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DREI

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Andrina unterdrückte ein Gähnen. Zum Glück war übermorgen Samstag. Die Müdigkeit, die ein Dauerbegleiter während der Schwangerschaft geworden war, half nicht, sich zu konzentrieren. Sie bekam sie heute überhaupt nicht in den Griff und kam mit ihrer Arbeit nicht vom Fleck.

Gabi war eindeutig schneller. Andrina wusste, Gabi hatte bereits am Montag mit dem Lektorat eines ihr neu zugewiesenen Krimis angefangen und war seit drei Tagen dran. Immerhin hatte Andrina vorhin die Druckfahne eines Krimis, der im Januar erscheinen würde, an die Autorin gesendet.

Sie hatte sich auf das Lektorat des Romans gefreut, der als nächster auf ihrer Pendenzenliste stand. Das Exposé hatte vielversprechend geklungen. Aber Andrina fand keinen Zugang zur Geschichte, obwohl der Schreibstil flüssig und die Geschichte spannend war.

Lukas, der ihr gegenüber an seinem Schreibtisch sass, machte einen konzentrierten Eindruck und schien mit seiner Arbeit gut voranzukommen.

Eine Teilschuld, auf der Stelle zu treten, gab Andrina dem Auffinden der Leiche am Hallwilersee. Eine grosse Schuld trug sie aber selber. Sie hatte es gestern ungeschickt angehen lassen, als sie Elisabeth nach Ferien für Anfang Januar gefragt hatte. Elisabeth war alles andere als erfreut gewesen. «Wir haben genug zu tun.» Diese Diskussion war zum Thema, wie es nach der Geburt des Kindes weitergehen solle, gedriftet. Früher oder später hatte Elisabeth nachhaken müssen. Gabi hatte inzwischen durchblicken lassen, weiterarbeiten zu wollen, aber nicht zu hundert Prozent. Elisabeth könne sich durchaus vorstellen, dass Andrina und Gabi sich eine Stelle teilen würden, wenn beide aus dem Mutterschaftsurlaub zurück seien. Als Überbrückung dazwischen könne sie einen Temporärersatz organisieren.

Andrina war sich nach wie vor nicht im Klaren, was sie nach der Mutterschaftspause machen wollte. Sie verspürte den Drang, ganz für ihr Kind da zu sein. Ihre Mutter hatte gearbeitet, und sie wurde häufig von den Grosseltern betreut. Nicht, dass ihre Grosseltern nicht herzlich gewesen waren. Heute war sie sich aber bewusst, dass sie ihre Mutter in der Zeit vermisst hatte. Dieses Gefühl, zu wenig Zeit mit ihren Eltern verbracht zu haben, konnte aus heutiger Sicht zusätzlich mit dem tödlichen Unfall zusammenhängen, den ihre Eltern gehabt hatten, als Andrina fünfzehn gewesen war. Wie schnell etwas Einschneidendes passieren konnte, sprach für Andrina dafür, nach der Geburt nicht mehr zu arbeiten.

Immerhin hatte Elisabeth am Ende des Gesprächs den Ferien zugestimmt, ihr aber erklärt, froh zu sein, wenn Andrina ihr nach den Ferien die Entscheidung mitteilen könne, ob sie bleibe oder nicht. Sie würde gerne planen. Andrina fühlte sich unter Druck gesetzt.

Nur mit Mühe konnte sie das Gespräch aus dem Kopf verbannen und beschloss, vor dem Lektorat etwas anderes zu erledigen. Sie öffnete Outlook und las die Info-E-Mail mit dem Link zur Verlagsvorschau durch, die sie gestern verfasst hatte und die sie an die Autoren Frederik Hefti, Jan Burkhard und Sandra Baumann schicken wollte, deren Krimis als nächste erscheinen würden.

«So ein genialer Krimi!», rief Lukas. Eigentlich war er hauptsächlich für das Marketing verantwortlich, hatte aber ähnlich wie Kilian eine Doppelfunktion inne. Er sprang beispielsweise ein, wenn Gabi und Andrina überlastet waren und keine Zeit für das Korrektorat eines Romans hatten. So wie in diesem Fall.

Erstaunt hob Andrina den Kopf.

«Hier stimmt alles. Ich habe fast nichts zu tun.»

Andrina erhob sich und stellte sich hinter Lukas.

«Gabi und der Autor haben super Vorarbeit geleistet. Ich muss so gut wie nichts anmerken.»

«Worum geht es?» An diesem Krimi hatte Andrina nicht mitgearbeitet.

«Um eine Gruppe, die das Leben der Pfahlbauer in der Schweiz erforscht. Und plötzlich ist einer aus der Gruppe tot – seine Leiche wird an einem Fundort mit Gegenständen aus der Zeit der Pfahlbauer drapiert. Hinzu kommt der flüssige Schreibstil vom Autor David Dubach.»

Andrina überflog einige Zeilen und musste Lukas zustimmen. Schon dieser kurze Teil der Lektüre war angenehm und spannend geschrieben.

Das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte. Andrina war erstaunt, Susannas Stimme zu hören.

«Hast du Lust, mit mir in der Mittagspause eine Kleinigkeit essen zu gehen?», fragte sie.

Andrina hatte Susanna im Zuge der Ermittlungen des Toten am Hallwilersee nicht gesehen und fragte sich, ob sie involviert war. Und ob das hier tatsächlich nur die Anfrage für eine gemeinsame Mittagspause war oder mehr dahintersteckte.

***

Andrina setzte sich an einen Zweiertisch am Fenster gegenüber von Susanna.

Zu Andrinas Erstaunen hatte Susanna um kurz vor zwölf Uhr mit ihrem Opel vor dem Verlag gewartet. «Ich lade dich ein», hatte sie gesagt und war mit Andrina zum Gasthof Schützen im Schachen gefahren.

Eine Frau brachte die Karte und fragte, was sie zu trinken wünschten. Beide bestellten Mineralwasser.

«Nach einer Kleinigkeit zum Mittagessen sieht das nicht aus», sagte Andrina, als sie die Karte studierte.

«Das ist längstens überfällig. Wir haben uns ewig nicht mehr gesehen.»

Das letzte Mal hatte sie Susanna im September getroffen, als Enrico entführt worden war. Seit Abschluss des Falls hatten sie keinen Kontakt mehr gehabt. Das hatte nicht an mangelndem Interesse, sondern eher an dem gefüllten Alltag gelegen. Andrina empfand September nicht als «ewig her». Verwundert musterte sie Susanna. Ihr Gesicht war blass, und ihre Haare, die die Farbe eines Weizenfeldes vor der Ernte hatten, sahen stumpf aus. Andrina hatte den Verdacht, es könnte einen anderen Grund für dieses Treffen geben.

«Wie geht es dir?», fragte Susanna. Ihr Blick huschte kurz zu Andrinas Bauch.

«Gut. Die Übelkeit ist zum Glück weg. Überall heisst es, die Mitte einer Schwangerschaft sei die schönste. Man ist die Übelkeit los, aber noch nicht so voluminös, dass man sich nicht mehr richtig bewegen kann.»

«Stimmt das?»

«Gegenüber dem ersten Drittel auf jeden Fall. Wie es im Vergleich zu später ist, kann ich nicht sagen, aber ich denke, es hat etwas an dieser Aussage.» Sie dachte an Gabi, die bestimmt zwanzig Kilo zugenommen haben musste und wie eine Dampflok schnaubte, wenn sie die Treppe zum Büro hochstieg.

«Wisst ihr, was es gibt?»

«Wir wollen es nicht wissen», antwortete Andrina. «Egal, ob Bub oder Mädchen, es ist unser Kind. Hauptsache, es ist gesund.»

«Das ist eine schöne Einstellung.»

Andrina spürte eine leichte Bewegung im Inneren. Sie erinnerte sich an das unbeschreibliche Gefühl, als sie vor ungefähr einer Woche das erste Mal etwas in ihrem Inneren wahrgenommen hatte, das sich wie Schmetterlinge im Bauch oder kleine Blasen anfühlte. Inzwischen nahm sie die Kindsbewegungen regelmässig wahr. Freude durchströmte sie. Sie wechselte, wie so oft in den letzten Wochen, zu Ungeduld, endlich das Kind in den Armen halten zu können, und zu Angst vor dem, was sie mit einem Baby erwartete und ob sie dem gewachsen war.

«Wie geht es dir?», fragte Andrina.

«Gut, wenn Sämi mir nicht die ganze Zeit mit einem Kind in den Ohren liegen würde.» Sämi – Samuel Häusermann – gehörte zu Marco Fellers Team und war seit längerer Zeit mit Susanna zusammen. Andrina hatte sich gefragt, warum Susanna nicht schwanger wurde. Susanna hatte mal angedeutet, es zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu wollen, aber so klang sie, als wolle sie überhaupt nicht.

«Warum nicht?», fragte Andrina. «Normalerweise ist es andersherum. Die Frau möchte, aber der Mann nicht unbedingt.»

«Bei uns nicht.» Offenbar war das Thema unwillkommen. Dabei hatte sie damit angefangen.

Die Frau kehrte zurück und stellte das Wasser auf den Tisch. «Haben Sie gewählt?», fragte sie.

«Ich nehme Hausi’s Geschnetzeltes mit Rösti und einen Salat vorneweg», sagte Andrina.

Susanna bestellte ebenfalls einen Salat und Kalbsleberli.

«Warum nicht?», wiederholte Andrina, als die Serviererin gegangen war.

«Warum es bei uns andersherum ist?»

«Nein. Wieso möchtest du keine Kinder?»

Susanna stellte das Glas in Zeitlupentempo zurück auf den Tisch.

«Eigentlich würde ich gerne», sagte sie gedehnt. «Aber …»

«Aber?»

«Ich weiss nicht. So ein Kind krempelt einiges um. Bisher war ich unabhängig und habe getan, was ich wollte. Ein Kind schränkt ein.»

Andrina fasste Susanna genauer ins Auge. Sie hatte das Gefühl, als sei das nicht der wahre Grund und Susanna weiche ihr aus. «Sicher wird es Veränderungen geben. Aber wie weit man sich einschränken lässt, hängt von einem selber ab. Ich kenne Leute, die machen trotz Kindern das, was sie gerne tun. Okay, sie werden sich sicher anpassen.» Würde das bei ihnen auch so sein? Rasch drängte sie die Verunsicherung auf die Seite und dachte daran, was Enrico sagte: «Du wirst sehen, wir werden unseren Weg zu dritt finden.»

Susanna fuhr mit dem Zeigefinger über den Rand des Glases.

«Ich kann dir nicht sagen, welcher Weg der Richtige ist, ich meine, mit Kindern oder ohne. Jeder muss das mit sich selber ausmachen, aber sich auf Kinder einzulassen muss nicht unbedingt das Aufgeben von anderem sein.»

«Lass uns das Thema wechseln», sagte Susanna abrupt und bestätigte Andrinas Vermutung, es müsse einen anderen Grund geben. Als die Frau den Salat brachte, sah Susanna erleichtert aus. Schweigend begannen sie zu essen.

«Gibt es Neues vom Toten am Hallwilersee?», fragte Andrina nach einer Weile und verwünschte sich gleich darauf. Sie hatte ursprünglich vorgehabt, das Thema nicht zur Sprache zu bringen, da es inzwischen zu viel Raum in ihrem Alltag einnahm. Verflixte Neugier. «Entschuldige, du gehörst ja nicht zum Ermittlerteam und weisst bestimmt nichts Genaueres.»

«Wer sagt das?», fragte Susanna.

«Du warst nicht am See, und deshalb habe ich angenommen, du würdest den Fall nicht mit bearbeiten.»

«Nicht unbedingt.» Das klang ausweichend. «Ich hatte an dem Wochenende keinen Pikettdienst.»

«Ich weiss, du darfst darüber nicht reden …» Sie hielt inne. Lass das!

Susanna brach ein Stück vom Brot ab und tunkte es in die Salatsauce. «Es sieht möglicherweise nach Suizid aus.» Sie steckte das Brotstück in den Mund.

«Ein Selbstmord», murmelte Andrina. Zwar war sie froh, dass diese Anfangstheorie sich bestätigte und der Mann nicht ermordet worden war, gleichzeitig zog sich ihr Magen zusammen. Sie mochte sich nicht ausmalen, wie verzweifelt eine Person war, die freiwillig ihr Leben beendete. Hätten Enrico und sie ihn retten können, wenn sie früher dort gewesen wären?

«Aber das muss nicht sein», fügte Susanna an.

Andrina brauchte einen Moment, bis die Bedeutung der Worte in ihr Bewusstsein drang. «Was willst du damit sagen?»

«Es könnte auch kein Selbstmord sein.»

«Ich verstehe dich nicht.»

Die Kellnerin brachte das Essen. Das Geschnetzelte duftete verlockend. Der Eindruck bestätigte sich, als Andrina einen Bissen in den Mund schob. Eine Weile assen sie schweigend. Würdigen konnte sie das Essen aber nach Susannas Informationen nicht.

«Warum sieht es nicht nach Selbstmord aus?», versuchte Andrina das Gespräch in Gang zu bringen.

«Äusserlich gibt es keine Verletzungen. Er hat sich zum Beispiel nicht selber erschossen. Gespritzt, beispielsweise Heroin, hat er ebenfalls nicht, da der Rechtsmediziner keine Einstiche gefunden hat. Der Verdacht liegt nahe, er könnte ausser Alkohol etwas anderes zu sich genommen haben, das ihn tötete. Wenn das nicht ausgereicht hat, hat es die Kälte. Er könnte erfroren sein.»

«Jeder, der einen gesunden Menschenverstand hat, sollte wissen, dass es in dieser Jahreszeit nicht ratsam ist, draussen zu übernachten. Und dazu leicht bekleidet, wenn ich Herrn Brogli richtig verstanden habe.»

«Sein Wahrnehmungsvermögen reichte dazu nicht aus. Er hatte reichlich Alkohol im Blut. Doch zu viel Alkohol alleine reicht gemäss Rechtsmediziner nicht, um zu sterben. Aber der Mann könnte benebelt genug gewesen sein, damit sich sein Verstand ausschaltete, er die Kälte nicht spürte, sich dort schlafen gelegt hat und erfroren ist. Was den Rechtsmediziner stutzig machte, ist unter anderem der tiefe Blutzuckerspiegel.»

***

«Das klingt seltsam», sagte Enrico. «Wie tief war der Blutzuckerspiegel?»

«Recht tief, wenn ich Susanna richtig verstanden habe, aber einen Wert hat sie nicht genannt. Kann man daran sterben?»

«Eine gesunde Person nicht. Sollte es zu einer starken Unterzuckerung kommen, würde der Körper eine Gegenregulation in Gang setzen.»

«Das heisst?»

«Lass mich ausholen. Das Blut versorgt den Körper mit Sauerstoff und Nährstoffen. So auch mit Glucose, aus der die Zellen Energie gewinnen, die sie brauchen, um die Funktionen im Körper zu erfüllen.»

«Das ist mir bekannt.»

«Sollte es zu einer Unterzuckerung kommen, würde die Insulinproduktion gedrosselt werden. Reicht das nicht, beginnt hauptsächlich die Leber mit der Zuckerproduktion. Wenn es sich bei der Person um einen Diabetiker handelt, könnte es Probleme geben, denke ich. Hatte der Mann Diabetes?»

«Davon hat Susanna nichts gesagt», erwiderte Andrina. Bei der Obduktion hätte man das bestimmt festgestellt. Wirklich? «Welche Probleme könnte ein Diabetiker bei einer Unterzuckerung bekommen?»

«Mit meinem Pharmaziestudium bin ich in diesem Bereich nicht sattelfest, und ich bin mir nicht sicher, welche Auswirkungen zu erwarten wären. Aber was ich weiss, ist, dass der Zuckergehalt im Blut immer gleich hoch sein sollte. Der Körper bemüht sich, den Wert auf einem bestimmten Niveau zu halten. Hier kommt das Hormon Insulin ins Spiel.»

«Insulin ist ein Hormon?»

«Ja. Es wird in der Bauchspeicheldrüse gebildet. Insulin dämpft die Ausschüttung von Zucker.»

«Das heisst, ist zu viel Zucker im Blut, gibt es mehr Insulin, und wenn es zu wenig hat, wird weniger Insulin produziert?»

«Genau. Bei einer Diabeteserkrankung ist diese Regelung gestört, und Insulin muss von aussen zugeführt werden.»

«Man muss aber regelmässig den Blutzuckerwert messen, damit man nicht zu viel oder zu wenig Insulin spritzt?»

«Ja. Aber es ist nicht immer notwendig. Gewisse Leute haben die Krankheit im Griff, wenn sie sich an eine entsprechende Diät halten, und müssen sich kein Insulin verabreichen. Gefährlich könnte es werden, wenn man bei regelmässiger Insulingabe nichts isst. Aber ob das zum Tod führen kann, weiss ich nicht. Ich nehme an, ein Diabetiker wird seinen Notfalltraubenzucker dabeihaben, falls eine Unterzuckerung droht.»

«Ausserdem sollte man es merken, wenn man unterzuckert ist», fügte Andrina an.

«Genau. Schwitzen und Zittern sind Symptome dafür. Später kommen zum Beispiel Kopfschmerzen und Bewusstseinsstörungen hinzu.»

Andrina liess sich durch den Kopf gehen, was Susanna gesagt hatte. Bei der Leiche hatte man etwas Nahrung – was genau, hatte Susanna nicht erwähnt – im Magen gefunden. Genug Material, um den Zuckerspiegel aufrechtzuerhalten, musste demnach vorhanden gewesen sein. Zumindest nahm Andrina das an. Sie fragte sich, ob jemand, der einen Selbstmord plante, vorher ass. Auf der anderen Seite war da der Alkohol. Genaue Angaben zum Promillewert hatte Susanna nicht gemacht.

***

«Bleibst du auf einen Umtrunk, oder bist du zu müde?», fragte Seraina.

Nach dem Nachtessen war Andrina zu ihrer Schwester nach Erlinsbach gefahren.

Seit Oktober ging Andrina ein- bis zweimal in der Woche zu ihrer Schwester, da sie die Schwangerschaft langsam in ihrem Rücken spürte. Ihr Arzt hatte ihr eine Physiotherapie empfohlen. Für Andrina war es selbstverständlich gewesen, zu Seraina zu gehen. Ihre Schwester hatte die Physiopraxis in ihrem Haus eingerichtet. Dazu hatte sie den Keller des Hauses umgebaut. Da das Haus am Hang lag, glich der Keller einer Souterrainwohnung. Die Möglichkeit eines separaten Eingangs hatte das Projekt zusätzlich vereinfacht. Seraina hatte sich unter anderem auf Schwangere spezialisiert.

Andrina schaute auf die Uhr. «Eine halbe Stunde liegt drin», sagte sie und folgte Seraina in die Küche. Seraina setzte Teewasser auf und gesellte sich zu Andrina.

«Das gefällt mir nicht», nahm sie ihr Gesprächsthema wieder auf. «Warum musst ausgerechnet du über einen Toten stolpern?» Besorgnis lag in ihren dunklen Augen, die Andrinas glichen. Seraina war fünf Jahre älter als Andrina, aber als erwachsene Frauen hatte man sie häufig gefragt, ob sie Zwillinge seien. Das hatte erst aufgehört, als Seraina ihren dunkelbraunen Haaren vor einigen Jahren einen Kurzhaarschnitt verpasst hatte.

«‹Stolpern› ist nicht der richtige Ausdruck», sagte Andrina. «Gefunden hat die Leiche eine andere Frau.»

«Du bist involviert.»

Das Wasser kochte, und Seraina füllte es in zwei Tassen. Sie stellte drei verschiedene Teesorten vor Andrina hin. Andrina entschied sich für den Früchtetee.

«Und ausgerechnet so ein mysteriöser Fall, bei dem die Polizei keine Ahnung hat, woran der Mann gestorben ist, weil er auf den ersten Blick gesund erscheint. Allerdings sind die Untersuchungen nicht abgeschlossen, wenn man den Infos in den Medien trauen kann.»

«Enrico glaubt nicht, dass der tiefe Zuckerspiegel der Grund ist.»

«Was für ein tiefer Zuckerspiegel?», hakte Seraina nach. «Was hat der mit dem Fall zu tun?»

Andrina berichtete Seraina von den Gesprächen mit Susanna und Enrico.

«Ob der Mann Diabetiker war und deswegen Probleme bekommen hat, die für ihn tödlich waren, lässt sich herausfinden», sagte Seraina. «Man muss nur seinen Arzt fragen.»

«Dazu müsste man wissen, wer der Tote ist.»

«Logisch. Kann man nicht feststellen, ob er Diabetiker war?»

«Ob man das organisch feststellen kann, kann ich nicht sagen, da ich keine Medizinerin bin. Ein erster Hinweis wären sicher Einstichstellen, wenn er sich Insulin verabreicht hat. Das Problem ist, es gibt keine.»

«Kann man Insulin nicht auch anders zu sich nehmen?», fragte Seraina. «Zum Beispiel in Tablettenform?»

«Ich glaube nicht. Die Tablette würde im Magen verdaut werden, denke ich mal, und würde in dem Fall nichts mehr nützen.» Sie nahm den Teebeutel heraus und legte ihn in das Schälchen, das Seraina auf den Tisch gestellt hatte.

«Es müssten Einstichstellen ersichtlich sein?»

«Ja, an unterschiedlichen Orten. Eine Mitstudentin hat sich zum Beispiel in den Oberschenkel gespritzt. Andere spritzen sich in den Bauch. Man muss aber die Injektionsstelle wechseln, hat mir damals meine Kollegin gesagt.»

«Daher sagtest du, es müsste mehrere Einstichstellen haben.»

Andrina nickte.

«Lass uns das Thema wechseln und über Erfreulicheres sprechen», sagte Seraina nach einer Weile. «Wann heiratet ihr endlich?»

«Wenn ich einen dünneren Bauch habe», antwortete Andrina. Das war nicht unbedingt das Thema, über das sie sprechen wollte. Nicht, weil Enrico und sie die Heiratspläne auf Eis gelegt hatten. Sie hatten bereits mit Vorbereitungen begonnen und mögliche Restaurants ins Auge gefasst und waren dort für ein Probeessen gewesen. Aber seit Seraina von ihren und Enricos Heiratsplänen erfahren hatte, lag sie ihr dauernd damit in den Ohren, wann es so weit sei.

Nebel im Aargau

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