Читать книгу Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 10

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Anita sah sie vom Küchenfenster aus. Sie kamen vom Supermarkt nach Hause. Mit Einkaufstüten im Arm rutschten sie in den Schneewehen in der Einfahrt herum, in der der Schnee lediglich durch die Reifenspuren von der Garage zur Straße etwas beiseitegeschoben war. Bitten lachte laut, als sie beinah hinfiel. Brian hatte eine erloschene Zigarette zwischen den Lippen hängen und erinnerte sie an eine junge Ausgabe von Mads Mikkelsen mit seinem etwas zu langen, strähnigen Haar und den dunklen Bartstoppeln auf Kinn und Wangen. Er schloss das Garagentor und machte nicht den Eindruck, als hätte er vor, noch mehr zu helfen. Er war auch der Fahrer gewesen, damit waren seine Pflichten für heute aus seiner Sicht überstanden. Wenn er dran war, gab es immer Probleme. Er schlenderte den anderen mit derselben Gleichgültigkeit hinterher, die er auch sonst im Leben an den Tag legte. Mit der großen, schwarzen Daunenjacke erinnerte er an das Michelin-Männchen; sie ließ seinen Oberkörper füllig erscheinen. Die dünnen Beine in abgenutzten Jeans und großen Moonboots schienen ihn kaum tragen zu können. Wieder dachte sie daran, dass sie in ihn verliebt gewesen war, als er vor ein paar Monaten in die Kommune gezogen war. Seine Augen hatten was. Sie waren braun, fast schwarz. Aber bei näherer Bekanntschaft gewann er nicht. Er war grob und unverschämt und hatte einige schlechte Angewohnheiten aus Kopenhagen mitgebracht. Er war es, der eingeführt hatte, dass bei Partys Hasch geraucht wurde, obwohl Linda und Andreas dagegen waren. Sie hatten jedoch scharf durchgegriffen, was die Ecstasy-Pillen betraf, die Brian auch mit im Koffer gehabt hatte. Er nannte sie love drugs und war der Meinung, dass sie toll in das Konzept der Kommune passten. Linda und Andreas hatten die Idee zu der Kommune gehabt und beabsichtigt, den Alltag – und die Kosten – mit anderen gleichgesinnten Studenten mit den gleichen Wertvorstellungen wie sie zu teilen, also eine bessere Lebensform zu schaffen, die nicht nur auf materiellen Dingen basierte. Andreas hatte den Hof von seinen Eltern geerbt. Mit seinen achtundzwanzig Jahren war er der älteste Bewohner. Die Alternative war gewesen, den Hof zu verkaufen, aber da es seine größte Stärke war, und vielleicht auch seine größte Schwäche, an andere zu denken, war es seine Mission geworden, anderen Studenten in Wohnungsnot zu helfen. Zumindest denen, die am Arsch der Welt wohnen und keine Discos, Nachtclubs und Cafés in Reichweite haben wollten. Aber in ihren Augen war er nicht streng genug mit dem Aussortieren und den Absagen, wenn neue Bewerber kamen, die ungeeignet waren und nicht hineinpassten. In der Zeitung wurde jedes Mal, wenn sie neue Bewohner suchten, die gleiche Annonce geschaltet. Die, der sie selbst erlegen war, weil es wie ein nettes Leben klang, in einer Gemeinschaft billig auf dem Land zu wohnen, und die Lage könnte für sie nicht perfekter sein, obwohl die Eltern sehr dagegen waren, sowohl gegen den Ort als auch gegen die Kommune. Aber Brian war ein Fehler. Sie fasste es nicht, dass er dem Unterricht in der Technischen Schule folgen konnte. Seine Fehlzeiten waren, so viel sie wusste, auch ziemlich hoch. Und dann war plötzlich seine Freundin, Bitten, nach Aarhus gekommen und eingezogen. Sie hatte einen Ausbildungsplatz in einem Friseursalon in der Innenstadt bekommen und war insofern eigentlich keine Studentin, aber das hatte Andreas nicht als Problem gesehen, weil sie Brians Freundin und er akzeptiert war. Aber sie war nicht besser als er. Allein das Geräusch ihrer kratzigen Kopenhagener Stimme verursachte ihr Gänsehaut. Die führten sich auf, als ob ihnen der Hof gehörte. Aber Andreas tat nichts dagegen. Linda, die sonst viel zu sagen hatte, auch nicht. Sie waren eher von diesen beiden Kopenhagenern fasziniert.

In der Waschküche wurde es unruhig. Gespräche kamen in Wellen herüber, zusammen mit der Kälte und dem Lärm von Schuhen, von denen der Schnee auf der Matte abgetreten wurde und die auf die Fliesen geworfen wurden. Dort herrschte immer so ein Chaos, dass es schwer war, seine eigenen Schuhe und Stiefel zu finden, wenn sie morgens losmussten, aber es lohnte sich nicht aufzuräumen.

Bitten kam als Erste mit einer Einkaufstüte im Arm in die Küche. »Hi, Fette!« Sie stellte die Tüte auf den Küchentisch. Plötzlich kamen sie alle zusammen herein, jeder mit seiner Tüte, außer Brian, der in der Türöffnung mit den Händen in der Tasche stehen blieb und sie faul betrachtete. Anita hatte alle Hände voll zu tun, die Waren in Kühl- und Gefrierschrank unterzubringen. Sie hatte heute Küchendienst und gerade den Abwasch überstanden. Sie hasste diesen Job, aber das gehörte zu einer Gemeinschaft dazu und sie beschwerte sich nicht. Die Miete war billig, sodass sie sie alle von ihrer Ausbildungsförderung oder ihrem Ausbildungsgehalt bezahlen konnten. Es verletzte sie nicht, Fette genannt zu werden. Sie sah das als Kompliment, da alles, was gut war, von Klamotten bis zu Ereignissen, als fett bezeichnet wurde, ein Wort, das die Kopenhagener auch in ihren Wortschatz aufgenommen hatten.

»Ey, mach doch mal die Tür zu!«, rief Bitten Brian zu, der, statt zu gehorchen, ins Wohnzimmer ging und sich aufs Sofa warf, ohne die Michelin-Jacke oder die Moonboots auszuziehen. Anita schüttelte unbemerkt den Kopf. Er war einfach trouble. Bitten hatte eine Gurke aus der Einkaufstüte geholt, davon abgebissen und sie erst dann mit einem provokanten Lächeln Anita überreicht, um sie von ihr in den Kühlschrank legen zu lassen. Und sie war es auch. Big trouble, alle beide. Warum konnte Andreas das nicht sehen? Oder konnte er? Er schloss die Tür und half ihr mit den Einkäufen, obwohl das heute nicht seine Aufgabe war. Sein Gesicht war ernst, aber das war es fast immer. Wenn er zwischendurch mal lächelte, erinnerte das mehr an eine spastische Reaktion, die schnell wieder verschwand. Er sah aus wie so viele andere, die man auf der Straße traf, daher schenkte man ihm selten Beachtung. Er ging in der Menge unter. Rotblonde Haare, ein bisschen hellerer Bartwuchs mit einem nicht besonders kräftigen Oberlippenbart, der irgendwie an den Mundwinkeln herablief und sich mit den anderen wenigen Haaren auf dem Kinn und den Wangen vermischte, die nicht mal ansatzweise einem Vollbart ähnelten. Den intelligenten Ausdruck bekam er durch eine Brille mit dünnem schwarzem Gestell, die auf dem schmalen Nasenrücken ein bisschen zu weit vorne saß. Die rostfarbene Strickjacke, die er fast immer trug, passte zu den Haaren und dem Bart und vervollständigte das Bild. Er studierte Geschichte an der Universität und war total besessen von allem, was sich zwischen 700 und 1050 ereignet hatte. Sie lächelte ihn an. Er war ein sonderbarer Nerd, aber sie mochte ihn und Linda, die nun auch mithalf, die Einkäufe auszupacken. Sie fand eine Packung Kekse und drohte an, Kaffee zu kochen. Ihr Kaffee war immer so stark, dass keiner nachts schlafen konnte, wenn sie mit dem Abendkaffee dran war. Brian war auf dem Sofa eingeschlafen und Bitten saß daneben und sah ihn verträumt an, während sie vorsichtig seinen langen Pony kraulte. Anita hatte immer Angst, dass sie in aller Öffentlichkeit zu weit gehen würden. Manchmal gingen sie an die Grenzen, bis Bitten ihn in ihr gemeinsames Zimmer zog, das neben dem Wohnzimmer lag, und glücklicherweise die Tür schloss. Sie war nicht ganz so exhibitionistisch wie er.

Linda setzte ihre Drohung in die Tat um und machte Kaffee. Anita und Andreas stellten Becher und Teller auf den Couchtisch, wo sie in der Regel Tee und Kaffee tranken – und freitagabends, wenn das Wochenende vor der Tür stand, Bier.

Brian erwachte von dem Kaffeeduft, setzte sich hin und machte es sich mit einem Arm um Bittens Schultern und einer Hand auf ihrem Oberschenkel bequem. Das konnten die beiden am besten – bedient werden –, und das nervte sie langsam. Manchmal kam es ihr vor, als würde sie das meiste im Haushalt erledigen.

»Kaffee ist fertig!«, rief Linda und stellte die Thermoskanne auf den Tisch. Kurz darauf hörten sie die Tür im ersten Stock aufgehen und Bjørn kam die Treppe heruntergelaufen. Anita lächelte. Kaffee konnte ihn aus seiner Höhle locken. Und zwar deswegen, weil er durchgesetzt hatte, dass es der ökologische mit Fair-Trade-Siegel sein sollte. Bjørn war dabei, das zweite Jahr seines Biostudiums abzuschließen, daher war er die meiste Zeit des Tages in seinem Zimmer in seine Studien vertieft, wenn er nicht im Lesesaal der Biologie der Aarhuser Universität saß. Im Großen und Ganzen sahen sie ihn nur beim Essen und wenn er unten war, um seine häuslichen Pflichten zu erledigen. Er war ein ebenso großer Nerd wie Andreas, und die beiden waren es auch, die die intellektuellsten Gespräche führten, bei denen andere nicht mithalten konnten. Bjørn war ein großer Mann. Nicht in Bezug auf die Höhe, sondern auf die Breite. Sie war froh, dass sie nicht die Einzige war, die nicht ganz den korrekten Body Mass Index hatte. Er trug ein zerknittertes khaki und grün kariertes Fjällräven-Hemd, das teilweise aus seiner braunen Hose hing. Naturfarben. Er ließ sich schwer neben Bitten und Brian auf dem Sofa nieder und schien dankbar für die Pause zu sein. »Ich kauf nächstes Mal ein«, versprach er und nahm sich einen Keks. »War’s kalt draußen?« Ein Schimmer in seinen Augen forderte Bitten heraus.

»Lustige Frage für einen Biologen. Was zum Teufel glaubst du?«

Bjørn blinzelte ein paar Mal mit kleinen Augen unter buschigen Augenbrauen in einem rotwangigen Gesicht. Seine Haare waren ein Gewusel aus gekräuselten, hellblonden Locken. Er hatte es am schwersten, sich an diese zwei Neuen in der Familie zu gewöhnen, vielleicht weil er nicht so oft mit ihnen zusammen war.

»Wusstet ihr, dass die Polizei in der Umgebung unterwegs ist, um Zeugen zu finden? Die waren noch nicht hier, oder?«, beeilte er sich zu sagen.

Brian zuckte ein bisschen zusammen.

»Woher weißt du das?«, erkundigte sich Andreas in seiner ruhigen und besonnenen Art.

»Ich habe ihn vom Fenster aus gesehen. Es gibt echt keinen Zweifel daran, dass das ein Bulle ist, der von Hof zu Hof fährt.«

Die Kommune lag auf einem Hügel etwas höher als die Nachbarhöfe, sodass Bjørn von seinem Zimmer unterm Dach eine recht gute Aussicht über die Gegend hatte.

»Na und?« Bitten kaute auf einem Schokoladenkeks. »Warum sollte er herkommen, wenn wir so weit weg wohnen, dass wir unmöglich etwas sehen oder hören konnten? Du bist eigentlich der Einzige, der was bemerkt haben könnte.«

»Wenn es nicht dunkel gewesen wäre«, murmelte Bjørn.

»Ich hoffe wirklich, die finden etwas, dem sie nachgehen können. Es ist furchtbar, dass das passiert ist«, meinte Linda. Anita versuchte, Brian nicht anzusehen. Er hatte nur einen kranken Kommentar über Osteuropäer losgelassen, als sie beim Frühstück über das Thema gesprochen hatten. Als sie heute Morgen an der Straße entlang zur Bushaltestelle gelaufen war, hatte sie in den Hof geschielt, als sie daran vorbeigegangen war. Ihr war übel geworden und sie hatte innerlich gezittert. Bis zu den Knochen gefroren. Um den Garten herum war rot-weißes Absperrband. In dem weißen Feld stand Polizei, und die Tür zum Hauptgebäude war mit einem gelben Schild versiegelt. Im Seminar wurde nicht so viel über den Mord geredet, aber es fiel ihr schwer, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Das Ganze war zu nah gekommen. Es war letzte Nacht passiert, während sie nur ein paar Kilometer davon entfernt geschlafen hatten. Sie hätten bei ihnen einbrechen können. In der Zeitung stand, die Polizei vermute, der Hof sei längere Zeit beobachtet worden. Wenn das die Vorgehensweise war, hatten sie wohl schnell eingesehen, dass bei einem Haufen armer Studenten nichts zu holen war. Aber allein bei dem Gedanken, vielleicht von den Mördern überwacht worden zu sein, schauderte es sie.

»Die Leute können es doch echt mal lassen, damit anzugeben, dass sie Waffen haben«, fand Brian, legte ein Bein über die Armlehne des Sofas und trank einen Schluck Kaffee.

»Woher weißt du, dass sie Waffen haben?«, wollte Bitten wissen.

Brian richtete sich auf dem Sofa auf. »Es ist erst ein paar Tage her, dass er in der Zeitung war und damit geprotzt hat, dass er die Goldmedaille im Pistolenschießen gewonnen hat. So ein Idiot.« Höhnisch schüttelte er den Kopf.

»Das ist doch eine Sportart, was sollte daran verkehrt sein? Ich kann gut verstehen, dass er stolz ist«, widersprach Linda. Es war das erste Mal, dass sie Brian vorwurfsvoll ansah, obwohl Anita der Meinung war, dass es eine Menge anderer Gelegenheiten gegeben hatte, bei denen es berechtigter gewesen wäre.

»Trotzdem«, pflichtete Bitten ihrem Freund bei. »Das ist echt ziemlich dumm.« Sie schaute Linda vorwurfsvoll an.

»Es ist doch nicht sicher, dass das die Ursache ist. Raubüberfälle haben in der gesamten Menschheitsgeschichte stattgefunden«, beschwichtigte Andreas. Er griff immer diplomatisch ein, wenn ein Streit im Anzug war.

»Ach ja, bei deinen Wikingern ging es wild zu«, neckte Bjørn.

Sie forderten sich oft gegenseitig auf freundschaftlicher Ebene heraus – Geschichte gegen Biologie und umgekehrt. »Die haben geplündert, vergewaltigt und ihren Göttern geopfert.«

»Dein Tierreich ist da nicht besser. Die begnügen sich auch nicht immer damit, Fressen voneinander zu stehlen, die fressen sich, wenn sie hungrig genug sind.«

»Vergiss nicht, dass wir auch zum Tierreich gehören«, lächelte Bjørn und schnappte mit den Zähnen.

Linda lachte und schüttelte den Kopf. »Das weiß Andreas nur zu gut. Er faselt die ganze Zeit davon, dass er die Urzeit zurückhaben will, damals waren wir wohl eher Affen.«

Andreas sah sie ernst an. »Ja, und das meine ich auch so. Unsere Gehirne verkraften es überhaupt nicht, so zu leben, wie wir es tun. Teile des Gehirns haben sich seit damals nicht weiterentwickelt. Guckt euch jetzt mal Bjørn an.«

Sie starrten alle Bjørn an, der sich auf dem Sofa zurückgelehnt hatte, sodass sein Bauch über dem Gürtel hing. Er gähnte laut. Er hatte auch die meisten Kekse gegessen.

»Jetzt sagt sein Gehirn, dass er schlafen soll. Das ist ein Urzeit­instinkt. Die Urzeitmenschen sollten zwischen den Mahlzeiten ruhen, damit sie für die nächste Jagd mit Pfeil und Bogen bereit waren.«

Anita lachte bei dem Gedanken an Bjørn mit einem Tierfell um den Leib und einem Bogen in der Hand, um ein Kaninchen zum Abendessen zu fangen.

Er hatte nicht mal die Kondition, drei Meter zu rennen, massig und träge wie er war – wie sie selbst.

»Und dass wir nicht multitaskingfähig sind, stammt auch aus der Urzeit. Unsere Gehirne sind nur dafür gemacht, dass wir Nahrung beschaffen, schlafen und uns vermehren – nicht dafür, gleichzeitig ins Handy zu quatschen, ein Auto durch den Verkehr zu steuern, französische Hotdogs zu essen und Musik zu hören«, fuhr Andreas fort.

»Aaach, nur ihr Männer seid nicht multitaskingfähig«, stichelte Linda, »Frauen mussten auch in der Urzeit schon mehr bewältigen – sie mussten gebären, sich um ihre vielen Kinder kümmern, Essen machen und die Wohnung beschützen, alles zur selben Zeit, während die Männer auf der Jagd waren. Dafür sind eure Gehirne gebaut. Der Urinstinkt ist auch eines der Dinge, die erwachen, wenn du Lauftraining machst.«

Linda war die einzige sportlich Aktive, was man auch an den langen, schlanken Gliedern sehen konnte, die Anita ab und zu neidisch beäugte.

»Das Gehirn genießt es, auf eine natürliche Weise gestresst zu werden, wie wenn der Urzeitmensch vor wilden Tieren weglief oder auf der Jagd war und so Endorphine produziert wurden. Dieser Stoff, der im Gehirn freigesetzt wird, ist der gleiche wie ...«

»So ein Unsinn«, unterbracht ihn Brian schroff, stand vom Sofa auf und zog Bitten mit hoch. Sie verschüttete fast ihren Kaffee. »Komm, wir haben echt keinen Bock, uns ihr Urzeitgeschwätz anzuhören, wir können ja reingehen und uns vermehren.« Das Letzte höhnte er in Andreas’ Gesicht. »Nimm den Kaffee mit«, kommandierte er, als Bitten so aussah, als ob sie protestieren wollte. Sie verschwanden in ihrem Zimmer.

Am Tisch wurde es still.

»An dem, was du sagst, ist schon was dran«, räumte Bjørn, verlegen über den Zwischenfall, ein. »Wir leben völlig verkehrt. Ich merke, dass mein Gehirn manchmal nicht richtig hinterherkommt. Und wir wohnen ja sogar draußen auf dem Land, weg von dem Lärm, dem Stress und dem Dreck der Stadt. Man muss sich mal vorstellen, welchen Dingen diese beiden in der Großstadt ausgesetzt waren.« Er nickte in Richtung der geschlossenen Tür. Man konnte hören, dass er es nicht so meinte, um den ungehobelten Aufbruch der Kopenhagener zu entschuldigen. Anita ergriff die Chance. Jetzt war die Möglichkeit, ihre Skepsis gegenüber den beiden Neuen zu äußeren.

»Ich finde auch, die gehören wirklich nicht hierher. Sie passen einfach nicht rein«, erklärte sie gedämpft. »Wir sind bei den Nachbarn nicht beliebt und unsere Adresse ist polizeibekannt. Das ist nicht gerade günstig, wenn solche Sachen wie letzte Nacht passieren.«

Sie schaute in die Runde, bekam aber keinen Augenkontakt.

Andreas zupfte nachdenklich an dem spärlichen Flaum, der sein Kinn bedeckte. Endlich sah er sie an. »Die sind schon okay, Anita. Sie sind doch noch so jung. Ich bin mir sicher, das kommt schon noch, wenn sie in unseren Rhythmus finden.«

»In unseren Rhythmus finden. Das werden die echt nie!« Sie rief ein bisschen zu laut und schaute nervös zu der geschlossenen Tür.

»Ich gebe Anita ein wenig Recht«, kam es zögernd von Linda. »Wisst ihr, dass Brian nachts draußen unterwegs ist? Was er wohl macht?«

Andreas schaute sie sowohl besorgt als auch vorwurfsvoll an. »Bist du dir sicher? Woher weißt du das?«

»Weil ich in den letzten Nächten auf gewesen bin und gelesen habe. Mein Gehirn arbeitet nachts am besten. Vielleicht stammt das ja auch aus der Urzeit«, entgegnete sie sarkastisch.

»Ich hab gar nicht gehört, dass du aufgestanden bist. Hast du Brian in der Nacht herumlaufen sehen? Warum hast du vorher nichts gesagt?«

»Mehrere Nächte ist er nach Mitternacht gegangen und erst Stunden später zurückgekommen.«

»Hat er dich dann nicht auch gesehen?«, fragte Anita verwundert.

Linda schüttelte den Kopf. »Ich habe im Wintergarten gesessen und hatte nur eine kleine Lampe an, aber die konnte er von draußen nicht sehen.«

»Hat er das Auto genommen?«, flüsterte Bjørn.

»Nein, er geht zu Fuß in seinen großen Moonboots. Raus zur Straße. Auch letzte Nacht.«

Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3

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