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„Der gestohlene Zwetschkenstrudel“
ОглавлениеJustina erinnerte sich in einer ihrer Erzählungen an die erste große Liebe ihrer Großmutter, den Maler Emil Schindler.
„Die Wachau war damals überschwemmt von Künstlern. Großmutter war im Wirthaus der Lengsteiner-Leut oft zu Besuch und half häufig die fröhlichen Künstler zu bewirten, die gerne ihre Schoppen dort nahmen. Manchmal tranken die ganz schön über den Durst, lachte sie. Vom ersten Augenblick an wusste Großmutter: Der Emil oder keiner. Leider hegte der „Göttliche“ nur freundschaftliche Gefühle für sie, was sie tunlichst zu ignorieren versuchte. Stets bestgelaunt und zu Scherzen aufgelegt, schrieb Emil fast täglich ellenlange Liebesbriefe, aber leider nicht an sie. Wie man nur alle Tage gar so lange Briefe schreiben konnte, wunderte sich das Mädchen. Allzu gerne hätte sie wenigstens einen davon für sich behalten. Die Beiden blieben also wohl oder übel nur gute Freunde.
Lustige Streiche, die sich der Emil stets ausdachte, wusste Justina zur Genüge. „Emil lebte in einem Gasthof in Weißenkirchen. Das Zusammenleben der Wirtsleute, des Gesindes und der Gäste war damals durchaus patriarchalisch. Pünktlich zur Essenstunde saßen alle beim alten „Salomon“ in der kleinen Gaststube. An einem Tisch die Familie, an einem das Gesinde, am dritten die Gäste. Was auf den Tisch kam wurde gesessen. Sonderwünsche durfte man keine äußern. Stets versorgte die Wirtin in mütterlicher Fürsorge mit reichlichen Portionen ihre lieb gewonnenen Künstler.
Nur einmal standen alle mit hungrigen Magen wieder auf. Es war ein Freitag, und nach alter Sitte wurde der Fasttag streng eingehalten. An Braten und Fleisch war nicht zu denken. Nach der Suppe gab es an solchen Tagen stets Mehlspeise.
Auch diesmal harrte in der Küche ein riesenhafter Zwetschkenstrudel. Als aber die Wirtin in die Küche kam, waren zu ihrem Schrecken und Staunen alle Backbleche verschwunden. Unbegreiflich und rätselhaft, wie jemand aus ihrem Heiligtum etwas entwenden könnte. „Offener Raub am helllichten Tag, so eine Unverschämtheit!“ kreischte sie wutentbrannt. Am gleichen Abend noch wurde des Rätsels Lösung gefunden.
Emil Schindler machte den Vorschlag, all den Frust bei einigen Gläsern guten Weines beim Lengsteiner in Joching hinunterzuspülen. Was für einen Hallo gab es, als Großmutter, von Emil durch ein freches Augenzwinkern animiert, mit dem ersten Tablett des entwendeten Zwetschkenstrudels auftrat. Ja, sie hätte wirklich alles für ihren Emil getan, erinnerte sich Justina. Deshalb war Großmutter an diesem Freitag gegen Mittag auch prompt zu Stelle. Durch das rückwärtige Küchenfenster hatte Emil ihr eiligst die Tabletts gereicht und sie rasch wieder nach Hause zurück geschickt. „Frag nicht lang, Mädel, es wird sich schon alles richtig fügen. Vertrau mir einfach!“ Großmutter hätte ihm gerne noch ganz andere Dinge geglaubt, doch dazu kams ja leider nie.“