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Wie ich mich in den Armen der Ehe eines anderen erholte
ОглавлениеWährend meiner ersten Zeit in London hatte ich mich nicht nur mit Morande angefreundet, bei dem ich mein kindliches, spielerisches Selbst auslebte, sondern auch mit einem schon älteren Admiral und seiner Frau, bei denen ich mein ehrbares Selbst sein konnte. In den Perioden des Selbsthasses war der ruhige Landsitz des kinderlosen Paars meine Zuflucht. Der Admiral, ein bedeutender Lord und alter Brummbär mit unzeitgemäßer Garderobe und verwildertem Backenbart, hatte mit neumodischen Dingen nichts im Sinn. Dass er mich mochte, erwuchs mehr aus Respekt vor meinem Charakter als aus meinem äußeren Erscheinungsbild oder meinen Fähigkeiten. Er sagte gern: »Ihr seid ein guter Mann, d’Éon. Anders als mein Neffe. Ich betrachte Euch als meinen Sohn.« Sein Neffe würde den Landsitz eines Tages erben, so sehr sein Onkel ihn auch verachtete. Das war die gottgegebene Ordnung der Dinge, und ich hatte nie etwas anderes erwartet. Trotz seines immensen Reichtums missbrauchte ich auch nicht die Großzügigkeit meines Wohltäters – einmal in der Woche brachte James meine Post und allerlei Leckerbissen, sodass die Speisekammer immer gut gefüllt war, um meinen gesegneten Appetit zu befriedigen, und meine Gastgeber genossen meine Gesellschaft nur umso mehr. Ich hatte dort ein schönes Zimmer mit einem sehr weich gefederten Bett und einem Diener, der seine vielen Schichten jeden Morgen lüftete.
Lord X war ein Bücherwurm und ein begeisterter Cribbage-Spieler, er war übertrieben großzügig und schenkte dem Geld keine besondere Beachtung; diese öden Angelegenheiten überließ er seiner zierlichen, sehr viel jüngeren und tatkräftigen Frau, die Geldsummen auf dem Papier verschob, als handelte es sich bei der Wirtschaft ihres Haushalts um eine faszinierende Schachpartie. Der Lord und seine Lady Catherine fanden mich amüsant, ich war eine Orchidee im Gärtchen ihrer Freunde. Sie wussten um meine geistige Zartheit, als niemand sonst sie kannte oder sich darum bekümmerte. Sie konnten mich unbehelligt lassen, wenn ich abwehrend verstummte, ließen mich aber ihre besonnenen Stimmen im Hintergrund hören, bis mein natürlicher Frohsinn wieder die Oberhand gewann und ich mich für eine Partie Cribbage zum Lord gesellen konnte oder wir einfach lesend beieinandersaßen, jeder mit seinem Buch, ob im Garten oder am Kamin.
Es war einmal vor langer Zeit, da hatten Lord X und seine Lady den Heiratsgeboten ihrer Familien gehorcht, sie lebten vergnügt und kinderlos bis an ihr seliges Ende, erfreuten sich eindeutig ihrer Gemeinschaft und behandelten einander mit größtem Respekt. Lord X war bewusst, dass er »entgegen aller Wahrscheinlichkeit großes Glück« gehabt hatte. Er zitierte gern Abaelard: »Halte Dir vor Augen, dass Sokrates verheiratet war. Wie tief war sein Fall! Als erster musste er für diese Schande der Philosophie, die Ehe, büßen, damit andere durch sein Beispiel vorsichtiger würden!« Und dann sah er zum Himmel auf und sagte: »Ich danke Dir, HErr, für Deine Gnade.« Lady Catherine lächelte liebenswürdig und fügte hinzu: »Amen.«
Ich enthüllte ihnen nie etwas über mich, das über das Offensichtliche hinausging, und sie fragten auch nie, ein Markenzeichen der Aristokratie. Nur ein einziges Mal sprach ich über mich. »Das Zölibat macht einen nicht weniger zum Mann oder zur Frau. Mit Verlaub, ich wage zu sagen, dass es mich erhöht hat. Ich bin ein Sinnenmensch, der sich für ein Leben über dem banalen Getümmel entschieden hat.«
»Blitze schlagen bevorzugt in Erhöhungen ein«, warnte mich Lord X.
Lady Catherine kam mit dem Tee herein – kürzlich hatte sie ein Hausmädchen beim Teetrinken ertappt, und aus Sparsamkeitsgründen sperrte sie den Tee seither weg und setzte ihn selber auf. Sie stellte die Kanne ab und bemerkte: »Unserem Chevalier ist die Beschämung, sich zu verlieben, ein Leben lang erspart geblieben?« Sie füllte unsere Tassen und murmelte: »Wenn Männer jemand Neues kennenlernen, fiebern sie vor Illusionen, schwitzen, bekommen einen roten Kopf und werden schwatzhaft, sie schwanken heim und drücken ihre Betten nieder. Am Tag darauf sind sie schwach und dumm!«
Lord X lehnte sich in seinem Sessel zurück und applaudierte. Ausdruckslos hielt sie uns die Zuckerdose hin und wandte sich dann direkt an ihren Mann: »Und kaum haben manche Männer sich erholt, setzen sie alles daran, sich aufs Neue zu verlieben. Sie suchen die romantische Ekstase … als wäre sie ein Elixier, das noch das düsterste Dasein lebenswert machte.«
Er warf ein: »Genau, als ließen sich einer Geige durch Hineinpissen Töne entlocken.« Die unvermutete Vulgarität ließ mich hochfahren. Anstößige Rede verwendete ich in keiner meiner Rollen.
Die Lady bemerkte mein Unbehagen, lächelte ihm zu und ging.
Lord X ahnte nichts von meiner leichtfertigen Ader, dass ich ein vollendeter Tänzer war und mich gehen lassen konnte, nach Bedarf meine Röcke lüpfte oder eine Zigarre rauchte, und dass mein Auftreten wie auch mein augenscheinlicher Wohlstand gelegentlich die Frage einer Heirat aufs Tapet brachte, mittels deren sich eine Freundschaft untermauern oder politischer Einfluss erwerben ließ. Bei der leisesten Andeutung war ich verschwunden – der Dragonerhauptmann, dessen Geist plötzlich Panik erfüllte und der wie ein Kaninchen Haken schlug, für gewöhnlich in Richtung von Lord X, bei dem ich auch ohne Brechwurztonikum Ruhe fand. Und Lord X ahnte auch nicht, dass ich am Spätvormittag, wenn Lady Catherine und er ihren täglichen Spaziergang oder Ausritt machten und die Dienstboten ihren jeweiligen Verpflichtungen nachgingen, manchmal an ihrem kleinen Sekretär Platz nahm. Dort öffnete ich ein spezielles Mäppchen mit Post, die James für mich sammelte, und versetzte mich in die Gemütsverfassung, die es brauchte, um die Schreiben meiner Brieffreundinnen zu beantworten, die mich zumeist als Demoiselle in Sankt Petersburg kennengelernt hatten. Ich benutzte Catherines Tinte und ihre Federkiele, stellte mir vor, ich trüge einen ihrer schlichten Gärtnerkittel, die beengte Brust und die Taille wie Hände, die mich ohne Druck umfingen, und den anregenden Wirbel der Röcke. Sie hatte mehr Esprit als ihr Mann.
Falls Sie sich gewundert haben: Lord X hat mich um Anonymität gebeten. Morande aalt sich in seinem schlechten Ruf und ist stets von Nachruhm ausgegangen; sein Name muss genannt werden. Ich muss meine Aufmerksamkeit wieder ihm zuwenden.