Читать книгу Der Heinrich-Plan - Irene Dorfner - Страница 12
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Оглавление„Was ist eigentlich mit der Hafenbehörde Sylt? Wo bleibt denn die Liste der Bootsanleger?“, fragte Leo ärgerlich, als er nach einigen Tagen immer noch nichts gehört oder gesehen hatte. „Der Mann hatte doch versprochen, dass er das umgehend erledigen würde.“
„Ich habe schon mehrmals nachgefragt, wobei mir immer versprochen wurde, dass man sich umgehend um diese Liste kümmern würde. Ich rufe gleich noch mal an und mache Druck,“ sagte Anna und wählte die Nummer der Hafenbehörde. Anna sprach mit dem zuständigen Mitarbeiter und Leo bemerkte, dass sie sich ärgerte. Er hörte sie sagen: „Ich gebe Ihnen meinen Vorgesetzten,“ und gab Leo ihren Telefonhörer.
„Leo Schwartz hier. Haben wir beide miteinander gesprochen?“
„Richtig. Es geht um die Liste mit Booten vom Juni dieses Jahres. Wie ich eben Ihrer Kollegin bereits versucht habe zu erklären, gibt es Schwierigkeiten mit dieser Liste. Ich kann Ihnen leider keine vollständige Liste zukommen lassen,“ sagte der Beamte.
„Was soll das heißen? Natürlich übersenden Sie uns eine vollständige Liste, und zwar umgehend. Wenn nicht, bekommen Sie ein Disziplinarverfahren an den Hals wegen Behinderung von Polizeiarbeit. Haben Sie mich verstanden?“ Leo war sehr ungehalten. Was sollte das?
„Ja, ich habe Sie verstanden, aber Sie müssen auch mich verstehen. Ich habe eine Person auf der Liste, deren Namen ich Ihnen offiziell nicht nennen darf. Es handelt sich dabei um einen hohen Politiker. Dessen Büro hat mir mehrmals ausdrücklich verboten, den Namen weiterzugeben und hat mit Konsequenzen gedroht. Mein Vorgesetzter ist im Urlaub, ich kann das unmöglich selbst entscheiden. Ich brauche mehr Zeit, geben Sie mir noch eine Woche.“
Leo verstand. Der Mann wurde unter Druck gesetzt.
„Hören Sie. Ich verstehe Ihre Bedenken. Am besten, ich spreche mit meinem Vorgesetzten, wie wir vorgehen. Ich melde mich wieder bei Ihnen.“
Leo legte auf und sagte zu Anna: “Ich geh zum Chef und klär das ab.“
Er wurde gleich vorgelassen und schilderte dem neuen Vorgesetzten Michael Zeitler den Fall. Der nickte und sagte: „Das wollen wir doch mal sehen.“ Er wählte die Telefonnummer, die Leo ihm vorlegte und verlangte die Person, die auf dem Zettel stand. Es wurde nicht viel aber laut gesprochen. Zeitler machte dem Mann klar, dass er die Liste umgehend und vollständig zu übersenden hatte und dafür die volle Verantwortung übernahm. Sollte es Probleme geben, solle er an ihn verweisen. Zeitler legte auf und sagte knapp: „Geht in Ordnung, die Liste ist unterwegs, und zwar komplett. Das wird dem Herrn Politiker nicht schmecken, aber das ist mir egal. Hier handelt es sich um eine Mordermittlung.“
Leo war von Zeitler beeindruckt. Das Ganze ging kurz und schmerzlos. Er kannte seinen neuen Vorgesetzten noch nicht näher und musste zugeben, dass der sich eben nochmals einen dicken Pluspunkt bei ihm geholt hatte. Dieser Zeitler ließ sich nichts gefallen und handelte umgehend, das mochte er.
Tatsächlich traf die Liste eine halbe Stunde später per Fax ein und Leo war erstaunt über den Umfang der Liste. Er war sich nicht bewusst darüber, dass so viele Leute ein Boot oder besser gesagt eine Yacht besaßen, denn die kosteten bekanntlich ein Vermögen. Er machte sich mit Anna an die Arbeit. Sie riefen die Besitzer der Boote an, mailten Fotos, bekamen wiederum Listen mit Namen und Adressen von Personen, die mit an Bord waren. Personen von sieben Booten waren definitiv bei Veranstaltungen von Hotels in Sylt, zwei Boote bei der Strandparty, um die es ging. Drei weitere Boote waren zum fraglichen Zeitpunkt vor Ort, die laut Aussagen der Besitzer lediglich an Bord feierten, ohne an Land gegangen zu sein.
Zur Befragung der Personen aller Boote, besonders der beiden Boote, die bei der Strandparty dabei waren, informierte Leo die betreffenden Polizeidienststellen mit der Bitte, die Befragungen vorzunehmen. Er bat auch darum, Angaben und eventuelle Alibis zu überprüfen und ihm die Aussagen und Ergebnisse umgehend zukommen zu lassen. Das Boot vom Herrn Politiker jedoch wollte er sich selber vornehmen. Leo bat abermals um ein Gespräch mit seinem Vorgesetzten Zeitler, was er als nicht sehr einfach einschätzte, denn sein Anliegen war außergewöhnlich und sprengte den Rahmen seiner sonstigen Arbeit. Michael Zeitler war 56 Jahre alt, 1,65 Meter groß und ziemlich kräftig. Die wenigen Haare, die er noch hatte, waren kaum sichtbar, da sie die gleiche Farbe hatten wie die Kopfhaut und sich deshalb kaum davon abhoben. Zeitler war bisher immer ziemlich kurz angebunden und teilweise kam er ihm auch mürrisch vor. Seit er diesen Fall bearbeitete, hatte ihn Zeitler jedoch mehrfach überrascht. Aber jetzt musste er seinen Besuch in Köln und der damit verbundenen Befragung des Abgeordneten genehmigen lassen und war auf die Reaktion gespannt.
„Herr Zeitler,“ begann Leo, „wir würden die Befragung des Abgeordneten Bernhard Meyer gerne selbst vornehmen. Der Abgeordnete ist in Köln und das sind nur fünf Autostunden, und da wir…“. Weiter kam Leo nicht, da Michael Zeitler abwinkte und somit Leos Redefluss unterbrach.
„Mir ist schon klar, dass Sie das selbst übernehmen wollen. Ich muss das aber erst mit den Kölner Kollegen abklären und gebe Ihnen Bescheid. Geben Sie mir ein paar Minuten.“
Kaum im Büro zurück, bekam Leo die Nachricht, dass die Kölner Polizei grünes Licht gab. Jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sie mit einem dortigen Kollegen zusammenarbeiteten. Leo ging das zwar gewaltig gegen den Strich, aber er musste das wohl hinnehmen. Er notierte den Namen des Kollegen und bedankte sich.
Nach einigen Querelen und mit Druck bekam Leo einen Termin im Büro des Abgeordneten Meyer am nächsten Tag um 15.00 Uhr und sandte ein entsprechendes Fax an die Polizei Köln.
Inzwischen war im Büro bezüglich der Boote eine Flut von Aussagen und Ermittlungsergebnisse per Fax und E-Mail eingetroffen. Leo und Anna einigten sich darauf, dass Leo allein nach Köln fuhr und Anna sich um die Bearbeitung der Unterlagen kümmerte, denn schließlich bekam er ja in Köln die Hilfe eines dortigen Kollegen und war somit nicht auf sich allein gestellt.
Leo machte sich gegen Mittag auf den Weg und erreichte mit einem brandneuen und mit allem Komfort ausgestatteten Fahrzeug die Polizei Köln. Es überraschte ihn, dass er einen neuen Wagen bekam, denn der Fuhrpark der Polizei Ulm bestand zum größten Teil nur aus älteren Fahrzeugen, von denen das jüngste mindestens zehn Jahre auf dem Buckel hatte. Er konnte nicht wissen, dass Zeitler für den Kölner Einsatz extra einen Wagen organisiert hatte, um sich dort nicht zu blamieren. Wie sähe es denn aus, wenn einer seiner Leute mit einer alten Klapperkiste auftauchte?
Leo genoss nicht nur die Vorzüge des neuen Wagens, sondern bemerkte bei der angenehmen Fahrt, dass Köln eine wirklich schöne Stadt war. Die Bilder der Severin-Brücke und des Kölner Doms kannte er nur aus dem Fernsehen und von Zeitschriften, er selbst war zum ersten Mal hier und war von den Eindrücken überwältigt.
Am Nachmittag betrat Leo die Polizeistation und fragte nach dem Kollegen Georg Obermaier, der mit ihm die Vernehmung des Abgeordneter Meyer durchführen sollte. Er musste einige Minuten warten, bis der Kollege die Eingangshalle betrat. Er war dunkelhäutig, hatte wilde, halblange Locken, war 1,65 Meter groß, schlank und 36 Jahre alt. Der Name Georg Obermaier passte so gar nicht zu seinem Äußeren. Er trug einen dunkelgrauen Anzug, ein weißes Hemd und eine rote Krawatte mit kleinen, gelben Enten drauf, die Leo amüsiert musterte.
Georg Obermaier bemerkte die Blicke auf seine Krawatte und sagte: „Ein Geschenk meiner 11-jährigen Tochter zum Geburtstag.“
Sie mussten beide lachen, stellten sich gegenseitig vor und Leo wusste sofort, dass er mit diesem Mann gut klarkommen würde. Sie gingen nicht in Georgs Büro, sondern in ein Café gleich um die Ecke und bestellten starken, schwarzen Kaffee; laut Aussage von Georg der Beste in Köln und Leo stimmte ihm zu.
„Jetzt erklären Sie mir erst mal, um was es eigentlich geht,“ fragte Georg neugierig. „Ich weiß nur, dass wir morgen Nachmittag einen Termin mit dem Abgeordneten Meyer haben. Ich hätte vorher gerne mehr über die Hintergründe erfahren.“
Leo klärte ihn über den ganzen Fall auf und während er berichtete, wurde er von Georg nicht ein einziges Mal unterbrochen, was ihm sehr gefiel.
„Und jetzt bin ich hier, um mit Ihrer Unterstützung den Abgeordneten zu befragen. Ich habe die Akte des Falles selbstverständlich dabei und Sie können sich die Unterlagen in aller Ruhe durchsehen,“ endete er seinen Bericht.
Georg nickte und nahm die ihm gereichte Mappe entgegen.
„Ich hoffe, Sie wissen, auf was Sie sich hier einlassen. Meyer ist ein sehr unangenehmer Zeitgenosse, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Ich verstehe nicht, warum gerade ich ausgesucht wurde, Ihnen zu helfen.“
Leo verstand nicht. „Wie meinen Sie das?“
„Meyer ist ein Rassist, das weiß hier jeder. Und wie man unschwer erkennen kann, bin ich schwarz. Er würde das in der Öffentlichkeit niemals zugeben, denn da präsentiert er sich gerne als Saubermann.“
„Tut mir leid, ich kenne mich in der Politik nicht aus, das hat mich nie interessiert. Mir sagt auch dieser Politiker nichts. Ich habe keine Ahnung, wer das eigentlich sein soll.“
„Es ist ein Fehler, sich nicht für Politik zu interessieren, denn die Damen und Herren Politiker entscheiden schließlich über unser Leben. Diese Einstellung sollten Sie dringend überdenken, Herr Schwartz. Ich werde Ihnen über Bernhard Meyer Informationen zusammenstellen, man sollte seinem Gegenüber nie unvorbereitet gegenübertreten.“
Leo gab ihm Recht, vielleicht war seine Einstellung auf diesem Gebiet wirklich etwas lasch. Aber er war auch wütend und peinlich berührt, denn er konnte Rassisten nicht ausstehen. Er konnte nicht verstehen, dass manche Menschen zwischen Hautfarben unterschieden, ihm war das völlig egal. Für ihn zählt der Mensch selber, und nicht die Hautfarbe, die Religion, das Einkommen oder der gesellschaftliche Stand. Leo war in dieser Beziehung sehr einfach: entweder, es war ihm jemand sympathisch - oder nicht.
Sie unterhielten sich noch einige Zeit sehr angeregt über alle möglichen Themen und beide genossen das Gespräch. Es war inzwischen spät geworden und Leo fragte nach seinem Hotel.
„Eigentlich wollte ich Sie in das nächstbeste Hotel stecken und ich habe bereits ein Zimmer für Sie reserviert. Aber da Sie mir sehr sympathisch sind, würde ich Ihnen gerne anbieten, bei mir zu wohnen. Ich habe ein großes Haus und meine Familie wohnt, um es einmal vorsichtig auszudrücken, vorübergehend bei meinen Schwiegereltern. Ich würde mich freuen, wenn Sie meine Einladung annehmen würden.“ Georg war wirklich ein netter Kerl und Leo nahm dankend an.
„Aber nur unter der Voraussetzung, dass wir das alberne SIE weglassen.“
Als die beiden in die Einfahrt von Georgs Grundstück außerhalb Kölns fuhren, konnte Leo seinen Augen kaum trauen. Das war kein Haus, sondern eine Villa, umrahmt von einem riesigen Grundstück. Georg bemerkte Leos überraschten und bewundernden Blicke.
„Lass dich von dem Äußeren nicht täuschen. Es ist ein uraltes Haus, das ich von meinen Eltern geerbt habe, und das Unsummen an Unterhalts- und Renovierungskosten verschlingt. Allein die Heizkosten sind ein finanzieller Kraftakt. Das Haus ist schon lange im Familienbesitz und meine Familie war immer mächtig stolz darauf. Die Vorfahren meiner Eltern waren alle Ärzte, nur ich bin aus der Art geschlagen. Meine Eltern waren sehr enttäuscht, als ich nicht Medizin studieren wollte, sondern stattdessen nur Polizist wurde.“
„Kann ich irgendwie verstehen, denn unser Job ist kein Zuckerschlecken. Außerdem ist der Verdienst ziemlich mies.“
Sie gingen ins Haus, das sehr gemütlich und geschmackvoll eingerichtet war. In der großen Küche zauberte Georg ein Essen, das Leo sehr gut schmeckte. Er hatte sogar frisches Gemüse und einen Salat zubereitet. Leo genoss nicht nur das Essen, sondern auch die Gesellschaft.
„Was ist mit deiner Familie? Opfer des Polizeidienstes?“ Leo wusste, wovon er sprach und dachte an das Scheitern seiner eigenen Ehe.
„Richtig. Meine Frau kommt schon seit geraumer Zeit nicht mehr damit zurecht, dass ich zu den unmöglichsten Zeiten bei der Arbeit bin. Sie kommt aus einem behüteten Elternhaus und in ihren Augen ist der Beruf eines Polizisten für einen Familienvater zu gefährlich. Wir haben uns nur noch gestritten. Vor drei Wochen ist sie mit meiner Tochter zu ihren Eltern gefahren, um sich eine Auszeit zu nehmen, was immer das auch sein mag. Ich verstehe das nicht. Es sind doch unsere Probleme, die wir klären müssen. Wie soll das funktionieren, wenn sie nicht da ist? Ich verstehe die Frauen nicht, das ist doch völlig unlogisch. Aber was soll ich machen?“
„Frag nicht mich,“ meinte Leo, „ich kenne mich auf diesem Gebiet überhaupt nicht aus. Ich habe selber schon so viel falsch gemacht, dass ich mich hüten werde, dir irgendwelche klugen Ratschläge zu geben, da halte ich mich lieber raus.“