Читать книгу Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 11

Kapitel 7

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Die Askholt Privatschule lag in naturschöner Umgebung in einer Seitenstraße des Fløjstrupvejs etwas außerhalb von Malling. Große, schwarze Vögel saßen hungrig in den Wipfeln der hohen Bäume rings um die Schule und plusterten sich in der Kälte auf. Krähen oder Raben, Roland erkannte nie den Unterschied, aber es erzeugte irgendwie eine unheimliche Stimmung. Ansonsten war es ein hübscher, weißer Hof mit vielen ursprünglichen Details aus der Architektur vergangener Zeiten, die bei der Renovierung bewahrt worden waren.

Die Flagge hing auf Halbmast inmitten eines vereisten Hofes, wo Bänke, Basketballkörbe und Klettergerüste andeuteten, dass der Hof in den Pausen als Schulhof fungierte. Es war sehr still. Roland schaute auf die Uhr. Vielleicht war die Schule für heute vorbei. Eine Frau in einem kamelfarbenen Mantel und mit einem karierten Schal, der mehrfach um den Hals geschlungen war, kam auf die Treppe und warf die Haupttür zu. Eine riesige, cognacfarbene Handtasche lastete auf der einen Schulter. Sie drückte die Türklinke ein paarmal herunter, um sich zu vergewissern, dass abgeschlossen war, und sah sie auf dem Weg die Steintreppe hinunter prüfend an, von der Sonne geblendet, die, vom kreideweißen Schnee reflektiert, in den Augen stach.

Roland stellte erst Hafid und dann sich selbst vor.

„Ester Askholt, Leiterin dieser Schule.“ Sie reichte ihnen eine lange schmale Hand zum Gruß. „Ich kann mir denken, dass Ihr Besuch Iris betrifft“, sagte sie in einem Ton, der keine Antwort erforderte. „Leider habe ich es ein bisschen eilig, aber kommen Sie mit, wir setzen uns in die Aula.“

Sie ging durch eine Schneewehe und schloss eine Glastür zu einer großen Halle auf mit einem schwarzen Flügel in der einen Ecke und sonst nur eine Stuhlreihe nach der anderen mit lavendelfarbener Polsterung an den Rückenlehnen und auf den Sitzen. Es roch nach Bohnerwachs.

„Nehmen Sie Platz. Ich kann Ihnen hier leider nichts anbieten. Hätten Sie mich über Ihr Kommen informiert, dann …“

Sie hielt inne, als ob ihr aufging, dass es sicher keine logische Art war, Besuch von der Polizei zu bekommen.

Hafid und Roland setzten sich auf Stühle in der ersten Reihe. Ester wickelte den langen Schal vom Hals und setzte sich auf den Klavierhocker am Flügel, ihnen gegenüber.

„Hier ist es leer, weil die Schüler für heute heimgeschickt wurden. Es war ein großer Schock für sie, dass Iris auf diese Weise tot gefunden wurde. Und viele von ihnen kannten auch Martha und ihren lieben Hund Smiley. Sie hatte ihn oft mit hier. Das Ganze ist so schrecklich. Gibt es etwas Neues in der Ermittlung?“

„Die hat gerade erst angefangen. Wir hätten sehr gerne mit Iris’ Lehrern und Schulkameraden gesprochen. Am besten natürlich ihren Klassenkameraden.“

„Selbstverständlich, aber wie gesagt sind sie für heute nach Hause gegangen.“

Roland wunderte sich über das verhältnismäßig junge Alter der Schulleiterin. Oder lag das nur an seinen Vorurteilen über Schulleiter? Das kupferfarbene Haar war streng zurückfrisiert und in einem runden, festen Knoten im Nacken zusammengebunden, aber es stand ihr. Sie hatte das Gesicht dafür. Hohe Wangenknochen, volle Lippen; hohe Augenbrauen verliehen einem Paar graublauer Augen einen offenen und neugierigen Ausdruck. Man hatte den Eindruck, dass die Haare das ganze Gesicht strafften. Sie war wohl nicht einen Tag älter als dreißig, schätzte er.

Es schien, als ob sie seinen prüfenden Blick bemerkte, und ein kleines Lächeln, das schnell wieder verschwand, entstand spontan auf ihrem Gesicht.

„Mein Urgroßvater, Sigfred Askholt, ist der Namensgeber für diese Schule. Am Anfang war es nur eine Grundschule, aber mein Vater erweiterte die Schule, als er sie übernahm, und wandelte Askholt um zu einer Grundschule und Gymnasium. Das Gebäude hier war ursprünglich ein altes Bauerngut aus dem 19. Jahrhundert und wurde Anfang der Achtziger modernisiert. Mein Vater starb vor vier Jahren, und dann habe ich den Schulleitungsposten übernommen. Die Schule wurde 1929 gegründet und ist seitdem in Familienbesitz gewesen. Aber jetzt ist damit wohl Schluss. Ich habe keine Kinder und meine Geschwister wollen nichts mit der Schule zu tun haben.“

Einen Augenblick lang sah sie traurig aus, dann atmete sie tief ein und schwer wieder aus.

„Das ist das erste Mal, dass wir hier an der Askholt einen Mord erlebt haben. Unfälle natürlich im Laufe der Jahre, aber nie Mord, und dann ausgerechnet Iris!“ Sie blinzelte das Wasser in den Augen weg. „Sie verdächtigen doch wohl niemanden aus der Schule?“, fragte sie plötzlich mit einem wachsamen Gesichtsausdruck.

„Momentan verdächtigen wir alle. Wie wir hörten, hat Martha Bæk ebenfalls eine Verbindung zu der Schule.“

„Ja, das stimmt. Sie war hier viele Jahre als Lehrerin angestellt. Sehr beliebt bei den Schülern. Als sie in Rente ging, dauerte es nicht lange, bis sie anfing, die Schule und die Kinder zu vermissen, und ich bot ihr an, auf freiwilliger Basis hier zu arbeiten. Das hat sie seitdem getan, und als ihr Mann vor einiger Zeit krank wurde, war es ein großer Trost für sie, dass sie uns hatte. Ihre Kinder und Enkel wohnen auf Seeland, daher schauten sie nicht oft vorbei. Sie mochte besonders Iris, deshalb ist es tragisch, dass ausgerechnet Martha sie gefunden hat.“

„Sie war nicht diejenige, die …“, fing Hafid an, aber Roland bedeutete ihm diskret zu schweigen. Je weniger Details herauskamen, desto besser.

„Was können Sie uns über Iris erzählen?“, fragte er.

Ester zuckte die Schultern. „Nicht sehr viel. Iris war eine fleißige Schülerin. Vielleicht ein bisschen dominant, aber aufmerksam und arbeitswillig. Sie will … wollte Medizin studieren, vielleicht Augenärztin werden, wie ihr Vater, daher wusste sie genau, dass man dafür gute Noten braucht.

„Dominant?“, wiederholte Hafid. „Inwiefern?“

Ester schüttelte leicht den Kopf, als ob sie etwas Falsches gesagt hatte und es nun bereute.

„Vielleicht ist dominant auch das falsche Wort. Iris war ein hübsches Mädchen. Ihre Augen waren sehr speziell, wie Sie sicher anhand der Fotos von ihr bemerkt haben. Alle Mädchen schauten zu ihr auf, und das nutzte Iris zu ihrem Vorteil. Aber da habe ich – oder die Lehrer generell – mich nicht eingemischt. Iris war ein gutes Vorbild, und dass alle Mädchen wie sie sein wollten, erhöhte ihr Niveau. Es gibt ja sehr viel Konkurrenz in ihrem Alter, und wenn sie darauf hinausläuft, wer am fleißigsten ist, kann ja eigentlich keine Schule etwas dagegen haben.“ Das vorsichtige Lächeln zeigte sich wieder.

„Und was ist mit den Jungs? Denn es gibt ja wohl auch Jungs an der Schule, oder?“, fragte Roland, der Wettbewerb in keinster Weise mochte. Nicht mal Kartenspiele machte er mit.

„Doch, sicher. Es ist keine Mädchenschule. Die Jungs haben natürlich auf eine andere Art zu Iris aufgeschaut. Zwischen ihnen herrschte ein anderer Konkurrenzkampf. Sie wollten ja nicht wie sie sein, sie wollten sie eher – ja, haben. Besonders die älteren der Jungen waren große Verehrer, aber auch das nutzte Iris aus.“

Roland bemerkte, dass Hafid ihm einen vielsagenden Blick zuwarf und die Augen mit einem dezenten Kopfnicken nach oben wandte, als ob er versuchte, damit unbemerkt auf etwas zu zeigen. Roland schaute diskret in die Richtung und entdeckte eine Schwarz-weiß gestreifte Kähler-Vase auf dem Flügel. Sie war mit einem großen Bukett Iris-Blumen gefüllt.

„Hatte Iris einen Freund?“, fragte Roland unbeirrt weiter.

„Nicht, dass ich wüsste. Sie flirtete unschuldig mit allen Jungs, aber das war wohl nichts Festes.“ Ester zerknüllte das Taschentuch in ihrem Schoß.

„Wer ist …“ Roland schreckte auf, als er aus dem großen Panoramafenster, das zum Schulhof hin lag, plötzlich einen Mann mit einer Schneeschippe wahrnahem. Er trug eine Mütze mit Ohrenklappen und einen blauen Mantel mit Pelzkragen. Ein Schal bedeckte den Großteil der unteren Gesichtshälfte. Er schielte zu ihnen hinein, drehte dem Fenster den Rücken zu und fuhr mit Schneeschippen fort.

„Kümmern Sie sich nicht um ihn. Das ist Konrad. Unser Hausmeister. Kröte, wie die Schüler ihn getauft haben. Kinder können so gemein sein. Er hat einen seltenen angeborenen Gendefekt, der Knoten im Bindegewebe verursacht. Neurofibromatose heißt er. Er ist ein alter Freund meines Vaters. Vater hat ihn vor Urzeiten angestellt und er leistet großartige Arbeit. Mit seinem Kopf ist alles in Ordnung. Was wollten Sie fragen?“

„Wer war Iris’ beste Freundin hier an der Schule?“

„Das war bestimmt Mira. Mira Evaldsen. Sie machten viel zusammen und wirkten vertraut. Mira ging es furchtbar, nachdem Iris verschwunden war. Sie sind ja an diesem Abend gemeinsam von Aarhus nach Hause gefahren. Mira macht sich natürlich Vorwürfe, dass sie Iris nicht daran gehindert hat, aus dem Taxi zu steigen und allein nach Hause zu laufen. Es wäre ja nicht passiert, wenn sie … armes Mädchen.“

„Wir würden sehr gerne mit ihr sprechen. Haben Sie ihre Adresse?“

Ester zögerte und kratzte sich am Hals. Sofort entstand ein roter Fleck auf der blassen Haut.

„Ich weiß nicht, ob ich einfach so Adressen von Schülern herausgeben möchte. Sie sind morgen alle wieder hier, könnten Sie dann nicht noch einmal kommen?“

„Es geht um einen Mord“, erinnerte Roland.

Ester nickte und kramte in ihrer Tasche, aus der sie ein Adressbuch mit braunem Ledereinband zutage förderte. Als sie es öffnete und darin blätterte, konnte Roland eine Menge Namen in alphabetischer Reihenfolge und – soweit er es erkennen konnte – nach Geschlecht getrennt sehen. Er schätzte, dass es alle Schüler waren und nahm zur Kenntnis, dass einige der Namen markiert waren, aber er schaffte es nicht zu sehen, was die Zeichen bedeuten konnten, bevor Ester Miras Adresse und Telefonnummer nannte und das Buch zuklappte. Hafid notierte beides und alle drei standen auf.

„Wo kaufen Sie diese hübschen, blauen Iris?“, fragte Roland beiläufig, als sie zur Glastür gingen, die hinaus in einen neuen, heftigen Schneefall führte.

„Was meinen Sie? Normalerweise kümmert sich unser Hausmeister um den Garten und die Blumen, und … ach, die …“, unterbrach Ester sich selbst verdattert, als sie registrierte, dass Roland auf die Vase schaute.

„Tatsächlich wusste ich nicht, dass sie Iris heißen, ich interessiere mich nicht besonders für Gärten, aber Iris also … Wie erschreckend eigentlich … Ich habe sie gestern Abend nach dem Gedenkgottesdienst bekommen. Jemand hatte sie neben das Foto von Iris gelegt, ihre Eltern wollten sie nicht haben, und dann … ja, dann hat August sie mir gegeben.“

„Kennen Sie August Bøgh Lykkegaard gut?“, fragte Hafid.

Sie zogen alle drei die Mantelkrägen fest um die Ohren, als sie raus in den Schnee und Wind traten.

„Ich arbeite viel daran, ein gutes Verhältnis zu allen Eltern der Schüler zu haben. Askholt ist ja eine Privatschule und wir erhalten finanzielle Mittel von den Eltern und diversen Sponsoren. August bezahlt eine Menge Geld dafür, dass Iris hier eine gute Ausbildung erhält. Ihr Bruder, Jakob, der auch hier zur Schule gegangen ist, trägt ebenfalls dazu bei, nachdem seine Firma eine große Bestellung vom Militär bekommen hat, und …“ Einen Augenblick lang stand Ester wie versteinert, als ob ihr erst jetzt klar wurde, dass diese Mittel vielleicht nicht mehr zur Verfügung standen, nun, da Iris nicht länger hier war, oder vielleicht ertappte sie sich dabei, zu viel zu sagen. Roland entschied, sie für dieses Mal davonkommen zu lassen.

„Aber was glauben Sie, wo man hier in Malling Iris kauft?“, wollte er wissen und wischte losen Schnee vom Seitenfenster des Autos.

Ester sah aus, als ob sie über die Frage stutzte.

„Das müssen Sie vielleicht den Hausmeister fragen.“

Sie drehte sich zu dem Mann mit den Ohrenklappen, der immer noch mit der hoffnungslosen Arbeit beschäftigt war, mitten in einem kleineren Schneesturm Schnee zu schippen.

„Konrad, komm doch mal gerade her!“, rief sie.

Der Hausmeister stellte die Schippe ab und ging zum Auto.

„Die beiden Herren sind von der Polizei, Konrad. Sie möchten gerne wissen, wo du die Blumen kaufst“, erklärte sie.

Nun konnte Roland deutlich sein Gesicht sehen. Die Augen tränten und die Haut war voller kleiner, fester Geschwülste, die die Haut wie die einer Kröte aussehen ließen. Kinder konnten so gemein sein, wie Ester gesagt hatte.

„Beim Blumenhändler“, antwortete er mit Logik und sah beinahe aus, als erwartete er eine Belohnung. Die Augen hatten einen seltsamen Ausdruck. Umgeben von den vielen Wucherungen, die auch die Lider bedeckten, hatten die Augen einen seltsamen Ausdruck und wirkten dadurch wie eine Maske.

„Natürlich. Wissen Sie, ob er um diese Jahreszeit blaue Iris-Blumen im Sortiment hat?“, fragte Roland geduldig mit einem leichten Lächeln.

„Das ist nicht sicher. In der Regel gibt es im Winter nicht die große Auswahl, aber der Gärtner hat sie im Gewächshaus.“

Konrad steckte die bloßen, noppigen Hände in die Manteltaschen und trat auf der Stelle, um die Wärme zu halten. Wie konnte er ohne Handschuhe Schnee schippen?

„Der Gärtner?“ Roland sah Ester fragend an.

„Hier in der Gegend gibt es einige Gärtnereien“, erklärte sie. „Ich meine, dass die unten am Wald blaue Blumen in den Gewächshäusern hat, aber ob das Iris sind, weiß ich nicht.“

Konrad zog die Hand aus der Tasche und putzte die laufende Nase. „Das ist dicht am Wald. Waldschatten. Laurits Kjeldsen, der hat blaue Iris“, nickte er.

Roland dankte beiden für die Hilfe und ließ die Scheibenwischer den losen Schnee von der Windschutzscheibe fegen, während er der Schulleiterin nachblickte, die um das Gebäude herumging, wo, wie er vermutete, ihr Auto geparkt war. Der Hausmeister blieb im Schnee stehen und sah dem Auto nach, als Roland auf dem Schulhof einen U-Turn machte und auf die Straße fuhr.

3. September

Hey

Vielen Dank, dass du endlich auf meine Briefe geantwortet hast. Cool! Das macht mich echt mega-megaglücklich. Ich weiß nicht, warum mich das so überrascht. Ich hatte gehofft und gebetet, dass es passiert. Manche seltene Male werden Gebete also doch erhört. Gut zu wissen. Wegen des Fotos: Gern geschehen, das hat vielleicht den Ausschlag gegeben ;-) Und danke, dass du schreibst, ich wäre sehr hübsch und auch das über meine Augen. Nein, daran ist nichts Fake, das sind keine farbigen Kontaktlinsen. So sehen die in Wirklichkeit aus, ich bin damit geboren, davon kannst du dich persönlich überzeugen, wenn wir uns treffen. Ich hoffe wirklich, dass wir das eines Tages werden. BALD! Es ist vollkommen in Ordnung, dass wir keine Mails, SMS oder auf Facebook schreiben. Ich habe dich dort nicht erwähnt. Ich schwör’s! Bei meiner Ehre! Ich schreibe sonst eher selten mit der Hand, daher entschuldige meine Schrift, falls du die hässlich findest. He he :-) Fuck, das ist echt voll schwer …

Hoffe dir geht’s gut, oder wie sagt man??? Schreib bald zurück. Please!

Liebe Grüße Iris

Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11

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