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Dienstag 16.11. nachmittags

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„Der Bericht vom Leichenfledderer ist gerade reingekommen. Bei dem bisschen, was noch übrig war von unserem Opfer, hat der Doc doch noch allerhand herausgefunden“, wunderte sich Hansen. „Größe etwa 185, Haarfarbe dunkelblond und so weiter und so fort. Wer noch keine Aufgabe hat, kümmert sich um die Details des Berichts und macht sich schlau, ob jemand vermisst wird, auf den die Merkmale des Berichts zutreffen könnten. Alles klar? Dann mal los. Ich will in ein paar Tagen in Rente und Resturlaub ist auch noch da. Bis dahin will ich die Sache vom Tisch haben. Und jetzt, da immer mehr gegen einen Selbstmord spricht, kann man die Angelegenheit nicht zu den Akten legen.“ Die Versammlung war zu Ende.

Hansen warf sich gegen die Lehne seines Stuhls, verschränkte seine Hände im Nacken und streckte die Beine steif von sich. Das hatte ihm noch gefehlt, dass der Mann kein Selbstmörder war. Während alle Versammelten nach und nach den Raum verließen, stierte er zur Decke und vertiefte sich in seine Gedanken. „Alles in Ordnung, Chef?“, fragte Melchisedech. Hansen und er kannten sich schon lange, und deshalb hatten sie auch ein Gespür dafür, wenn bei einem von ihnen etwas nicht in Ordnung war. „Geht dir der Fall so sehr an die Nieren, Hansen?“

Melchisedech war ein Gemütsmensch mit einer guten Seele unter seinem dicken Wanst. Er war sozusagen die Mutter der Kompanie. Auch wenn der Ton hier auf dem Revier mitunter sehr rau war, so wusste Melchisedech doch öfter als die meisten von ihnen, wann der Zeitpunkt gekommen war für ein bisschen Anteilnahme und Mitmenschlichkeit. Das war nicht selbstverständlich unter diesen Bedingungen, die sie alle oftmals zwangsläufig hart und unerbittlich werden ließen. Sie blickten in die Abgründe der menschlichen Seelen, die sie durch diese Taten offen gelegt fanden. Und sie standen unter erheblichem Druck, wenn die Volksseele mal wieder kochte angesichts der Abscheulichkeiten, die von einer geilen Presse dem Volk morgens auf den Frühstückstisch gekotzt wurde. Dann wollte die gute Volksseele Blut sehen und strafen wollte sie dann auch.

„Du weißt es ja selber, wie es ist, bist ja auch schon lange im Dienst, bald genau so lange wie ich. Tagsüber, wenn man unter Druck steht, da gibt man den harten Kerl ab. Vielleicht geht es auch nicht anders. Aber nachts verfolgen mich die Bilder des Tages. Ich finde dann manchmal keine Ruhe und kann nur einschlafen, wenn ich richtig kaputt bin oder mir ordentlich einen angesoffen habe. Wenn ich nicht bald in Rente gehen würde, könnte ich das wohl nicht mehr lange mitmachen.“

„Das geht mir ähnlich. Du kennst mich. Mich bringt so schnell nichts aus der Ruhe und ich bekomme auch mit niemandem Streit. Aber seit einiger Zeit hat sich das geändert. Ich bin gereizter geworden. Und manchmal geht mir der Rest der Gesellschaft, der nicht zu sehen bekommt, was wir sehen, dermaßen auf den Frack mit ihrem naiven Bild von der Welt. Die leben in ihren Traumblasen und scheinen gar nicht zu wissen, wie es in der wirklichen Welt zugeht.“

„Ja, die Welt scheint mir ein ganz schönes Scheißloch geworden zu sein. Melchi, das war doch früher nicht so? Oder bilde ich mir das nur ein? All diese Kindermorde, die zerrütteten Familien, das hat es doch nicht gegeben, als wir unseren Dienst hier angetreten haben. Gelegentlich mal, ja, wenn einer besoffen war und in seinem Vollsuff nicht wusste, was er tat, dann hat er vielleicht seine Olle oder den Liebhaber so bearbeitet, dass einer darüber hopps ging. Aber so wie heute, dass die ihre Kinder verrecken lassen, eiskalt, gleichgültig, oder sie totschlagen, mit'm Kopf an die Wand knallen, dass die Schale aufplatzt. Du kennst die Bilder. So was hat's doch früher nicht gegeben? Oder, kannst du dich an so etwas erinnern? Was ist los mit unserem Deutschland? Ich glaube nicht, dass ich die Bilder los werde, bis ich den Löffel abgebe.“

„Aber, Hansen, es sind ja nicht mehr nur die zerrütteten Familien, also die, wo man es direkt erkennt, die aus den Brennpunkten, wie man so schön sagt. Das geht ja bis hinein ins kerndeutsche Mittelstandmilieu, die sogenannte bessere Gesellschaft. Wird der Mann arbeitslos und kann den Lebensstandard nicht mehr halten, wie neulich bei dem Ingenieur, der entlassen worden war, die Fassade der heilen Welt bricht zusammen, man kann nicht mehr mithalten mit den Nachbarn, da bringt der Hornochse seine ganze Familie um und jagt sich selbst ne Kugel durchn Kopf. Das ist der deutsche Ehrenmord im Unterschied zum islamischen. Nur dass der deutsche viel häufiger vorkommt als der andere bei den Vorhautlosen. Ich verstehe das alles nicht mehr.“

„Melchi, ein paar Tage noch, und dann hab ich es geschafft. Dann gibt’s nur noch volle Kanne Mallorca. Jeden Tag Sonne, braune knusprige Weiber, auch wenn ich schon zu alt bin für die. Aber sehn tut man's trotzdem noch gerne. Oder, Melchi, alter Schwerenöter, ist das bei dir schon vorbei mit den Weibern?“

Melchisedech winkte ab und grinste dabei. „Meinste mich will so ne Schöne wie unsere Prinzessin? Bei meinem Lebendgewicht? Dich aber auch nicht, Hansen, mit deiner Visage, die aussieht, als wäre sie aus Wellpappe, die drei Wochen im Regen gelegen hat. Mach dir da mal keine Hoffnungen. Mit deiner Visage kannste nur landen, wenn du dich in einer Blindenschule rumtreibst. Und ob die so was haben auf Malle, das wage ich ja noch zu bezweifeln.“

Beide überboten sich nun darin, sich übereinander lustig zu machen. Sie waren derb, aber herzlich zu einander, halt Männerfreundschaft. Sie lachten und zogen sich damit aus ihren trüben Gedanken. Die Stimmung war wieder gut und der Tag bot beste Aussichten darauf, am Abend als gerettet zu gelten. Es sei denn, es käme noch etwas dazwischen, wogegen ihre Stimmung noch nicht genug Antikörper entwickelt hätte. Aber noch schlimmer wäre etwas, das den Feierabend hinausschob. Doch der Tag ging gut aus, soweit man das behaupten konnte angesichts der üblen Umstände, mit denen sie immer zu kämpfen hatten.

Der Zweck heiligt den Mord

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