Читать книгу Die Katze, die nicht sterben wollte - Schweden-Krimi - Ингер Фриманссон - Страница 25

7. KAPITEL

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Als sie aufgestanden waren und Kaffee getrunken hatten, ging es ihnen etwas besser. Beth nahm zwei Kopfschmerztabletten, hatte aber dennoch das Gefühl sich zu erkälten. Sie stand in der Küche, in der es noch kühl war, und trug ihr neues Sommerkleid.

»Steht es mir?«, fragte sie.

Er sah sie mit halb geschlossenen, glasigen Augen an.

»Klar.«

»Vielleicht steht mir die Farbe doch nicht richtig, vielleicht hätte ich es besser doch nicht gekauft, was meinst du?«

»Doch, es sieht gut aus.«

Sie gingen in den Garten hinaus. Keine Vögel, keine Geräusche, nur das Rascheln der verbrannten Blätter, die in Massen von den Bäumen fielen. Die Luft war heiß. Ulf drehte eine Runde um das Haus und kontrollierte sorgfältig, ob alle Fenster gut verriegelt waren.

Er sieht so mitgenommen aus, schoss es ihr durch den Kopf. Sie breitete die Arme aus, Regen, dachte sie, Regen, es soll regnen.

Die Katze ließ sich nicht blicken. Beth hatte immer Angst, sie oder eines der Kätzchen könnte sich unter dem Auto verstecken und sie und Ulf es nicht bemerken, wenn sie losfuhren. Sie kniete sich hin und sah nach, ihre Kopfschmerzen verschoben sich nach vorn und saßen jetzt unmittelbar hinter ihrer Stirn.

»Alles in Ordnung«, rief sie. »Keine Katzen.«

Er reichte ihr die Autoschlüssel.

»Du musst jedenfalls fahren.«

Die Wohnung lag in einem zweistöckigen Haus, das in den dreißiger Jahren erbaut worden war. Es gab einen Parkplatz für Gäste, auf dem sie den Wagen abstellten. Viel zu spät fiel ihr ein, dass sie gar kein Mitbringsel dabei hatten, einen Blumenstrauß oder eine Tafel Schokolade. Sie war langsam gefahren und hatte sich überholen lassen, aber als sie auf die Standspur auswich um den Überholenden Platz zu machen, war ihr mehrmals schwindlig geworden, sodass sie das Gefühl hatte, im nächsten Moment in den Straßengraben zu fahren. Ulf saß mit geschlossenen Augen neben ihr. Sie glaubte, dass er schlief, und wurde wütend auf ihn. Sie war genauso müde wie er.

Sie spähte zu den Fenstern ihrer Eltern hinauf. Grüne Vorhänge mit großen geometrischen Figuren, hässlich, ein Überbleibsel aus den Siebzigern. Sie erkannte sie wieder, früher hingen sie in einem Zimmer ihres Elternhauses. Die Fensterscheibe war schmutzig, ein Vogel hatte seinen Kot darauf fallen lassen. Keine Topfpflanzen, aber ein still stehendes Mobile, das schräg an einer Spirale hing.

Sie sah Fliegen vor sich.

Ulf war ausgestiegen, schlug die Autotür zu und trat zu ihr. Jemand hatte mit einer Harke Rillen in den groben Kies gekratzt. Ein Wegerichblatt spross aus der Erde. Ihre Waden zitterten und schmerzten.

»Dann wollen wir mal«, aber war das wirklich sie, die das sagte, gehörte diese dünne, piepsige Stimme wirklich ihr, waren das ihre Füße dort unten in den braunen Sandalen?

»Ja, uns bleibt wohl keine andere Wahl«, drang seine Stimme zu ihr durch. Seine Worte waren wie flatternde Insekten und sie hob einen Fuß und fiel hin.

Feiner Kies blieb in ihrem linken Bein stecken.

Sie spürte keinen Schmerz.

Sein Arm zog an ihr, zog sie hoch, sie schüttelte den Kopf, nein, es tat nicht weh. Ich bin nur mit dem Fuß umgeknickt.

Wenn sie das überhaupt sagte.

Der Hauseingang stand offen, sodass keine kühlende Dunkelheit sie empfing, ein Stück Teppich lag im Korridor, altes Laub. Ihre Hand am Geländer, der ganze Unterarm, sie zog sich Stufe für Stufe hoch.

Ulf war dicht hinter ihr.

»Du blutest, Beth.«

»Das macht nichts.«

»Das muss sauber gemacht werden, wenn du duschst, kriegst du das bestimmt sauber.«

Jetzt drehte sich wieder alles. Sie musste stehen bleiben. Am gleichen Knie hatte sie eine alte, weiße Narbe. Damals war sie noch klein gewesen und mit dem Fahrrad eine Kurve gefahren. Sie hatte sich in die kleine Kirche geschlichen und zwei Ansichtskarten gestohlen. Es war merkwürdig, sie wollte die Karten gar nicht haben, auf der einen war ein Jesusbild mit Lichtern und Glorienschein und auf der anderen eine Schwarz-Weiß-Fotografie der Kirche abgebildet. Sie wollte die Karten eigentlich gar nicht haben, nahm sie aber trotzdem. In der dämmrigen Stille leuchtete auf einmal ein Blitz über den Bankreihen auf. Ein flammendes, aber lautloses Licht, weiß und blendend. Da lief sie davon und schwang sich, die Karten an die Brust gedrückt, auf ihr Fahrrad. Als sie fiel, hielt sie die beiden Ansichtskarten immer noch in der Hand.

Der Fahrer eines Kleinlasters hatte angehalten.

»Ich fahr dich nach Hause«, aber das wollte sie nicht, kniff den Mund zusammen und schwieg eisern.

Er sagte: »Du hast einen Schock. Deshalb kannst du nicht sprechen. Das bleibt nicht so. Das geht wieder vorbei.«

Er sprach in kurzen Sätzen. Seine Stimme klang scheppernd.

»Ich bringe dich erst mal ins Krankenhaus. Ich weiß ja nicht, wo du wohnst. Und du sagst auch nichts.«

Er trug einen Bart und hatte ein schmales Gesicht. Er hob ihr Fahrrad auf die Ladefläche und setzte sich neben sie auf den Fahrersitz. Der Boden war mit Müll übersät, mit Putzwolle und bunten Bonbonpapieren. Sie bekam immer noch kein Wort heraus. Aber er redete mit ihr und war nett. »Ich heiße Arne«, sagte er, »wie heißt du? Ich glaube nicht, dass du dir etwas gebrochen hast. Am besten wäre es, wenn sich deine Mutter jetzt um dich kümmern könnte, aber wir wissen ja nicht, wo sie ist. Deshalb müssen wir das anders regeln. Meine Verlobte arbeitet in der Ambulanz. Ich fahre dich hin. Immerhin habe ich dich gefunden. Ich denke mal, ich trage jetzt ein bisschen die Verantwortung für dich.«

Sie hatte kerzengerade auf dem Beifahrersitz gesessen und ihr einziger Gedanke galt den beiden Karten, jetzt würde herauskommen, dass sie eine Diebin war, dass sie Gott und der Kirche etwas gestohlen hatte. Die Strafe würde dementsprechend hart ausfallen, es würde furchtbar werden.

Arnes Verlobte war gerade nicht da, sie machte Mittagspause. Dadurch verlor er ein wenig das Interesse an der Sache. Sie wünschte sich, weinen zu können, als eine Krankenschwester sie in ein Behandlungszimmer führte und auf die hohe Pritsche hob. Aber kein Ton, kein Schluchzen kam aus ihr heraus und sie versuchte auch nicht, wieder herunterzurutschen und wegzulaufen, das gehörte zu ihrer Strafe, und wenn sie dies durchstand, würde ihr ein Teil der Schuld vergeben werden. Die Karten hielt sie immer noch in der Hand. Ich muss dich jetzt ein bisschen waschen, und Hände, die zerrten und drehten und sie schließlich zwangen loszulassen. Aber als sie die beiden Ansichtskarten auf dem Fußboden liegen sah, fand sie ihre Sprache wieder. Und dadurch konnte sie auch weinen. Sie hörte ihre Stimme, als das Hosenbein über das Knie gezogen wurde. Sie mussten den Fahrer dazurufen. Er durfte bei ihr bleiben und sie im Arm halten und sie weinte und hatte Angst, aber weniger wegen der Schmerzen.

Die Wunde wurde mit vier Stichen genäht. Sie sagte, wo sie wohnte, Duvgatan 3.

»Ich fahre dich hin«, meinte Arne.

Sie hielt das eine Bein beim Gehen gestreckt, man hatte ihr eine dichte, wärmende Bandage angelegt.

»Du hast einen Schock bekommen«, sagte Arne und setzte sich dicht neben sie und seine Hände hielten sie fest.

»Du solltest in der nächsten Zeit lieber nicht Fahrrad fahren!«

Er hatte die Karten für sie mitgenommen, und als er ihr beim Aussteigen half, gab er sie ihr zurück.

Sie sagte ihm, dass sie ihr nicht gehörten.

»Nimm sie trotzdem!«

Sie tat, was er sagte.

»Soll ich mit reinkommen?«

»Ist nicht nötig.«

»Wie du willst!«

Er lehnte das Fahrrad an die Wand.

»Ich fürchte, der Lenker hat etwas abbekommen«, sagte er bekümmert.

»Mein Papa kann den reparieren«, antwortete sie kurz, denn sie wollte, dass er jetzt ging. Sie musste allein sein.

»Na dann, tschüss«, sagte er und streckte ihr seine Hand entgegen. Seine Finger waren behaart und sie schüttelte seine Hand, weil es keine Möglichkeit gab, es nicht zu tun.

Nach ein paar Tagen begann die Wunde zu eitern. Sie trug ein Pflaster auf der Wunde, das nicht mehr richtig klebte und deshalb herabhing. Sie sah eine kalte, klebrige Schmiere. Ihr Lehrer erwischte sie eines Tages, als sie in der Wunde puhlte und dünne, klebrige Fäden zog. Er schlug sie auf den Kopf.

»Kümmert sich zu Hause denn niemand um dich?«, fragte er, und an seiner Nasenwurzel bildeten sich mürrische Falten. »So kannst du hier jedenfalls nicht herumlaufen, das ist ja widerlich.«

Die Schulkrankenschwester musste die Wunde neu verbinden. Sie säuberte die Wunde mit einer Kompresse, was so wehtat, dass Beth augenblicklich in Tränen ausbrach.

Oder weinte sie vielleicht wegen des anderem?

Jedes Mal, wenn sie in der Tür zum Behandlungszimmer der Krankenschwester stand, bekam sie einen Kloß im Hals, ihre Augen liefen über und sie weinte.

»So weh kann das doch gar nicht tun, oder?«, fragte die Schwester, klang aber nicht ärgerlich und fasste Beth mit ihren klinisch sauberen Schwesternhänden an.

»Nein, aber ich habe Bauchschmerzen«, brachte sie heraus.

»So ist das also, du hast Bauchschmerzen.«

»Ja.«

»Hast du öfters Bauchschmerzen? Ich meine, regelmäßig?«

Sie schluchzte.

»Wie alt bist du jetzt?«

»Im September habe ich Geburtstag.«

»Mal sehen, geboren 1961. Dann wirst du also neun?«

Sie nickte.

Die sanften Augen der Krankenschwester. Sie nahm eine Broschüre aus einem Ständer auf ihrem Schreibtisch.

»Lies das, wenn du nach Hause kommst«, sagte sie. »Bauchschmerzen zu bekommen ist völlig normal. Du bist völlig normal. Auch wenn es ein wenig früh dafür ist.«

Die Katze, die nicht sterben wollte - Schweden-Krimi

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