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Liebeskummer
ОглавлениеSchwer beladen mit Einkäufen kommen Corinna und ich aus dem Supermarkt an der Ecke. Es ist Freitagabend, da mache ich immer Großeinkauf für die ganze Woche. Unterwegs begegnen wir einem fünfzehnjährigen pubertären Knaben auf fahrbarem Untersatz, bei dessen Anblick Corinna vor lauter Verlegenheit rote Ohren kriegt. Der voll in Blüte stehende junge Mann kurvt mit seinem Mofa in weiten Kreisen um uns herum und ruft lässig: »Hi!«
»Hi«, sagt meine Tochter geniert, und ich frage erstaunt: »Woher kennst du denn den?«
»Och«, sagt sie, »von der Fete bei Susanne neulich.«
Der Jüngling zieht in der Zwischenzeit seine Kreise immer enger, und ich bleibe schließlich stehen.
»Geben Sie mal her«, sagt er, greift nach meinen Tragetaschen und hängt sie rechts und links an den Lenker. Dann begleitet er uns knatternd bis vor unsere Haustür. Dort nehme ich ihm dankend die Tüten wieder ab.
»Sie können ruhig schon nach oben gehen«, sagt der Kavalier gönnerhaft zu mir, und zu Corinna: »Bleibste noch was?« Fragend sieht sie mich an.
»Na gut«, erlaube ich, »aber nur noch eine halbe Stunde.«
Pünktlich eine halbe Stunde später dreht sich der Schlüssel im Türschloss, und Corinna kommt zu mir in die Küche.
»Nun sag schon«, platze ich fast vor Neugier, »wie heißt denn dein Verehrer?«
»Ach«, antwortet sie verlegen, »das ist der Manno. Er hat mich gefragt, ob ich mit ihm gehen will.«
»Willste denn?«, kommen ihre Geschwister näher.
»Ich weiß nicht«, meint Corinna unschlüssig. »Eigentlich bin ich ja viel lieber mit Mädchen zusammen«, und ein giftiger Blick trifft Christoph.
»Das solltest du ihm aber sagen«, rate ich ihr. Aber sie traut sich nicht. Sie ist noch so neu im Umgang mit Verehrern. Beziehungen zum anderen Geschlecht beschränkten sich bisher ausschließlich auf den großen Bruder, der seine Schwestern piesackt, ihnen im Dunkeln auflauert und sie mit Knallfröschen erschreckt.
Manfred, genannt Manno, dagegen holt die Zwölfjährige jeden Nachmittag ab, spendiert ihr Eis, borgt ihr Platten, und einmal nimmt er sie sogar auf seinem Feuerstuhl mit. Das sieht zufällig ihr Vater und ist entsetzt. »… ohne Helm mit fünfundzwanzig Sachen um den Block! Wie kannst du so etwas erlauben?« Nun leiden berufstätige Mütter ja sowieso schon unter einem permanent schlechten Gewissen, aber eine frisch Geschiedene mit alleinigem Sorgerecht ist da besonders anfällig.
Ich knöpfe mir also meine Tochter vor.
»Also weißt du«, beruhigt sie mich treuherzig, »ich finde das Ganze mit dem Manno sowieso blöd. Morgen sage ich der Susanne, sie soll ihm sagen, dass ich nicht mehr mit ihm gehe.«
Als ich am nächsten Tag heimkomme, öffnet mir eine völlig verquollene Corinna die Tür.
»Um Himmels willen, was ist denn mit dir passiert?«, frage ich entsetzt.
»Darüber kann ich nicht sprechen«, kommt es mit unterdrücktem Schluchzen, »ich habe was ganz Furchtbares erlebt!«
Mein Gott! Vor meinem geistigen Auge tauchen Schlagzeilen auf wie: »Junges Mädchen von Rowdy vergewaltigt« oder »Zwölfjährige bekommt Baby«. Ich nehme meine Tochter in die Arme.
»Du kannst mir doch alles erzählen«, tröste ich »auch wenn es noch so schlimm ist. Wir werden das schon wieder hinbiegen.«
»Nein«, bricht sie erneut in Tränen aus, »es geht nicht!«
Christoph und Viola stehen neugierig um uns herum.
»Lasst uns bitte allein«, schicke ich die beiden in ihre Zimmer. Ich will mit meiner großen Tochter mal so richtig von Frau zu Frau reden.
»Hast du mit Susanne gesprochen?«, fange ich vorsichtig an.
Sie schüttelt stumm den Kopf und schnäuzt sich in ein klatschnasses Taschentuch.
»Hast du denn mit dem Manno gesprochen?«, bohre ich weiter und reiche ihr ein frisches Papiertaschentuch.
»Ja«, schluchzt sie auf.
»Und?« Ich habe inzwischen eiskalte Hände. »Hat er dir was getan?«
»Nein!«
»Ja, aber warum heulst du dann so?«, frage ich ratlos.
»Weil«, und nun schwimmt sie fast weg, »weil der Manno mir so Leid tut!«
»Um Gottes willen, warum denn nur?« Ich verstehe gar nichts mehr.
»Weil«, putzt sie sich lautstark die Nase, »weil er so geweint hat, als ich ihm gesagt habe, dass ich nicht mehr mit ihm gehe. Und wenn Männer weinen, ich sage dir, das ist einfach furchtbar!«