Читать книгу Die Beichte - Roland Benito-Krimi 4 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 16
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Es war exakt 00:00 Uhr, als sie von einem Geräusch geweckt wurde. In dem alten Kloster gab es viele Geräusche, aber an die meisten davon war sie gewöhnt. Als sie sich im Bett aufrichtete und lauschte, wusste sie nicht genau, was sie geweckt hatte, doch es schien ihr ein lauter, unmenschlicher Schrei gewesen zu sein. Sie legte sich auf das Kissen zurück und starrte hinaus in die Dunkelheit. Vielleicht ein Traum? Einer jener Träume, in denen es einem so vorkommt, als sei man wach. Nur das Trommeln des Regens gegen die Scheibe war zu hören. Aber war das nicht ein Klopfen an der Tür? Rasch setzte sie sich wieder auf und knipste das Licht an. Wieder klopfte es vorsichtig und kurz darauf steckte die Postulantin ihren Kopf herein. Als sie sah, dass sie Licht anhatte, lief sie zum Bett und machte Anstalten, sich unter der Decke zu verkriechen.
»Was ist denn los, Schwester Laura?«
»Hast du das denn nicht gehört? Der Schrei!«, japste das Mädchen mit kugelrunden Augen.
»Ich weiß nicht, irgendwas hat mich geweckt. Ich habe gedacht, es sei nur ein Traum …«
»Das war ein Schrei. Alle Schwestern haben ihn gehört, sie sind bei Schwester Anna versammelt.«
»Mutter Helene auch?«
»Nein, sie hat ihn wohl nicht gehört – da drüben.«
Mutter Helenes Zimmer war das älteste und lag dort, wo der Ostflügel begann. Dort wohnten auch zwei der ältesten Nonnen, die meistens für sich waren und sich nicht viel unter die Jungen mischten. Man sah sie im Sommer im Park herumspazieren; ein Vorbild dafür, wie man wird, wenn man Gott ein Leben lang treu gedient hat. Aufrecht und majestätisch schritten sie in ihren Nonnentrachten einher, und ihre Gesichter strahlten so viel Ruhe und Lebensweisheit aus, dass Margaretha überzeugt war, selbst nie so weit zu kommen.
»Das kann kein Schrei gewesen sein. Das war bestimmt nur der Wind.«
»Aber das Unwetter ist doch vorbei.« Lauras Stimme klang zittrig, als friere sie.
»Nicht ganz. Es ist draußen immer noch windig. Geh jetzt einfach wieder ins Bett.«
»Darf ich nicht hierbleiben? Die anderen machen mir nur noch mehr Angst. Sie reden über Gespenster im alten Flügel und Schwester Anne-Marie sagt, dass dort ein alter Mönch wiedergeht und dass einige ihn gesehen haben. Das eine Auge fehlt ihm und …«
»Schwester Anne-Marie hat eine lebhafte Fantasie, natürlich spukt es dort nicht.« Sie hob die Decke an und Schwester Laura kroch zitternd darunter. Ihre Haut war kalt und Margaretha nahm sie instinktiv in den Arm, um sie zu wärmen. Es dauerte nicht lange, bis sich das Geräusch von Schwester Lauras ruhigem leisem Schnarchen mit dem Prasseln der Regentropfen an der Scheibe vermischte. Aber sie hatte Recht. Das große Unwetter war vorbei, es konnte nicht der Wind gewesen sein.
Schwester Lauras Kälte wanderte in Margarethas Körper. Sie konnte eine Gefahr in der Dunkelheit spüren. Eine andere Präsenz. Etwas Erschreckendes und Lähmendes. War das Gottes Zorn darüber, dass sie einen anderen Menschen in ihrem Bett liegen ließ, jetzt, wo sie ihm doch bald geweiht werden sollte? Aber seine Liebe war doch nicht fleischlich. Sie roch Schwester Lauras Haar und spürte ihre rechte Brust an ihrem Arm. Oder war es wegen der verbotenen Wärme und des pochenden Gefühls, das sich plötzlich in ihrem Schoß ausbreitete?
Sie versuchte, ihre Gedanken auf den vergangenen und den kommenden Tag zu lenken. Es passierte immer eine Menge, wenn Pater Josef zu Besuch war. Er umarmte die jungen Mädchen in seiner Güte, und es war wohl in Ordnung, dass er das tat. Mutter Helene sah lächelnd zu, und sie war doch sonst immer voller Ermahnungen schon bei den kleinsten Anzeichen unschicklichen Verhaltens. Wie konnte Pater Josef nur so leben? Wie konnten das alle Priester? Männer haben ein Verlangen, sie hatte das so oft gehört, ehe sie ins Kloster gekommen war. Einen Trieb, den sie nicht steuern konnten. Es musste Gottes Kraft sein, die verhinderte, dass auch Priester diesen Trieb hatten. Damit sie nicht darunter leiden mussten. Gott gab sie ihnen, diese Kraft, als Belohnung für ihre Gelübde, für ihre ewige Treue zu ihm. Sie musste wohl einfach nur fest genug glauben, dann würde er endlich auch sie auf die gleiche Weise belohnen.
Schwester Laura drehte sich mit einem kleinen Seufzer im Bett. Sie spürte ihren warmen Atem an ihrem Hals, der Atem war ruhig und rhythmisch. Ohne die Postulantin zu wecken, streckte sie ihren Arm zum Nachttisch aus und tastete im Dunkeln, bis sie den Rosenkranz gefunden hatte. Sie umklammerte ihn so fest, dass sich das Kreuz in ihre Handfläche bohrte und ihr einen neuen, anderen Schmerz zufügte.
Alle Schwestern sahen müde aus, als sie sich zum ersten Stundengebet, der Matutin, in der Kirche versammelten. Wüsste man es nicht besser, hätte man glauben können, sie hätten die ganze Nacht durchgefeiert. Kaum eine von ihnen hatte ein Auge zugemacht. Es gab auch keine Probleme mit dem Schweigen beim Frühstück. Die meisten waren in ihre eigenen düsteren Gedanken versunken und einige wirkten sogar verängstigt. Mutter Helene griff es beim Novizinnenunterricht auf.
»Eine Schwester hat mir erzählt, dass in eurem Flügel heute Nacht ein Schrei gehört wurde. Ich wollte euch bisher nichts davon sagen, aus Sorge, euch zu verängstigen.«
Niemand sprach ein Wort. Es war fast, als striche ein kalter Luftzug durch den Raum. Ein bisschen wie der, den Margaretha heute Nacht gefühlt hatte.
»Ich habe diese Schreie ebenfalls gehört und auch mich haben sie erschreckt, bis ich begriffen habe, dass es sie gar nicht gibt – nur in uns selbst.«
»Ja, aber da war ein Schrei. Wir haben ihn alle gehört«, protestierte Schwester Bodil.
Mutter Helene sah sie scharf an. »Schwester Clara nicht und Schwester Lucia auch nicht.«
Zur Bestätigung der Worte der Äbtissin schüttelten die beiden Schwestern den Kopf.
»Schwester Clara und Schwester Lucia haben ihre Gebete gesprochen. Gott war mit ihnen und hat sie vorm Teufel beschützt. Denn das ist er gewesen. Habt ihr nicht seine Gegenwart gespürt? Er kann neben deinem Bett stehen und machen, dass es dich friert und du dich wie gelähmt fühlst, sodass du keine Luft mehr bekommst.«
Margarethas Hals schnürte sich zusammen. Alle Schwestern nickten und blickten eingeschüchtert auf den Tisch herab, selbst Schwester Clara und Schwester Lucia.
»Wie oft ist das jetzt schon passiert?«, fragte Mutter Helene.
»Ein paar Nächte lang.« Schwester Bodils Stimme war leise.
»Und ihr habt gespürt, dass der Teufel wollte, dass ihr Dinge tut, von denen ihr wisst, dass sie verkehrt sind? So, als würde er die Kontrolle über euren Körper übernehmen und euch gegen Gott aufbringen wollen?«
Sie nickten. Margaretha rang ihre Hände unter dem Tisch und dachte an Lauras Brust an ihrem Arm, an ihren warmen Atem. War es Gott gewesen, der sie neben sie gelegt hatte, um sie auf die Probe zu stellen – oder der Teufel, um sie in Versuchung zu führen? War Schwester Laura vielleicht gar mit ihm im Bunde?
»Ich habe mit Pater Josef über die Sache gesprochen, er hat zugesagt, mit einem Priester zu reden, den er im Vatikan kennt. Pater Josef kommt wieder, sobald er weiß, was wir tun sollen, um das Böse aus unserem Kloster zu vertreiben. Bis dahin sollt ihr den Rosenkranz beten, so viel und so oft ihr könnt. Wir müssen nur im festen Glauben zusammenhalten, dann wird das Böse uns schon nicht versuchen können.«
Margaretha folgte dem Rest des Unterrichts mit höchster Aufmerksamkeit. Es war an der Zeit, Gott zu zeigen, dass sie ihm treu war.