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SECHS

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Die restliche Vorbereitung für den Adventsapéro am späten Nachmittag nahm alle in Anspruch. Tische wurden aufgestellt und letzte Dekorationen aufgehängt. Der Duft von Tannengrün und Weihnachtsgebäck breitete sich in den Verlagsräumen aus. Mehr als einmal jagte Elisabeth alle aus der Küche, weil sie von den Weihnachtsguetzli stibitzten oder um die Torten herumschlichen.

Am Mittag erschien die Cateringfirma, die Elisabeth engagiert hatte, und spätestens ab diesem Zeitpunkt war arbeiten definitiv nicht mehr möglich. Gabi und Elisabeth sausten wie aufgescheuchte Hühner von einem in den anderen Raum, während Andrina, Lukas und Kilian das Ganze aus Distanz verfolgten, nachdem sie die Möbel auf die Seite geschoben hatten. Andrina hatte eher das Gefühl, im Weg zu stehen, als sich als nützlich zu erweisen.

«Ich habe von Anfang an gesagt, das ist eine Schnapsidee», brummte Kilian, der sich neben sie an die Wand lehnte und einen Zimtstern in den Mund steckte, als die Cateringmitarbeiter Weinkisten an ihnen vorbeischleppten. «Ich sehe nach wie vor den Sinn dieser ganzen Übung nicht.»

«Es soll eine Gelegenheit sein, sich persönlich kennenzulernen», erwiderte Lukas, der sich zu ihnen gesellte. Er schaute sich um und steckte verstohlen ein Chräbeli in den Mund. «In der heutigen Zeit ist alles so schnelllebig», sagte er kauend. «Der persönliche Kontakt ist auf ein Minimum reduziert. Telefoniert wird nicht mehr unbedingt. Rasch wird eine E-Mail geschrieben, und das war es.»

«Das mag ja nett sein, aber braucht es dafür so einen Aufwand? Sie sollte das lieber mit Vertretern machen», sagte Kilian.

«Für die gibt es bereits zweimal im Jahr die Anlässe, wenn wir das neue Programm vorstellen», mischte Andrina sich ein.

Lukas warf einen Blick auf die Uhr. «Ich bezweifle, dass alles rechtzeitig fertig ist.»

«Es wäre hilfreicher, wenn du mit anpacken würdest, anstatt hier herumzustehen und dumme Sprüche zu klopfen», zischte Gabi, die an ihnen vorbeieilte. Sie quetschte sich an Kisten vorbei. Beinahe wäre sie bei ihrem Leibesumfang stecken geblieben. In der Küchentür drehte sie sich um. «Das Gleiche gilt für euch andere auch.»

Kilian und Lukas stöhnten gleichzeitig auf.

«Würden wir gerne», brummte Kilian. «Aber wir werden verscheucht, weil wir im Weg stehen.» Er löste sich von der Wand und verschwand in seinem Büro. Lukas machte Anstalten, zum Sitzungszimmer zu gehen, als er innehielt. Er horchte, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in dem Büro, das er sich mit Andrina teilte. Einige Sekunden später tauchte sein Kopf in der Tür auf. Er hielt Andrina den Hörer hin.

«Telefon für dich. Deine Polizistin.»

Andrina schloss die Tür, nachdem Lukas das Büro verlassen hatte, und lehnte sich dagegen. «Susanna?»

«Was ist bei euch los?», sagte Susanna als Begrüssung. «Das klingt, als würde eine Elefantenherde durch euer Büro trampeln.»

«Heute ist der Adventsapéro mit unseren Autoren. In vier Stunden soll er anfangen, aber hier sieht es aus, als habe eine Bombe eingeschlagen.»

«Das klingt, als seid ihr knapp dran.»

«Gabi ist eben nicht unbedingt das Organisationstalent. Was gibt es?»

«Hast du überhaupt Zeit?»

«Wenn ich mit dir telefoniere, stehe ich wenigstens nicht im Weg.»

«Könntest du dich loseisen und ins Polizeikommando kommen?»

«Warum?» Das hörte sich amtlich und nicht nach einer Einladung zu einem Nachmittagskaffee an. Es klang aber nach einer guten Möglichkeit, diesem Chaos offiziell entkommen zu können, obwohl es Andrina nicht unbedingt ins Polizeikommando zog.

«Die Kollegen aus Solothurn haben uns gefragt, ob wir dir und deinem Freund ein Bild von der Toten zeigen könnten. Die Frau hatte keine Papiere bei sich und konnte nicht identifiziert werden.» Eine weitere Übereinstimmung. Andrina musste sich setzen, was schwer möglich war. Sie ging zu ihrem Tisch und rutschte auf die Arbeitsfläche.

«Das fällt nicht in euren Zuständigkeitsbereich», erwiderte Andrina.

«Herr Hegy dachte, es wäre für euch angenehmer, als wenn ihr nach Solothurn kommen müsstet.»

«Geht das morgen?», fragte Andrina.

«Ungern.» Susanna machte eine kurze Pause. «Sämi hat mir übrigens von deinem Anruf gestern Abend erzählt.» Der abrupte Themenwechsel überraschte Andrina. «Es tut mir leid, ich hätte mich hierzu eher melden sollen.»

Nach Häusermanns ablehnender Haltung hatte Andrina ihn nicht gebeten, Susanna auszurichten, sie solle zurückrufen. «Er hat gesagt, das sei eher unwahrscheinlich», sagte sie.

«Wir haben gestern Abend lange miteinander darüber geredet.» Geredet? So wie Susanna das sagte, klang es eher, als hätten sie eine unerfreuliche Diskussion gehabt. «Bei der Teamsitzung heute Vormittag habe ich es zur Sprache gebracht. Marco war zuerst überhaupt nicht begeistert.» Marco würde sie hassen, wenn sie sich in Ermittlungen einmischte.

«Es war nur so eine Idee», sagte Andrina ausweichend.

«Können wir das hier besprechen?»

Andrina gab sich geschlagen.

«Danke», sagte Susanna und führte Andrina ins Zimmer, in dem sie bereits bei früheren Vernehmungen ihre Aussage gemacht hatte. Susanna wies auf einen Stuhl und setzte sich neben Andrina. Sie entnahm der Mappe ein Blatt. Der Ausdruck eines Fotos zeigte eine Frau, deren Kopf und Oberkörper bis kurz unter die Schlüsselbeine abgebildet waren. Sie lag wie der Mann vom Hallwilersee auf einem Stahltisch. Andrina zwang sich, die Frau genauer zu betrachten. Sie schätzte sie auf Ende zwanzig bis Anfang dreissig. Die Frau hatte dunkelblonde Haare, die offen ihren Kopf umrahmten. Braune Augen starrten Andrina an. Anklagend, aber gleichzeitig leblos. Der verschmierte dunkelgrüne Lidschatten unterstrich die Blässe der Haut. Die Augenbrauen waren zu schmalen Streifen gezupft, und an einzelnen Stellen wuchsen die Haare bereits nach.

Susanna legte ein zweites Bild vor Andrina. Es war aus der gleichen Perspektive aufgenommen worden, aber dieses Mal trug die Frau eine Brille.

«Die Brille lag neben ihr auf dem Boden. Die Solothurner Kollegen gehen davon aus, dass sie ihr gehört, weil sie nach einem Modell aussieht, das Frauen bevorzugen.»

Andrina hob den Kopf. «Tut mir leid. Ich kann nicht weiterhelfen.»

«Das habe ich vermutet.»

«Sie wird im Kanton Solothurn wohnen, nehme ich an. Da ich dort so gut wie nie bin, wäre es ein grosser Zufall gewesen, wenn ich sie gekannt hätte.»

«Wenn sie dort getötet worden ist, heisst das nicht automatisch, dass sie dort wohnt.»

Auch wahr, dachte Andrina und betrachtete die beiden Fotos.

«Ich bin ihr definitiv nicht begegnet», sagte sie.

«Was anderes.» Susanna legte die Fotos zurück in die Mappe. «Wir haben den Toten vom Hallwilersee identifiziert. Sein Name ist Bernd Lang.»

«Mir sagt dieser Name nichts», sagte Andrina in die entstandene Stille hinein. «Wie habt ihr die Identität herausgefunden?»

«Auf unseren Aufruf hin hat sich sein Nachbar gemeldet. Herr Lang war in Seon wohnhaft.»

Wieder lag in Susannas Augen eine Aufforderung, sich dazu zu äussern.

«Mir sagt der Name nichts», wiederholte Andrina.

Susanna fuhr sich mit dem Zeigefinger über das Kinn und machte den Eindruck, als ob sie nicht wisse, wie sie den nächsten Satz formulieren sollte.

«Nachdem wir deinen Verdacht von gestern im Team besprochen hatten, haben sich die Kollegen aus Solothurn gemeldet. Sie erkundigten sich nach unserem Fall vom Hallwilersee und kamen auf die Parallelen zu sprechen, die du bereits gestern Abend bei Sämi erwähnt hast.»

Andrina fühlte Erleichterung in sich aufsteigen, die sich sogleich verflüchtigte. Wenn sie recht hatte, rückte die Vermutung eines Serientäters nach vorne.

«Es gibt mehr Parallelen als die Pfahlbauten», fuhr Susanna fort. «Bei der toten Frau hat der Rechtsmediziner einen sehr niedrigen Blutzuckergehalt festgestellt.» Sehr niedrig? Bei dem Mann hatte sie nur von einem tiefen Zuckerspiegel gesprochen. «Allerdings hat sie wie Herr Lang kurz vor ihrem Tod eine Kleinigkeit gegessen. Aber, wie gesagt, bei der Untersuchung – Moment.» Susanna durchsuchte die Unterlagen, die vor ihr auf dem Tisch lagen, und holte ein Blatt hervor, das nach einer ausgedruckten E-Mail aussah. «Die Analyse der Glaskörperflüssigkeit hat einen tiefen Summenwert von Glucose und Lactat ergeben», las sie vor. «Im Blut beziehungsweise Blutserum ist der Insulinwert hoch, aber C-Peptid, welches zusammen mit Insulin produziert wird, ist stark erniedrigt.» Andrina begann der Kopf zu schwirren. «Bei genauerer Untersuchung der Leiche haben sie in der Brustfalte eine Einstichstelle gefunden», fuhr Susanna fort. «Bei der Untersuchung des Gewebes um diese Einstichstelle haben sie eine höhere Konzentration von Insulin gefunden, die dort nicht hingehört.»

Sie machte eine neue Pause und gab Andrina somit Zeit, das Gesagte auf sich wirken zu lassen.

Da Andrina nichts erwiderte, fuhr Susanna fort. «Unser Rechtsmediziner hat daraufhin die Leiche von Herrn Lang ein weiteres Mal unter die Lupe genommen und einen Einstich in einem Leberfleck in der Nähe des Bauchnabels gefunden, den er bei der ersten Untersuchung übersehen hatte. Wir haben die Eltern von Herrn Lang, die wir inzwischen ausfindig gemacht haben – sie wohnen in Basel –, gefragt, ob er Diabetiker war. Sie haben es verneint.»

Nachdem Andrina in den Verlag zurückgekehrt war, hatte ein grösserer Trubel geherrscht als zu dem Zeitpunkt, als sie gegangen war. Sie war in ihr Büro geschlüpft, in dem die Vorbereitungen abgeschlossen aussahen. Sie trat an das Fenster und lehnte ihren Kopf gegen die Fensterscheibe. Draussen begann es einzudunkeln. Sie beobachtete die Autos, die auf der Entfelderstrasse vorbeifuhren. In ihrem Kopf drehten sich die Gedanken wie ein Karussell, das immer schneller wurde. Die Todesfälle mussten zusammenhängen. Diese Bestätigung ihrer Vermutungen jagte Andrina zunehmend Angst ein.

In ihrem Kopf klang das Gespräch mit Susanna nach.

«Als Nächstes werden wir das Foto der Toten vom Ballyareal deinem Freund zeigen und mit den Eltern von Herrn Lang sprechen.»

«Enrico wird sie nicht kennen.»

«Vielleicht haben wir Glück. Und sonst hoffe ich auf die Eltern von Herrn Lang.»

«Warum hatten sie ihren Sohn nicht vermisst?»

«Er hatte in die Ferien nach Italien fahren wollen und ihnen gesagt, er werde sich melden, wenn er zurück zu Hause sei. Da er alleine lebte, gab es keine Partnerin, die ihn vermisst hatte.»

Am liebsten wäre Andrina nach Hause gegangen. Sie wusste nicht, wie sie den Anlass überstehen sollte.

«Hier steckst du», sagte Lukas. Andrina hatte nicht gehört, wie er ihr Büro betreten und die Tür geschlossen hatte. «Gott sei Dank», sagte er und gesellte sich zu Andrina an das Fenster. «Endlich treffe ich auf eine normale Person. Hier ist das reinste Irrenhaus. Immerhin scheinen die Vorbereitungen mehr oder weniger abgeschlossen zu sein, und die Gäste können kommen.» Langsam wandte Andrina sich ihm zu. «Du siehst aus wie ein Gespenst. Was ist passiert?»

«Nichts.»

«Schlechte Nachrichten?»

Andrina schwieg. Sie durchquerte den Raum und lehnte sich gegen ihren Tisch, der dem Fenster gegenüber an die Wand geschoben worden war.

«Wo warst du überhaupt?»

Nach Susannas Anruf hatte Andrina nur mit Elisabeth gesprochen und sie wissen lassen, ins Polizeikommando zu müssen. Sie war wenig begeistert gewesen, hatte Andrina aber gehen lassen.

«Du machst mir Angst. Was ist los?» Lukas nahm eine Wasserflasche vom Tisch und schenkte Andrina Wasser in ein Glas, das er ihr reichte.

«Es ist ein wenig viel.» Andrina zwang sich zu einem Lächeln. «Entschuldige, wenn ich schlappmache.» Sie legte die Hand auf den Bauch.

«Du musst dich nicht entschuldigen. Gabi hat sich auch für einen Augenblick zurückgezogen. Sie ist in Elisabeths Büro. Es ist beträchtlich, was Elisabeth euch da aufbürdet.»

«Das meiste ist an Gabi hängen geblieben.» Andrina trank einen Schluck.

«Sie wollte es selber.»

«Sind die Autoren schon da?» Andrina stellte das Glas auf den Tisch.

«Sie trudeln nach und nach ein.»

«Rein ins Getümmel.»

«Bist du sicher?»

«Mir geht es gut.» Andrina öffnete die Tür. Der Apéro würde sie hoffentlich von Susannas Neuigkeiten ablenken.

Es waren bereits einige Autoren da. Andrina schüttelte die Hände und versuchte sich die Namen zu merken. Obwohl die Autoren auf der Verlagswebseite mit Bild vertreten waren, sahen viele anders aus als auf den Fotos.

«Sie sind meine Lektorin?» Die braunhaarige zierliche Frau mit dem sportlichen Kurzhaarschnitt machte einen schüchternen Eindruck.

Andrina grub in ihrem Gedächtnis. «Maria Wigger?»

«Ja.» Wenigstens sie glich dem Foto. Gestern hatte sie der Autorin eine E-Mail zugeschickt und sie wissen lassen, die verantwortliche Lektorin für ihren Debütroman zu sein. Gabi hatte in der Sitzung gegen die Aufnahme der Autorin ins Verlagsprogramm gestimmt, aber Andrina hatte Elisabeth von dem Potenzial, das in der Geschichte steckte, überzeugen können. Nun hiess es, alles daraus herauszuholen.

«Richtig, ich werde mich Ihres Krimis annehmen. Zuerst muss ich das Lektorat eines Krimis von einem anderen Autor beenden und mich um ein Korrektorat kümmern, aber Ihr Roman ist gleich danach dran. Was möchten Sie trinken?»

«Gerne ein Wasser, da ich später mit dem Auto zurückfahren muss.»

«Soviel ich weiss, gibt es alkoholfreien Punsch.»

Maria Wiggers Gesicht hellte sich auf. Andrina nahm zwei Tassen vom Tablett, das ihr ein Mitarbeiter der Cateringfirma hinhielt.

«Andrina, das ist Sandro Wyss.» Lukas gesellte sich mit zwei Männern zu ihnen und deutete auf den hoch aufgeschossenen Mann mit dem blonden Krauskopf. Sie reichten einander die Hände.

«Und das ist David Dubach.» Lukas wies auf den anderen dunkelhaarigen Mann, der Ende vierzig sein musste.

Dubach reichte Andrina ebenfalls die Hand, und sie suchte in ihrem Kopf nach der Verbindung, welcher Krimi zu dem Mann gehörte, was nicht gelingen wollte. Natürlich konnte sie sich nicht alle Autoren mit Namen merken, dennoch hätte sie sich besser vorbereiten sollen.

«Pfahlbauten», kam Lukas ihr zu Hilfe.

«Richtig. Der Krimi ist genial.»

Dubachs Gesicht färbte sich rosa.

«Woher wissen Sie das alles über die Pfahlbauten?», fragte Lukas.

«Mein Hobby ist Archäologie. Ich dachte, ich könnte es einmal in eins meiner Bücher einfliessen lassen.»

«David!», wurde er von einem blonden Mann unterbrochen. «Freut mich, dich hier zu treffen.»

«Frederik! Schön, dich zu sehen», sagte David Dubach.

Zu Andrinas Erleichterung sah sie, wie Lukas überlegte, welcher der Autoren das war. Dieses Mal konnte Andrina einspringen. «Frederik Hefti.»

«Genau. Und Sie sind Frau Kaufmann. Sie sehen in natura hübscher als auf dem Foto der Webseite aus.»

«Frederik!», rief Dubach.

«David hat recht, entschuldigen Sie bitte.»

«Kein Problem.» Andrina spürte, wie die Anspannung, die sich in den letzten Tagen eingestellt hatte, von ihr abfiel. Der Anlass lief gut. Es war nicht zu übersehen, wie sich alle gut unterhielten und zufrieden waren. Sie erblickte Elisabeth, die sich angeregt mit einem jungen Mann von der Cateringfirma unterhielt. So entspannt hatte Andrina Elisabeth lange nicht mehr gesehen. Andrina wandte sich ihrer Gruppe zu. Das Gespräch war inzwischen zu Recherchemethoden geschweift.

Gerade berichtete David Dubach, wie lange er für die Recherche für die Pfahlbauten benötigt hatte.

«Ich hätte mehr erwartet», sagte Lukas.

«Einiges wusste ich bereits. Ich bin, wie gesagt, Hobbyarchäologe und befasse mich schon lange mit diesem Thema.»

Unweigerlich drifteten Andrinas Gedanken zu den beiden Toten. Sie überlegte, ob sie Dubach auf das Thema ansprechen sollte, um herauszufinden, ob es eine Verbindung von den Toten zu den Pfahlbauern geben könnte. Sie verwarf den Gedanken. Er war kein Ermittler, und es hätte nur die Stimmung getrübt.

«Was machen Sie, wenn Sie nicht schreiben?», fragte Andrina stattdessen.

«Wenn ich nicht gerade meinem Job bei der Bank nachgehe, bin ich ein Mensch, der häufig draussen sein muss. Wenn ich mich nicht der Archäologie widme, jogge ich.»

Das gab ihr einen Stich in die Magengrube und rief ihr ins Gedächtnis, was sie verloren hatte, als sie sich vor über zwei Jahren die schweren Rückenverletzungen zugezogen hatte. Inzwischen glaubte sie nicht mehr daran, je wieder ihre Runden im Wald drehen zu können.

Sei nicht undankbar, schalt sie sich, als sie den Gedanken beendet hatte. Sie sollte froh über das Leben sein, in das sie sich zurückgekämpft hatte. Andrina hatte weiterhin Kontakt mit ihrer Zimmerkollegin, als sie im Paraplegiker-Zentrum in Nottwil gewesen war. Diese sass nach ihrem Skiunfall weiterhin im Rollstuhl. Ihr Freund hatte sie nach der Diagnose verlassen. Nach wie vor lebte sie bei ihrer Schwester, da sie auf Hilfe im Alltag angewiesen war.

Fertig mit den trüben Gedanken, dachte Andrina und nahm sich gleichzeitig vor, sich bei Diana zu melden, was längst überfällig war. Andrina stiess sich vom Fensterrahmen ab und verliess den Raum. Auf dem Weg zur Küche begegnete ihr Kilian, der einen Teller mit einem Stück Kuchen und einem Glas Prosecco balancierte. Offenbar fing Kilian wie gewöhnlich mit dem Dessert an.

«Elisabeths Baileys-Torte ist spitze», sagte er. «Das ist mein zweites Stück. Du musst dich beeilen, sonst ist nichts mehr da.»

«Keinen Alkohol während der Schwangerschaft», erwiderte Andrina.

«So eine grosse Menge ist da nicht drin, und ein kleiner Bissen sollte erlaubt sein.» Er stach ein Stück ab und hielt es Andrina hin. Es stimmte. Elisabeths Baileys-Torte war einmalig. Langsam kaute Andrina und genoss den mit dunkler Schokolade überzogenen getränkten Biskuitteig mit dem Rahm und den Meringuestückchen. Der Baileys rundete das Ganze perfekt ab.

«Fein», sagte sie. «Mehr gibt es aber nicht.» Sie nahm von einem Tablett, das ihr der Cateringmitarbeiter hinhielt, mit dem Elisabeth vorhin gesprochen hatte, ein Canapé mit Lachs und folgte Kilian zum Sitzungszimmer.

Nebel im Aargau

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