Читать книгу Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 7

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Der Mann vor der Tür sah nicht so aus, als gehörte er in diese kalte Klimazone. Er wirkte in dem weißen Schnee wie fehl am Platz, aber Gunda Hansen konnte leicht erkennen, dass es nicht einfach an einer Überdosis Solarium lag. Die südeuropäischen Züge waren deutlich. Er war nicht besonders groß, seine Haare waren fast schwarz, genauso wie die Augen, die Stimme war tief und Ehrfurcht gebietend, aber angenehm und akzentfrei.

»Gunda Hansen?«

»Ja.«

Er zeigte seinen Ausweis. Um ihn entziffern zu können, musste sie ein wenig näher herangehen. Sie hatte ihre Brille nicht mitgenommen, als es an der Tür geklingelt hatte. Die eine Socke wurde nass, als sie auf die Treppe trat.

»Kriminalkommissar Roland Benito. Darf ich einen Augenblick rein in die Wärme kommen?«, fragte er mit einem freundlichen, aber müden Lächeln und einem schnellen Blick auf ihre nasse Socke.

»Wir haben nichts von dem gesehen oder gehört, was letzte Nacht passiert ist, daher ...« Sie wollte die Tür wieder schließen, aber der Kriminalkommissar schaffte es, die Hand dazwischen zu stecken und der Blick, den er ihr zuwarf, war nicht misszuverstehen.

»Wir müssen mit allen Nachbarn sprechen; auch wenn sie nichts gesehen oder gehört haben. Ich fange nun bei Ihnen an, weil Sie der Straße am nächsten wohnen.«

Gunda öffnete die Tür und warf einen schnellen Blick nach draußen, bevor sie wieder zumachte. Aber wie gewöhnlich war niemand zu sehen. Sie zog die Socken aus und steckte ihre kalten Füße in ein Paar Lammfell-Hausschuhe.

»Ist Ihr Mann im Stall?«, erkundigte sich der Kriminalkommissar und zog Mantel, Handschuhe und Schal aus, als rechnete er damit, länger zu bleiben. Gunda setzte sich an den Küchentisch, auf dem noch die benutzten Tassen und Teller vom Frühstück standen. Der Käse roch streng, und zusammen mit dem Geruch nach Kühen, der aus der Waschküche kam, war das sicher nicht die Atmosphäre, die der Kommissar gewohnt war. Sie hatte keine Ahnung, wie es in einem Polizeirevier roch, aber Roland Benito schien das nicht zu stören. Dennoch legte er den Mantel über den Stuhl, statt ihn draußen in der Waschküche aufzuhängen. Er setzte sich ihr gegenüber und nahm dankend einen Kaffee an. Sie holte eine saubere Tasse aus dem Schrank und schenkte ihm ein.

»Er kommt sicher bald rein, um seinen Vormittagskaffee zu trinken. Wie gesagt, wir haben heute Nacht nichts gehört.« Bevor sie fertig eingeschenkt hatte, knallte die Tür in der Waschküche und die Kälte drang in die Küche ein. Sie schauderte. Ob es bei Signe und Albert wohl auch kalt geworden war, als die Mörder letzte Nacht einbrachen? Wenn man schläft, merkt man das wohl nicht gleich. Sie füllte auch Thorkilds benutzte Tasse und stand auf, um mehr Weißbrot zu schneiden. Er war eine Weile in der Waschküche. Der Wasserhahn lief lange. Bestimmt hatte er das Auto im Hof nicht gehört oder gesehen und wusste nicht, dass sie hohen Besuch hatten. Als er den fremden, dunklen Mann in seiner Küche entdeckte, war er auch tatsächlich überrascht. Der Kriminalkommissar erhob sich höflich, reichte ihm die Hand und stellte sich vor. Thorkild erwiderte den Händedruck, und seine Grimasse sagte ihr, dass er es auch nicht mochte, die Polizei im Haus zu haben. Die Nachbarn würden reden, und es sollte ja nicht so werden wie auf dem Hof oben am Ende der Straße, wo die jungen Menschen in einer Kommune wohnten. Ein paar von ihnen kamen aus Kopenhagen, hatte sie gehört. Oft war ein Streifenwagen vorbeigekommen. Vielleicht waren sie es gewesen? Könnte einer von ihnen Albert getötet haben?

Thorkild setzte sich, schmierte eine dicke Schicht Butter auf eine Scheibe Weißbrot und legte danach eine noch dickere Scheibe Käse darauf. Der Gast hatte mit der Entschuldigung, er habe gerade gegessen, dankend abgelehnt.

»Sie haben also gestern Abend und Nacht nichts Ungewöhnliches gesehen oder gehört, wenn ich das richtig verstehe?« Der Kriminalkommissar schaute Thorkild an und trank einen Schluck Kaffee. Er schien auch etwas Belebendes zu brauchen. Bestimmt war er es, der heute Nacht ausgerückt war. Ella hatte irgendetwas von einem Kriminalkommissar erzählt, der sie brutal verhört hatte.

»Ich glaube, Sie sollten mit denen oben in der Kommune reden, glaubst du nicht auch, Thorkild?«

»Mit der Kommune! Warum das denn?«

»Diese jungen Menschen halten sich doch nicht immer ans Gesetz. Die Polizei war schon mehrfach da oben.«

Roland Benito wirkte nicht überrascht. »Ja, wir wissen ein bisschen was über die, und natürlich werden wir auch mit ihnen sprechen, aber gerade eilt es damit, ein Fahrzeug ausfindig zu machen. Sie haben keine parkenden Autos bemerkt?«

»Aber falls es die da oben waren, dann sind die einfach zu Fuß gekommen und dann gibt’s auch kein Auto.« Sie war völlig überzeugt davon, Recht zu haben. Einige in diesem Haufen hatten Dreck am Stecken, obwohl ein paar von den Mädchen sehr nett wirkten. Eines von ihnen erinnerte sie sogar an sich selbst als junge Frau. Flowerpower. Make love, not war.

»Es kann ein Auto sein, das hier längere Zeit gestanden hat.«

Irgendwie lag ein verärgertes Denkt-jetzt-richtig-gut-nach in seinen Worten, und plötzlich schaute sie Thorkild an.

»Wir haben nichts gesehen«, wiederholte er und durchbohrte sie mit seinem Blick.

»Aber du hast doch gestern Abend dieses merkwürdige Auto auf der Straße stehen sehen? Erinnerst du dich nicht daran?« Sie beeilte sich, in die freundlichen braunen Augen des Kommissars zu schauen. Sie wusste genau, dass sich Thorkild am liebsten nicht in irgendetwas einmischen wollte, das mit der Polizei zu tun hatte, aber nun ging es ja um den Tod eines Nachbarn. Albert, klar, aber trotzdem. Es hätte auch sie treffen können, sie wohnten ja am dichtesten an der Straße und wären das nächstliegende Ziel gewesen, und zu Signe hatte sie immer ein gutes Verhältnis gehabt. Sie hatten sogar mehr gemeinsam, als sie es mit den anderen Nachbarinnen hatte. Aber das war nichts, worüber sie sprachen.

»Inwiefern war es merkwürdig? Was war das für ein Auto?«

»Das war schwer zu sehen«, antwortete Thorkild zurückhaltend.

»Es war weiß, sagtest du«, half sie ihm auf die Sprünge.

Thorkild schaute wieder böse zu ihr, danach zum Kommissar.

»Ja, es war weiß. Ein älteres Modell. Könnte ein Opel Kadett Caravan gewesen sein, bin mir aber nicht sicher. Es war dunkel. Und falls Sie jetzt nach dem Kennzeichen fragen, das hab ich nicht gesehen.« Er biss in sein Käsebrot.

»Aber das Merkwürdige daran war, dass es so lange dort gestanden hat. Da oben zwischen den Bäumen parken die Leute normalerweise nicht«, steuerte sie erneut bei.

»Wie lange hat es dort geparkt?«

Thorkild kaute. »Keine Ahnung. Ich hab’s am Nachmittag entdeckt, als ich zum Stall rüber bin. Als ich mit dem Melken fertig war, stand es immer noch da.«

»Und um wie viel Uhr war das?«

Thorkild schaute ratlos zu Gunda. »Wie spät war es, als ich reingekommen bin? Du hast doch gerade den Abendkaffee gemacht.«

»Es war gegen neun, halb zehn, als ich Kaffee gemacht habe. Ich hab währenddessen im Radio die Spätnachrichten gehört.«

»Aber es stand also immer noch da?«

Thorkild nickte und atmete tief durch; er schien sich plötzlich zu ergeben. »Um Mitternacht rum musste ich mal austreten. Da hab ich aus dem Badezimmerfenster geschaut. Das unterm Dach. Von da oben hat man eine gute Aussicht auf die Straße, und das Auto stand immer noch da. Im Dunkeln war es schwer zu sehen, aber in der Nähe ist eine Straßenlaterne, daher konnte ich den Umriss deutlich erkennen, weil ich wusste, wo es geparkt war.«

»Und Sie haben nicht daran gedacht, uns das zu erzählen, nach dem, was nun geschehen ist?«

»Wir dachten doch, das wäre nur einer, der sich in den Schneewehen festgefahren und das Auto stehen gelassen hatte«, murmelte Thorkild.

Der Kriminalkommissar stand auf und zog seinen Mantel an. »Ich hätte gerne, dass Sie mitkommen und mir zeigen, wo genau dieses Auto geparkt hat«, sagte er bestimmt, während er den Schal um den Hals schlang. Widerstrebend ging Thorkild in die Waschküche und zog seinen Mantel an.

»Glauben Sie, das ist eine dieser osteuropäischen Banden, die hier überall Einbrüche verübt haben?«, fragte sie und hörte die Furcht in ihrer Stimme.

»Im Moment glauben wir noch gar nichts. Alle Möglichkeiten sind offen.«

»Sprechen Sie denn nicht mit denen in der Kommune – und den anderen Nachbarn?« Sie fing an den Tisch abzuräumen, um ihn für das Mittagessen vorzubereiten.

»Doch, wir klappern die ganze Reihe ab«, versprach der Kriminalkommissar und reichte ihr zum Abschied die Hand. Er sah aus, als hätte es ihn ein wenig erfrischt, aufs Land zu kommen.

Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3

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