Читать книгу Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 9

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Eine Schneelandschaft ist in der Regel geruchlos. Man kann nur den Frost in den Nasenlöchern spüren. Aber als er die Autotür öffnete, schlug ihm der unverkennbar stechende Geruch von Schweinen entgegen. Ein großes Holzschild über der Einfahrt verkündete, dass er sich auf einem echt ökologischen Hof befand. Aus der Erde – frisch auf den Tisch stand da in schnörkeliger Pinselschrift. Der weiß getünchte Hof sah in der weißen Umgebung leblos aus. Er erinnerte ihn an eine Leiche auf einem weißen Laken. Das einzige Lebenszeichen waren ein paar Schweine, die in der gefrorenen Erde wühlten, die sie hinter einer Scheune ausgebuddelt hatten. Auf dem Dach des Stallgebäudes war etwas Schnee geschmolzen. Darunter verbarg sich ein altes, graues und moosbedecktes Eternitdach. Wären nicht zwei Tore im Stallgiebel schwedenrot gestrichen gewesen, hätte der Hof fast wie getarnt ausgesehen. Er versuchte, die Straße zu erspähen, aber von hier aus würde man das geparkte Auto nicht sehen können. Man konnte gerade so Gunda und Thorkild Hansens Giebel und etwas von ihrer Hofeinfahrt erahnen, aber trotzdem gab es einen ganz ordentlichen Abstand sowohl zu den Nachbarn als auch zu der Straße.

Da oben zwischen den Bäumen hatte es nichts zu sehen gegeben. Frischer Schnee hatte alles zugedeckt, aber er hatte ein paar Kriminaltechniker angefordert, die vielleicht etwas ausfindig machen konnten – ein Haar, Kaugummi – einfach irgendetwas, obwohl Frost und Schnee sicher die DNA zerstört hatten. Hatte das Auto dort lange gestanden, konnte man vielleicht auch einen Reifenabdruck im Eis sicherstellen. Wenn sie Glück hatten.

»Aus der Erde – frisch auf den Tisch«, murmelte er und schaute wieder auf das Schild. Auf Anhieb klang das nicht weiter verlockend. Glücklicherweise hatte es Irene anscheinend aufgegeben, mit diversen Diäten und einem neuen Lebensstil zu experimentieren. Der ökologischen Welle hatte sie sich nicht angeschlossen – bisher. Die Blutgruppen-Diät war im Herbst ihr Fimmel gewesen, der aber vor Weihnachten jäh aufgehört hatte. Plötzlich war es wieder erlaubt gewesen, alles zu essen. Vielleicht hatte Salvatores Besuch dieses Experiment gestoppt. Italienische Jungs waren solide Nahrung wie Pasta mit Fleischsoße und Pizza mit reichlich Käse und Belag gewohnt, und Irene wollte dem Jungen nicht zumuten, sich bei der Familie in Dänemark nicht heimisch zu fühlen.

Ein aggressives Bellen, das bei dem schneebedeckten Dach eine Lawine auslösen konnte, ließ ihn zusammenzucken. Er drehte langsam den Kopf und war einem schwarz gescheckten Kampfhund gefährlich nahe, der plötzlich an der Stalltür aufgetaucht war. Zum Glück konnte das Tier ihn wegen einer soliden Stahlkette nicht erreichen, die ihn jäh stoppte und wie ein durchgehendes Pferd hochsteigen ließ. Er erkannte die Rasse als Amerikanische Bulldogge und erinnerte sich an Fälle, in denen Menschen von genau diesem Typ Hund angefallen und schrecklich zugerichtet worden waren. Er konnte sie nicht leiden, obwohl sich oft herausstellte, dass es die Hundebesitzer waren, die nicht in der Lage waren, einen Kampfhund zu erziehen; aber immer war es der Hund, der es büßen musste und getötet wurde. Es war deutlich, dass dieser hier auch nichts von ihm hielt. Mit blutunterlaufenen braunen Augen fixierte er ihn. Die abgespreizten Beine und der große Abstand zwischen allen vieren ließen ihn wie eine antike weiße Kommode aussehen, die an unpassenden Stellen mit schwarzer Farbe bekleckert war. Die eine Seite des Kopfes war schwarz, die andere weiß, und mit der flachen Schnauze und dem hängenden Kiefer sah er eher komisch als gefährlich aus. Aber die entblößten Zähne und das abgrundtiefe Knurren, das ihn nicht willkommen hieß, waren nicht misszuverstehen.

Am Küchenfenster wurde eine Gardine angehoben. Das Wohnhaus war also nicht so tot, wie es aussah. Wenn sie sein Auto wegen der schallschluckenden Schneeschicht nicht auf den Hof hatten rutschen hören, hatte bestimmt der Hund seine Ankunft offenbart.

Als er an der Tür klingelte, dauerte es lange, bis geöffnet wurde und er sich dem Mann vorstellen konnte, der über den Besuch der Polizei nicht besonders erstaunt aussah. Er musste ungefähr ein halbes Jahrhundert alt sein, vielleicht waren sie gleich alt. Roland war Anfang Januar gerade sechsundfünfzig geworden. An dem Tag herrschte Schneesturm, und keiner der geladenen Gäste war durchgekommen.

Vagn Mortensen stellte sich reserviert vor und bat ihn mit einem gewissen Vorbehalt in der Körperhaltung herein. Den Hund ermahnte er mit Bestimmtheit zur Ruhe und der schlich kleinlaut wieder in den Stall. Roland ging hinter Vagn hinein und konnte nicht aufhören, seinen Stiernacken anzustarren. Der Mann war kräftig gebaut, man konnte seinem Körper ansehen, dass er harte Arbeit gewohnt war, die er sicher von Hand statt mit Maschinen erledigte. Seine Haare sahen wie ein Stoppelfeld aus, sowohl was die Länge, als auch die Farbe anging. Dagegen war der Bart eine ungezähmte, verblühte Wiese. Die Frau saß auf dem Sofa und war so mit den grauen Möbeln verschmolzen wie das Wohnhaus mit dem Schnee. Ihre Stimme war fast unhörbar, als sie ihren Namen sagte, und der Händedruck war schlaff, aber man konnte sehen, dass sie dem Mann bei der Arbeit half; sie war muskulöser, als man es von ihrem Typ erwartet hätte. Vagn setzte sich neben seine Frau. Roland nahm in einem Sessel ihnen gegenüber Platz.

»Ich nehme an, Sie haben gehört, was vergangene Nacht bei Ihren Nachbarn geschehen ist, und ich will nur wissen, ob Sie in den letzten Tagen etwas Verdächtiges beobachtet haben. Ein geparktes Auto zum Beispiel?«

»Nein, nichts. Alles war wie immer«, erwiderte Vagn.

»Wie geht es Signe?«, erkundigte sich Olga Mortensen mit monotoner Stimme.

»Wir konnten noch nicht mit ihr reden, aber im Krankenhaus sagen sie, dass es ihr den Umständen entsprechend gut geht«, antwortete Roland und begegnete ihrem unsteten Blick. Es kam ihm so vor, als würde sie etwas verbergen und deshalb nicht wagen, ihm in die Augen zu schauen.

»Albert war nicht sonderlich beliebt. Er war ein Tyrann. Das wird auch Signe bestätigen können. Jeder könnte ihn totgeschlagen haben«, kam es brüsk von Vagn, und er rettete dadurch seine Frau vor Rolands Versuch, Augenkontakt aufzunehmen. Erschrocken schaute sie ihren Mann an.

»Das glaube ich nicht, Signe hat doch zu Ella gesagt, dass die russisch gesprochen haben.« Olga starrte Vagn weiter mit Misstrauen im Blick an, dann wandte sie sich wieder Roland zu. »Könnt ihr so eine Bande schnell finden? Stellt ihr hier draußen Wachen auf?«

»Leider haben wir dafür nicht die Kapazitäten. Aber wir tun natürlich, was wir können, um die Schuldigen schnellstmöglich zu fassen«, versprach er und wunderte sich insgeheim über ihre Angst, mit dem Killerhund auf dem Hof und dem Muskelprotz an ihrer Seite. Aber in der Regel scheuten diese Hardcore-Banden vor nichts zurück. Der Anblick von Albert Hovgaards übel zugerichtetem Körper hatte sich in seine Netzhaut eingebrannt, und nun waren die Mörder obendrein auch noch bewaffnet. Ihre Furcht war vielleicht mehr als begründet.

»Also, falls Sie uns mit Informationen helfen können – egal welcher Art –, würden wir das sehr begrüßen. Haben Sie zum Beispiel einen weißen Opel Kadett Caravan oder ein ähnliches Modell hier auf der Straße gesehen?« Er sah Vagn direkt an, da er vermutete, dass er sich am besten mit Automarken auskannte.

»Nein, wir haben nichts gesehen.« Vagn sah zu Olga, die ihn mit einem Kopfschütteln unterstützte.

Roland trommelte mit den Fingern auf den Oberschenkeln. Er fürchtete, dass sie die Wahrheit sagten. Was könnten sie gesehen haben, wenn man von ihnen aus weder die Straße noch Signe und Albert Hovgaards Haus sehen konnte?

»Können Sie sich erinnern, wann Sie gestern Abend schlafen gegangen sind?«

»Wir sind immer zeitig auf, daher gehen wir normalerweise schlafen, wenn ich das letzte Mal im Stall gewesen bin. Ich weiß nicht, wann das gestern Abend war.«

Roland fand es zwecklos, sie zu diesem Thema weiter auszuquetschen. »Sie betreiben ökologische Landwirtschaft, wie ich sehe. Ist das in diesen Zeiten nicht riskant?«

»Was ist heutzutage nicht riskant? Wir haben genau die richtigen Bedingungen, unsere Tiere so aufzuziehen, dass das Fleisch frei von Hormon- und Pestizidrückständen ist. Wie in den guten, alten Zeiten, könnte man sagen.«

Es klang wie eine Tirade, die er gewohnt war herunterzuleiern, gegenüber Metzgereien oder Kunden im Hofladen, den Roland in einem der Stallgebäude bemerkt hatte, bevor der Hund seine Aufmerksamkeit erfordert hatte. Er schaute aus dem Wohnzimmerfenster und reckte den Hals.

»Ist da draußen Wald?«

»Ja, unser eigener privater.«

»Gehen die Schweine auch dorthin?«

»Im Frühjahr und Sommer. Jetzt ist gerade alles zugefroren.«

Roland nickte und stand auf. »Naja, aber dann will ich Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Aber wenn Ihnen noch etwas einfällt, dann ...« Er legte seine Visitenkarte auf den Tisch.

Vagn und Olga standen ebenfalls auf. Sie brachte ihn zur Tür. Er schaffte es gerade noch, sich zu verabschieden, bevor sie die Tür hinter ihm zuknallten.

Er hielt am Wald, wo er aus dem Auto stieg und in eine Schneewehe trat, sodass seine Schuhe und Hosenbeine nass wurden. Hier war das Räumfahrzeug nicht gewesen, aber einige Spuren, die nur mit einem Hauch von Schnee bedeckt waren, führten in den Wald bei der Schranke. Sie mussten frisch sein. Er folgte ihnen ein Stück, stoppte aber abrupt bei einem Schild mit großen roten Buchstaben: PRIVATGRUNDSTÜCK! UNBEFUGTEN IST DAS BETRETEN VERBOTEN!

Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3

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