Читать книгу Rayan - Sohn der Wüste - Indira Jackson - Страница 21
2014 – Dubai – Unerwartete Hilfe
ОглавлениеSie hatte die beiden, die tatsächlich aus England waren und hier zwei Wochen Urlaub verbrachten, noch nach dem Weg zum Karawanenmarkt gefragt.
Wie sich herausstellte, war die Strecke, die sie bis dorthin zurücklegen musste nicht weit. Sie kam 20 Minuten später dort an.
Carina brauchte eine Weile um sich zurechtzufinden, doch bald hatte sie herausgefunden, dass es zwei unterschiedliche Gruppen von Menschen dort gab:
Diejenigen, die ihr als Ausflug einen Tagesritt oder Ausfahrt mit dem Jeep in die Wüste anbieten wollten und diejenigen, die gerade damit beschäftigt waren, einen ernsthaften Ritt in die Wüste vorzubereiten.
Problematisch war, dass es in der letzteren Gruppe, die für sie ja die Interessante war, kaum Personen gab, die sich mit ihr abgeben wollten oder die gar mit ihr sprachen. Zum einen Teil, weil sie eine Frau war, zum anderen Teil, weil die Araber schlichtweg kein Deutsch oder Englisch verstanden.
Sie wollte die Suche schon aufgeben, da geriet sie an einen Mann, der sich als sehr hilfsbereit herausstellte. Er sprach ein fehlerbehaftetes, aber verständliches Englisch und erzählte ihr, er wolle noch am gleichen Abend aufbrechen, auf Pferden, weil diese schneller waren als Kamele.
Ja, alle Karawanen mussten zunächst in die Oase von Wahi, denn in der Wüste würde man immer der Spur des Wassers folgen. Er könne sie bis zur Oase mitnehmen. Da sie in einem kleinen Trupp ritten, wären sie schneller als jede Karawane, die mit vielen Kamelen entsprechend langsam war.
Carina konnte ihr Glück kaum fassen! Der Mann war ihr trotz seiner freundlichen Worte zwar nicht wirklich sympathisch, irgendwie wirkte er nicht echt. Aber sie schob das auf die Tatsache, dass er ihr Geld wollte.
Als sie bereits Details besprochen hatten und über den Preis feilschten, platzte plötzlich ein temperamentvoller, rundlicher Araber dazwischen. Eine heftige Diskussion auf Arabisch folgte, woraufhin sich ihr Wüstenführer ganz schnell und ohne Gruß davon machte.
Mit offenem Mund starrte sie ihm hinterher. Sie konnte es nicht fassen! Wo ging er hin?
Auf einmal wurde sie des anderen Mannes gewahr, der anfing, sie in Englisch anzugreifen: „Sind Sie eigentlich wahnsinnig? Haben Sie eine Ahnung, wer das war? Einer der bekanntesten Mädchenhändler hier in der Gegend! Der hätte Sie nie nach Wahi gebracht, sondern in den nächsten Harem! Es gibt hier genügend reiche Araber, die viel Geld für eine blonde, attraktive Frau bezahlen würden!“
Der Ausbruch wurde von wilden Gesten und Kopfschütteln begleitet.
Carina bekam einen roten Kopf – ein Mädchenhändler? Wirklich? Ein Schauer rannte ihr den Rücken hinunter. Wenn das stimmte?!
Aber dann fand sie erstmal ihre Worte wieder: „Wer sind Sie?! Und warum sollte ich ausgerechnet Ihnen glauben?! Vielleicht haben Sie gerade meine einzige Chance vertan. Was haben Sie ihm eigentlich erzählt, dass er so schnell verschwunden ist?“
Der Mann wurde etwas verlegen: „Ich habe ihm gesagt, dass Sie meine Ehefrau sind und ihn auf Ihren Ring am Finger hingewiesen. Sie würden mir weglaufen wollen und er solle sich schnell davon machen, bevor ich die Polizei rufe. Das hat gewirkt. Tut es immer. Ehemänner werden hierzulande respektiert.“ Er grinste frech.
Carina wusste nicht, ob sie lachen oder böse sein sollte. Dann fragte sie nochmals: „Und warum sollten Sie mir helfen wollen?“
Er deutete auf ihre Kette: „Wegen des Amuletts. Ich mache schon seit Jahren gute Geschäfte mit Scheich Suekran al Medina und diese Geschäftsbeziehung will ich mir nicht verscherzen. Wenn er es Ihnen erlaubt, sein Emblem um den Hals zu tragen, müssen Sie ihm wichtig sein. Also sind Sie auch mir wichtig.“
„Dann helfen Sie mir wenigstens! Ich muss ihm nach. Ich heiße übrigens Carina Hartmann. Aus Deutschland.“
„Und mein Name ist Hatem – ich bin wie gesagt Händler hier, seit einigen Jahren bereits. Mein Laden ist gleich dort drüben.“ Er deutete auf einen Laden nur wenige Meter weiter.
„Von dort aus habe ich Sie mit diesem … Abschaum beobachtet", fuhr er fort. „Sie können froh sein, dass ich gerade nichts zu tun hatte und vor meinem Laden saß.“
Und dann fragte er: „Wem wollen Sie unbedingt hinterher?“, und Carina antwortete etwas ungeduldig: „Dem Scheich.“
Wenn sie gedacht hatte, Hatem zu beeindrucken, hatte sie sich jedoch geirrt. Er lachte. Und lachte. Dröhnend, als ob er den besten Witz aller Zeiten gehört hatte.
„Sie müssen wahnsinnig sein. Zu viel Hitze.“ Er wischte sich die Tränen aus den Augen, die ihm vor lauter Lachen übers Gesicht rannen und machte eine eindeutige, kreisende Bewegung mit seiner rechten Hand auf Höhe seiner Schläfe.
Carina war wütend – was bildete der Straßenhändler sich eigentlich ein?! Beleidigt drehte sie sich ohne ein weiteres Wort um und ging forschen Schrittes davon.
Hatem hatte aufgehört zu feixen und kam ihr nach. Er hielt sie am Handgelenk fest und zwang sie so, stehen zu bleiben.
„Hören Sie! Sie haben keine Ahnung, auf was Sie sich da einlassen. Die schneiden Ihnen den Hals auf, bevor Sie auch nur nahe genug heran sind, um zu sagen, was Sie wollen.“
„Ach ja?“ fauchte Carina. „Ich denke dieses tolle Amulett hier wirkt Wunder? Wieso sollten Sie mir dann den Hals aufschneiden?“
Jetzt dachte Hatem einen Moment lang nach. „Da haben Sie natürlich recht. Ok. Aber was wollen Sie denen denn sagen? Glauben Sie, Sie kriegen so einfach eine Audienz beim Scheich?“
„Ja! Ich habe ihn gestern erst kennengelernt. Und wissen Sie was? Ich habe ihm das Leben gerettet! Ihr Wüstenleute liebt doch diesen Begriff der Lebensschuld so sehr! Also! Das ist mein Plan. Helfen Sie mir nun?“
Hatem war beeindruckt. Auch er hatte natürlich die Gerüchte über den Anschlag auf das Leben des Scheichs gehört. Nachdem sie die Kette um den Hals hatte, schien die Geschichte, die sie ihm erzählte, zu stimmen.
Aber dann dachte er weiter nach: „Trotzdem. Was wollen Sie bloß dort? Was glauben Sie denn, was die Reiter tun sollen? Sie mitnehmen? Wohin? Nach Zarifa? Mitten ins tiefe Herz der Rub’al Khali - Wüste? Mit Sicherheit nicht! Haben Sie nicht gehört, dass Fremde dort keinen Zugang haben?“
So genau hatte Carina darüber noch gar nicht nachgedacht. Aus einem Impuls heraus sagte sie deshalb: „Nein, nicht den ganzen Weg bis nach Zarifa, aber immerhin einen Teil der Strecke. Bis ich genug Info für mein Buch über ihn gesammelt habe!“
Hatem gab ein abfälliges Geräusch von sich: „So? Ein Buch schreiben Sie? – na, das wird den Scheich aber freuen. Wie ich gehört habe, liebt er Publicity.“ Seine Stimme triefte vor Hohn.
Carina reichte es jetzt mit diesem aufdringlichen Fremden: „Wissen Sie was? Ich brauche Sie nicht. Ich habe Sie auch nicht eingeladen, mir zu helfen.“ Sie wollte sich schon wieder abwenden, um zu gehen, als ihr noch etwas einfiel, was sie als Trumpf ausspielen konnte:
„Ihr Volk glaubt doch an Schicksal, oder? Nun ich auch! Oder glauben Sie wirklich, dass es Zufall sein kann, dass ausgerechnet ich, die ich aus München in Deutschland hierher reise, um Informationen über den Scheich zu sammeln, ihn im Flieger kennen lerne? Von München hierher - Zufall? Und auch noch sein Leben rette? Wie ich gehört habe, fliegt er sonst immer mit seiner Privatmaschine, doch die war kurzfristig kaputt!“ In Gedanken dankte sie dem unsympathischen Anwalt, der ihr dieses Detail verraten hatte. „Alles Zufall? Wenn Sie das glauben, dann ok. Ich glaube, dass es Allahs Wille war!“
Sie hatte zwar etwas dick aufgetragen, merkte aber, dass sie einen Treffer gelandet hatte.
„So, nun wünsche ich Ihnen noch schöne weitere Geschäfte! Ich habe zu tun, einen Weg zu finden, ihm nachzureisen.“
Hatem merkte, dass sie tatsächlich an das glaubte, was sie da sagte und er sie auf keinen Fall von ihrer fixen Idee abhalten konnte.
Plötzlich änderte Carina ihre Taktik: „Kennen Sie eigentlich den Scheich persönlich?“ Hatem schüttelte den Kopf. Er hatte bisher immer nur mit seinen Männern zu tun gehabt, nie mit ihm persönlich. „Ich verhandle immer mit einem Mann namens Mazin. Er ist der Kontaktmann des Scheichs hier in Dubai. Warum?“
„Würden Sie ihn denn nicht gerne kennenlernen?“
Hatem ertappte sich dabei, dass ihn die ganze Geschichte reizte. Wenn er diese wildgewordene Dame nicht mit etwas betäuben und in einem Zimmer einsperren wollte, musste er ihr irgendwie helfen, damit sie nicht wieder an die falschen Leute kam.
Er erwog einige Sekunden lang noch einmal die doch verlockende Idee, die Frau einfach außer Gefecht zu setzen, aber er hatte Angst, was sie hinterher tun würde. Die Polizei hier verstand keine Witze in solchen Fällen, vor allem, wenn es sich um eine Touristin handelte.
„Also gut, hören Sie zu. Morgen früh geht hier eine Karawane los. Wie Sie von Ihrem sauberen Freund vorhin schon gehört haben, müssen tatsächlich alle, ob mit dem Pferd oder dem Kamel, via Wahi reiten. Ich schaue einmal, ob ich etwas für Sie arrangieren kann. Aber ich verspreche nichts!“
Und die beiden verabredeten sich für den Abend. Carina sollte kurz vor Einbruch der Dunkelheit noch einmal zu ihm an den Laden kommen.