen anlegen und das ganze Gelände betriebsgeeignet machen konnten.
17
Vgl. Opfermann, Schömberg-Buch, S. 220 ff. Als die vom Arbeitsamt Balingen vermittelten „130 kriegsgefangenen Franzosen“ sich durch „ihre Flucht über den Steinbruch auf dem Plettenberg“ Ende des Jahres 1941 der Weiterarbeit entzogen hatten, wurden der Baustelle und dem späterem Betrieb russische Kriegsgefangene zugewiesen. Sie bildeten „bis Kriegsende den Stamm“ der Arbeiter.18
18
Rudolf Rohrbach: Ein Ölschiefer-Werk entsteht. 1987. S. 42 – Die russischen Kriegsgefangenen, die im Werk ein eingezäuntes Lager hatten, arbeiteten auch im Kalksteinbruch auf dem Plettenberg, wo sie in der „Hütte neben dem alten Schafhaus wohnten. Das Essen brachten ihnen zwei Dotternhausener Frauen von unten auf den Berg“, so Helmut Künstle. In: Am Fuß des Plettenbergs, hgg. von der Gemeinde Dotternhausen. Dotternhausen 1994, sog. „Heimatbuch“, S. 316. Nach diesen Russen ist der sog. „Russenweg“ am Plettenberg benannt. – Zwei Russen hätten sich vor einem Luftangriff in einem Bombentrichter in angebliche Sicherheit gebracht, weil nicht zweimal eine Bombe in den gleichen Trichter falle: Beide wurden getötet. – Diese beiden am 27.02. und die am 18.04.1945 beim letzten Luftangriff auf das Zementwerk getöteten fünf Russen wurden am Plettenberg in einem Grab verscharrt, die Stelle mit einer Art Kreuz markiert.
Plan des Zementwerkes, links das Lager der Russen
Schieferbruch zum Zementwerk, Foto aus der Nachkriegszeit Für den Schlichem-Stausee in Schömberg, der während und nach dem Bau des Zementwerkes Dotternhausen ab August 1941 als weiteres Projekt für das Werk angelegt wurde, waren wiederum sehr viele ausländische Arbeitskräfte notwendig: die Zusammensetzung der Arbeitenden wechselte im Sperrgebiet am künftigen See nach Baufortschritt, je nachdem, welche Arbeitskräfte die beteiligten Firmen Heilmann und Littmann oder Baresel überhaupt organisieren konnten. Bauaufsicht hatte das Wasserwirtschaftsamt Rottweil beim Bau der Schlichemtalsperre und die „Deutsche Arbeitsfront“. Dass hier bereits die OT beteiligt war, ist zu vermuten, denn die „Firmen hatten ein eigenes Stammpersonal, das in OT-Uniform war“19. Für weitere Baustellen des Unternehmens „Wüste“ war ihr technisches Wissen vonnöten.
19
„Erläuterungen zum Organisationsplan Geilenberg-Bauvorhaben Wüste“ vom 19. April 1946, also ein Jahr nach Kriegsende. In: Staatsarchiv Ludwigsburg EL 317 III, Bü 1252. – Aus dem Dotternhausener „Heimatbuch“ ist bekannt, dass „im Oktober 1944 […] das Lehrmittelzimmer der Schule zusammen mit weiteren Lokalen in der Gemeinde von der OT beschlagnahmt“ wurde. „Nach Kriegsende war das Schulgebäude von den Besatzungstruppen vollständig belegt und wurde erst nach dem 30. Oktober 1945 für den Unterricht freigegeben“, S. 19.
Bau der Schlichemtalsperre ab August 1941, Foto Erwin Krauß
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Das „Schwarze Lager“ in Dormettingen „Beginn der ersten Festnahmen von politisch belasteten Personen durch bewaffnete D. P. aus Dormettingen“ stellt lapidar die Stadtchronik Schömberg zum 1. Mai 1945 fest. Die vom Naziregime aus ihrer Heimat verschleppten Personen, aber auch Flüchtlinge wurden „Displaced Persons“ genannt. Die Umstände der Festnahmen wurden im Prozess gegen einen der Täter – Helmer-Sandmann – folgendermaßen beschrieben, als „Sachverhalt“: „Wie durch die Ermittlungen festgestellt werden konnte, haben sich im April 1945 nach dem Umsturz Ausländer unter der Führung des Franzosen Deletre24und des Tschechen Kovar zusammengeschlossen, um gemeinsam unter Mitführung von Waffen Plünderungen, Räubereien und andere strafbare Handlungen zu begehen. Gleichzeitig hat diese Gruppe Ausländer in Dotternhausen eine illegale Kommandantur und in Dormettingen ein illegales KZ-Lager errichtet, in letzterem Lager wurden die willkürlich und ohne Berechtigung festgenommenen Personen eingeliefert und mussten dort schwere körperlich Misshandlungen erdulden. Ferner konnte ermittelt werden, dass in diesem Lager 18 Menschen entweder durch Erschiessen oder durch erlittene Misshandlungen ums Leben kamen. Dieser Gruppe Ausländer hat sich der Beschuldigte Helmer-Sandmann Ende April-Anfang Mai aus freien Stücken angeschlossen und an verschiedenen Straftaten mitgemacht.“25
24
Der Name eines der Täter wird in den Quellen unterschiedlich wiedergegeben: Deletre, Delètre, Delaitre, De Laitre und andere Schreibweisen, die sich nach dem Hören und den jeweiligen Französischkenntnissen richteten. Natürlich achtete Delètre peinlichst darauf, nirgends eine schriftliche Spur zu hinterlassen. Selbst Rohrbach spricht von einem „neuen Kommissar“: s. u. S 139.
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Akte der Landespolizei Württemberg-Hohenzollern Kriminal-Kommissariat Rottweil a. N. vom 04.11.1950. Stempel der Staatsanwaltschaft Rottweil vom 10. Nov. 1950. Akte des Amtsgerichts Rottweil, Anhörung am 22. Juni 1950 „In der Strafsache gegen Franz Helmer-Sandmann wegen Landfriedensbruch“. Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/2 T 4 Nr. 685. Die Akte von 1950 bemerkt wiederholt „Ausländer“ als Täter, zählt besonders Delètre, Milan Kovar, Franz Helmer-Sandmann und „weitere unbekannte Tschechen und Polen“ auf, was in dieser Abhandlung geprüft werden soll. Liste der Opfer des Schwarzen Lagers, aufgestellt für den Prozess 1950 gegen Helmer-Sandmann Dormettingen, den 14.09.1950 Aufstellung der im illegalen KZ-Lager Dormettingen ums Leben gekommenen Häftlingen lt. Eintragungen im Sterbebuch des Bürgermeisteramtes Dormettingen:
Liste der von der Kommandantur Dotternhausen und im Lager Dormettingen inhaftierten Personen
Die Liste von 1950 ist unvollständig, wurde im Zusammenhang mit dem Prozess ergänzt, jedoch bleibt die genaue Zahl der ins Lager Verschleppten ungewiss. Sie war für das Gericht wichtig, weil viele der Aufgeführten als Zeugen aussagten. Die Pfarrchronik Schömberg stellte fünf Jahre früher fest: „Am 21. Mai wurden 24 Männer und 13 Frauen auf 1 Nacht in das Lager Dormettingen gesperrt.“ Beide Listen, die der Toten wie die der Davongekommenen, enthalten keine Auskunft über die Funktionen und Tätigkeiten der Verhafteten während der NS-Zeit. Die Verhaftungen erfolgten immer nach dem gleichen Muster: Nach schriftlicher oder mündlicher Denunziation26 wurden ehemalige kleine und größere Funktionäre des nationalsozialistischen Staates, insbesondere der DÖLF, von den Handlangern Delètres (Polen und Tschechen, auch Helmer-Sandmann) in ihren Wohnungen verhaftet und oft schon dort misshandelt, anfangs in den örtlichen Rathäusern und Kommandanturen „verhört“ und dann ins Lager gebracht, später sofort ins Lager, wo sie als „politische Gefangene“ separiert wurden. An den Verhören war außer Delètre und Kovar auch Helmer-Sandmann beteiligt. Delètre inszenierte dabei seine Auftritte: Er trug die Uniform eines französischen Oberleutnants, requirierte den Sportwagen des Schömberger Arztes Dr. Josef Fricker und ließ sich in diesem durch die Ortschaften chauffieren, wenn die Denunzierten abgeholt wurden. Milan Kovar saß im Fond mit schussbereiter Maschinenpistole in Drohgebärde. Der Name, den Delètre sich zugelegt hatte, klang, zumindest in deutschen Ohren, ähnlich wie der des französischen Oberbefehlshabers, des Generals de Lattre de Tassigny, den die besiegten Deutschen gekannt haben dürften. Diese Inszenierung wird wohl allenthalben Eindruck hinterlassen haben, sie diente der Einschüchterung und war Tarnung mörderischen Handelns.
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Der Satz des Dichters Hoffmann von Fallersleben, des Verfassers des „Liedes der Deutschen“, den er in seinen „Politischen Gedichten“ 1843 geschrieben hatte, dürfte zum Allgemeingut im Denken gehört haben: „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ „Quellen“ Schwarzes Lager Dormettingen:
chronologische Reihenfolge Mai 1945 Bericht: Viktor Rebstock Wegewart, Bauer (03.05.–17.05.1945 im Lager) Juni 1945 Brief: Liesel Kirchhardt Bauunternehmer Metzingen, DÖLF (ihr Mann am 16.05. verhaftet, am 26. Mai getötet) 13.08.1945 Brief: Rudolf Rohrbach Besitzer des PZW (24.04.45 ein Tag im Lager) 25.08.1945 Befragung: Martha Wiehl Hausfrau aus Weilen u. d. R. (ab 10.05.1945 mehrere Wochen im Lager) 28.01.1946 Bericht: Christian Zeh Verkaufsleiter im PZW (03.–15. Mai im Lager) 12.04.1948 Befragung: Arno Schreiber kaufmänn. Angestellter (28.04.–20. 05.1945 im Lager) 17.08.1948 Befragung: Friedrich Geise Leiter von Wüste 9 (29.04.–15.05.1945 im Lager) 29.09.1948 Befragung: Christian Zeh Sept. 1950 Befragung: Christian Zeh 09.09.1950 Befragung: Josef Aicher PG und Ortswalter der DAF (= Deutsche Arbeitsfront) (03.05.–16.05.1945 im Lager) 20.09.1950 Befragung: Wendelin Müller Bürgermeister Irslingen (29.04.–19.05. im Lager) 24.11.1951 Abschrift des URTEILS in der „Strafsache Franz Helmer-Sandmann“ Sitzungen des „Schwurgerichts in Rottweil 1./6. Oktober 1951 Voruntersuchungen und Prozessakten zu diesem Prozess 29.03.1951 Zeitungsberichte vom Prozess gegen Franz Helmer-Sandmann Rottweil Juli 1957 Zeitungsberichte vom Prozess gegen P. A. Maurer Hechingen („Des Schwarzen Lagers zweiter Akt“) 1951 Akte: Landgericht Rottweil: „Illegales KZ in Dormettingen“ Ks 3/51 Js 7223/47 1945 Entnazifizierungsakten Rudolf Rohrbach aus dem Staatsarchiv Sigmaringen 1970 Heinrich Eggert (16.5.–20.05.1945 im Lager) und Trick (23. auf 24.04.45 im Lager) aus großem zeitlichen Abstand: 1970 und später unter Verwendung der Zeitungsberichte Diese Quellen sind umso glaubwürdiger, je näher am Geschehen sie verfasst, je weniger Stereotype, verbal und inhaltlich, benutzt worden sind. Die meisten dieser frühen Berichte wurden im Zusammenhang mit den Voruntersuchungen zum Prozess bei Aussagen vor Polizeibeamten oder Gerichtsbehörden bestätigt, sodass Zweifel nicht angebracht sind. Der Trick-„Bericht“ jedoch von 1972 mit der Überschrift „Inferno von Dormettingen“, der 1. auf dem Eggertbericht, 2. vorwiegend auf Zeitungsberichten von 1951 und 1957 und 3. in dem Abschnitt „Augenzeugenberichte“ mutmaßlich auf dem Zuhören im Rottweiler Schwurgerichtsprozess von 1951 gegen Helmer-Sandmann beruht, unterscheidet sich von allen anderen Quellen durch den zeitlichen Abstand und die sentenzenhaften Beurteilungen des Geschehens. Die wichtigsten Dokumente sind die Prozessakten und das Urteil im Prozess gegen Helmer-Sandmann von 1951, weil sie den Tatsachen am nächsten kommen. Ein Großteil derjenigen wird als Zeugen vernommen, die zeitweise im „Schwarzen Lager“ inhaftiert waren und die eigene Berichte hatten verfassen können oder bereits bei behördlichen Befragungen gehört worden waren. Allerdings stellt das Gericht fest, es habe über die Aussage eines Befragten „keinen Zweifel“, weil er Dinge gewusst habe, die vorher „in der Presse noch nicht erschienen waren“. Es wird implizit also eine Wechselbeziehung zwischen den Veröffentlichungen in der Presse und den Zeugenaussagen hergestellt. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass die Zeugen, die sich untereinander kannten, sich möglicherweise abgesprochen, sich wechselseitig an die Ereignisse erinnert und ermutigt hatten, um im Prozess mit gemeinsamer Stimme der Opfer zu sprechen.
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