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FÜNF

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«Das ist ja ein Ding», sagte Lukas und zündete eine Kerze des Adventskranzes an, der auf dem Korpus stand, in dem Ordner, Blöcke und anderes Büromaterial verstaut waren. Andrina bezweifelte, dass Elisabeth begeistert davon war, und sie hörte sie schon Lukas zurechtweisen, wie schnell es zu einem Brand kommen konnte. Andrina fand Lukas’ Idee schön und hatte ihn nicht auf mögliche Probleme mit Elisabeth hingewiesen, als Lukas den Kranz ausgepackt und auf den Schrank gestellt hatte. «Du ziehst es an. Du gehst spazieren und findest einen Toten.»

«Sehr witzig», erwiderte Andrina und setzte sich auf ihren Bürostuhl. «Es ist übrigens eine Frau. Wir oder besser Enrico hat sie zufällig gesehen. Ich bin mir sicher, von einem anderen Standort wäre ihm nicht aufgefallen, dass dort jemand liegt.»

«Was meinst du mit ‹Standort›? Ich habe dich so verstanden, dass ihr über den Toten quasi gestolpert seid.»

«Die Pfahlbauten stehen im Wasser.»

«Welche Pfahlbauten?»

«Die im Ballyareal.»

«Du meinst, in dem Park, der hinter den Outlets ist?»

Andrina nickte.

«Da bekommt dein Ex mit seinem Team von Leib und Leben neue Arbeit.»

«Es ist nicht der Zuständigkeitsbereich von Marco.»

«Wieso nicht?»

«Das ist Aufgabe der Solothurner Polizei.»

«Natürlich. Schon wieder Pfahlbauten», murmelte er. «Ich finde das seltsam.» Er setzte sich auf seinen Stuhl und lehnte sich nach hinten. Nach einigen Sekunden sickerte in ihr Bewusstsein, was Lukas sagen wollte. Gestern hatte sie bereits mit Enrico darüber gesprochen, ob es Zufall sein könnte, erneut einen Toten bei Pfahlbauten gefunden zu haben. Später hatte sie versucht, nicht mehr an diese Möglichkeit zu denken und nicht von einem Zusammenhang der beiden Toten auszugehen, was ihr nach einer Weile gelungen war.

«Das kann kein Zufall sein», sprach Lukas Andrinas Gedanken aus.

«Vergiss nicht, der Mord am Hallwilersee wird als Selbstmord angesehen.»

«Ich meine mich zu erinnern, wie diese Polizistin nicht wirklich daran geglaubt hat. Ausserdem gäbe es einen Zusammenhang.»

«Welcher soll das bitte sein?», fragte Andrina.

«Der Fundort.»

«Die Toten wurden in zwei verschiedenen Kantonen gefunden.»

Er beugte sich vor und griff nach seiner Maus. «Wie viele solcher Rekonstruktionen von Pfahlbauten gibt es überhaupt in der Schweiz?»

«Keine Ahnung.» Andrina erhob sich und stellte sich hinter ihn. Lukas’ Finger huschten über die Tasten. «Schwierig», murmelte er. «Funde hat es einige, aber ich frage mich, wo es Rekonstruktionen hat.» Er klickte auf einen Link. «In Wauwil gibt es ein Museum mit Lehrpfad. Das ist Richtung Luzern. Ob da auch ein Toter gefunden wurde?» Er hob den Kopf und schaute Andrina an. In seinen Augen glitzerte es. War es Sensationslust? So kannte Andrina ihn nicht. Was würde das bedeuten, wenn Lukas recht hatte? Dachte die Polizei in diese Richtung?

«Woher soll ich das wissen?», sagte Andrina abweisend. «Ich finde das weit hergeholt.»

«Wo ist dein kriminalistischer Spürsinn? Ich finde es total naheliegend.» Er klickte auf einen neuen Link. «Ausserdem gibt es Nachbauten im Kanton Freiburg –»

«Warte», unterbrach Andrina ihn. «Womit soll das naheliegend sein?»

«Andrina, der Täter legt die Leichen an den Rekonstruktionen der Pfahlbauten ab. Das muss einen Grund haben.»

«Hör auf, Ermittler zu spielen. Warum sollte ein möglicher Täter das tun?»

«Zweimal ist das bereits passiert. Er könnte damit eine Botschaft mitteilen wollen oder sich mit den Pfahlbauern verbunden fühlen.»

«Lukas, deine Phantasie geht mit dir durch. Noch einmal. Der Mann beim Seengermoos hat Selbstmord gemacht.»

«Was ist mit der Frau?»

«Keine Ahnung.»

«Wenn sich die von der Polizei irren und es Mord war? Die Pfahlbauten müssen der Grund sein.» Lukas sprach immer schneller. Seine Augen glühten regelrecht. Andrina fühlte sich unwohler.

«Es sollen wegen der Pfahlbauten Leute getötet werden? Das ist Blödsinn.»

«Nicht unbedingt wegen. Die Bauten könnten eine Bedeutung für ihn haben, oder er braucht sie als eine Art Metapher. An deiner Stelle würde ich das deiner Freundin von der Polizei – wie war ihr Name?»

«Susanna?»

«Genau. Ich würde ihr diesen Hinweis geben.»

«Erstens ist die Tote im Ballyareal Aufgabe der Solothurner Polizei, und zweitens habe ich keine Lust, mir Ärger einzuhandeln, wenn ich mich in Ermittlungen einmische, und halte mich lieber raus.»

Lukas lehnte sich nach hinten und verschränkte die Arme vor der Brust. «Du steckst bereits mittendrin.»

Andrina stand auf und trat an das Fenster. Sie blickte auf den Verkehr, der auf der Entfelderstrasse herrschte. Es war nach dem Gespräch mit Lukas unmöglich, sich auf das Lektorat zu konzentrieren. Dabei war es ein spannender Roman. Der Autor hatte es geschafft, den Spannungsbogen nicht abreissen zu lassen.

Lukas war vor zehn Minuten in eine verfrühte Mittagspause verschwunden, da er etwas erledigen müsse. Was, hatte er Andrina nicht gesagt.

Seit Stille im Büro eingekehrt war, drängten sich Lukas’ Worte in den Vordergrund. Hartnäckig kreiste die Frage in ihrem Kopf, was wäre, wenn Lukas recht behielt. Andrina war sich nicht sicher, ob die Beamten in Solothurn automatisch von den Ermittlungen am Hallwilersee wussten. Falls es einen Zusammenhang gab, hatte der Mann keinen Suizid begangen. Andersherum konnte es sich bei der Leiche im Ballyareal ebenfalls um Selbstmord handeln. Zwei Selbstmorde so dicht hintereinander an einem ähnlichen Schauplatz waren für Andrina ein zu grosser Zufall. Oder hatte sich die Frau von dem Mann am Hallwilersee «inspirieren» lassen? Immerhin hatte es eine Meldung in den Medien gegeben. Andrina lehnte den Kopf gegen die Fensterscheibe und genoss die Kühle des Glases. Sie sah die Pfahlbauten vor sich. Wie war die Frau dort hingekommen? Mit einem Boot? Das lag aber an dem Ufer, an dem sie mit Enrico gestanden war. Ein anderes hatte Andrina nicht gesehen, was nichts heissen musste. Es konnte auf der hinteren Seite der Pfahlbauten festgemacht worden sein.

Hatten der Mann und die Frau sich gekannt? Warum war sie nicht zur Polizei gegangen? Immerhin war seine Identität weiterhin unbekannt. Zumindest war das der aktuelle Stand, den Andrina den Medien entnommen hatte, und von Susanna hatte sie bisher nichts Gegenteiliges erfahren.

Hör auf, dir den Kopf darüber zu zerbrechen, dachte sie und drehte sich um. Sie starrte auf Lukas’ leeren Arbeitsplatz.

Warum ritt er so hartnäckig auf einer möglichen Verbindung herum, die sie gerne ausklammern wollte?

Sie kehrte zu ihrem Computer zurück und rief Google auf. Nachdem sie «Pfahlbauer Schweiz» in die Maske eingegeben hatte, liess sie den Cursor unschlüssig über die Links gleiten.

Du solltest das nicht tun, sagte eine Stimme im Hinterkopf.

Du steckst bereits mittendrin, hörte sie Lukas sagen.

Hast du den Ärger vergessen, den du dir eingehandelt hast, wenn du deine Nase in kriminalistische Dinge gesteckt hast?, fragte die Stimme im Kopf.

Das ist kein Ermitteln, sondern nur Interesse an der Geschichte. Andrina klickte auf den ersten Link und überflog die Zeilen.

Im Alpenraum hatten Archäologen bis heute fast tausend Orte mit Pfahlbauten gefunden. Sie stammten aus der Zeit von ungefähr fünftausend bis fünfhundert vor Christus. Einige standen unter dem UNESCO-Kulturerbe. Die Häuser wurden auf Pfählen entlang von Feuchtgebieten, Seen oder Flüssen errichtet. Die erhöhte Bauweise war eine Absicherung gegen Hochwasser, wilde Tiere und feindliche Stämme.

Andrina war vertieft in ihre Lektüre und zuckte zusammen, als es klopfte und gleich darauf die Tür geöffnet wurde.

Kilian steckte den Kopf herein. «Hast du einen Augenblick Zeit?»

«Kommt darauf an, wofür», erwiderte Andrina und kam sich ertappt vor. Sie hatte genug zu tun, statt im Internet zu surfen und sich den Kopf für andere zu zerbrechen. Was sie tun konnte, war, Susanna anzurufen und sie von Lukas’ Verdacht in Kenntnis zu setzen. Andrina klickte das Internet auf die Seite.

«Ich habe einige Cover gestaltet», sagte Kilian und schloss die Tür. «Elisabeth kann sich nicht entscheiden, welche ich den Autoren zur Auswahl vorlegen soll. Sie meinte, ich solle dich fragen.»

«Okay, zeig mal.»

Am Nachmittag kam Andrina nicht dazu, Susanna anzurufen und ihr von Lukas’ Mutmassungen zu erzählen. Da Gabi einen Kontrolltermin beim Frauenarzt hatte, war es an Andrina, sich um den Adventsanlass von morgen zu kümmern. Wenn sie gerade nicht mit Dekorieren beschäftigt war, beantwortete sie E-Mails und Telefonanrufe mit Fragen zum Apéro. Wann er genau starte und ob man später kommen könne. Wo es Parkmöglichkeiten gebe. Sie musste kurzfristige Ab- und Neuanmeldungen vermerken. Inzwischen bezweifelte Andrina, dass die Räumlichkeiten des Verlags für diesen Anlass ausreichten, da es viele Anmeldungen gegeben hatte. Elisabeth hatte beschlossen, die Gäste im Sitzungszimmer zu begrüssen. Ausserdem konnten sie sich in Andrinas und Lukas’ sowie in Gabis und Kilians Büro und in dem leer stehenden Raum aufhalten, den Elisabeth als Reserve ansah, falls sie weitere Mitarbeiter einstellen wollte. Ihr Einzelbüro sollte jedoch nicht betreten werden. In der Küche sollte das Catering die Möglichkeit haben, die Speisen und Häppchen anzurichten. Das bedeutete, der Anlass fand auf ungefähr hundertfünfzig Quadratmetern statt. Andrina schaute auf die Liste. Dreissig Personen hatten sich angemeldet. Es würde eng werden, auch wenn man die Möbel auf die Seite rückte. Zum Glück trug Gabi die Hauptverantwortung.

***

Als Andrina am Abend nach Hause kam, fühlte sie sich gerädert und liess sich erschöpft auf das Sofa fallen. Ihr Blick ging zum Schwedenofen. Sie sehnte sich nach der behaglichen und entspannenden Atmosphäre, die er ausstrahlte, wenn ein Feuer brannte. Der Korb daneben war leer, und sie konnte sich nicht aufraffen, Holz von draussen zu holen. Ihr Blick glitt weiter zu dem Esszimmertisch, auf den sie die Zeitung und drei Briefe gelegt hatte, die sie im Briefkasten gefunden hatte. Alles war an Enrico adressiert. Enrico würde heute etwas später nach Hause kommen.

Andrina gähnte. Hin und wieder hatte er Bedenken angemeldet, ob es gut sei, wenn sie zu hundert Prozent arbeitete. Sogar ihr Frauenarzt hatte Andrina vorgeschlagen, das Arbeitspensum zu reduzieren. Obwohl sie in der letzten Zeit häufig erschöpft nach Hause kam, fühlte Andrina sich fit genug, weiterhin voll zu arbeiten. Sie war dankbar für den bisher unkomplizierten Verlauf ihrer Schwangerschaft, der das möglich machte. Sie hätte ein schlechtes Gewissen gehabt, weniger zu arbeiten, und wollte die Situation nicht ausnutzen.

Nach einer Weile rappelte sie sich auf. Der Holzriemenboden knarrte unter ihren Füssen, als sie das Wohnzimmer verliess und zur Küche ging.

Sie beschloss, zum Nachtessen einen Zwetschgenauflauf zu machen, damit sie das alte Brot verwerten konnte. Sobald sie ihn in den Ofen geschoben hatte, hörte sie die Haustür ins Schloss fallen. Einige Sekunden später steckte Enrico den Kopf zur Küchentür herein. Er küsste Andrina und musterte sie prüfend.

«Du siehst müde aus.»

«Es war heute einiges los», sagte sie ausweichend.

Enrico neigte den Kopf, als Andrina nicht fortfuhr. Es war ihm eindeutig nicht recht, dass Andrina gerade eine Menge Arbeit und Stress im Verlag hatte. Wiederholt hatte er sich besorgt geäussert, es könne ihr zu viel sein. Andrina war froh, dass er sich heute Abend eines Kommentars enthielt.

«Ausserdem hatte Elisabeth eine üble Laune, und sie hat alle damit angesteckt. Ich glaube, sie hat sich mit dem Backen übernommen.» Elisabeths Grosseltern hatten eine Confiserie gehabt. Offensichtlich hatte Elisabeth das Talent zum Backen von ihnen geerbt, das zu ihrem Lieblingshobby gehörte. Elisabeth hatte darauf bestanden, süsses Gebäck und Kuchen für den Anlass beizusteuern und dem Catering nur die herzhaften Speisen zu überlassen.

Enrico warf einen Blick auf den Ofen. «Was ist da drin?»

«Zwetschgenauflauf. Damit bin ich unser altes Brot los. Zwetschgen haben wir genug im Gefrierschrank, die unser Baum diesen Herbst in grossen Mengen geliefert hat. Brot und Zwetschgen mische ich mit Nüssen. Darüber kommt ein Guss, ähnlich wie ich ihn bei Wähen mache.»

«Das kenne ich nicht, oder hast du das schon mal gemacht?»

Andrina verneinte.

«Es klingt auf jeden Fall fein.» Er schaute zum Ofen. «Das heisst, das Essen braucht eine Weile.»

Andrina nickte.

«Pause für dich.» Enrico nahm ihre Hand und zog sie ins Wohnzimmer. Erleichtert liess Andrina sich neben ihn auf das Sofa fallen. Enrico hob ihre Füsse auf seinen Schoss und begann sie zu massieren. Andrina lehnte sich nach hinten.

«Tut das gut», murmelte sie.

«Erzähl mal», sagte er und bearbeitete die Fusssohle. «Du siehst erledigt aus. Was war heute genau alles los?»

Andrina berichtete von dem Tag und den letzten Vorbereitungen für den morgigen Anlass. «Zwar finde ich die Idee super, aber ich bin froh, wenn alles vorbei ist.»

«Das kann ich mir denken.»

«Immerhin gibt es danach genug Arbeit. Die Lektorate und Korrektorate sind mehr oder weniger liegen geblieben. Nur Lukas ist vom Fleck gekommen.» Andrina schwieg. Ihre Gedanken drifteten unweigerlich zu dem Gespräch, das sie mit Lukas am Nachmittag über Pfahlbauten gehabt hatte. Sie war hin- und hergerissen, ob sie Susanna anrufen sollte.

«Ja?», fragte Enrico, dem offenbar nicht entgangen war, wie sich Andrinas Gedankenspirale drehte. «Was gibt es sonst?»

Zögernd erzählte Andrina von Lukas’ Vermutungen. Als sie geendet hatte, runzelte Enrico die Stirn.

«Obwohl es mir nicht gefällt, klingen seine Argumente nachvollziehbar. Ich habe mich das Gleiche gefragt.»

«Susanna hat gesagt, der Mann am Hallwilersee habe Selbstmord begangen.»

«Du sagtest aber, sie würde dem nicht zustimmen. Oder habe ich das falsch in Erinnerung?»

«Na ja, es passt für sie nicht, obwohl es bei Selbstmord im Nachhinein nach ihren Angaben öfter seltsam erscheint, warum dieser geschehen ist. Es gibt eine andere Möglichkeit: Rückblickend erscheint vieles klarer, und man denkt, hätte ich das bloss vorher gewusst.»

«Schon», sagte Enrico gedehnt. «Ich finde, zwei Selbstmorde bei Pfahlbauten sind zu viel des Guten.»

«Hat die Frau im Ballyareal ebenfalls Suizid gemacht? Das wusste ich nicht. Hat Herr Hegy dir das gesagt?»

«Nein, das meinte ich nicht so. Ich dachte eher, zwei Selbstmorde bei Pfahlbauten sind seltsam, falls das gestern einer gewesen sein soll.»

«Es kann ja einmal Mord und einmal Selbstmord gewesen sein», erwiderte Andrina. In so einem Fall hatten die beiden Toten nichts miteinander zu tun. War das wirklich so?

«Mich macht es wie Lukas stutzig, weil es zwei Tote bei Pfahlbauten gegeben hat.» Er legte Andrinas rechten Fuss auf seine Beine und nahm den linken. «Ich bin Lukas’ Ansicht. Es ist ein zu grosser Zufall.»

«Falls der Tote vom Hallwilersee keinen Suizid begangen hat und der Mord mit dem von Sonntag zusammenhängt, könnte ein Serientäter die Morde verübt haben.» Die Kälte, die Andrina am Nachmittag beim Gespräch mit Lukas empfunden hatte, war wieder da. «Oder jemand, der sich inspirieren liess», fügte sie an.

«Das herauszufinden ist nicht deine Aufgabe. Locker lassen.» Er schüttelte Andrinas Fuss leicht.

«Das ist einfacher gesagt als getan. Du meinst, ich sollte Lukas’ Rat beherzigen und Susanna anrufen?»

«Das wäre die beste Lösung. Die Polizei der einzelnen Kantone ist bestimmt untereinander gut vernetzt, aber sicher ist sicher. Man sollte Susanna darauf hinweisen. Falls es keinen Zusammenhang gibt, ist es okay. Falls es einen gäbe, und sie hätten ihn nicht realisiert, und wir hätten sie nicht darauf hingewiesen, würdest du dir Vorwürfe machen.»

Andrina richtete sich auf. «Okay, ich rufe sie nach dem Essen an.» Sie wollte aufstehen, aber Enrico hielt sie zurück.

«Danach belässt du es bitte dabei.»

«Wobei?»

«Du spielst bitte nicht Ermittlerin.»

«Das habe ich nicht vor», sagte Andrina und wollte seinem Blick ausweichen, was nicht gelang.

«Mein Bedarf an Ermittlungen und Kriminalfällen ist seit September gedeckt», sagte Enrico. «Ausserdem möchte ich nicht, dass du in etwas hineingerätst und dich in Gefahr begibst.»

Andrina fuhr mit dem Zeigefinger sein Kinn entlang. Die Bartstoppeln kratzten über ihre Haut. «Das habe ich nicht vor.»

Andrina zählte die Freizeichen. Nach dem fünften Klingelton wollte sie auflegen, als sich Samuel Häusermann meldete.

«Hallo, Sämi. Ist Susanna da?»

«Nein.» Er klang erstaunt. «Was kann ich für dich tun?»

Andrina druckste herum. Sie wusste nicht, ob und wie sie Häusermann von Lukas’ Idee erzählen sollte. Es würde den Anschein erwecken, sie mische sich in die laufenden Ermittlungen ein. Auf der anderen Seite wussten sie eventuell nichts von der Toten im Ballyareal und den Parallelen zur Leiche vom Hallwilersee, obwohl Andrina eine Notiz in der Zeitung gelesen hatte.

«Was ist los?», fragte Häusermann, als sich das Schweigen in die Länge zog.

«Wann kommt sie zurück?»

«Das könnte später werden. Sie ist mit einer Kollegin beim Squashen, und im Anschluss werden die beiden bestimmt etwas trinken gehen.»

«Mist!», rutschte es Andrina heraus.

«Kann ich dir weiterhelfen?», fragte Häusermann ein weiteres Mal.

Andrina war versucht, das Gespräch zu beenden und ihn zu bitten, Susanna über ihren Anruf zu informieren oder es direkt auf ihrem Handy zu versuchen. Allerdings nahm sie an, Susanna hatte es während des Squash im Schrank in der Umkleidekabine gelassen. Wenn es einen Zusammenhang der Fälle gab, war es wichtig, dass die Polizei so schnell wie möglich davon wusste.

War Häusermann aus Marco Fellers Team der Richtige? Sie könnte genauso gut Herrn Hegy informieren. Aber ihn kannte sie nicht. «Wisst ihr von der Toten im Ballyareal?», wagte Andrina einen vorsichtigen Vorstoss.

«Das stand in der Zeitung. Das ist aber der Fall der Solothurner Kollegen.»

«Sie wurde bei den Pfahlbauten gefunden.»

«Ja und?» Schweigen. «Du meinst, sie könnte mit unserer Leiche vom Hallwilersee zu tun haben?»

«Ja.»

«Warum sollte sie das?» Häusermann klang abweisend.

«Es tut mir leid, es war nur so eine Idee.»

«Kein Problem.»

Andrina schwieg. Sie hatte sich blamiert. Wie bekam sie einen einigermassen würdevollen Abgang hin?

«Andrina?»

«Ja?»

«Spiele bitte nicht Polizistin.»

«Das habe ich nicht vor.»

«Das sieht gerade für mich anders aus.»

«Es war Lukas’ Idee.» Sie hätte nicht anrufen, sondern es Lukas überlassen sollen.

«Wer ist Lukas?»

«Mein Kollege im Verlag.»

«Für ihn gilt das Gleiche. Er sollte sich nicht unseren Kopf zerbrechen.» Aus abweisend war inzwischen schneidend geworden.

«Mach es gut und grüsse bitte Susanna von mir», sagte Andrina hastig und brach das Gespräch ab.

Nebel im Aargau

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