Читать книгу Ganztag aus der Perspektive von Kindern im Grundschulalter - Iris Nentwig-Gesemann - Страница 10

Forschungsstand

Оглавление

Die Perspektiven von Grundschulkindern auf die Ganztagsbetreuung wurden bereits in Studien mit unterschiedlichen Schwerpunkten untersucht; allerdings lassen sich noch größere Forschungsdesiderate ausmachen, wenn es um Erkenntnisse geht, die sich auf ganz Deutschland beziehen und die verschiedenen Formate des Ganztags umfassen.

Ausnahmen sind hier das LBS-Kinderbarometer (ProKids 2018) mit der Befragung von 10.025 Kindern im Alter von neun bis 14 Jahren und die World-Vision-Studie mit der Befragung von über 2.500 Kindern zwischen sechs und elf Jahren (Pupeter und Hurrelmann 2013). Durchaus interessante Ergebnisse – etwa dass derzeitige Ganztagsangebote bei Kindern aus sozial benachteiligten Milieus weniger beliebt sind (ebd.: 122 f.) oder dass 59 Prozent der Befragten ihre Hausaufgaben lieber zu Hause machen, Kinder mit Migrationshintergrund aber mehrheitlich die Schule als Ort der Hausaufgabenerledigung vorziehen (ProKids 2018: 130 ff.) – müssten jedoch qualitativ vertieft werden, um daraus Schlussfolgerungen für eine Qualitätsentwicklung ableiten zu können, die die Kinderperspektiven einbezieht.

Auf eine quantitative Studie, die zwar regional begrenzt ist, aber sehr interessante Ergebnisse zu verschiedenen Themenfeldern liefert, soll hier ebenfalls verwiesen werden: Andreas Wildgruber (2017) befragte 71 Kinder aus sieben offenen Ganztagsschulen des Modells »OGTS-Kombi« in Bayern mit einem Fragebogen. Dieser umfasste zehn Bereiche, unter anderem das Mittagessen, Räumlichkeiten und Materialien, freizeitpädagogische Aktivitäten, Hausaufgabenzeit, Partizipation, soziale Beziehungen und Kooperationspraxis zwischen Fach- und Lehrkräften sowie Fragen danach, was die Kinder nach vier Wochen vermissen würden, wenn der Ganztag geschlossen wäre. 96 Prozent der Kinder nannten in Bezug auf den letzten Aspekt das Zusammensein mit anderen Kindern. Aber auch das Außengelände (90 %), die Lehrkräfte (84 %) und die Betreuer:innen im Offenen Ganztag (82 %) sowie Ausflüge (80 %) und Nachmittagsangebote (78 %) würden vermisst (ebd.: 22). Sehr positiv wurden auch die Beziehungen zu anderen Kindern bewertet: So stimmen die Befragten auf einer Skala von 0 (gar nicht) bis 5 (ganz) im Schnitt mit 4,7 der Aussage zu, im Ganztag gute Freunde zu haben. Bei der Aussage »wenn ich von jemandem geärgert werde, dann helfen mir andere Kinder« liegt die Zustimmung etwas niedriger bei 4,1 (ebd.: 19). Wildgruber findet zudem Hinweise auf grundlegend positive Beziehungen der Kinder zu den Fachkräften und macht dies beispielsweise an ihrer Zustimmung zu den Items fest, dass sie von den Fachkräften herzlich begrüßt und verabschiedet werden, sich bei Streit an ihre:n Betreuer:in wenden können und diesen vertrauen. Die Zustimmung liegt auf einer Skala von 0 (gar nicht) bis 5 (ganz) bei diesen drei Aspekten bei 4,5, 4,3 und 4,1 (ebd.).

Insgesamt besteht in der Forschung zum Thema Ganztag Einigkeit darüber, dass sich die Frage nach den Wirkungen eines ganztägigen Aufenthalts von Kindern in einer Ganztagsschule bzw. in Schule und Hort nicht auf die Verbesserung formaler Schulleistungen beschränken kann. Zunehmend setzt sich auch die Einsicht durch, dass die Perspektiven von Kindern, als den eigentlichen Adressat:innen einer Schulreform, viel stärker als bislang in die Überlegungen zur Qualität einbezogen werden müssten (Staudner 2018: 64; Plehn 2019: 68; Neuss 2017: 22 ff.) und dass für einen vertiefenden Einblick in die Kinderperspektiven qualitative Studien notwendig und zielführend sind.

Nicht zuletzt aufgrund der heterogenen Landschaft der Angebote fokussieren vorliegende qualitative Studien (zum Teil ergänzt durch einen standardisierten methodischen Zugang) typischerweise eine bestimmte Form des Ganztags in einer bestimmten Region (vgl. Tabelle 1).

Die Forschungsarbeiten zum Thema Ganztag aus Kindersicht sind mit dem Setting der offenen (Beher et al. 2007; Deinet et al. 2018) oder gebundenen (Staudner 2018) Ganztagsschule verbunden. So begleiteten Karin Beher und Kolleg:innen (2007) die Einführung der offenen Ganztagsschule (OGS) in Nordrhein-Westfalen (NRW) unter anderem mit der Befragung von Kindern mittels standardisierter Fragebögen und verschiedener qualitativer Interviewformen zu ihren Perspektiven auf die OGS und verfolgten damit ein methodentriangulierendes Forschungsdesign.

Ein sehr elaboriertes Erhebungsdesign verwendete die ebenfalls in NRW angesiedelte Studie »Offene Ganztagsschule – Schule als Lebensort aus Sicht der Kinder« der Forschungsgruppe um Ulrich Deinet (Deinet et al. 2018). Die Forscher:innen befragten Kinder in offenen Ganztagsschulen zu ihrem »Erleben«, der »Nutzung der Räumlichkeiten und ihrem subjektiv wahrgenommenen Grad an Partizipation bei der Gestaltung der OGS« (ebd.: 18). Dazu wurde ein Mixed-Methods-Ansatz gewählt, der die Instrumente Kinderfragebogen, Nadelmethode, subjektive Schulkarte und Landkarte, Gruppeninterviews sowie Autofotografie (ebd.: 19 f.) beinhaltete und damit den Kindern eine Vielfalt an Möglichkeiten gab, etwas über ihre Erfahrungen, Orientierungen und Einschätzungen zum Ausdruck zu bringen. Auch die methodische Herangehensweise von Stephanie Staudner (2018) erscheint interessant: Sie verglich Tagebuchprotokolle von Drittklässler:innen aus Regelklassen zu den für sie bedeutsamen Aktivitäten über einen Tag hinweg mit denen aus Halbtagsklassen in einer oberbayerischen Grundschule und führte dazu anschließend vertiefende Interviews mit den Kindern.

In der qualitativen Studie des StEG-Konsortiums (2016) steht das Lernen an Ganztagsschulen aus Sicht der Schüler:innen im Fokus. Zur Frage, was ein »schüleraktivierendes außerunterrichtliches Angebot« ausmacht, wurden Kinder aus vier Ganztagsschulen der Primarstufe und fünf der Sekundarstufe in Interviews und Gruppendiskussionen befragt und die pädagogische Praxis teilnehmend beobachtet.

Studien zur Qualität außerschulischer Betreuung aus Kindersicht sind auch in Österreich und Island zu finden: So interessierte sich eine Gruppe um Waltraud Gspurning (Gspurning et al. 2010) für die pädagogische Qualität der Nachmittagsbetreuung in Österreich und befragte dazu Kinder mittels Gruppendiskussionen. Kolbrún Þorbjörg Pálsdóttir (2019) ließ isländische Kinder Bilder zeichnen zum Übergang von der Schule ins »Freizeitzentrum« (vergleichbar mit dem Hort) und führte dazu Interviews.

Sofern in diesen Studien eine Auswertungsmethode angegeben wird, handelt es sich um die qualitative Inhaltsanalyse, mittels derer Kategorien entwickelt wurden, die die Perspektiven und Vorstellungen der Kinder zu einem guten Ganztag inhaltlichthematisch bündeln. In den Forschungsberichten werden allerdings, mit Ausnahme der Dissertation von Staudner (2018), weder der systematische und regelgeleitete Entwicklungsprozess der Kategorien aus dem gesammelten empirischen Material heraus noch differenzierte Kategoriensysteme mit Ober- und Unterkategorien dargestellt; dies erschwert die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse erheblich. Waren auch quantitative Erhebungen eingeschlossen, so wurden diese Daten mittels deskriptiver Statistik ausgewertet und zu einzelnen entwickelten Kategorien in Beziehung gesetzt.

Vergleicht man die Ergebnisse der Studien, erweisen sich einige Themen – unabhängig vom Setting (Nachmittagsbetreuung/Hort vs. Ganztagsgrundschule) und von regionalen Schwerpunkten – als besonders relevant und damit in ihrer Verallgemeinerbarkeit empirisch gut abgesichert: In der Perspektive von Kindern gehören die Themen Freundschaft, Spiel und Bewegung, Partizipation, soziales Klima bzw. Fachkräfte sowie Lernen und Hausaufgaben zu ihren fokussierten Erfahrungsbereichen im Ganztag. Darauf soll hier genauer eingegangen werden.

Tabelle 1: Qualitative bzw. methodentriangulierende Forschungsarbeiten zum Thema »Ganztag aus Kindersicht«


Ganztag aus der Perspektive von Kindern im Grundschulalter

Подняться наверх