Читать книгу Rayan - Sohn der Wüste - Indira Jackson - Страница 24
1990 - Rabea Akbar – Clara
ОглавлениеWenn Rayan frei hatte, liebte er es, den Soldaten bei den Übungen zuzusehen, vor allem beim Kampf- und Waffentraining.
Er sah ganz genau zu, um sich möglichst viel abzukucken. Heimlich, wenn keiner ihn sah, übte er dann, was er gesehen hatte. Nachdem er seit frühesten Kindesbeinen an durch seinen Vater und die anderen Kämpfer in Kampf- und Waffentechniken ausgebildet worden war, fiel es ihm nicht schwer, den größten Teil der Übungen durch reines Beobachten aufzunehmen und später nachzumachen und einzustudieren.
Was die Waffen anging, musste er sich natürlich mit „Ersatzwaffen“ wie Stöcke oder Steine behelfen. Es war ihm als Einheimischen verboten, die Waffen anzufassen oder bei den Ausbildungen offiziell mitzumachen.
Ab und zu machten sich die Soldaten über ihn lustig „schau da ist wieder unser kleiner Spion, vermutlich ist er von den Scheichs beauftragt“ und „na, lernst du auch fleißig, wie es geht?“ – „Willst du mal mitmachen?“ – einer sagte immer „wartet mal ab, in ein paar Wochen zeigt er euch, wie es geht.“ Und sie lachten, weil sie dachten, einen besonders guten Witz gemacht zu haben. In Wirklichkeit war es so, dass Rayan schnell herausgefunden hatte, dass der größte Teil der Männer die Trainingseinheiten entweder aus Langeweile machte oder einfach weil sie mussten. Es waren kaum wirklich gute Kämpfer unter ihnen. Die meisten hätte er trotz seines jungen Alters schnell besiegt, oder vielleicht gerade deshalb, denn er brannte im Gegensatz zu ihnen vor Eifer.
Anders war das bei den Trainingseinheiten der Spezialeinheit. Da ging es ernst zu. Doch die ließen Zuschauer nicht zu und er musste aufpassen, nicht erwischt zu werden.
Derartige Spezialeinheiten waren das Resultat des ersten Golfkrieges zwischen Iran und Irak. Sie wurden nach den Unruhen in mehreren abgelegenen Regionen installiert, um entsprechend ausgebildete Truppen im Notfall direkt vor Ort zu haben.
Als Rayan einmal auf der Flucht vor einem Leutnant war, traf er Clara.
Er hatte sie schon von Weitem gesehen, vor allem sonntags auf dem Weg in die Kirche des Stützpunkts. Ein hochgewachsenes, schlaksiges Mädchen, viel zu groß nach ihrem eigenen Geschmack. Mit 1,85 überragte sie die anderen jungen Frauen alle und die meisten Jungen noch dazu. Außerdem war sie dünn. Die glänzenden, rotbraunen Haare trug sie schulterlang und hatte sie meist mit einer Spange nach hinten gebunden, was ihr zusätzlich einen strengen Eindruck verlieh.
Er wusste, dass sie die Tochter des Generals des Stützpunktes war und da er sie nicht sonderlich attraktiv fand, machte er lieber einen Bogen um sie.
Doch das änderte sich an diesem Tag.
Er war gerade in das nächste Gebäude, einen Lagerraum, geschlüpft, um dem ärgerlichen Leutnant zu entkommen, da stand sie wie aus dem Nichts plötzlich vor ihm.
„Du bist Yasin“, stellte sie nüchtern fest und musterte ihn aus spöttisch blickenden, hellblauen Augen an. „Ja“, antwortete er und wollte sich abwenden, um zu gehen. „Ich bin Clara und ich habe dich beobachtet.“ „Und?“, fragte er mürrisch. Es war ihm gar nicht recht, wenn sich ausgerechnet die Tochter des Generals für ihn interessierte.
Er war es gewohnt, dass sich Mädchen nach ihm umsahen und je nachdem ob sie ihm ebenfalls gefielen, war er einem Flirt nicht abgeneigt.
Vor dieser jungen Dame wollte er aber lieber so schnell wie möglich Reißaus nehmen. „Du studierst die Kämpfer beim Trainieren und so lernst du. Ich habe gesehen, wie du die Übungen nachgemacht hast. Sehr beeindruckend übrigens.“
Rayan erschrak. Er fühlte sich ertappt. Das konnte ihm eine Menge Ärger einbringen. Ärger und Aufmerksamkeit war das, was er am wenigsten brauchen konnte.
„Keine Angst, ich verpetze dich nicht. Auch ich darf hier nirgendwo richtig mitmachen. Männerwelt! Pah! – Ich bin 17 Jahre alt und versauere in einem Stützpunkt am Ende der Welt … Hör zu, ich möchte dir einen Deal vorschlagen: Du bringst mir einige deiner Tricks bei und ich übe mit dir, dein Englisch zu verbessern.“
Anfangs zögerte er noch, doch Clara machte ihm wenig charmant klar, dass er keine Wahl hatte.
Und so entstand aus einer kleinen Erpressung schnell eine enge Freundschaft.
Es war seltsam für Rayan, eine weibliche Freundin zu haben. Vermutlich aufgrund seines jungen Alters war es bisher in seinen Beziehungen zu Frauen ausschließllich um sexuelles Verlangen gegangen.
Von klein auf waren in seinem Stamm die Mädchen separat aufgewachsen. Sie hatten nicht an den Übungen der Jungen teilgenommen. Auch ihr Unterricht war separat. Hatten sie überhaupt Unterricht? Wenn er ehrlich war, hatte er sich nie dafür interessiert. Und da er Zarifa bereits mit 13 Jahren verlassen hatte, hatte er auch nicht so richtig Gelegenheit dazu gehabt, sich für die Mädchen seines Stammes oder ihre Gewohnheiten zu interessieren.
Clara war so anders. Sie war vor allem emanzipiert. Wehe, er sagte, sie könne eine Übung nicht nachmachen, weil sie eine Frau war, dann wurde sie richtig wütend und er stellte überrascht fest, dass sie dann richtig hübsch aussah.
Am meisten gefiel ihm jedoch, dass Clara Tanner sehr intelligent war. Durch die Position ihres Vaters hatte sie Zugang zu vielen Unterlagen und Büchern, die er mit ihr gemeinsam förmlich verschlang. Er sog das Wissen wie ein Schwamm in sich auf und dabei wurde sein Englisch auch immer besser. Bald machte er kaum noch Fehler beim Sprechen, lediglich mit dem Schreiben hatte er Probleme. Nachdem er lange Englisch von seiner Großmutter nach dem Gehör gelernt hatte, verwirrte ihn die Schreibweise.
Er brachte Clara auch ein paar Sätze auf Deutsch bei, das er ebenfalls von seiner Großmutter gelernt hatte und das er mit ein bisschen Übung sogar fast ohne Akzent sprach.
„Du hast eine Begabung für Sprachen“, sagte Clara immer wieder, „das musst du ausnutzen.“
Ab und zu musste er für einige Tage zu einem Einsatz in die Wüste, die meiste Zeit jedoch machte er nur kurze Erkundungen in der näheren Umgebung. Von dem alten Führer, seinem Vorgänger, hatte er nie wieder etwas gehört, vermutlich hatte er die Krankheit nicht überlebt.
Rayan kannte die Tücken von schlechtem Wasser und er ging bei einer unbekannten Quelle nie ein Risiko ein, sondern vergewisserte sich sorgfältig. In dieser Hinsicht hatte er seiner Erziehung und den Lehrern in Zarifa viel zu verdanken, was ihm nun nützlich war.
„Der Leutnant war gestern bei uns zum Abendessen. Er hat über dich gesprochen“, erzählte Clara ihm eines Tages im September. „Du hättest den ganzen Trupp gerettet, hat er gesagt. Mein Vater war sehr interessiert. Du bist nun also berühmt.“ Sie grinste. Sie wusste genau, dass er eben das nicht wollte. Yasin sprach nie von seiner Vergangenheit und von seiner Familie wusste sie so gut wie nichts. Während sie andere Themen manchmal stundenlang diskutierten, wurde er bei diesem Thema verschlossen und still.
„Wie machst du das?“ – „Was?“ – „Dass du so genau weißt, wann das Wetter umschlägt, wann ein Sturm kommt … ich bin lange genug hier, um zu wissen, dass die großen Sandstürme meist völlig plötzlich auftreten.“ Am Vortag war er es gewesen, der den Trupp dazu gebracht hatte rechtzeitig umzukehren, weil ein Sturm kommen würde. Einige der Soldaten hatten ihn für verrückt erklärt, denn am Himmel war keine Spur davon zu sehen. Doch der Leutnant, ein blonder rundlicher Texaner, vertraute in seine Fähigkeiten und kam seiner Empfehlung nach. Wofür hatten sie schließlich sonst einen Wüstenführer? Sie hatten mit ihren Fahrzeugen gerade noch die Stadt erreicht, als der Sturm mit voller Wucht losbrach.
Rayan starrte verlegen auf den Boden. „Ich kann es dir wirklich nicht sagen, das musst du mir glauben. Ich weiß es einfach. Es ist, als ob die Wüste mit mir spricht …“ Er blickte auf, weil er erwartete, dass Clara ihn auslachen würde, doch sie schaute ihn mit ihrer ruhigen Art interessiert an: „Erzähl mir mehr davon.“
„Naja“, stammelte er. „Ich bin in der Wüste geboren, mitten während eines Sandsturmes. Meine Eltern waren unterwegs, als der Sturm plötzlich losbrach und sie zwischen einigen Felsen Schutz suchten. Diese Pause habe ich genutzt um drei Wochen zu früh das Licht der Welt zu erblicken“, er lächelte verlegen. Er sprach nicht gerne über seine Vergangenheit. Aber er wusste auch, dass bei Clara alle seine Geheimnisse gut verwahrt blieben.
Für sich dachte er, dass es eigenartig war, gerade heute darüber zu sprechen, denn am Vortag war sein 17. Geburtstag gewesen. Clara hatte er dieses Datum allerdings nicht mitgeteilt, sodass sie nichts davon ahnte.
„Ich möchte dich gerne meinem Vater vorstellen“, sagte sie unvermittelt. Rayan dachte, sich verhört zu haben. „Was?! Du spinnst wohl?!“
„Hör zu. Ich will ihnen nur endlich zeigen, mit wem ich meine ganze freie Zeit verbringe. Sie denken schon ich mache verbotene Dinge“, sie grinste spöttisch. „Stell dir vor, mein Vater erwischt uns in flagranti.“
„Aber wir haben noch nie …“ begehrte Rayan auf. Clara grinste weiter „aber wir könnten. Zumindest könnte mein Vater das Denken, wenn er uns so heimlich herumtuscheln sieht.“
„Nein! Und dabei bleibt es!“, machte Rayan seinen Standpunkt klar.
Doch einige Wochen später hatte sie ihn natürlich weichgeklopft.