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Vorspruch

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Ich betrachte Sie in Ihrem seltsamen Jahrhundert voller Verwunderung. Zweihundertfünfzig Jahre nach meiner Zeit glauben Sie offenbar, Sie hätten die Wahlfreiheit erfunden, ein Mann oder eine Frau zu sein. Schon mit dem Wort Wahl fuchteln Sie herum, als hätten Sie es erfunden, aber in Wahrheit haben Sie nur jede Menge Regeln erfunden, wie eine einmal getroffene Wahl umzusetzen und zumal in Worte zu fassen ist. Sie kontrollieren den Sprachgebrauch, und »Falschsprechen« – ein Wort, mit dem mein in den 1600ern geborener Großvater gegen das Aussprechen sündiger Dinge wetterte – wird mit schweren Strafen geahndet. Die Sünde wurde aus Ihrem Wortschatz gestrichen, aber die Verdammung des Wortverbrechens ist geblieben.

In meiner Zeit und in meinen Kreisen sprachen wir, wie es uns gefiel. In den obersten Gesellschaftsschichten, am kultiviertesten Hof der Welt kleideten sich die Männer wie Frauen und die Frauen wie Männer, und niemand regte sich über solche Kinkerlitzchen auf. Bevor sie Zarin wurde, kleidete sich Elisabeth von Russland wie ein Soldat und pflegte nachts mit den Truppen zu fluchen und Karten zu spielen. Nach ihrer Thronbesteigung nahm sie eine kleine Korrektur an der Etikette der wöchentlichen Maskenbälle vor – Männer hatten fortan in Abendkleidern und Frauen in Uniformen zu tanzen. Ich war als Frau dabei, als Lea de Beaumont. Eine schöne, geistreiche Frau mit kecken Brüsten, strahlend blauen Augen und blonden Locken, die ich nicht unter Puder erstickte. In die inneren Angelegenheiten des Reichs eingeweiht, sandte ich meine Berichte dem klatschsüchtigen König von Frankreich, der mich gut dafür bezahlte, und verfasste persönliche Briefe mit klugen »weiblichen« Beobachtungen zum menschlichen Charakter. Dann verwandelte ich mich wieder in den Chevalier d’Éon de Beaumont, einen grimmigen Krieger und gefürchteten Fechter. Ich wurde zweimal verwundet, und nachdem ein Zug von nur fünfzig Dragonern unter meinem Kommando den Sieg über siebenhundert Preußen errungen hatte, rühmte der König meine »glorreichen Heldentaten auf dem Schlachtfeld«. Nach Kriegsende erkannte er meine eigentlichen Talente als Diplomat und beauftragte mich mit der Teilnahme an Friedensverhandlungen zwischen England und Frankreich. Als Zeichen seiner Anerkennung heftete er mir die begehrteste Auszeichnung, das Sankt-Ludwigs-Kreuz, ans Revers der Uniform eines Dragonerhauptmanns und sandte mich nach London. Unter dem Nom de Plume William Wolf analysierte und prophezeite ich den Verlauf der Romanzen, die mir als Frau zu Ohren kamen, und der politischen Intrigen, deren Zeuge ich als Mann wurde, und als eigenbrötlerischer Chevalier d’Éon verfasste ich, versteckt in einem Herrenhaus in Hampshire, Abhandlungen zur Finanzkunst, die kein Geringerer als Friedrich der Große sammelte und studierte. Als die englische Polizei in meine Bibliothek gestürmt kam, um mich zu ergreifen, weil ich einen Feind im Kaffeehaus zum Duell gefordert hatte – ein Duell, das ich spielend gewann, weil mein Gegner das Hasenpanier ergriff –, empfing ich sie als verschämte, in Bücher vernarrte Demoiselle, die die fünfzehntausend Bände des Herrn bewundern wollte, der, wie ich sie bedauernd in Kenntnis setzte, zwei Tage zuvor nach Amerika abgereist war.

Bald darauf wurde mein Leben eine abgedroschene Geschichte. Spätestens als die überheizten öffentlichen Wetten an der Londoner Börse, ob ich nun ein Mann oder eine Frau sei, den heutigen Gegenwert von zwei Millionen Pfund überstiegen, zeichnete sich ihr Ende ab. Die Engländer hätten auch Wetten darüber platziert, ob die Madonna eine Jungfrau war, und ich beschloss, ihrem Beispiel zu folgen und dafür zu sorgen, dass mein Geheimnis niemals gelüftet würde.

Die militante Madonna

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