Читать книгу Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 7

Kapitel 3

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Zwei lokale Morde brachten die Redaktion von TV2 Ostjütland zum Kochen. Das blaue Hemd des Nachrichtenchefs hatte dunkle Schweißflecken unter den Armen, als er die Anzugjacke auszog, und er gab so schnell und fieberhaft Anweisungen, dass man glauben konnte, er fürchtete, die Morde würden aufgeklärt werden, bevor sie es schafften, sie in den Nachrichten zu erwähnen.

Anne Larsen reagierte etwas gelassener. Sie kannte die Arbeit der Polizei und wusste, dass ein Mord selten innerhalb einer Stunde aufgeklärt wurde. Jetzt war zwar Roland Benito ins Polizeipräsidium zurückgekehrt, sogar mit einem neuen Titel, Hauptkommissar, aber trotzdem. Bei dem Gedanken lächelte Anne in sich hinein. Sie hatte das Gefühl, dass sie in den Jahren, in denen er in der Polizeibehörde gearbeitet hatte, ein engeres Verhältnis zueinander entwickelt hatten, deswegen rechnete sie auch damit, dass er ihr gegenüber offener mit Informationen sein würde als früher. Bei dem Interview zu seiner neuen Stellung war er jedoch etwas reserviert gewesen. Natürlich hatte die Moderatorin Jytte Thomsen es geführt. Irgendwie war es ihr gelungen, den Redaktionsleiter und den Nachrichtenchef davon zu überzeugen, dass Anne nicht dazu geeignet war, hochrangige Persönlichkeiten zu interviewen, weil sie mit ihrer etwas zu freimütigen Art sicher irgendwem auf den Schlips treten würde. Anne verstand den Sinn dahinter nicht, aber als sie das zu Jytte sagte war die Antwort, dass diese Entscheidung genau deshalb getroffen worden war.

„Die Eltern haben zugestimmt, vor die Kamera zu treten. Wir haben die Erlaubnis, sie vor der Gedenkfeier heute Abend zu interviewen, über die wir selbstverständlich auch berichten. Hast du Zeit, Anne?“

Anne tat überrascht.

Ich? Ja, aber ist August Bøgh Lykkegaard denn nicht eine bedeutende Persönlichkeit? Eine von denen, in deren Nähe ich nicht kommen darf?“, fragte sie spöttisch und sah Jytte übertrieben fragend an.

„Anne!“, wies der Nachrichtenchef sie zurecht. „Jetzt sei mal nicht so kleinkariert. Du kriegst es doch wohl hin, mit den Hinterbliebenen zu sprechen, ohne einen Skandal zu verursachen, oder?“

Anne zuckte bloß die Schultern und starrte Jytte weiter an, die tat, als ob sie es nicht mitbekäme, und wie eine Verrückte auf ihren Notizblock schrieb.

„Wenn du mit den Eltern sprichst und später zusammen mit Flash an dem Gedenkgottesdienst teilnimmst, können Noa Marie und Ninna zu Martha Bæk nach Hause fahren. Von ihren Kindern und Enkeln will niemand ins Fernsehen. Sie sind viel zu schockiert. Es ist noch nicht lange her, dass sie ihren Vater und Opa verloren haben, daher sind sie schwer getroffen, aber wir brauchen trotzdem einen Beitrag über den Mord. Denk auch daran zu erwähnen, dass ihr Hund vor ihren Augen getötet wurde. Ihr könnt auch an die Stelle beim Norsminde Fjord fahren, wo es passiert ist. Das kriegt ihr allein hin, oder, Noa Marie?“

Die Journalistin nickte.

„Okay, dann mal los.“

Anne sah sich nach Flash um. Er hatte es nicht mehr zum Meeting geschafft, nachdem er mit einem der anderen Journalisten nach Aarhus West gefahren war, wo es wieder Unruhen gab, und keiner der anderen Kameraleute war frei. Sie begann zu fürchten, dass Flash von einem Querschläger getroffen wurde. Der Bandenkonflikt da draußen schwelte unter der Oberfläche.

Als sie sich auf ihren Stuhl setzte, sah sie ihn aus dem Aufzug aus der Tiefgarage kommen. Er begab sich an seinen Platz und war mit dem Computer beschäftigt.

„Hast du Zeit, Flash?“, fragte sie.

Er antwortete, ohne sie anzusehen. „Ich muss erst noch diese Aufnahmen sichten. Die Lage in Gellerup eskaliert, wenn nicht eingegriffen wird. Da geht es bald zu wie im Wilden Westen.“

Anne wartete geduldig.

Zehn Minuten später stand er auf und war startklar.

„Was liegt an?“ „Wir sollen nach Malling. Mit Iris Bøgh Lykkegaards Eltern sprechen. Sie wollen gerne bei einer Reportage heute Abend dabei sein, wo wir auch über die Gedenkfeier für ihre Tochter berichten. Da kommen wohl richtig viele Menschen zu einem Fackelumzug.“

„Okay.“ Flash hatte in einen Apfel gebissen und kaute, als ob er fast vor Hunger stürbe. Er nickte mit vollem Mund. „Ich habe keine anderen Verpflichtungen“, nuschelte er.

Die Dämmerung war angebrochen, als sie nach etwas mehr als einer halben Stunde in Malling ankamen. Die Straßenverhältnisse waren nicht die besten wegen des frisch gefallenen Schnees, der sich auf die vereisten Wege gelegt hatte, sodass Anne sich nicht traute, das Gaspedal ganz durchzutreten. Flash beschwerte sich über die Zustände in Aarhus West, wo weichliche Politiker und die Polizei seiner Meinung nach nicht genug taten.

„Die sind wie Strauße“, wiederholte er mehrmals. „Aber es bringt nichts, den Kopf in eine Schneewehe zu stecken und so zu tun, als gäbe es da draußen keine Probleme. Irgendwann müssen sie zugeben, dass dieses Aarhus-Modell fehlgeschlagen ist. Aber dann müssen die sich natürlich auch eingestehen, dass ihre ganzen Initiativen nicht funktionieren, obwohl sie Milliarden unserer Steuergelder darauf verwendet haben, die Gegend zu sanieren. Als ob das was bringen würde!“

„Ist es echt so schlimm, Flash? War das nicht mittlerweile eine etwas ruhigere Gegend geworden? Sind das nicht bloß …“

„Doch, es sind bloß rivalisierende Banden, die gegeneinander Krieg führen, um sich das Vorrecht für die Drogen in der Stadt zu erkämpfen. Und wer hat gesagt, dass das gut läuft? Die Politiker und die Führung der Polizei, stimmt’s? Frag mal die normalen Beamten, die sich bald nicht mehr trauen, dort Streife zu fahren, und die Anwohner, die Todesangst haben, und ich sage dir, dass es nur noch schlimmer wird, wenn es niemand stoppt!“

Sie erreichten das schicke Haus des Augenarztes im Egeskellet, einem attraktiven Villenviertel in Malling. Anne machte die Wagentür auf und stieg aus. In diesem Viertel waren einem die Bandenkriege in Aarhus West sicher egal. Ein eiskalter Wind öffnete ihren Mantel, sie zog ihn sofort dichter an sich und blinzelte im Wind zur Villa, die dunkel und trist in einem großen, schneebedeckten Garten lag, als ob auch sie trauerte. In mehreren der Nachbargärten hingen immer noch Lichterketten in den Bäumen. Viele entfernten sie nicht bis weit in den Februar hinein. Anne hatte selbst ein paar Nachbarn, die auf ihren Balkonen Weihnachten immer noch am Leben hielten. Familie Lykkegaard hatte sicher gar nicht gefeiert. Konnte man das, wenn die Tochter seit zwei Monaten verschwunden war?

Vor der Haustür brannten zwei schwache Lampen mit einem gelblichen Licht. Anne drückte die Klingel und hörte leise die klassische Westminster-Melodie drinnen im Haus. Kurz darauf wurde die Tür von einer Frau in einem eleganten schwarzen Strickkleid geöffnet. Die Frisur war kurz und modern, die Haare strohblond wie die der Tochter, aber das Lächeln war aufgesetzt, als sie sie hineinbat.

Sie stellte sich als Iris’ Mutter, Kaja Bøgh Lykkegaard, vor und ging mit ihnen ins Wohnzimmer, wo die Einrichtung für Annes Geschmack viel zu schwarz-weiß war. Da fehlte etwas. Wärme. Gemütlichkeit.

Anne kondolierte zu ihrem Verlust.

„Wir machen uns gerade für die Gedenkfeier in der Kirche fertig, aber das hier dauert ja sicher nicht so lange?“, schätzte Kaja Lykkegaard und sah Anne mit einer perfekt geformten hochgezogenen Augenbraue fragend an.

Ihr Mann stellte ein Whiskyglas auf einen niedrigen Tisch neben dem schwarzen Ohrensessel aus Leder, in dem er saß, und stand auf. Er war groß und ebenfalls elegant gekleidet mit einem dunklen Jackett, schwarzem Hemd und dunkler Hose. Sie waren beide angezogen als gingen sie zu dem richtigen Begräbnis. Aber die Leiche ihrer Tochter war längst noch nicht freigegeben. Die Rechtsmedizin würde Iris sicher noch lange behalten.

August reichte ihnen die Hand und erst jetzt bemerkte Anne den jungen Mann auf dem Sofa dahinter. Er ähnelte August in einer jüngeren Ausgabe. Er stand nicht auf, grüßte jedoch mit einem Nicken. Auch vor ihm stand ein leeres Glas auf dem Tisch.

„Unser Sohn, Jakob“, erklärte Kaja, als ob er nicht selbst sprechen könnte.

„Ja, es hat keinen von unsverwundert, dass Iris tot ist. Darauf haben wir uns schon seit Langem vorbereitet“, eröffnete August und lieferte damit eine Erklärung für Annes Verwunderung darüber, wie unbeteiligt sie alle waren.

August richtete den Hemdkragen vor der Kamera.

„Aber dass sie ermordet worden sein soll, ist sehr schwer zu akzeptieren. Das Schwein, das unserer Tochter das angetan hat, muss geschnappt und auf die härteste Weise bestraft werden, die es gibt! Heute bin ich für die Todesstrafe!“

„Sie kann nicht ertrunken sein. Sie war eine fantastische Schwimmerin und Apnoetauchen war ihr großes Hobby. Sie konnte unnatürlich lange die Luft anhalten“, sagte Kaja und zupfte mit ausdruckslosem Gesicht an ihrer Silberkette.

„Was soll ich in die Kamera sagen? Wir haben es ein bisschen eilig“, bemerkte August ungeduldig, und wie auf Kommando erhob Jakob sich vom Sofa und verließ das Wohnzimmer. Anne sah ihn im Flur seinen Mantel anziehen.

„Das, was Sie gerade gesagt haben, zum Beispiel. Dass der Täter geschnappt und bestraft werden muss. Und dann könnten Sie ja noch an den Fackelumzug und die Gedenkfeier heute Abend erinnern“, schlug Anne vor und machte sich ebenfalls bereit.

Kaja setzte sich aufs Sofa. Jetzt registrierte Anne die beiden riesigen Fotografien hinter ihr. Es waren Nahaufnahmen von extrem blauen Augen. Die Bilder hingen nebeneinander, auf jedem war jeweils ein Auge zu sehen, in einem passenden Abstand, sodass man den Eindruck hatte, dass die beiden großen blauen Augen einen direkt ansahen.

Anne hatte noch nie so schöne Augen gesehen. Sie ging davon aus, dass es Kunst war und sie in einem Bildbearbeitungsprogramm erzeugt worden waren.

Der Beitrag war schnell überstanden. August Lykkegaard erzählte den Zuschauern, dass die Familie nun Ruhe und Iris Frieden bekommen habe. Er dankte allen für den großen Rückhalt in Verbindung mit der Suche nach ihrer Tochter und für die großartige Unterstützung, die sie erfahren hatten. Zuletzt verlieh er seinem starken Wunsch Ausdruck, dass der Täter gefunden und hart bestraft werden möge, und erinnerte an den Fackelumzug, der am Anfang vom Nymark starten sollte und dem Weg folgen würde, den Iris in jener Nacht vor zwei Monaten gegangen sein musste, weiter über den Bredevej zur Kirche, wo die Gedenkfeier stattfinden würde. Ein Spaziergang von circa 20 Minuten.

Während Flash zusammenpackte, konnte Anne es nicht lassen, dichter an die Bilder heranzugehen und sie näher zu studieren. In den blauen Iris konnte man jede einzelne farbige Struktur sehen. In der Mitte der schwarzen Pupille waren Sprenkel, grün wie knospende Frühlingsblätter. Anne war so fasziniert, dass sie nicht hörte, wie August sich hinter sie stellte. Sie zuckte zusammen, als er sprach.

„Dieses Auge ist ein Wunder, oder? Es gibt kein schöneres“, sagte er hingerissen. „Die Pupille ist schwarz, weil es im Auge dunkel ist. Man blickt also direkt in die Tiefe des Auges. Nicht viele wissen das. Hier ist die Regenbogenhaut natürlich stark vergrößert, sodass man all ihre Facetten sieht, aber alle haben sie. Selbst Braunäugige wie ich. Man sieht es nicht auf den ersten Blick; es braucht das richtige Licht und starke Vergrößerung.“

Anne drehte sich um und sah direkt in seine Augen, da er dicht hinter ihr stand.

Sie hatte nicht bemerkt, dass er braune Augen hatte, aber nun sah sie es deutlich und versuchte unwillkürlich, die Facetten darin zu sehen. Es war schwer, weil sie so dunkel waren.

„Sie haben auch hübsche Augen. Darf ich sie mal irgendwann untersuchen?“

„Untersuchen?!“ Anne kam plötzlich zu sich.

„Ja, ich erforsche das Auge, speziell die Regenbogenhaut. Ihr Zustand kann uns etwas über unsere Gesundheit erzählen und Krankheiten offenbaren. Farbe, Textur und Muster in jeder Iris sind einzigartig. Sie sind wie Fingerabdrücke, es gibt keine zwei gleichen.“

Er nahm den Blick wieder von Annes Augen und sah ergriffen auf die Bilder.

„Das sind Iris’ Augen. Sie hatte die schönsten der Welt, seit ihrer Geburt. So hat sie ihren Namen bekommen“, erklärte er und nun hörte Anne deutlich den Kummer in seiner Stimme.

Sie drehte sich wieder zu den Bildern um und fühlte sich plötzlich unbehaglich dabei zumute, in die Augen eines toten Mädchens zu starren.

„Wir müssen jetzt los“, sagte Kaja hinter ihnen schwach. Anne wusste nicht, wie lange sie dort gestanden hatte.

August brach den Augenkontakt mit Iris nicht sofort ab; er wirkte fast hypnotisiert. Doch dann riss er sich endlich los und nickte.

Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11

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