Читать книгу Die Beichte - Roland Benito-Krimi 4 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 6

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»Ist Papa jetzt wirklich ein frommer Mann geworden?«

Rikke saß auf dem Küchentisch und behielt Marianna durchs Fenster im Blick. Die Kleine schaukelte an dem alten, rostigen und schiefen Schaukelgerüst, das Roland für seine Töchter aufgestellt hatte, als sie klein gewesen waren. Er hatte sich geweigert, es abzubauen, weil ja sicher einmal Enkel kommen würden. Gott sei Dank hatte er Recht behalten. Angolo lief bellend der Schaukel nach, vor und zurück, und ließ das Mädchen laut auflachen.

»Ach, fromm … Aber wenn er meint, dass es ihm hilft, wieder in die Kirche zu gehen, schadet das ja niemandem.« Irene warf die geschnittenen Champignons in den Salat. Rikke schnappte sich eine Pilzscheibe, stopfte sie sich in den Mund und kaute.

»Ich kann mich erinnern, dass er oft zusammen mit Oma hingegangen ist. Glaubst du, er macht das jetzt wegen Salvatore plötzlich wieder?«

»Dein Vater fühlt sich sehr schuldig wegen dem, was passiert ist.«

»Schuldig! Wie das? Er kann ja nicht daran schuld sein, dass die Mafia in Neapel …«

»Nein, aber Giovanna hatte ihm doch die Verantwortung für Salvatore übertragen. Es war eigentlich seine Pflicht, ihn aus der Kriminalität zu holen und ihn zu überreden, nicht für die Mafia zu arbeiten, auch wenn ihm das eine Menge Geld bringen würde. Es hätte ihn das Leben gekostet, wenn er weiterhin die giftigen Chemikalien zu ihren Mülldeponien gefahren hätte.« Sie geriet ins Stocken und Rikke führte ihren Gedanken zu Ende.

»Aber er ist trotzdem brutal gestorben.« Sie sprang vom Tisch herunter. Sie konnte Marianna nicht mehr draußen im Garten entdecken. Rikke öffnete das Fenster, lehnte sich heraus und sah sich um, bis sie sie wieder gefunden hatte. Auch die Kinder von Polizisten werden vom Leben ihrer Eltern geprägt, schließlich wachsen sie hautnah daran auf – hautnah an Mord, Entführungen, Unfällen.

»Eine so große Verantwortung kann man doch auch nicht einfach auf die Schultern eines anderen abwälzen. Papa hat mir nicht erzählt, wo sie Salvatore gefunden haben. Und ich will ihn nicht noch mehr quälen, indem ich ihn frage. Weißt du das, Mama?” Rikke schloss das Fenster, sie hatte Tränen in den Augen. Auch wenn sie die Familie in Italien nicht oft sahen, berührte der Mord an Salvatore sie tief. »Du willst vielleicht auch nicht darüber reden?«, hakte sie nach, als Irene nicht sofort antwortete.

»Er wurde in einem Auto bei einem Verschrottungsunternehmen etwas außerhalb von Neapel gefunden. So stark mit einer Maschinenpistole durchsiebt, dass er fast unkenntlich war.« Irene konzentrierte sich beharrlich darauf, eine Zwiebel in Scheiben zu schneiden, es brannte in den Augen, die Tränen liefen, und sie trocknete sich die Wangen mit dem Handrücken ab. »Der Plan war sicher, dass das Auto zerstört und zu einem kleinen Metallwürfel zusammengepresst werden sollte, sodass er nie gefunden worden wäre.«

»Wer hat ihn entdeckt?«

»Ein aufmerksamer Kunde hat Blut aus der Autotür laufen gesehen und die Polizei informiert …«

»Ist dieses Verschrottungsunternehmen denn auch in den Fängen der Mafia?«

»Wer in Neapel wäre das nicht?« Zum ersten Mal seit Beginn ihres Gesprächs sah Irene ihrer Tochter in die Augen, aber sie sah dort keine Zustimmung, nur einen Hauch von Vorwurf.

»Nein, Mama, so kann man das aber nicht sagen. Es gibt eine Menge ehrliche Neapolitaner, die die Mafia am liebsten ausgerottet sehen würden. Aber dieser Verschrottungsunternehmer gehört also zu ihr?«

»Das wird bestimmt untersucht, weil der Gedanke nicht so fernliegt, wenn sie ausgerechnet seinen Schrottplatz benutzten.« Sie reichte Rikke die Schüssel mit dem Salat und bat sie, den Tisch zu decken.

»Erwartet Papa denn auch immer das Schlimmste von seinen Landsleuten?«, fragte Rikke, nachdem sie beide eine Weile geschwiegen hatten. »Manchmal glaube ich, er hält alle Italiener für korrupt. Schau doch, wie das mit Giuseppe ist – seinem eigenen Schwiegersohn –, und der ist sogar Anwalt.«

»Ja, Strafverteidiger. Du weißt, was Papa von denen hält. Und Olivia und Giuseppe sind ja nicht verheiratet, also gleich ›Schwiegersohn‹, ich weiß nicht recht …«

»Trotzdem. Auch wenn Olivia das nicht zeigt, glaube ich, dass sie es leid ist, dass Papa so stur ist.«

»Du weißt, er war sehr dagegen, dass Olivia nach Rom zieht. Das war ich zwar auch, sie war noch so jung. Aber ich glaube, es geht ihm eher darum, dass ihm Giuseppe seine Tochter weggenommen hat.«

»Giuseppe hat Papa Olivia doch nicht weggenommen«, protes­tierte Rikke. »Wenn er seinen Starrsinn einfach unterdrücken würde und ein bisschen Vertrauen zu ihm hätte, dann würde er auch wieder ein gutes Verhältnis zu ihr bekommen. Sie war doch mal sein Ein und Alles. Ich bin manchmal wirklich eifersüchtig gewesen, aber jetzt spricht er nicht mehr über sie – als hätte er sie abgeschrieben.«

»Das hat er selbstverständlich nicht, aber er hofft, dass sie es sich anders überlegt und nach Hause zurückzieht. Das größte Problem ist wohl, dass die beiden sich einfach zu ähnlich sind. Sie sind beide gleich stur.«

»Kannst du Giuseppe auch nicht leiden?« Rikke lehnte sich gegen den Küchentisch und sah ihr direkt in die Augen.

»Wir hatten ja noch keine Möglichkeit, ihn richtig kennenzulernen«, wich Irene aus und wischte den Küchentisch trocken.

Rikke nahm sich eine Tomate. »Genau, und das ist eure eigene Schuld und … ihr müsst ihn einfach akzeptieren«, sagte sie zwischen zwei Bissen.

»Natürlich.«

»Ich mein’s ernst, Mama. Olivia hat mir nach der Beerdigung etwas erzählt.«

Irene schaute Rikke prüfend an. Olivia strafte sowohl sie als auch Rolando, indem sie ihnen kein Vertrauen schenkte und sich nur ihrer Schwester mitteilte. Das schmerzte sie, aber Rolando wollte nicht nachgeben und Giuseppe mit mehr Nachsicht betrachten, auch nicht, wenn das bedeutete, dass er auf diese Weise ihre Tochter von sich stieß. Er konnte einfach nicht glauben, dass sie ihren Freund statt ihrer Familie wählen würde. Irene indes war sich da nicht so sicher. Sie selbst hatte schließlich das Gleiche getan, als sie sich in den gutaussehenden Polizisten Rolando Benito verliebte, obwohl ihre Eltern sehr gegen ihre Beziehung mit einem »Dunkelhäutigen« gewesen waren. Rolando weigerte sich, sich daran zurückzuerinnern.

»Willst du es mir weitersagen?« Sie zitterte innerlich, sodass man es ihrer Stimme anhören konnte. Sie konnte in Rikkes Augen lesen, dass es etwas Wichtiges war, und sobald sich dieser Ausdruck einmal gezeigt hatte, würde sie selbst das größte Geheimnis nicht mehr für sich behalten können.

»Olivia will nicht, dass ich es erzähle.«

»Nein, das kann ich mir denken, aber jetzt hast du schon damit angefangen, und du willst es doch selbst gerne.« Die Zwiebeln zischten und spritzen, als sie sie in das heiße Olivenöl im Topf schüttete.

»Sie bekommen ein Kind.«

»Wann?«, fragte sie überrascht und war froh, dass Roland ihren Tonfall nicht hören konnte, der die Frage eher erwartungsvoll als betroffen klingen ließ.

Sie zuckte zusammen, als ihr Handy klingelte. Sie trocknete die Hände am Geschirrtuch ab und ging ran, ihre Hand zitterte leicht; sie hoffte, dass es Rikke nicht bemerkte. »Hallo! … Hallo! … Wer ist da?« Sie wartete angespannt und legte wieder auf.

»Das war aber ein kurzes Gespräch. Wer war das, Mama?«, wollte Rikke wissen und verteilte Messer und Gabeln neben den Tellern auf dem Tisch.

Sie räusperte sich, ihre Stimme klang trotzdem heiser. »Da hat sich wohl jemand verwählt.«

»Schon wieder? Das ist das dritte Mal! Ist es nicht ein bisschen komisch, dass …«

»Das ist nichts von Belang, Rikke. Olivias Neuigkeit hingegen schon. In welchem Monat ist sie?«

»Es kommt im November, hat sie gemeint. Giuseppe will vorher heiraten, also können wir wohl demnächst eine große italienische Familienhochzeit erwarten. Ich freu mich!«

Irene überlegte, wie sie Rolando diese Neuigkeit beibringen sollte, und sah auf die Uhr; er würde wohl bald nach Hause kommen. Sie setzte Wasser für die Nudeln auf. Mensch, dass sie wieder Großeltern werden sollten!

»Oma, Oma! Guck mal, was ich gefunden habe!« Marianna kam in die Küche gerannt, Angolo direkt auf den Fersen; sie versteckte etwas zwischen den gekrümmten Fingern und hatte in ihrem Eifer vergessen, die Schuhe auszuziehen. Rikke führte sie mit einem harten und bestimmten Griff am Arm wieder hinaus. Irene setzte so lange ein entschuldigendes Lächeln auf. Marianna fehlte ein Schneidezahn; sie hatte ihn an einem Wochenende verloren, als sie bei ihnen zu Besuch gewesen war. Irene hatte dafür gesorgt, dass die Zahnfee ihre Pflicht erfüllt hatte. Sie starrte hinaus in den Garten. Ihre Hände zitterten immer noch und sie atmete tief durch, um sich zu entspannen. Die Nummer war anonym gewesen, und sicher war es nur jemand, der sich immer wieder verwählte, aber es lag etwas Beängstigendes und Bedrohliches in dem Schweigen und dem leisen Atmen am anderen Ende.

»Guck, das ist eine Raupe, vielleicht wird sie mal zu einem hübschen Schmetterling.«

Marianna stand wieder neben ihr, auf ihren Socken mit dem Marienkäfermuster, die dunklen Augen glänzten vor Stolz darüber, das kleine schwarze Wesen mit den weißen Punkten und den kurzen Borsten gefangen zu haben, das in ihrer offenen Hand krabbelte. Die Schnauze des Schäferhunds näherte sich schnüffelnd ihrer Handfläche und veranlasste Marianna dazu, ihre Hand so hoch zu heben, wie sie konnte, aber Angolo war dabei, ein großer Hund zu werden, und Marianna hatte die kurze Statur ihres Opas geerbt. Irene scheuchte den Hund energisch weg, ging vor dem Enkelkind in die Hocke und studierte interessiert die Raupe. Sie war auf dem Land aufgewachsen und war als Kind selbst von Schmetterlingen und Nachtfaltern fasziniert gewesen.

»Ich glaube, die hier wird mal ein Tagpfauenauge. Das sind die rostroten Schmetterlinge, die Muster auf den Flügeln haben, die wie die Augen auf den Schwanzfedern von Pfauen aussehen. Du hast schon welche gesehen, im Sommer sind immer ganz viele davon im Schmetterlingsflieder.«

Marianna nickte ernst, sodass der Pferdeschwanz auf ihrem Kopf tanzte. »Darf ich die behalten?«

»Nein, ich finde, du solltest sie wieder raus in den Garten setzen, sonst kann sie ja kein Schmetterling werden, nicht wahr?«

Das Handy klingelte erneut, sie schnappte nach Luft, stand schnell auf und schaltete es aus. Sie wusste, dass er es wieder war. Aus einem unerklärlichen Grund war sie sich sicher, dass es ein Mann war. Vielleicht lag es am Atmen. Marianna lief mit der Raupe in den Garten, Angolo begrüßte sie mit verspieltem Tanz. Rikke schaute ihnen nach und lächelte, dann wurde sie ernst.

»Hat sich schon wieder jemand verwählt? Mama, willst du mir nicht erzählen, was da vor sich geht? Wer ruft die ganze Zeit an? Ich habe oft an den Mord an der Sozialarbeiterin in Holstebro Anfang des Jahres gedacht. Deine Arbeit ist fast so gefährlich wie diejenige Papas, und …«

»Quatsch!« Irene drehte ihr den Rücken zu und kümmerte sich um die Töpfe, sodass sie Rikke nicht in die Augen sehen musste.

»Hast du Papa davon erzählt? Ich kann doch sehen, dass da etwas nicht stimmt.«

Sie wandte sich ihrer Tochter zu und schaute sie mit gespielter Zuversicht an. »Du musst dir keine Sorgen machen, Rikke, und das soll Papa auch nicht, er hat genug anderes um die Ohren. Das ist nur jemand, der sich verwählt hat. Basta! Hat Olivia gesagt, für wann sie die Hochzeit geplant haben?« Der Kummer über die schweigende Abstrafung, die sie da durch ihre jüngste Tochter erfuhr, ließ die Angst ein bisschen in den Hintergrund treten; es gab größere Sorgen als anonyme Anrufe. Olivia sollte derart wichtige Ereignisse in ihrem Leben ihrer Mutter und ihrem Vater anvertrauen und sie nicht mehr oder weniger unfreiwillig über ihre Schwester vermitteln.

Sie beschloss, morgen in Italien anzurufen. Wenn nur hoffentlich nicht Giuseppe ranging und wieder auflegte, sobald er ihre Stimme hörte.

Die Beichte - Roland Benito-Krimi 4

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