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Bei Durchsicht meiner Bücher …

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Aufräumen wollte ich, nichts anderes als schlicht ein wenig Ordnung schaffen im Bücherüberfluss, der sich im Laufe der Jahre angesammelt hat. Aber beim ersten Griff ins überquellende Bücherregal halte ich eines der diplom-psychologischen Werke über den richtigen Umgang mit Kindern in der Hand, die ich mir voll guten Willens und Glaubens angeschafft hatte, um psychotherapeutisch geschult an meinen dreifachen Nachwuchs heranzugehen. Und schon ist es passiert: Der harmlose Griff ins Regal hat natürlich eine ganze Sturzflut von Erinnerungen zur Folge. Zwanzig, achtzehn und fünfzehn Jahre alt sind Christoph, Corinna und Viola jetzt – und damit wohl immun gegen erzieherisches Bemühen, das sich aus Büchern herauslesen ließe. Aber damals …

Ja, damals … und ich erinnere mich an eine fünfjährige Corinna, die zerschnitt, was ihr so vor die Schere kam, und die mit bunten Filzstiften sämtliche Wände in unserem Haus verschönte. Weder lautstarke Ermahnungen noch empfindliche Strafen zeitigten irgendeinen sichtbaren Erfolg. Eine Freundin riet mir, meine Tochter tiefenpsychologisch testen zu lassen. Irgendwo musste da bei der Erziehung doch was schief gegangen sein! Das Ergebnis des Tests war niederschmetternd. Corinna sah in mir den bösen Wolf und sich selbst als armes kleines Häschen.

Die Kinderpsychologin machte mich nachdrücklich auf weitere Schäden, die sich auch »anderswo« noch bei dem Häschen verbergen könnten, aufmerksam und forderte mich unmissverständlich auf, meine Erziehungsmethoden zu überdenken. Ich sollte es doch einmal antiautoritär versuchen.

Und so legte ich mir das erste erziehungspsychologische Buch zu, geschrieben von Alexander Sutherland Neill, dem Begründer der berühmten antiautoritären Summerhill-Schule in England; denn wer ist schon gerne Wolf in den Augen seiner Kinder?

Erklärend und nur indirekt verweisend ging man in Summerhills Hallen mit missetäterischen Kindern um, solcherart weder Aggressionen noch Schäden an der zarten, empfindsamen Seele hervorrufend. Als Corinna dann den neuen weißen Kleiderschrank im elterlichen Schlafzimmer bemalte, probierte ich die Summerhill’sche Erziehungsmethode umgehend an ihr aus. Den Wolf unterdrückend, reagierte ich lammfromm und sanft und sagte trauerumflort: »Jetzt bin ich aber traurig. Sehr, sehr traurig.«

Corinna sah mich verdutzt an, ging ins Kinderzimmer, ergriff eine Schere und begann, ihre Bettdecke zu zerschneiden.

Christoph schrie: »Mami, die Corinna macht alles kaputt!«

Aber seine Schwester sagte nur mit Grabesstimme: »Lass die Mami in Ruhe, die ist sehr, sehr traurig.«

Da diese Methode auch noch den weiteren Haken hatte, dass meine empfindsame Seele Schäden »anderswo« davontrug, weil ich ständig meinen gerechten Zorn unter Verschluss halten musste, legte ich den Versuch Summerhill bald wieder ad acta und kaufte weiteres diplom-psychologisches Material. Da die Kinder inzwischen schon etwas älter waren, sollte die viel gepriesene »Familienkonferenz« uns lehren, anhand eines zusammengerufenen Familienrates Probleme und ständige Zänkereien in Ruhe gemeinsam zu besprechen. Jedem einzelnen Familienmitglied wurde ein Wochentag zugeteilt, um Wünsche, Bedürfnisse und Klagen vorzutragen. Der Rest musste bis zur anschließenden allgemeinen Diskussion den Mund halten. Bei uns fand diese »Familienkonferenz« meistens am Abendbrottisch statt, wenn ich total abgeschlafft von der Arbeit heimgekommen war, und hörte sich folgendermaßen an:

Christoph: »Heute bin ich dran, mein Problem vorzutragen.«

Viola: »Kann ich den Rest Pudding haben?«

Ich: »Von mir aus.«

Corinna: »Wieso die schon wieder? Die durfte doch erst neulich das Apfelmus auskratzen!«

Viola brüllend: »Du lüügst!«

Christoph wütend: »Könnt ihr nicht mal endlich die Klappe halten!? Ich habe was Wichtiges zu besprechen!«

Corinna unbeirrt: »Und außerdem kriegt der Christoph immer das größte Stück Fleisch! Und nie wird er eingeteilt fürs Spülen.«

Unterstützung von Viola: »Das stimmt haargenau!«

Christoph klagend: »Ist überhaupt nicht wahr! Wenn hier einer benachteiligt wird, dann bin ich das, Mami! Die Corinna hat zum Geburtstag die Rollerskates bekommen und Vio im letzten Winter die Skier. Und mit dem Hund muss immer ich gehen!«

Ich: »Was ist denn das für eine Logik? Hier geht es ja zu wie in einem Irrenhaus!«

Und zur Oma, die damals unseren ganzen Haushalt zusammenhielt: »Wie hältst du das bloß den ganzen Tag aus?«

Oma gelassen: »Nun ja. Ich trinke jeden Morgen mein Essigwasser gegen nervöse Magenbeschwerden, nehme täglich zwei Esslöffel Lecithin, damit mich nicht aus heiterem Himmel der Schlag trifft, und bekomme so langsam Übung im Umgang mit Verrückten.«

Und wieder zu Christoph: »Was war denn nun eigentlich dein Problem, das wir heute besprechen sollten?«

Christoph verbittert: »Ach, vergiss es.«

Und er verschwindet mit seinem Teller in seinem Zimmer.

Auch die »Familienkonferenz« konnten wir als besonders gelungen abhaken, und nach weiteren ähnlich erfolglosen Versuchen stopfte ich all die schlauen Bücher in die hinterste Reihe meines Bücherregals.

Und dann waren meine drei eines Tages ganz von selber aus den Flegeljahren heraus, und siehe da, zu unserem großen Erstaunen erinnerten sie sich an alle Ermahnungen und Belehrungen, die Oma und ich ihnen hatten angedeihen lassen. Sie hatten sich an unserer langen Leine ausgetobt und sogar zugehört, wenn wir uns den Mund fusselig redeten. Und tatsächlich fast alles mitbekommen, aber halt nicht so schnell einsehen wollen.

Die schlauen Bücher hebe ich vorsichtshalber mal für die Enkel auf. Meine Gedanken aber gehen zurück in die schwierige Zeit, als uns nach der unvermeidbar gewordenen Scheidung der Umzug vom Einfamilienhaus im Grünen in die Hochhauswohnung bevorstand, als ich mein Hausfrauendasein mit einem Fulltime-Job (plus Hausfrauenpflichten) vertauschte und wir vier das Leben als »Teilfamilie« erprobten.

Haste Töne

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