Читать книгу Richter und Henker - Roland Benito-Krimi 8 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 11

Kapitel 7

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Benjamin Trolle wusste nicht genau, was er erwartet hatte, aber jedenfalls nicht den Luxus, der sich ihm präsentierte, als er die Tür zu ihrem Reihenhaus aufsperrte. Er warf die schwere Tasche im Flur ab, rieb seine Schulter und steuerte sogleich auf das Panoramafenster im Wohnzimmer zu, das eine atemberaubende Aussicht auf die Umgebung bis hin zur Aarhuser City bot. Im Garten standen alte Obstbäume und kleine Büsche, die noch immer halb von Schnee bedeckt waren. Eine Katze hatte Spuren um das Vogelhäuschen hinterlassen. Die Sitzmöbel waren alle mit hellen Stoffen überzogen, ohne einen einzigen Kaffeefleck, die Tische aus hellem Holz. Vielleicht ein wenig zu lieblich auf dem ebenso blanken Parkettboden, doch es verlieh dem ganzen einen sauberen und reinlichen Eindruck. Nur ein paar bunte Kissen brachen das Bild.

„Heilige Scheiße“, rief er gedämpft, während er die Umgebung besichtigte. Automatisch machte sich ein Lächeln auf seinem Gesicht breit. Eine ganz neue Seite von ihr. Die Malereien an den Wänden glichen echter Kunst – ob sie es waren, konnte er nicht beurteilen. Die Küche sah mit ihrer Kücheninsel und dem freihängenden Dunstabzug völlig neu aus. Eine ganze Sammlung aus Flaschen mit Olivenöl, Essig und Kräutern waren auf dem Schrank neben dem Herd aufgereiht. Standmixer, Saftpresse und Eismaschine. Auf einem Regal stand eine Reihe verschiedener Kochbücher. Ob sie eine gute Köchin war, oder ob es nur so aussehen sollte? Lächelnd ging er zum Waschraum und ins Schlafzimmer. Das Doppelbett strotzte nur so vor Kissen und Decken mit gestreiften, pastellfarbenen Bezügen. Er stellte sich vor, wie die Daunen unter ihm knistern würden, wenn er sich darunterlegte und verspürte plötzlich eine überwältigende Müdigkeit. Als hätte er vier Jahre lang nicht geschlafen. Über einem Stuhl lag ein flüchtig darüber geworfenes Unterkleid. Er hatte sie immer nur in Uniform gesehen, dunkelblaue Hose, hellblaue Bluse samt Krawatte – nicht gerade sexy und feminin. Der Gedanke an ihren nackten Körper und die Haut unter diesem Kleidchen löste unmittelbar eine Erektion bei ihm aus. Scheiße, wie lange es hergewesen war, also so richtig. Die nächste Tür führte ins Badezimmer. Eine Erinnerung daran, dass er ein Bad nötig hatte. Ein Doppelwaschbecken aus einer dunklen Marmorplatte und eine riesige Badewanne. Woher zum Teufel nahm sie das Geld für all das? Vielleicht verdienten Gefängniswärter mehr, als er dachte. Das mussten sie wohl, aber es konnte ihm eigentlich auch egal sein.

Sein Spiegelbild ließ ihm unverzüglich das Lächeln vergehen. Er sah entsetzlich aus und passte überhaupt nicht in diese Umgebung. Die Bartstoppeln bedeckten sein Gesicht wie das eines Höhlenmenschen. Er ließ die Hand über seine Wangen und um das Kinn gleiten, als könnte er die Stoppeln abwischen. Die Hand glitt weiter zu seinem Nacken, hinein ins Haar, das auch zu lang geworden war, was ihm aber recht gut gefiel. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und öffnete den Schrank neben dem Spiegel. Hier sah es aus wie in den Regalen einer Parfümerie und dort lag auch ein Rasierer. Zwar ein fliederfarbener Ladyshaver, aber egal, Haare waren Haare – ganz gleich ob sie aus einer Frau oder einem Mann wuchsen. Wofür sie den wohl verwendete? Achseln, Beine und …? Er lächelte wieder, befüllte das Becken mit warmem Wasser und benutzte die milde, nach Mandeln duftende Handseife als Rasierschaum. Danach spülte er das Becken mit klarem Wasser aus, um es von den kleinen, schwarzen Bartstoppeln zu befreien. Es waren derartige Dinge, die Cecilie immer zur Weißglut getrieben hatten, wenn er sie vergaß. Hatte er sich verändert? Etwas gelernt? Was machte das Eingesperrtsein aus einem Menschen? Er begegnete seinem eigenen Blick im Spiegel und wiederholte die Bewegung der Hand über Kinn und Nacken. Seine Haut war jetzt weich wie ein Babypo. Er warf einen Blick auf die Uhr. Bald würde sie zu Hause sein. Entschlossen zog er T-Shirt und Unterhemd aus und bewunderte, posierend, seine Brust- und Armmuskeln im Spiegel. Ja, er hatte sich verändert. Das Fitnesscenter war eine gute Abwechslung in der Tristesse des Alltags gewesen. Er drehte sich und sah, wie sich das Motiv der Tätowierung um seinen Arm schlang. Keine bunten Farben, nur dezente, grauschwarze Nuancen, wie der Schatten von Efeuzweigen, die sich um den Arm nach oben rankten und kurz vor der Schulter Halt machten. Dort schwebte eine kleine, graue Lerche mit ausgebreiteten Flügeln, wie man sie im Sommer über den Feldern singen hören und ihre Nester bewachen sehen konnte. Es war schön geworden, feine Details waren mit dabei, sodass er die Federn fast ertasten konnte. Liebevoll berührte er sie mit seinen Fingerspitzen. Lærke, Lerche. Tattoo-Jackie wusste, womit er es zu tun hatte. Er zog den Rest seiner Klamotten aus und betrachtete seinen gesamten, nackten Körper. War zufrieden mit dem, was er sah. An einer Silberkette um seinen Hals hing die Hundemarke, die ihm Cecilie in dem Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte, in dem er als untauglich für den Wehrdienst erklärt worden war, weil er eine alte Sportverletzung am Knöchel hatte. Er war rasend gewesen, weil er sich wirklich gewünscht hatte, als Soldat aufgenommen zu werden. Er wurde abgewiesen, während andere dazu gezwungen wurden. Es war die original dänische Hundemarke mit genau demselben ID-Schild, das die dänischen Soldaten als Erkennungsmarke zugeteilt bekamen. Die Personenkennzahl war jedoch durch sein Geburtsdatum ersetzt worden. Der Schmuck war eine Art Trost gewesen und er hatte die Marke seit jeher stets getragen.

Während sich die Badewanne füllte, machte er Liegestützen auf den beheizten Fliesen. Er lauschte dem plätschernden Wasser, schloss die Augen und fühlte sich endlich frei. Hier zwang ihn niemand zu irgendetwas. Jetzt konnte er frei denken. Den Plan zu Ende denken.

Er hörte sie nicht kommen und reagierte heftig, als sie seine Wange berührte. Aus einem Reflex heraus packte er ihr Handgelenk und verdrehte es.

„Autsch! Autsch! Nur die Ruhe, Schatz. Ich bin’s doch nur. Hast du geschlafen?“

Er sah die Glut in ihren Augen, als er sie nicht losließ. Sie mochte es hart. Das ahnte er.

„Du schämst dich doch nicht etwa, oder?“

Ohne Scheu betrachtete sie ihn durch das Wasser, wo sich der Seifenschaum schon längst aufgelöst hatte und nichts mehr verbarg.

„Schämen? Ich mich? Nach all den Leibesvisitationen und nackten Spaziergängen durch Metalldetektoren vor deinen männlichen Kollegen. Denkst du das wirklich?“, sagte er, fühlte sich aber trotzdem ein wenig unbehaglich dabei, dass ihn eine Frau so ungehemmt und eingehend betrachtete.

Als er sie losließ, stand sie auf und begann, unerträglich langsam ihre Bluse aufzuknöpfen, ohne dabei den Blick von ihm zu wenden. Noch nie zuvor hatte er sie nackt gesehen. Nicht ganz. Er mochte diesen Körper, auch wenn es nicht Cecilies Körper war. So weit entfernt von Cecilie. Doch der Anblick wirkte. Sie kletterte in die Badewanne. Ihr langes, blondes Haar wurde nass, als sie sich über ihn beugte und ihn so inbrünstig küsste, dass er nach Luft schnappen musste. Vorsichtig beugte sie sich über ihn und half mit einer Hand nach. Er schloss die Augen und sein Stöhnen, als er in sie eindrang, klang nach einer Mischung aus Schmerz und Befreiung. Wasser schwappte über den Rand der Badewanne, als sie sich auf und ab bewegte, schneller und schneller. Das Geräusch ihrer erregten Atemzüge und das Wasser, das rhythmisch auf die Fliesen platschte, versetzte ihn in einen Zustand der Ekstase, bis er viel zu früh unter einem gedämpften Keuchen kam. Sie begann zu lachen und küsste ihn erneut.

„War das gut? Ja?“

Er nickte und strich ihr das nasse Haar aus dem Gesicht.

„Notwendig. Aber jetzt hast du eine kleine Überschwemmung“, antwortete er atemlos.

Sie warf nicht einmal einen Blick auf den Wasserschaden.

„Es hat dich doch niemand reinkommen sehen, oder?“

Sie blieb auf ihm sitzen und fasste ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, den sie auswrang. Das Wasser lief über eine ihrer Brüste. Sie waren natürlich und wohlgeformt.

„Nein, die anderen Häuser haben leer ausgesehen. Sind wohl alle auf der Arbeit.“

„Ja, in diesem Viertel arbeitet man. Viel!“

Er hatte Lust, sie zu fragen, wie sie es sich leisten konnte, hier zu wohnen, ließ es aber bleiben. Das ging ihn nichts an. Er wusste, dass sie geschieden war, vielleicht war ihr Exmann ein hohes Tier.

„Hast du Angst, dass mich jemand sieht?“

„Die meisten wissen, dass ich jemanden kennengelernt habe, aber natürlich nicht, wer es ist. Die feuern mich, wenn …“

Sie stieg aus dem Wasser und ließ ihn in einem nahezu schwerelosen Zustand zurück. Erneut konnte er ihren Körper sehen, diesmal bewirkte es jedoch nichts. Er war schlaff. Schlaff im gesamten Körper, tief hinein bis in die Knochen. Ungeniert stand sie da und trocknete sich ab.

„Möchtest du aufstehen? Frierst du nicht?“

Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. Die Pupillen in ihrer blauen Iris waren noch immer geweitet. Sie nahm ein frisches dickes Frotteehandtuch aus dem Kasten und warf es ihm ohne abzuwarten zu, er fing es auf, bevor es ins Wasser fiel. Der Boden war nass und er rutschte fast darauf aus, als er aus der Wanne stieg.

„Ich bin dir wirklich dankbar, dass du mir helfen willst, Simone, und ich bleibe natürlich nicht hier wohnen. Morgen werde ich mich nach einer Wohnung umsehen. Ich kann dir etwas zahlen und …“

„Hör schon auf! Ich war doch diejenige, die dich hier haben wollte. Schauen wir mal, was passiert. Wir werden uns schon gut verstehen.“

Sie wickelte das Handtuch um sich und verließ mit einem schelmischen Lächeln das Badezimmer. Auch Trolle lächelte. Ja, sie würden sich schon gut verstehen.

Sie hatte sich helle Jeans und einen weißen, dicken Strickpulli angezogen und hob sich kaum vom Sofa ab, auf dem sie sich jetzt ausgebreitet hatte und eine Zigarette rauchte. Auf dem Tisch standen zwei Gläser und eine Flasche Champagner.

„Willst du ihn aufmachen?“

„Den Champagner?“

„Ja, wir müssen doch feiern, dass du ein freier Mann bist.“

„Haben wir das nicht gerade getan?“

„Das vorhin?“ Sie lachte. „Das ist etwas, an das du dich jetzt wieder gewöhnen musst – täglich!“

Dieses raue Lachen war sein erster Lichtblick gewesen, als sie vor zwei Jahren im Gefängnis zu arbeiten begonnen hatte. Wie er es die ersten beiden Jahre ohne sie ausgehalten hatte, wusste er nicht.

„Hast du einen Champagnersäbel?“

Champagner war nicht gerade das, was er gewohnt war, doch er hatte einmal gesehen, wie die Profis das machten.

„Du hast doch selbst einen, wie ich gerade bemerkt habe.“

Schon wieder dieser schelmische Blick.

Es wurde keine klassische Sabrage daraus, wie man so etwas nannte, mit springendem Korken. Er wand ihn langsam aus der Flasche und befüllte beide Gläser. Sie stießen an.

„Was wirst du jetzt machen?“, fragte sie und wurde ernst.

Er zuckte leicht mit den Schultern. Zwei Jahre lang war sie seine Vertraute gewesen, doch jetzt fühlte es sich anders an. Jetzt war er wieder zurück in Freiheit, war nicht mehr so verletzlich und konnte auf sich selbst aufpassen.

„Was ist mit deinen Eltern?“, fragte sie und nippte vorsichtig am Champagner, als wäre auch sie es nicht gewohnt, ihn zu trinken. Vielleicht hatte sie ihm nur imponieren wollen. Eigentlich kannten sie einander gar nicht richtig.

„Meine Eltern? Denkst du, dass ich jetzt noch etwas von ihnen höre? Ich habe sie seit meiner Verurteilung nicht mehr gesehen.“

„Aber wie können sie glauben, dass du … ihr Sohn!“

„Ich bin vorbeigefahren“, gab er zu und verfolgte mit seinem Blick die kleinen, feinen Bläschen, die ruhig vom Glasboden an die Oberfläche stiegen.

„Vorbeigefahren? Woran?“

Er brauchte sie nur anzusehen.

„Warum? Wie?“

Es gefiel ihr nicht, das sah er.

„Im Taxi, aber es war niemand zu Hause“, log er.

Sie stellte das Glas auf dem niedrigen Couchtisch ab.

„Was hättest du gemacht, wenn doch?“

Wieder zuckte er mit den Schultern.

„Stell jetzt nichts Dummes an, okay? Ich werde dich natürlich auf der Arbeit vermissen, aber trotzdem …“ Sie lächelte vorsichtig. „Ich weiß ja. Ich wollte sie einfach nur sehen … sehen ob sie …“

„Vergiss es, Trolle. Du hast deine Strafe abgesessen. Das Leben geht weiter.“

„Das ist verdammt noch mal leicht zu sagen, Simone. Ich habe es nicht getan, ich wollte … ich will … Du glaubst mir doch, oder?“

„Natürlich. Das hab ich dir doch die ganze Zeit gesagt.“

Er lehnte sich an sie und spürte die Verzweiflung in ihm aufsteigen.

„Ich will das bereinigen, Simone. Ich will nicht, dass es mir weiterhin angehängt wird. Sie muss wissen, dass ich es nicht getan habe. Ich muss herausfinden, wer mir das angetan hat.“

„Das kann man sich doch ausrechnen, oder?“

Er stand auf und steuerte mit dem Glas in der Hand auf das Fenster zu.

Es war dunkel geworden und nur die Lichter der Stadt leuchteten am Horizont. Es gab keine Sicht auf die Nachbarn. Wie konnte sie sich so sicher sein, dass er nicht schuldig war? Sie musste doch die gleichen Klagelieder von den anderen Häftlingen ringsherum zu hören bekommen haben. Alle behaupteten, unschuldig zu sein. Darin hatte Skipper recht gehabt. Manchmal hatte er selbst fast schon an seiner Unschuld gezweifelt. Wenn etwas nur oft genug wiederholt wurde, konnte es schon wie eine Wahrheit wirken. Als jedoch das Taxi vor dem Haus angehalten hatte und er ihr Fahrrad und das Auto in der Garage gesehen hatte, wusste er, wie das Ganze zusammenhing.

„Du willst Rache, Trolle. Ist ein ziemlich gefährliches Spiel, auf das du dich da einlässt, das weißt du doch, oder?“, sagte sie hinter ihm.

Er antwortete nicht. Das Blut schäumte in seinen Adern wie die Bläschen im Glas. Simone schwieg lange. Er konnte ihren Blick förmlich auf seinem Rücken spüren.

„Ich kenne vielleicht jemanden, der dir helfen kann“, sagte sie.

Richter und Henker - Roland Benito-Krimi 8

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