Читать книгу Tiefe Schreie - Ингер Фриманссон - Страница 8

– 5 –

Оглавление

Jakob und Johan und Josefina. Die drei Js. J wie in Ja, wie in Jude. Jakob hatte seine Zeiten der Schwermut. Das hing mit seiner Abstammung zusammen. Mit allen, die nicht mehr lebten.

Dann konnte er von einem Kopfschmerz überfallen werden, der ihm die kalten Schweißperlen auf die Stirn trieb, dann hielt er es nicht aus allein zu sein. Es war schwer, bei Jakob zu sein, wenn er sich so fühlte, er konnte unvermittelt wütend werden und alles und alle verfluchen.

Jakobs Vater war noch ein kleiner Junge, als er mit seinen Eltern und Geschwistern gezwungen wurde, in einen Eisenbahnwaggon einzusteigen, der sie ins Vernichtungslager Auschwitz irgendwo in Polen brachte. Als sie ankamen, wurden er und der ältere Bruder Frans von dem Rest der Familie getrennt. Die beiden Jungen waren die Einzigen, die den Krieg überlebten. Alle anderen starben, Vater, Mutter, vier Schwestern und zwei kleine Zwillingsbrüder.

»Ich habe meine Großeltern väterlicherseits nie gesehen. Ich habe keine Onkel oder Tanten aus der Linie. Ich habe auch keine Cousins oder Cousinen von Papas Seite. Die Nazis haben die Hälfte meiner Familie ermordet.«

Jakobs Vater und dessen Bruder kamen schließlich nach Schweden. Josefina hatte ein Foto von ihnen gesehen, sie waren mager wie Skelette, ihre Augen lagen tief in den Höhlen. Frans hatte mit all seinen Erinnerungen nicht in dem neuen Land leben können. Er erhängte sich in einem Schuppen außerhalb von Ulricehamn. Da war er nicht älter als zwanzig Jahre.

Josefina fühlte sich ganz unbeholfen und voller Ehrfurcht, als sie Jakobs Vater kennen lernte. Was er alles gesehen und erlebt hatte! Was er alles durchgemacht hatte! Er hatte sehr spät geheiratet und war schon alt. Er hatte graue Haarbüschel in den Ohren und einen Blick, der geradewegs durch sie hindurchging. Seine Hände waren sanft und weich, die Nägel gelb. Er stellte ihr mit trauriger Stimme ein paar Fragen. Sie hatte ihn niemals lachen sehen.

»Ist er nie fröhlich, dein Vater?«, fragte sie Jakob. »Kann er denn nie darüber hinwegkommen, über ... über all das Schreckliche?«

»So ist er nun einmal«, sagte Jakob. »Wir reden nie darüber. Deshalb weiß ich das nicht. Aber du kannst es dir ja wohl selber denken.«

Es war schwer, sich das selbst vorzustellen. Ernsthaft.

Jakobs Mutter war deutlich jünger. Sie hieß Alice und tanzte gern. Vom Äußeren her ähnelte Jakob mehr seiner Mutter als seinem Vater. Die Mutter war auf Söder geboren, dort war sie auch aufgewachsen. Sie hatte alle Bücher von Anna Silversten gelesen und ließ immer einen Gruß an sie ausrichten.

»Die Worte deiner Mutter haben mir schon oft geholfen, das sollst du nur wissen. Das kannst du ihr übrigens gern sagen. Schreibst du auch?«

Nein. Das tat Josefina nicht. Und sie spielte auch kein Instrument.

Aber Johan schrieb. Im Aufsatz war er der Beste in der Klasse. Er konnte die Worte bezwingen, wie er es immer nannte. »Die Worte sind da, um bezwungen zu werden. Dann werden sie zu Schlüssel und Schwert. Dann kommt man, so weit man will.«

Wenn es ums Schreiben ging, redete Johan immer so feierlich, benutzte so merkwürdige Worte. Er wollte Dramatiker werden. Er saß immer an neuen Stücken, ließ sie zur Probe spielen, um zu hören, ob die Repliken stimmten. Es musste natürlich gut klingen, sonst hätte er keinen Erfolg.

Aber vermutlich hatten weder Jakob noch Josefina schauspielerisches Talent. Deshalb klang es nie natürlich, so gut es auch geschrieben sein mochte.

Er schrieb ein Stück über einen kopflosen Mann, der nach seiner Erinnerung suchte. Jakob sollte den Mann spielen, Josefina wand sich vor Lachen, als sie ihn ins Zimmer schlurfen sah. Sie versuchte ihr Lachen zu unterdrücken, sie sah, dass Johan sauer wurde, aber sie konnte einfach nicht aufhören. Sie selbst sollte auch auftreten, und zwar als der Tod. Sie lieh sich einen Schal von Johans Mutter und nahm einen Zollstock als Sense. Geplant war, dass sie die Sense schwingen sollte, als würde sie Leichen ernten, aber jedes Mal, wenn sie das tat, klappte der Zollstock so albern zusammen, dass sie kichern musste. Sie lachte, dass ihr ganz heiß wurde, sie versuchte sich in den Arm zu kneifen, aber es nützte nichts.

Schließlich lachten sie alle drei. Sie fielen mitten in Johans Zimmer zu Boden, ein großer bebender Haufen.

Sie hielt viel von ihm. Schrecklich viel.

Sein braunes Haar mit Mittelscheitel, die blauen Augen, die fast immer fröhlich waren, die Dinge registrierten und aufnahmen. Dinge, die er später benutzen konnte. In seinen Texten.

Tiefe Schreie

Подняться наверх