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Familiengeschichte

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Im Allgäu lebte die rechtschaffene Familie Notz, die mit ihrer Hände Arbeit Haus und Hof bestellte. Sie hatten vier Töchter und zwei stattliche Söhne. Jonathan der Erstgeborene, ein leidenschaftlicher Bauer, ging den Eltern sehr zur Hand. Martin hingegen, war ein wissenshungriger Bursche, ein Phantast. Schon in jüngsten Jahren zog es ihn hin zum Pfarrhaus und zu den wunderschönen Büchern, die er mit Hilfe der geistlichen Herren binnen kurzer Zeit zu lesen vermochte. Bald war er auch des Schreibens mächtig.

Während die übrige Familie tagaus, tagein ums Überleben kämpfte, Wälder rodete, Äcker bebaute, sich um das Vieh kümmerte, schmökerte der Jüngling in dicken Wälzern, die ihm Hochwürden willig borgte. Er träumte von der großen weiten Welt.

Als die Schweden durch die Lande tobten, verließ Martin Notz den elterlichen Hof und kämpfte für die Gerechtigkeit. Immer weiter trieb es den Burschen Richtung Osten. Über Ulm bis nach Passau. Um den feindlichen Truppen zu entkommen, flüchtete er sich nachts in Klöster. Die frommen Mönche rieten ihm weiter zu ziehen nach Österreich, wohin er sich frierend und bettelnd durchschlug. Die Hoffnungslosigkeit des Kriegführens entmutigte ihn bisweilen, auch die kämpfenden Truppen holten ihn ein.

Söldnerscharen überrollten das Waldviertel bis hinunter zur Stadt Krems. Mittendrin Martin, der als Taglöhner, Spitzel und Kundschafter sein Bestes gab, den Überlebenskampf zu gewinnen. So gelangte er in die Donauregion.

Martin Notz, 1640 (Urkundlich nachgewiesen in einem Pfarrbrief aus Rossatz)

Es war eine sternenklare Vollmondnacht. Das Grölen der Soldaten, die beängstigende Orgie, die Vergewaltigungen unschuldiger Mädchen waren vorüber. Nun lagen die Landser trunken und erschöpft auf verdreckten Kotzen. Die hässlichen Sprüche der sinnlos besoffenen Meute hallten noch in Martins Ohren, als er sich zum Donauufer schlich. Ein Wachposten lehnte völlig trunken an dem schmalen Wall der zur Brücke führte.

Trotz klirrender Kälte zog er die schweren Stiefel aus, band alte Lumpen um die Füße und steuerte den schweren Holzschwielen zu, die ihn, so hoffte er inständig, ans andere Ufer bringen mögen. Tagsüber rollten Rossfuhrwerke über diese Brücke aus massivem Holz.

Zwei Stunden später stand er leichten Herzens auf der anderen Seite des gewaltigen Stroms und suchte Unterschlupf in einer Scheune. Am nächsten Morgen schulterte Martin seine kargen Habseligkeiten und marschierte stromaufwärts, bis er eine kleine Ansiedlung erreichte. Ein bescheidenes Kirchlein, ein paar verstreute Bauernhäuser mit wohl bestellten Wein- und Obstgärten. Und wieder war es der Pfarrer, dem er als Ersten gegenüberstand. Etwas unbeholfen stellte er sich vor, schilderte in abgehackten Worten seine Lebensgeschichte und die grauenvollen Erlebnisse seiner Flucht, inständig hoffend auf Verständnis und Hilfe. Kurz entschlossen reichte ihm der fromme Mann freundschaftlich die Hand.

Auf dieser Seite der Donau schien die Welt noch einigermaßen in Ordnung. Der Gemeindevorsteher hatte ein wohl bestelltes Bauernhaus, einige Kühe und Schweine. Hühner und Gänse gaggerten am Hof, als er am nächsten Tag in Begleitung seines neuen Schutzherrn das Anwesen betrat. Ein prächtiger, viereckiger Misthaufen zierte den Bauernhof, auf dem ein stolzer Hahn zum Morgenappell krähte. Schwalben nisteten im Gebälk der Ställe, flitzten den Kühen um die Ohren. Vor dem großen Eingangstor stand eine stattliche Linde, die den müden, vom Weingarten kommenden Arbeitern wohligen Schatten spendete. Es waren Menschen, die hart zu arbeiten wussten, die sich nicht leicht irgendwelchen Zwängen unterordneten, die sich mit den Unbilden der Natur und der Obrigkeit auseinandersetzten und ihre besondere Würde hatten.

Die Großmutter hieß die Neuankömmlinge eintreten, stellte einen Krug Milch auf den Tisch und legte einen großen Leib Brot dazu. Sogar ein Stück Speck zauberte sie hervor. Kurz darauf betrat der Hausherr die freundliche Stube. Der Pfarrer schilderte in wenigen Worten die Situation. Eine kleine Notlüge würde ihm der Herrgott sicher verzeihen, betete er innständig. Martin wurde als Gast willkommen geheißen. Wenig später teilte ihm der Hausherr bereits jede Menge Arbeit zu, die er mit Freuden bewerkstelligte.

Die Tochter des Hauses, ein bezauberndes Geschöpf, ermutigte den hübschen Burschen anfangs zwar eher schüchtern, später wesentlich offenherziger, sich ihr nicht nur kameradschaftlich zu nähern. Es dauerte kaum ein Jahr, bis Martin die holde Maid zum Altar führen durfte.

Da im Pfarrhaus zu wenig Platz war, wurde im Haus des Vorstehers ein Klassenzimmer eingerichtet, in dem Martin die Dorfjugend anfänglich zweimal pro Woche lesen und schreiben lehrte. Die erste Schule war gegründet.

Bald zählte Martin zu den angesehenen Leuten im Dorf, neben dem Schmied und dem Bader, der ein Bruder des Vorstehers war. Dieser wusch und knetete seine Kunden, schor ihnen die Haare oder ließ sie zur Ader. Ihm oblag die Pflege und Heilung der Kranken. Oft half Martin mit seinem, aus Büchern erlerntem Wissen aus.

Immer wieder drangen Soldaten in die Donauregion ein, plünderten und brandschatzten verheerend. Regimenter wurden einquartiert.

Zahlreiche Klöster hatten in der Wachau ihre Weingärten und Lesehöfe. Der köstliche Traubensaft erfreute nicht nur den Gaumen der geistlichen Obrigkeit. Auch weltliche Herrscher genossen diese Köstlichkeit und übten ihre Macht aus. Schwer trafen die Bevölkerung die horrenden Abgaben und Robotleistungen. Den Weinbauern und Bauern wurde befohlen, je nach Größe ihres Besitzes, Taglöhnerarbeit oder Fuhrwerksdienste zu leisten. Ein Zehent, der zehnte Teil einer Nutzung musste abgeliefert werden. Der Hühnerdienst zur Faschingszeit, Eier- und Käsedienst zu Ostern, der Traidingpfennig und der Weidpfennig brachten die fleißigen Menschen oft in harte Bedrängnis. Viele hungerten und darbten dahin.

Martin erhielt eine Besoldung als Schulmeister von der Pfarre. Für den Taglohn von fünfeinhalb Pfennig konnte er sich fünf Semmeln kaufen, oder einen halben Laib Brot, oder ein Pfund Rindfleisch. Da er auch noch den Kirchendienst versah, erhielt er zusätzlich eine geringe Entschädigung. Es war eine abenteuerliche Zeit. Martin half ausgebrochene Tiere wieder einzufangen, Brände zu löschen, Sandsäcke aufzutürmen gegen die bisweilen tobenden Wassermassen des Stroms.

1682 war eine Überschwemmungskatastrophe schrecklichen Ausmaßes. Alle Keller standen unter Wasser, alle Ställe. Das Vieh musste eiligst in die höher gelegenen Weingärten getrieben werden. Viele Tiere und Menschen verloren ihr Leben. Die Uferregion, die Häuser waren völlig vermurt. Wochen und Monate schufteten die braven Leute, um wieder ein würdiges Dasein führen zu können.

Die feindlichen Truppen zogen weiter Richtung Wien. Martin wagte sich bisweilen auch über die Holzbrücke ans andere Ufer. Nach Abzug der Schweden im Jahr 1650 standen viele Häuser in der Wachau leer und zahlreiche Wein- und Obstgärten waren vernichtet.

Durch Zufall traf Martin Botschafter, die Kunde aus der Heimat brachten. Bald fand er auch Mittel und Wege, Botschaften in die Heimat zu schicken. Die Sehnsucht nach seinen Lieben war allemal zu groß.

Solcherart gelang es ihm, seine Schwestern nach und nach zu sich in die Wachau zu holen, wo er sie mit bestmöglichen heiratsfähigen Männern verehelichte. Eine seiner Schwestern nahm den Bader von Weißenkirchen zum Mann. Dieser genoss neben den üblichen Dienstleistungen auch als Zahnzieher den besten Ruf.

Im Laufe der Jahre war Martin Notz ein echter Wachauer geworden, der versuchte sein Leben hier nach besten Kräften zu bewerkstelligen. Seine Frau gebar ihm einige Söhne und ein niedliches Töchterchen. Das Familienglück schien vollkommen. Martin war ein angesehener Mann geworden, von jedermann geachtet und geschätzt.

1683 belagerten die Türken von Juli bis September zum zweiten Mal die Stadt Wien. Osmanische Krieger plünderten die Gegenden. Im Kupfertal, gegenüber von St. Michael errichtete Martin mit anderen Bürgern der Wachau eine Sperrmauer. Glücklicher Weise kam kein Türke bis zu dieser Sperre. Die Bewohner nördlich der Donau, wo Martins Schwestern ihre neue Heimat gefunden hatten, mussten kaiserliche Truppen einquartieren und Proviant liefern. Abermals wurden zahlreiche Felder und Weingärten verwüstet. Der Schaden war immens, Hunger und Not an der Tagesordnung.

Nach dem Tod Martins setzte einer seiner Söhne den Unterricht fort. Viele Bewohner dieser Region konnten bereits lesen und schreiben.

Not gebiert Großes. Meister Martin Johann Schmidt, der „Kremser Schmidt“, und bedeutendster einheimische Maler, wurde 1718 in Grafenwörth geboren. Er schuf mit seinen Schülern herrliche Werke, die weit über die Grenzen des Landes hinaus Anerkennung fanden. Seine prächtigen Werke begegnen uns allerorts in den Kirchen des Donautals.

Baumeister Jakob Prandtauer erbaute in dieser Zeit den St. Pöltnerhof in Joching, die Straße am rechten Donauufer wurde verbreitert.

Doch auch Kriegwirren blieben der neuen Generation nicht erspart. 1704, während der Bayrischen Kriege, gab es wiederum viele Einquartierungen und Plünderungen.

Die Familien waren teils Schiffer, teils fleißige Winzer, die ihre Weingärten mit Sorgfalt und Liebe betreuten.1728 schmeckte der Most wie Zucker und wegen der großen Weinernte gab es in den folgenden Jahren einen Weinüberschuss, der die Preise gewaltig drückte.

Die schon im 1349 von Schiffsleuten aus dem Orient eingeschleppte Pest, breitete sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder aus. Im Jahr 1730 forderte die Seuche viele Opfer. Familie Notz hatte ebenfalls einige Todesopfer zu beklagen.

1741 mussten die Wauchaubewohner während des Österreichischen Erbfolgekrieges hohe Kriegstribute nach Dürnstein leisten. Bergleute schürften auf dem Arzberg Zink und Eisenerz, Blei und Kupfer. Die Menschen lernten das in den Kupfersiederein gewonnene Kupfervitriol zur Schädlingsbekämpfung zu verwenden. Mit dem „grünen Süppchen“ besprengten sie die kränkelnden Weinstöcke. Viel Schaden wurde in der Region durch diese glorreiche Entdeckung verhindert.

1770 wurden die ersten Volkszählungen durchgeführt. Jedes Haus bekam eine Nummer.

1805 hatte Kaiser Franz, gemeinsam mit den Russen den Kampf gegen Napoleon I. aufgenommen. Dieser rückte in Eilmärschen gegen Wien. Französische Truppen zogen durch Weißenkirchen, Joching, Wösendorf und St. Michael. Das Österreichische Heer wurde bei Ulm geschlagen. Die russischen Truppen unter General Kutusow hatten die Steinerbrücke passiert und sie vor nachrückenden Franzosen in Brand gesetzt. Sie wollten sich so rasch wie möglich mit Russischen und Österreichischen Einheiten in Znaim vereinen. Dass die Franzosen zum Flankenschutz ihrer Truppen drei Divisionen unter Marchall Mortier am linken Donauufer marschieren ließen, war eine absolut unerwartete Überraschung für ihre Gegner. Militärische Verbände trafen bei Dürnstein und Loiben aufeinander. Loiben wurde dreimal erobert und dreimal zurückerobert. Divisionen rückten gegen Dürnstein und Weißenkirchen vor.

Wiederum litten die Bewohner massiv unter der Besatzungsmacht. Soldaten drangen in Keller ein, berauschten sich und zertrümmerten die Fässer. Den Gemeinden wurde auferlegt, hunderte Eimer Wein in die Lager zu liefern. Die Menschen waren hoffnungslos verschuldet und mussten ein Darlehen aufnehmen.

Russen und Österreicher, geführt von Feldmarschallleutnant von Schmitt beschlossen, die Franzosen von den Bergen aus anzugreifen. Der ortskundige Jäger von Dürnstein Andreas Bayer führte die kaiserlichen Truppen über unzugängliche, vereiste Wege. Den Pferden wurden Lappen um die Hufe gewickelt, um geräuschlos vorzudringen. Durch diesen schlauen Schachzug gelang es tatsächlich die Franzosen zu besiegen. Loiben blieb als Trümmerfeld zurück. Unterloiben wurde angezündet, die Keller geplündert, das Vieh geschlachtet, die Weinstöcke verbrannt.

Zum 100. Jahrestag des Gefechtes von Loiben wurde 1905 in den Weingärten zwischen Dürnstein und Loiben das Franzosendenkmal errichtet.

Ein Leben für den Wein

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