Читать книгу Erkämpfte Träume - Inge Elsing-Fitzinger - Страница 7
Gasthof zum goldenen Bock.
ОглавлениеGretel, die Wirtstochter, war ein dralles, sehr reizvolles Mädchen. Mit überschäumender Lebhaftigkeit und einem Permanentlachen infizierte sie jedermann. Griesgrame und deren Gedanken verscheuchte sie wie lästige Fliegen. Mutter beherrschte das Kochen mit Perfektion. Sie regierte in ihrem Reich als unumstrittene Herrscherin, tagaus, tagein. Der Vater hingegen verstand es trefflich, seinen Weinkeller mit köstlichen Rebensäften verschiedener Regionen Italiens und der Schweiz, Frankreichs und dem romantischen Elsass zu füllen - und diese dann häufig und ebenso reichlich zu testen. Glasige Augen und ein hochroter Kopf verrieten die Gewissenhaftigkeit seiner Kontrollen. In solchen Momenten musste Gretel eingreifen. Mit Schwung bugsierte sie Vater Koller Richtung Stammtisch, wo er wohl besser aufgehoben war, als hinter der Theke.
Eduard gefiel das Dirndl. In ihrer Gesellschaft war gute Laune vorprogrammiert. Ausgedehnte Spaziergänge folgten mit schwatzen und liebäugeln.
„Was sammelst du denn da für Gemüse “, belustigte sich Eduard anfangs, wenn sie sich nach jedem zweiten Schritt bückte, um irgendein Pflänzchen in ihren Beutel zu stecken.
„Heilkräuter und Gewürzstauden. Daraus braue ich wirksame Arzneien, die manchmal rascher anschlagen als die Pillen und Säfte unseres dicklichen Doktors. Das habe ich von Großmutter gelernt.“ Sie strahlte Eduard an, war richtig stolz auf ihr Wissen.
„Weißt du Eduard“, fügte sie mit schelmischer Ernsthaftigkeit hinzu, „unser lieber Doktor leistet nämlich lieber seinen Kumpeln in der Gaststube Gesellschaft, als seinen Kranken. Gottlob sind unsere Leute ein gesunder Menschenschlag, denen in den meisten Fällen schon die herrliche Luft als Medizin reicht.“ Ihr herzliches Lachen überzeugte Eduard.
Dennoch: Das eindeutig größere Interesse der lustigen Gretel an ihm war kaum zu übersehen. Schimmernde Brombeeräuglein. Immer enger kuschelte sie, streichelte seinen Arm, halste ihn, und drückte ihm in den letzten Tagen sogar öfter einen Kuss auf die Wange.
Eduard war blind und taub für ihre Annäherungsversuche. In seinem Kopf kreiste immer noch die Erinnerung an die seltsame Begegnung am Bahnhof in Innsbruck. Einige Male war er in die Hauptstadt gefahren, und stundenlang am Bahnhof herumgestanden.
„Na, kommt sie heut wieder nicht?“ Der Bahnhofvorstand kannte ihn bereits, hatte Mitleid mit dem unglücklichen Burschen.
„Wirst es schon noch lernen, Bürscherl. Auf die Weiber ist eben kein Verlass. Such dir einfach eine andere. Kann doch nicht so schwer sein, für so einen feschen Kerl, wie du einer bist.“
Ed beobachtete Züge die aus Wien kamen, oder dort hin fuhren. Beharrlich löcherte er die einzelnen Waggons, ohne eine Spur seiner Angebeteten zu finden. Schwarzhaarig, wie er sie vor sich sah, träumte er von einer Italienerin oder Spanierin. Nachts wälzte er sich mit leidenschaftlichen Phantasien in seinem üppigen Federbett, hoffte, das Schicksal möge gnädig sein, ihm diesen Engel noch einmal über den Weg schicken.
Nach Wochen vergeblichen Träumens gab Eduard dem Drängen seiner Bewunderin eines Abends nach. Gretel verführte ihn buchstäblich.
Reichlich unromantisch, dachte er lapidar.
„Das war die himmlischste Nacht meines Lebens“, flötete Gretel völlig aus dem Häuschen. Eduard reagierte seine Sehnsüchte nach einem Phantom mit diesen Liebesspielen sachlich ab. Schließlich beunruhigte ihn die Erwartung, die er in ihren und ebenso in den Augen der Anderen las.
„Ihr seid aber ein verdammt hübsches Paar. Sakrament noch einmal, das wird eine Hochzeit geben!“ So die Stammgäste. Ein vertrautes Klopfen auf die Schulter und das wohlgefällige, fast schon familiäre Getue der Eltern alarmierte ihn noch mehr.
Kurz entschlossen kündigte er im Gasthof, bezog nahe der Fabrik ein gemütliches Zimmer. Die Zusammenkünfte wurden seltener. Die Verbindung lockerte sich, sehr zum Missfallen der Eltern, die bereits die Hochzeitsglocken blank putzten.
„Da staunst du aber Eduard. He Kumpel, was sagst du zu diesen Luxusgefährten?“ Strahlend präsentierte Albert eines Tages zwei Lohnerroller. Wilde Spritzfahrten und ausgelassenen Blödheiten folgten.
Ein Überholmanöver. Eduard stürzte. Zwei Rippenbrüche, eine große Platzwunde am Kopf, tiefe Schürfwunden. Fazit: Krankenhaus.
„Also ihre Damenbesuche werden mir langsam unheimlich“, lachte der behandelnde Arzt. „Man könnte richtig neidisch werden. Wie machen sie das nur?“ Süße Köstlichkeiten türmten sich auf Eduards Nachttisch. Seine treuen Lehrlinge und Gesellinnen gaben sich die Klinke in die Hand.
Nach endlosen Tagen trostlosen Herumliegens hatte Ed einen erlösenden Einfall. Albert musste herhalten.
„Heute Nacht legst du dich ins Krankenbett. Ich muss endlich wieder einmal Luftschöpfen.“
„Na wenn das nur gut geht. Aber ich hab was gut bei dir.“
„Einverstanden! Bist ein echter Freund, aber jetzt mach schon. Morgen früh ist der Spuk zu Ende.“
Es wurde eine lange, feuchtfröhliche Nacht im schwarzen Bock. Gretel wurde wieder einmal geliebt und war überglücklich. In den Morgenstunden kehrte der Ausreißer reichlich beschwerlich über den Balkon zurück, Albert verschwand auf dem gleichen Weg.
Am Abend seiner offiziellen Spitalsentlassung besoffen sich die beiden Burschen nach Herzenslust, hüpften anschließend splitternackt in den Löschteich, der unmittelbar hinter dem Fabrikgelände angelegt war.
„Hast du dort droben vergessen auf mich…“. Lauthals brüllten sie vereint das Wolgalied in den Nachthimmel. Anzeigen wegen nächtlicher Ruhestörung liefen bei der Polizei ein. Die Schuldigen konnten nicht eruiert werden.
Es war ein Tag mit Regen und Herbststürmen. Der Wind fraß die welken Blätter von den Zweigen. Heftig rüttelte er an den mächtigen Bäumen, die vor fast hundert Jahren als kleine Setzlinge in den Boden gesteckt worden waren. Wirbelnd trieb er das Blattwerk der Rotbuchen vor sich her, wehte es in rotierenden Spiralen an den Wänden empor, ließ es dann sanft wieder auf den Boden gleiten. Ein purpurner Teppich gaukelte ihnen in mitten der beklemmenden Steinmauern die Illusion eines Märchens aus tausend und einer Nacht vor.
Und dann, eines Tages war die glückliche Zeit mit einem Schlag vorüber. Freund Albert war völlig ausgeflippt. Nächtens drang er, nach waghalsigen Klettertouren über Balkons und Dachsimse in die Schlafstuben der Mädchen ein, die im Fabrikgebäude ihre Unterkünfte hatten. Dümmliches Gekicher und Gejohle weckten die gestrenge Chefin. Aus Mangel an zärtlichen Zuwendungen hatte sie meist miese Laune. Mit Taschenlampe und Gezeter stürmte sie in die Kemenate der kreischenden Gören.
„Raus da hinter der Bettdecke, du Halunke. Glaubst du etwa ich habe dich nicht gesehen. Saukerl verflixter, dich werd ich Mores lehren.“
Am nächsten Morgen lag Alberts fristlose Entlassung am Tisch. Unterzeichnet i.V. Amalie Schuller. Der Trennungsschmerz von seinem besten Freund war die einzige Trübnis dieses schicksalsschweren Abschieds.
Der Schnee rieselte, tagelang, wochenlang. Die Landschaft war in eine weiße Wolke gehüllt. Dicke Flocken türmten sich zu Bergmassiven.
„Frau Holle macht Überstunden“, kicherten die Mädchen.
„Die rackert wenigstens im Accord, im Gegensatz zu euch, ihr faulen Gören“, konterte Eduard.
Nach endlosen Wochen ging auch der zweite Winter zu Ende. Die Natur erwachte. Bäume blühten. Die moosige Erde duftete. Eduard hatte kein Auge dafür. Sechzehn Stunden am Stück stand er in der Produktion, überwachte, reklamierte den lieben langen Tag. Er hatte kaum Zeit für einen privaten Gedanken, konnte diesem Druck nicht mehr lange standhalten, war abgemagert und völlig ausgelaugt. Freudig nahm er den Bewerbungsanruf einer Kollegin für den ausgeschriebenen Assistentenplatz entgegen, stellte sie ohne zu zögern wenig später ein.
Gertrude Mayr war eine wortkarge Frau. Ein eindrucksvoller Gegensatz zur Schwatzhaftigkeit der jungen Näherinnen. Sie war sehr tüchtig und versiert. Mit ihren knapp vierzig Jahren hatte sie bereits reichliche Erfahrung, die Eduard sehr hilfreich war.
Nach etwa einem halben Jahr nahm Ed die drängende Aufforderung eines Bekannten an, doch nach Wien zu übersiedeln.
Begründung: Weit bessere Aufstiegschancen.
Ein Neustart. TANNER UND CO. Herrenbekleidung.
Etwas enttäuscht, da im Augenblick nur eine Bandleiterstelle frei war, rutschte er auf seiner Laufbahnleiter vorerst einige Sprossen zurück. Dennoch war er von der festen Gewissheit beseelt, den neuen Chef durch sein Können zu überzeugen. Faule Kollegen gaben ihm Gelegenheit seinen Einfluss zu stärken. Fleißige bewunderten seine Betriebsamkeit. Auch Freund Albert traf er wieder.
Albert stürmte die Treppe zu Fuß hoch. Der eingebaute Lift des fünfstöckigen Wohnhauses, in dem er und Eduard seit mehr als einem halben Jahr eine gemeinsame Garconière bewohnten, diente in der Regel nur als Dekoration, schlug sich allerdings in der Höhe des Mietpreises drastisch nieder. Ein nicht zu übersehendes Schild mit der Aufschrift AUSSER BETRIEB prangte mit frappierender Regelmäßigkeit an der Einstiegtüre im Erdgeschoss.
Atemlos trat er die Tür mit lautem Getöse ins Schloss, schwenkte triumphierend zwei Eintrittskarten in der rechten Hand.
EINLADUNG
las Eduard überrascht auf der ersten Seite, mit Goldlettern auf blassgelbem Büttenpapier. Auf der Rückseite, in etwas kleiner Schrift stand
Frühling und Sommer in Wien
Präsentation der neuesten Kreationen führender Modehäuser
Samstag, 13. Januar 19.30 Uhr
Palais Auersperg
Staunend drehte Eduard das vornehme Schriftstück mal vor, dann wieder zurück, und las immer wieder den gleichen Text laut vor.
„Wie hast du denn diese Karten ergattert, du Gauner?“
Ein listig lässiges Lachen als Antwort: „ Tja, mein Freund, man hat halt so seine Verbindungen!“ Dann etwas schroffer: „Also was ist, kommst du mit, oder soll ich eine meiner Flammen dazu einladen?“
„Wo denkst du hin“, ereiferte sich Ed, „klar gehen wir gemeinsam dort hin, glaubst du ich lasse mir eine solche Gelegenheit entgehen.“
Einziger Wermutstropfen für Eduard, seiner Freundin Krista für kommenden Samstag absagen zu müssen. Sie würde schrecklich gekränkt sein.
Während der letzten Wochen konnte er sie nur einmal wöchentlich, eben an den üblichen Samstagen, treffen. Er hatte sich im WIFI einschreiben lassen, um nach abgeschlossener Prüfung als Werkmeister arbeiten zu können. Zusätzlich studierte er Arbeitstechnik. Der Refaschein garantierte ihm mit Sicherheit ein besseres Gehalt.
„Deine nächtelangen Büffeleien gehen mir gewaltig auf den Nerv. Du versäumst das Beste, du alter Streber“, lästerte Albert immerfort. „Du vergisst über deine ewige Lernerei auf all die holden Schönen und die damit verbundenen Annehmlichkeiten.“
Albert hingegen genoss dieses Vergnügen in vollen Zügen.
Bisweilen kam er bei seinen amourösen Abenteuern in Teufels Küche. Eduard sprang dann meist für den Freund ein. Die Folge: Albert war out. Die Mädchen bestanden darauf, von nun an nur mit Eduard zusammen zu sein. Da dies aber aus chronischem Zeitmangel nicht durchführbar war, kam es mitunter zu Herz zerreißenden Abschiedszenen.
Ed hatte einen fixen Grundsatz. Einmal. Eine zweite Nacht kam nicht in Frage. Solcher Art ging er jeder Verbindlichkeit aus dem Weg. Alles andere würde zu Komplikationen führen, was Freund Albert aufs deutlichste demonstrierte.
Eduards Auserwählte hieß Krista. Im August hatte er sie im „Servus“ kennen gelernt. In Begleitung ihrer Mutter saß sie bei einer Tasse heißer Schokolade in dem romantischen Tanzcafé, und beobachtete sehnsüchtig die jungen Paare, die sich auf der viel zu kleinen Tanzfläche drängelten.
Eduard hatte das liebliche Mädchen schon eine ganze Weile im Visier, doch der wachsame Blick ihrer Behüterin ließ ihn zögern. Vergeblich versuchte er Augenkontakt zu knüpfen. Die holde Maid fixierte nur die Tanzenden. Keinen einzigen Blick schenkte sie dem schmachtenden Jüngling.
„Sie gestatten, gnädige Frau, dass ich mit dem Fräulein Tochter tanze?“
Ein abschätzender Blick der Frau Mama. Gnädiges Wohlwollen. Ein verlegenes Lächeln Kristas. Schüchtern reichte sie Ed die Hand.
„Na geh nur, mein Kind, der junge Mann scheint ja recht manierlich zu sein.“
Peinlich war’s ihm damals. Unverschämtes Grinsen einiger junger Leute, die das kurze Gespräch mit angehört hatten.
Kaum den Fesseln der gestrengen Matrone entschlüpft, plauderte Krista fröhlich und ausgelassen, bewegte sich graziös zu den flotten Rhythmen der Band. Sie reichte ihm gerade mal bis zum Kinn, trotz der hohen Absätze.
„Sie ahnen gar nicht welch Überredungskünste es gekostet hat, Mama hier her zu schleppen. Sie ist nämlich fürchterlich streng. Ich freue mich so sehr, endlich einmal tanzen zu können.“ Ihre Stimme überschlug sich vor Aufregung.
Die Kleine gefiel ihm. Ihre burschikose, natürliche Art. Er hatte kaum ein Wort gesprochen, hörte nur zu, beobachtete die übermütigen, kaffeebraunen Augen. Zwei funkelnde Sterne. Schüchterne Erregung und Freude. Der kurz geschnittene Pony schwang im Takt. Sie schmiegte sich unverkennbar angetan in seine Arme. Ein zweiter und dritter Tanz. Am liebsten wäre sie den ganzen Nachmittag und Abend nicht mehr zurückgekehrt an ihren Tisch. Nach einem stürmischen Boogie lieferte Ed die pustende Krista schließlich bei Muttern ab, bedankte sich höflich, wollte zurück an seinen Platz.
„Setzen sie sich doch zu uns, junger Mann, wir könnten ja noch etwas plaudern.“
Eduard hörte kurz die Warnglocken schrillen. Doch wie das Leben so spielt, überhörte er geflissentlich das aufdringliche Signal. Wenige Sekunden später war er ein bereitwilliges Opfer der mütterlichen Inquisition.
So schüchtern auch die allerliebste Krista war, so rasant ging Mama ans Werk. Sie löcherte ihn mit Fragen, entlockte ihm geschickt Unmengen von Informationen, ohne dass Ed überhaupt merkte, wie sie in seinem Lebensbuch mit großem Interesse zu blättern begann.