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Wie ich die Mordanschläge des Königs durchkreuzte

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Ein Monsier Verchy wünscht Euch zu sprechen«, meldete James wenige Stunden, nachdem ich den formellen Avis meines Königs geöffnet hatte, dass mein Schicksal besiegelt sei. Verchy behauptete, im Auftrag des Außenministers zu kommen, also empfing ich ihn, auch wenn mich sein niederer Stand stutzig machte. Der Abgesandte eines Aristokraten muss selber der Aristokratie angehören, so wie Kinderfrauen adliger Kinder dem Adel angehören müssen. Monsieur Verchy sprach wie ein Lohnarbeiter. Er war rundlich und sein Gesicht schweißbedeckt und bleich, als James ihn in meinen Salon führte. Er stand vor mir und verströmte den bitteren Geruch der Angst. Ich kehrte ihm einen Augenblick den Rücken zu, griff nach einem Säbel auf dem Kaminsims, hielt ihn ihm unters Kinn und nahm ihm eine Pistole ab.

Glauben Sie mir, die Gefühle, die ein Auftragsmörder in Ihnen erweckt, vergessen Sie nicht so leicht. Das flüchtige Erschrecken lässt sich überwinden, aber der Stolz bleibt angeknackst. Sie brauchen ein Dutzend Freunde, die Sie lieben und bewundern, um wiedergutzumachen, dass ein einziger Mensch Sie hasst und verachtet. Doch wenn Ihr König Ihren Tod wünscht, brauchen Sie tausend Menschen, die Ihnen das Leben wünschen. Meine Hände zitterten, als ich meinem gescheiterten Attentäter ins Auge sah. Das hatten sie noch nie getan. Und wie zum Hohn war Monsieur Verchy ein erbärmlicher Meuchelmörder. Er faselte und quengelte und gestand, der König hätte ihn für die Aufgabe ausgesucht, nachdem Madame Verchy, die die Nachttöpfe Seiner Majestät leerte, nach einer halben Stunde im königlichen Bett darum gebettelt hatte, ihr Mann möge eine heldenhafte Mission erhalten, für deren Erfüllung man ihn bei Hofe salben werde. Ich ließ dem Mann eine heiße Schokolade und Butterkekse geben und riet ihm, in England zu bleiben. Er könne hier eine bessere Frau finden. Nachdem er gegangen war – und meine Hände dermaßen zitterten, dass ich sie mit Cognac bändigen musste –, zündete ich mir eine Zigarre an und schrieb dem König: »Ich habe zu Hause nicht weniger als acht türkische Säbel, vier Pistolen und zwei türkische Gewehre. Ich werde nicht zögern, sie gegen jeden zu richten, der mich der Illoyalität meinem König gegenüber bezichtigt. Ihr seid Gerüchten aufgesessen. Ihr solltet die Minister hinrichten lassen, die sie Euch zu Ohren bringen!«

Wie oft hatte ich nicht mein Leben für meinen König in die Schanze geschlagen. Im Schlachtgetümmel war ich mir oft mit den Händen von den Schultern über den straffen Bauch bis zu den weichen Lenden gefahren und hatte mir geschworen: »Das werden wir überstehen!« Mein Leib hatte überlebt. Und jetzt wollte mein König persönlich ihn zerstören. Wieder und wieder las ich seine lieblosen Zeilen und meine tapfere Antwort, fühlte mich vom Schicksal im Stich gelassen, konnte meinen Verstand nicht mehr beherrschen, riss mir den Kragen auf, tastete mir den Hals ab, schluckte, um meinen kleinen Adamsapfel zu finden, und drückte mir dort die glühende Zigarre in die zarte Haut.

Der Schmerz und der Gestank halfen. James stürzte herein und half ebenfalls. Er legte mir heilende Umschläge an und versuchte nicht, mich zum Sprechen zu bringen. Als er meinen Hals verarztet hatte, holte er das Brechwurztonikum. Ich brachte einen Löffel davon herunter, ein dermaßen bitteres Gebräu, dass es mich durchschauerte, doch es wirkte so schnell, dass das Erschauern in tiefen Heilschlaf überging. Am nächsten Morgen erwachte ich voll bekleidet auf meinem harten Bett. James schlief neben mir auf dem Fußboden. Ein durch und durch anständiger Kerl. Ich verbrachte den Tag mit Fasten und Beten und verständigte dann einen Schreiberling über den Sachverhalt.

Er hatte Nachrichtenwert. Und Morande sollte recht behalten: Die Presse wurde mein Verbündeter und brachte alles, was ich ihr erzählte, auch dass vierundzwanzig französische Polizisten hinter ebenso vielen Büschen lauerten, als ich im Spätwinter meinen Sonntagsspaziergang durch Kensington Gardens machte. Die Unholde wollten mich schnappen, auf das in Gravesend wartende Schiff verschleppen und nach Frankreich zurückschaffen. An besagtem Sonntag hatte jedoch Queen Charlotte beschlossen, mich auf meinem Ausflug zu begleiten. Sie fand Vergnügen an meiner Konversation und den Beschreibungen meiner vielen Abenteuer »mit einem Blick für Einzelheiten, wie die Frauen ihn mitbringen!« Sie war ganz in Mauvetönen gekleidet und wurde anstandshalber von etlichen ihrer Söhne begleitet, die höchst begierig waren, von meinen jüngsten Strapazen zu hören. Sie waren so hingerissen, dass ihnen (ebenso wie den Königlichen Wachen) die Menschenräuber entgingen, die im blattlosen Gebüsch lauerten und mich wie aufgeschmissene Wölfe anfunkelten. Am nächsten Morgen legte James mir dann die Zeitungen hin, jede auf der entscheidenden Seite aufgeschlagen: Wie meine Promenade mit der Queen um ein Haar von französischen, von Louis XV. gedungenen Rohlingen gestört worden wäre. Karikaturen des Geschehens schmückten die Berichte. Der Extraordinary Intelligencer prangerte das Komplott als »Verschwörung gegen all unsere Gesetze und Freiheiten!« an. Der Public Advertiser stellte Britanniens Freiheit Frankreichs Knechtschaft und Zerfall gegenüber. Die St. James’s Chronicle schrieb: »Wir bangen um den Knight d’Éon – wie wir erfahren, soll dieser Verteidiger der Freiheit nach Frankreich hinübergeschafft werden!« Ich bat die Queen um Entschuldigung, weil unser Spaziergang so ungebührliche Aufmerksamkeit auf sich zog, aber sie war dergleichen gewohnt. Und sie hoffte, der König von Frankreich werde bald Raison annehmen.

Morande sagte: »Siehst du, ein Knight kann einen König bändigen. Aber wichtiger ist: Wir müssen die englische Öffentlichkeit dazu bringen, sich schützend vor dich zu stellen. Du musst dich direkt an sie wenden!«

Ich stimmte ihm zu. Ich war ihm dankbar. Ich hatte seine Loyalität unterschätzt. Ich schrieb dem englischen Volk einen Liebesbrief. Er war lapidar, ich bestätigte einfach meine Zuneigung – ja sogar meine Bewunderung Englands, des Königs und der Queen von England sowie meine Ablehnung, Albion zu verlassen. Ich gab meinen Wunsch kund, als Engländer alt zu werden.

Am Tag, nachdem Morande meinen Brief gedruckt und verbreitet hatte, wurde ich in ganz England gefeiert. Das Wort »Knight« wurde durch »Chevalier« ersetzt, und selbst ein Stallbursche konnte »d’Éon« buchstabieren. Fremde lächelten mich an oder blieben vor meinem Haus stehen, um sich an die Hutkrempe zu tippen oder einen Knicks zu machen. Ich wurde geliebt und konnte den Hass verkraften. Als ich mich wieder meinem Arbeitsalltag widmen wollte, prallte ich auf einem Flur der Botschaft mit meinem Erzfeind Zipfelhirn zusammen.

Ein Leiterwagen, der mit einem Kinderwagen zusammenstößt, hätte dieselbe Wirkung gehabt; ich wurde auf den Marmorboden geschleudert. Er baute sich über mir auf, aber statt mir mit einem Degen den Gnadenstoß zu versetzen, reichte er mir die Hand und half mir hoch. Stellen Sie sich meine Erschütterung vor. Stellen Sie sich meinen Verdruss über seine Freundlichkeit vor. »Wie unaufmerksam von mir. Wie geht es Euch, kleiner d’Éon« und so weiter. »Sintfluten in Paris letzte Woche, schon gehört?« Ich richtete mich auf, erwiderte, das Wetter in Paris interessiere mich nicht, aber bevor ich noch hinzufügen konnte, »weil ich nicht nach Paris zurückkehre«, antwortete er: »Natürlich nicht!«

Er lud mich in mein ehemaliges, jetzt von ihm in Besitz genommenes Studierzimmer ein, um sein neu erworbenes Priestleys Sodawasser zu kosten: »Ein famoses Gebräu!« Und dann: »Trinken wir auf den Frieden zwischen uns.« Sein riesiges Kaninchengesicht strahlte Hoffnung aus.

Das Sodawasser perlte im Glas wie angeregter Champagner und schmeckte leicht bitter. Das Zimmer stank nach Bergamotte-Essenz; man munkelte, er verabreiche sich selber parfumierte Einläufe, wie es damals Mode war. Ich leerte mein Glas, schüttelte ihm pflichtbewusst die Hand und empfahl mich, weil mir plötzlich unwohl war. Vielleicht lag es an dem Gedanken, wo die Bergamotte gewesen war, bevor sie mir in die Nase stieg, vielleicht an der Zweckentfremdung meines Studierzimmers in der Botschaft, jedenfalls wollte alles, was ich in mir hatte, wieder heraus. Mein Körper zeigte Schwächen, und für mich war es ausgemachte Sache, dass Zipfelhirn mich hatte vergiften wollen.

Aus der Distanz der Jahrhunderte betrachtet, weiß ich heute, dass der Ständige Botschafter ganz arglos versuchte, Wiedergutmachung zu leisten und sich mit mir anzufreunden, indem er seinen kostbaren Schatz mit mir teilte. Aber selbst wenn ich ihm ein solches Motiv zu jener Zeit hätte glauben können, mein verletzter Stolz hätte mich so geblendet, dass ich ihm dennoch mit Vorwürfen gekommen wäre, und sei es nur, weil er sich mit dem Affront arrangiert hatte, mein Vorgesetzter zu sein.

Ich verklagte ihn offiziell wegen Körperverletzung, sowohl des angeblichen Vergiftungsversuchs als auch des vorangegangenen Anschlags auf mein Leben, den in Wahrheit Louis XV. persönlich in die Wege geleitet hatte. Den bleichen Wicht Verchy, der mir inzwischen aus der Hand fraß, ließ ich die eidesstattliche Erklärung aufsetzen, Zipfelhirn hätte ihn insgeheim verleitet und ihm die Pistole besorgt. Dieses Dokument legte ich einem Geschworenengericht vor. Aber ich fühlte mich von meinen eigenen Lügen verunglimpft, und – was schwerer wog – Zipfelhirn tat mir leid, weil er mir nicht gewachsen war.

Ich verließ London während des Gerichtsverfahrens.

Die militante Madonna

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