Читать книгу Tiefe Schreie - Ингер Фриманссон - Страница 6

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Es waren nicht viele Leute auf dem Schiff. Mutter hatte eine Kajüte gebucht. Dorthin brachten sie sie noch vor der Abfahrt, damit sie sich hinlegte und ausruhte. Als ob sie ernsthaft krank wäre.

Das behaupteten sie jedenfalls immer wieder.

Vater hatte Proviant für sie gekauft, wie früher, als sie noch klein war und sie zusammen mit dem Auto in Urlaub fuhren. Limonade, Bananen und Schokoladenkekse.

»Ich mache eine Runde«, sagte er und es war so weit, die Schiffsmotoren tuckerten.

Mutter saß zusammengekauert da, den Blick aufs Meer gerichtet. Mit einem Mal hatten sie nichts, worüber sie hätten reden können. Mutter in ihrer Batikbluse und den Stretch-Jeans. Ihr dichtes, zerzaustes Haar.

Sie hatte gerade die Korrektur ihrer neuesten Gedichtsammlung gelesen, die im Herbst herauskommen sollte, und sie sagte, sie hätte Kopfschmerzen, und nachts hatte sie angefangen, mit den Zähnen zu knirschen, sodass es bis in Josefinas Zimmer hinein zu hören war.

Wie hieß das neue Buch? Josefina fiel es nicht mehr ein. Aber an das vorherige konnte sie sich erinnern und an die Fernsehsendung, Mutter wirkte so ruhig auf dem Bildschirm, sie las mit kräftiger Stimme.

Das Haus war voller Blumen. Ihre Mutter hieß Anna Silversten und war eine bekannte Dichterin.

Sie war sehr jung gewesen, als Josefina auf die Welt kam, nur zwei Jahre älter als Josefina jetzt. Als sie Mutter wurde, war sie noch nicht einmal achtzehn.

Papa Stellan war genauso jung gewesen. Er spielte Gitarre in einer Band. Die Band gab es immer noch, The Londoners. Als ob sie je in London gelebt hätten, ziemlich albern eigentlich. In der letzten Zeit war die Band so richtig in Schwung gekommen, fuhr herum und spielte auf verschiedenen Festen und Partys.

Als Josefina noch klein war, war sie sehr stolz auf ihre Eltern. Sie waren anders. Sie war auch anders, irgendwie besser. Sie zeigte Mamas Bücher herum und zupfte an den Saiten von Papas Gitarre, ließ aber keinen ihrer Freunde anfassen.

Irgendwann später würde sie auch Gedichte schreiben und eine Band gründen.

Dann folgten all die Jahre voller Verachtung. Könnten sie nicht ein bisschen normaler sein?

Als Josefina auf die Welt kam, war Stellan beim Militär. Nicht einmal mit in die Klinik konnte er kommen, um Anna bei der Hand zu halten und ihr zu helfen, richtig zu atmen. Josefina hatte gehört, wie sie sich deshalb stritten, das schien immer noch wie ein Stachel in Annas Herz zu stecken. Stellan ließ sich jedes Mal wieder provozieren.

»Was kann ich dafür, dass ich keinen Urlaub gekriegt habe?

Was kann ich denn dafür, dass das Kind mehrere Wochen zu früh gekommen ist? Denkst du, das war mein Fehler? Wenn du wüsstest, was ich durchgemacht habe! Ich konnte nicht bei der Geburt meines einzigen Kindes dabei sein, das ist ein schreckliches Gefühl, aber das kannst du dir ja gar nicht vorstellen!«

Anna schrie zurück, dass er das dann ja später hätte nachholen und häufiger zu Hause sein können, statt wie so ein blöder Vertreter landauf, landab herumzukutschieren.

»Aber genau das bin ich doch! Ich verkaufe Bücher, verdammt noch mal!«

Josefinas Vater arbeitete als Vertreter für einen großen Verlag. Das bedeutete, dass er den Wagen voll mit Büchern lud und überall im Land zu den Buchhändlern fuhr, um ihnen die neuen Bücher des Verlags vorzustellen, damit sie sie kauften. Das bedeutete auch, dass er fast nie zu Hause war.

Anna hatte eine große Schwester, die hieß Estrid. Als Anna noch klein war, konnte sie den merkwürdigen Namen nicht aussprechen, daraus wurde Hessli. Tante Hessli war diejenige, die der jungen Mutter half, sich um die kleine Josefina zu kümmern. Tante Hessli war immer zur Hilfe bereit.

Zu ihr fuhren sie jetzt mit dem Schiff.

Jakob kam wieder, er musste sie unbedingt sehen. Er stand im Flur und redete mit Anna. Anna sprach leiser.

»Josefina wird für eine Weile wegfahren. Sie muss sich ausruhen. Sie ist mit ihren Nerven total am Ende.«

»Darf ich sie denn wenigstens kurz begrüßen?«

»Du musst verstehen ... sie will niemanden sehen.«

»Ach, bitte!«

Und er drängte sich an ihr vorbei und zog sich die Schuhe aus, er ging durch den Flur und stand in Josefinas Zimmer.

Sie starrte aus dem Fenster. Sie hatte sich seit mehr als einer Woche nicht mehr die Haare gewaschen.

Jakob fiel vor ihr auf die Knie, davon wurde ihr ganz schwindlig.

»Was willst du?«, flüsterte sie.

Er griff nach ihren Händen.

»Deine Mutter wollte mich nicht reinlassen.«

»Ich will keinen Menschen sehen ...«

»Darf ich dir denn schreiben, darf ich anrufen?«

Sie gab keine Antwort.

Er sagte:

»Das werde ich tun, ich schreibe, ich rufe an. Ich werde nie aufhören dich zu lieben.«

Er war ihr erster fester Freund. Aber eigentlich war sie nie in ihn verliebt gewesen. Doch, einmal, als er wütend auf sie war und zwei Tage lang nicht mit ihr redete, als er mit den anderen Mädchen lachte, sie aber wie Luft behandelte. Da wünschte sie, er möge zu ihr zurückkommen.

Und er kam.

Er hieß Jakob Jankovic und sein Vater war Jude, während seine Mutter Schwedin war, aus Stockholm. Fast alle Verwandten des Vaters waren im Vernichtungslager Auschwitz umgekommen. In diesem Sommer wollte der Vater mit der Familie nach Auschwitz fahren. Das Lager existierte noch als eine Art Museum. Jakob hatte sich gewünscht, dass sie mitkommen würde.

Wie sie ein Paar wurden? Nun ja, eines Tages kam er in der Schule zu ihr und fragte – ganz unbefangen – ob sie Lust hätte, mit ihm abends ins Kino zu gehen. Am nächsten Tag war eine Lehrerfortbildung und sie hatten keine Hausaufgaben, ihr fiel kein Grund ein, warum sie Nein sagen sollte.

Danach waren sie zusammen. Anfangs wollte er sie immer umarmen, sie küssen, mit ihr schlafen, aber nachdem sie ihm gesagt hatte, dass sie sich dafür noch nicht reif fühlte, akzeptierte er das. Er erklärte, er würde gern warten.

Es stimmte nicht, dass sie sich noch nicht reif fühlte. In Wirklichkeit mochte sie es nicht, wenn er seine Zunge in ihren Mund schob oder mit seinen Fingerspitzen ihre Haut berührte. Er war lieb, nett und aufmerksam. Aber er war nicht der Richtige. Und das konnte sie ihm doch nicht sagen.

Manchmal glaubte sie auch, sie hielte es mit Jakob nur aus, weil sie so die Möglichkeit hatte, Johan zu sehen. Johan hatte keine Freundin. Sie waren zu dritt zusammen und das war schön, denn dann stellte Jakob sich nicht so an. Sie waren eher aufeinander eingespielt, alle drei. Wie Geschwister. Sie war nicht direkt in Johan verliebt. Doch sie mochte ihn auf eine ganz besondere Art.

Tiefe Schreie

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