Читать книгу Brimborium...oder was das Herz nicht erträgt - Irina Riederle - Страница 16
ОглавлениеMIT DEM EDDING IM GESICHT
Da sitzen wir. In diesem Selbstfindungs-Ayurveda-Chakren-Räucherstäbchen-Heilstein-Seminar. Auf Yogakissen, die alle außer mir augenscheinlich super bequem finden. Mir tun davon entweder die Knie weh oder schlafen die Füße ein. Das hat für mich schon des Öfteren ein böses Ende genommen. Letzte Woche erst habe ich nicht mitbekommen, dass mir beide Beine eingeschlafen sind und als ich aufstehen wollte bin ich einfach umgefallen. Mit der Nase bin ich dann aufs Parkett geknallt, weil ich über die Körperbeherrschung eines betrunkenen Walrosses verfüge. Aber genug davon und zurück zum eigentlichen Schauplatz dieser Geschichte. Zurück zum SACRHS, wie wir hippen Leute aus der Szene dieses Seminar nennen, oder das Vorzimmer zur Hölle, wie ich es nenne.
Da sitzen wir jedenfalls alle wieder. Wie jede Woche. Auf diesen beschissenen Yogakissen und hören uns an, was andere Leute über unseren Selbstwert denken. Wie man den definiert und dann beschwingt und einfach durchs Leben geht. So ein Mumpitz. Ich kenne meinen Selbstwert, bemesse ihn tatsächlich sogar sehr hoch, aber einfach und beschwingt ist an meinem Leben gar nichts. Okay das stimmt nicht. Mein Vermieter dürfte beschwingt durch die Wohnung tanzen, jedes Mal, wenn ich ihm die Miete pünktlich zahle. Mein Leben dagegen ist eine Aneinanderreihung von viel zu vielen „Was zum Kuckuck soll das denn jetzt schon wieder“ – Momenten. Dieses Seminar hat mir bislang übrigens auch noch keine Verschnaufpause davon verschafft. Im Gegenteil. Heute sollten wir uns gute Worte auf die Seelen schreiben. Buchstäblich. Um mich herum sind alle sofort begeistert als eine Bambusschale mit Stiften durch die Reihen geht. Wir sollen uns vorstellen, unsere Körper sind die Leinwand unseres Seelenlebens und darauf sollen wir zeichnen, schreiben oder malen, was uns so besonders macht.
Die anderen fangen an. Schreiben sich die Beine und die Arme voll und ich sitze einfach nur da. Auf diesem unbequemen scheiß Kissen und weiß nicht was ich schreiben soll. Weiß nicht, was ich mir selber sagen soll. Da ist auf einmal ein luftleerer Raum in mir, den ich nicht füllen kann. Und dann kamst du. Mit einem Edding in der Hand. Hast nicht gefragt. Nicht gewartet. Du warst nicht vorsichtig oder zurückhaltend. Du hast mir mit dem Edding ins Gesicht geschrieben was du von mir hältst. Hast mir all die wundervollen Dinge an mir gezeigt, von denen ich immer wollte, dass sie der Welt auffallen.
Wenn mir jemand vor einem Jahr erzählt hätte, dass ich es als pure Glückseligkeit empfinden würde, dass mir jemand mit einem scheiß schwarzen Edding im Gesicht rummalt, ich hätte ihn einweisen lassen. Dann reichst du mir einen Stift und ich schreibe auf dir. Schreibe wie schön du bist. Ich male einen Picasso auf deine Haut und als mir der Platz knapp wird, stelle ich fest, dass es nie genug Wörter geben wird, um dir zu sagen, wie wundervoll und einzigartig du bist. Wie besonders.
Vier Stunden später bin ich Zuhause und betrachte mich im Spiegel und mich durchströmt ein Gefühl von tiefer Zufriedenheit. Und eines ist mir augenblicklich klar: Ich möchte, dass das für immer so bleibt. Will mich nie wieder anders fühlen, als in diesem Moment. Geliebt, wertvoll und vor allem: gesehen. Gesehen, wie ich wirklich bin und trotzdem hast du dich nicht von mir abgewendet. Hast in die tiefen, dunklen Abgründe meiner Seele geblickt und dennoch das Licht erkennen können, das ich irgendwo in mir herumtrage. Ich kann es kaum erwarten, dich nächste Woche wieder zu sehen.
Das Ende sehen wir oft nicht kommen. Und meistens sind wir verwirrt, wenn die Dinge nicht so verlaufen, wie wir es in unseren Köpfen vorgeplant haben. Aber damit, damit konnte ich ja wirklich nicht rechnen. Während ich die ganze Woche auf deine Wörter aufgepasst und sie mir nicht abgewischt habe, sehe ich an dir nicht ein einziges. Nicht mal den Hauch einer Spur davon, dass ich dich berührt habe. Und es kommt noch schlimmer: du scheinst mich nicht zu erkennen. Beachtest mich nicht. Würdigst mich keines Blickes. Ich bin davon so entsetzt, dass ich auf der Stelle umkehre und zurück in die Nacht renne. Bis ich irgendwann verschwitzt und außer Atem vor meiner Haustüre, später dann in der Dusche stehe.
Ich versuche, deine Spuren von mir abzuwischen. Ich schrubbe wie eine Irre. Ich kratze mir die Haut wund, aber der Edding bleibt. Du bleibst. Und da wird mir bewusst: ich habe dir einen Edding in die Hand gedrückt, du mir einen Bleistift. Für dich war es nur ein Moment, nichts Besonderes. Aber für mich war es ein Versprechen für die Ewigkeit.