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KULTUR

Im Herbst beginnt in Südamerika die Theater- und Konzertsaison. Während der europäischen Sommerpause kommen viele bekannte Künstler nach Südamerika, und so gab es in Rio eine Reihe erstklassiger Konzerte. Wir entdeckten ein Plakat, auf dem ein Bachkonzert in der Sala Cecilia Meireles angekündigt war. Mein Mann meinte, man brauche sich nicht vorher um Karten zu bemühen. Man gehe einfach hin. Wir erlebten eine Überraschung. Eine riesige Menge gut gekleideter älterer Herrschaften stand vor dem Konzerthaus, das noch geschlossen war. Davor ein Schwarzer in schmucker Uniform, der verkündete, es gebe keine Karten mehr. Einige hielten ihre zuvor erworbenen Tickets in die Höhe und begehrten lautstark Einlass. Mein Mann wollte sofort wieder gehen, aber ich war neugierig, was passieren würde. Ich habe einen Trick, mich in einer Menge nach vorne zu mogeln: ich stelle mich einfach hin und lasse mich schubsen. Man braucht überhaupt nichts selber zu tun, man darf sich nur nicht wehren. Die Menge schiebt und quetscht, und man wird automatisch immer weiter nach vorne gedrückt. Ich fasste meinen Mann bei der Hand und nach und nach arbeiteten wir uns vorwärts. Schließlich standen wir dicht vor dem Livrierten. Durch das geschlossene Scherengitter konnte ich in den Kassenraum sehen und erblickte ein Plakat, auf dem die Aufführung des „Messias“ von Händel mit dem Hochschulchor Rio angekündigt wurde. Ich hatte gerade vor meiner Abreise aus Deutschland als Chorsängerin in einer Messias-Aufführung unserer Oper gesungen.

„Da singe ich mit“, sagte ich zu meinem Mann.

„Frag den Schwarzen doch mal, wie ich den Chorleiter erreiche.“

Mein Mann, der fließend portugiesisch spricht, erzählte dem Zerberus daher, seine Frau sei eine große Sängerin und habe in der weltberühmten Messias-Aufführung in Deutschland mitgesungen und wolle jetzt den Hochschulchor tatkräftig unterstützen. Der Mann war beeindruckt. Er wisse das nicht, aber gleich käme eine Dame, die uns weiterhelfen könne. Es dauerte noch eine Weile, dann wurde das Gitter einen Spalt aufgemacht und wir herein gelassen. Eine kleine, zerbrechliche, überaus freundliche alte Dame, die deutsch sprach, schrieb uns Adresse und Telefonnummer auf, und als wir uns bedankten, sagte sie enttäuscht:

„Und in das Konzert heute wollen Sie nicht gehen?“

„Doch gerne, aber es gibt ja keine Karten mehr.“

„Kommen Sie mal mit.“

Der Saal war fast zur Hälfte leer. Es waren Ehrenplätze, die alle nicht besetzt waren, während draußen viele Leute gerne noch hereingekommen wären.

Wir wollten bezahlen.

„Nein, nein, lassen Sie nur.“

Ich sang also im „Messias“ mit, und wir waren von da an regelmäßige Konzertbesucher.

Eines Tages entdeckte ich die Ankündigung eines Quartetts aus dem Kölner Gürzenich-Orchester.

„Den kenne ich“, sagte ich und zeigte auf den Namen eines Musikers.

Ich hatte ihn nach einem Konzert im privaten Rahmen kurz vorher kennen gelernt. Da ich inzwischen wusste, wo der Künstlereingang des Konzerthauses war, ging ich in der Pause um das Gebäude herum und fragte nach den Künstlern. Die Armen hingen völlig erschöpft und schweißgebadet auf ihren Stühlen. Der Jetlag und die Hitze machten ihnen mächtig zu schaffen. Der Künstler kannte mich offensichtlich nicht wieder, und ich machte mir den Spaß, ihn im Namen der brasilianischen Regierung recht herzlich willkommen zu heißen. Er stand kraftlos auf und schüttelte mir die Hand, und die anderen Drei riefen:„Ja und wir?“

Sie lachten dann schadenfroh als sich herausstellte, dass ich doch nicht von der brasilianischen Regierung war.

Wie sehr Besuchern das Klima in Rio zusetzt, haben wir erlebt im Maracana-Stadion, als Beckenbauer und die Bayern-Elf gegen eine brasilianische Mannschaft zum Fußball antraten. Es war eine müde Vorstellung, und sie wurden regelrecht überrollt. Das war auch nicht anders zu erwarten, da die Spieler keine Zeit hatten sich zu akklimatisieren, sondern gleich einen Tag nach der Ankunft auf den Platz mussten.

Nun hat die Weltmeisterschaft in Brasilien stattgefunden. Wir alle haben – bequem auf der Couch liegend oder mit einem kühlen Bier beim PublicViewing - die Qual der Fußballspieler in dem mörderischen Klima miterleben können, und mancher hat sich dabei die Frage gestellt, ob der Sport wirklich zur Gesundheit und Gesunderhaltung beiträgt.

Brasilien, ein Land, dass so weit von uns entfernt ist, rückt jetzt näher an uns heran. Die Medien berichten häufiger, besonders über die sozialen Missstände, auf die sich das Augenmerk der Weltöffentlichkeit wegen der anhaltenden Proteste gegen die hohen Kosten für die WM richtet.

Damals habe ich einige Aufzeichnungen gemacht, und wenn ich sie mir heute durchlese, erscheinen sie mir nach wie vor aktuell. Damals schrieb ich:

Damals in Südamerika.

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