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Kapitel 5 Klaus Kariert
ОглавлениеAm nächsten Morgen wachte ich erst auf, als meine Zimmertür aufgeschlossen wurde. Heute musste ich unbedingt die Fotos für Olaf machen und dann ab nach Hause – am besten aus dem Fenster im Badezimmer. Aber vorher musste ich die verrückte Caro dazu bringen, mir mein Telefon zurückzugeben. Ich lief die Treppe hinunter in die Küche. Caro stand am Herd. Sie hatte eine rot-gelb-karierte Schürze umgebunden und summte vor sich hin. In einer Pfanne brutzelten Frikadellen, Bohnen, Eier mit Speck. Nichts davon war kariert.
„Wie wäre es vor dem Frühstück mit einem Besuch im Badezimmer, mein Lieber“, sagte sie schnippisch, „ungewaschen kommst du nicht an meinem Tisch!“
Ich verschwand im Badezimmer und sah gleich, dass die Fenster vergittert waren. Ich warf mir drei Spritzer Wasser ins Gesicht und lief zurück in die Küche.
„Das erzähle ich alles meinen Eltern“, gierig starrte ich auf den Speck, „Sie sperren mich ein und lassen mich hungern!“
Caros Augen glitzerten gefährlich. „Glaub´ mir, mein Lieber, wenn deine Eltern zurückkommen, werden sie ganz andere Sorgen haben.“
Ich wollte gerade fragen, was für Sorgen das sein sollten, doch der Duft nach gebratenem Speck und Eiern stieg mir in die Nase. So ein Frühstück hatte mir Mama nie vorgesetzt. Ich ließ mich zufrieden auf einen Küchenstuhl plumpsen.
Caro knallte einen Teller voll braun-schwarz-kariertem Toastbrot auf den Tisch und warf mir einen finsteren Blick zu. „Der gnädige Herr ist wohl zu vornehm, um den Tisch zu decken? Aber der gnädige Herr muss sich selbst einen Teller aus dem Schrank holen. Und Messer und Gabel nicht vergessen. Oder isst man bei euch zu Hause mit den Fingern?“
Ich schob mit lautem Gescharre meinen Stuhl zurück. Darüber hatte sich meine Mutter immer furchtbar aufgeregt, weil der Boden davon schwarze Streifen bekam. Doch Caro sagte kein Wort. Ich riss EINEN Teller und EINE Gabel für mich aus dem Küchenschrank und knallte die Schranktüren wieder zu. Caro sagte nichts. Als ich am Tisch saß, sah ich einen dicken, schwarzweißen Kater draußen vorm Küchenfenster sitzen. Caro ließ ihn herein. Der Kater maunzte hungrig, sprang zu Boden und betrachtete mich misstrauisch.
Caro füllte zuerst den Katzennapf und dann erst meinen Teller: Frikadellen, Bohnen, Eier und Speck. Kein Müsli. Echt Lecker. Ich packte die Gabel und sah gerade noch, dass in Caros Hand eine kleine Flasche aufblitzte. Tropfen einer blau-grün-schwarz-gelb-roten Flüssigkeit landeten im Katzen-Napf und auf meinem Teller. Dann verschwand die Flasche wieder in ihrem Laborkittel. Der Napf landete auf den Fußboden und der Teller vor mir auf dem Tisch.
„Lasst es euch schmecken, meine Lieben. Enjoy your meal“, säuselte Caro und huschte aus der Küche.
Der dicke Kater schnupperte misstrauisch an seinem Futter. Ich überlegte. Diese Tropfen … das war sicher so ein Vitaminzeugs. Das kippte sich mein Vater auch übers Müsli. Ich hatte wirklich großen Hunger und verputzte alles. Komisch, danach fühlte ich mich noch hungriger als vorher. Ob das von den Tropfen kam? Es war, als wäre mein Appetit mit jedem Bissen noch größer geworden, aber die Pfanne auf dem Herd war leer. Aber da war noch der Katzennapf … und der Kater saß noch immer davor. Er hatte keinen Bissen angerührt.
‚Der hat keinen Hunger‘, überlegte ich, ‚und wer weiß, wann ich wieder was von der verrückten Alten bekomme‘. Ich kniete mich auf den Boden. Ja, ihr habt richtig gelesen: auf den Boden. So unglaublich groß war mein Hunger. Der Kater knurrte mich an, als ich zu seinem Napf kroch, aber ich schob ihn einfach weg. „Verschwinde, du bist fett genug!“
Der Kater fauchte, hob die Pfote und verpasste mir blitzschnell drei blutige Kratzer. Einen auf meiner Hand und zwei auf der Stirn.
„Autsch!“ Das brannte höllisch! Ich wischte mir mit der Hand über die Stirn und leckte mir die Blutstropfen von der Hand. Egal, ich war so unglaublich hungrig, zog schnell den Katzennapf zu mir und stopfte alles laut schmatzend in mich hinein. Der Kater tippte sich mit der Pfote gegen seine Stirn, sprang hoch zum Küchenfenster und verschwand. Als ich aufstand, sah ich, dass Caro-Line Mac Bleistein mich durch die Küchentür beobachtete. Sie hielt eine Kamera vors Auge und murmelte „Unglaublich! Dieser verfressene Junge hat alles leer gefuttert! Was für ein Experiment: die doppelte Menge Tropfen! Unglaublich! Unbelievable! Blimey!“
Keine Ahnung was das heißen sollte! Ich rülpste total laut. Olaf wäre stolz gewesen. Jetzt war ich satt. Keinen Krümel hätte ich mehr verdrücken können. Ich musste mich am Tisch hochziehen, als ich aufstehen wollte. Was war nur in meinem Bauch los? Dick und aufgeblasen wie ein Fußball sah er aus. Mir war schlecht. Ich schlurfte aus der Küche, krabbelte die Stufen hinauf zu meiner Abstellkammer und plumpste auf die karierte Bettdecke.
Dreizehn Sekunden später brodelte und grummelte es in meinem Bauch, dann gluckerte, gurgelte, ächzte und brummte es. Hilfe! Sicher würde ich gleich explodieren und ein kariertes Monster aus mir herauskriechen. Caro stand plötzlich in meinem Zimmer. Ich wollte aufstehen und ihr sagen, dass Cola und Salzstangen gut gegen Magengrummeln sind, doch meine Arme und Beine fühlten sich an, als seien sie an der Bettdecke festgenäht. Ich konnte keinen Finger bewegen und kein Wort sagen.
Caro sagte nichts. Nichts von dem, was meine Mutter jetzt sagen würde. ‚Du armer Junge, ich bring dir einen Tee und eine Wärmflasche. Morgen ist alles wieder gut.‘ Nein, sie musterte mich wie einen Käfer, der auf den Rücken lag und dem man zusieht, wie er sich abmüht auf die Beine zu kommen. Sie zog ein kariertes Notizbuch und einen karierten Füller aus der Tasche ihres Laborkittels.
„Wehr dich nicht, Junge, dann wird es leichter“, sie klopfte mit ihrem Stift gegen meine Nasenspitze, „ah, jetzt fängt es an. Sehr interessant, blau-grün! Die Farben der Familie!“
Ich schloss die Augen, versuchte ‚Mama‘ zu rufen. Caro murmelte immer wieder. „Die doppelte Menge Tropfen! Unglaublich!“
Dann begann das Reißen und Zerren. Ich fühlte mich wie eine Wurst, die in ihre Pelle gepresst wird. Hin- und her gerollt, gestreckt und gequetscht. Überall, am Kopf, Bauch, Rücken kitzelte und juckte es, aber ich konnte mich nicht kratzen. Arme und Beine wurden zusammengepresst und wieder langgezogen.
Als ich die Augen öffnete, lag vor meiner Nase etwas langes, kariertes. Am Ende blitzten Krallen hervor. War das eine Katzenpfote? Ja, mit kariertem Fell. Blau-grün-kariert mit zarten, schwarzen Streifen. Aber wo war mein rechter Arm? Auch mein linker Arm war verschwunden, stattdessen lag da noch eine zweite Pfote. Auch kariert. Ich stand auf. Es ging ganz leicht. Ich stand auf Vorder- und Hinterpfoten und als ich den Kopf hängen ließ, sah ich – igitt, einen karierten Katzenschwanz!
Hilfe! Ich fiel um und kullerte von der Matratze. Stand wieder auf, presste Vorder- und Hinterpfoten auf den Boden. Meine Jeans und mein T-Shirt lagen neben mir auf der Matratze.
Plötzlich hörte ich ein Geräusch, drehte den Kopf und schielte rechts und links an den Barthaaren vorbei. Das Geräusch kam von Caro. Sie beobachtete mich noch immer. Jetzt hatte ich richtige Wut. Ich öffnete den Mund … igitt, da waren überall Haare! Ich hätte am liebsten geheult, aber es kamen keine Tränen. War das alles nur ein Traum? Ja, klar. So musste es sein. Also, einfach schütteln, aufwachen und schnell weg von hier. Weg von dieser Verrückten. Einfach nach Hause laufen. Und die Fotos für Olaf? Alles EGAL!
Ich stolperte an Caro vorbei zur Treppe. Hilfe, die war ja unglaublich steil! Was für ein Abgrund! Wie sollte ich das schaffen? Kopfüber und mit diesen langen, seltsamen Beinen?
Für alle, die immer alles genau wissen wollen:
Versucht mal auf allen vieren kopfüber eine Treppe hinunter zu laufen, dann wisst ihr, was ich meine.
Plötzlich packte mich Caro und schleppte mich die Stufen hinunter. Vor dem großen Spiegel im Flur setzte sie mich ab. Nein, das war kein Spiegel mehr. Jetzt war es ein Gemälde, auf dem eine karierte Katze zu sehen war. Sie war blau-grün-kariert mit zarten, schwarzen Streifen. Das Gemälde zeigte auch Caro, die hinter der Katze stand. Doch Caro bewegte sich und die Katze bewegte sich auch. Nein, das war kein Gemälde. Es war noch immer ein Spiegel!
„Darf ich vorstellen“, kreischte Caro, „Klaus Zacharias, der erste Mensch-Kater!“
Katzen hören viel besser als Menschen, und schrille Töne klingen für empfindliche Katzenohren schrecklich. Ich presste beide Vorderpfoten auf die Ohren – und fiel um. Und ich hätte noch zwei Pfoten gebraucht, um mir die Augen zuzuhalten, denn ich war nackt – außer meinem Fell natürlich.
„Es ist vollbracht“, kreischte Caro weiter.“ Endlich habe ich gewagt, dass Kariert-Serum an einem Lebewesen zu testen. Es hat zwar nicht so gewirkt wie ich dachte, aber immerhin – DU BIST KARIERT! Aber leider ein Kater. Das war nicht geplant. Ich wollte es an euch beiden testen. Mensch und Tier. Doch der Kater war schlau und nicht so gefräßig. Wieso hast du dich nur kratzen lassen? Jetzt bist du Klaus Kariert!“
Ich starrte in den Spiegel. Was sollte ich tun? Loslaufen? Aber wohin? Die Tür war zu und die Fenster verriegelt. Sollte ich Caro anspringen? Aber ich wusste nicht, wie man mit vier Pfoten sprang. Ich konnte ja kaum laufen. Na, die verrückte Alte würde ein Donnerwetter zu hören bekommen, wenn meine Eltern wieder zu Hause waren. Mein Vater würde sie ZWINGEN, mich sofort zurückzuverwandeln und mir meine Jeans zu geben. Und mein Telefon.
Mir war gerade etwas eingefallen. Konnte ich überhaupt noch sprechen? Ich öffnete meinen Fellmund. Nur ein zartes ‚Miau‘ kam heraus. Verdammter Mist!
Caro schleppte mich in die Küche. „Die Verwandlung muss sehr anstrengend gewesen sein. Du musst bei Kräften bleiben.“
Ein Napf klapperte auf den Boden. Wasser? Wo war meine Cola? Und wie sollte ich ohne Strohhalm trinken?
„Du wirst einiges lernen müssen“, plapperte Caro, „fang‘ schon mal damit an: Katzen trinken mit der Zunge!“
Ja, stimmt. Aber das muss man doch erst lernen, oder? Und ich war keine echte, sondern eine verzauberte Katze. Ich streckte die Zunge ins Wasser und schlabberte los.
Ein paar Tropfen landeten in meinem Mund. Jetzt merkte ich, dass ich gewaltigen Durst hatte und schlabberte einiges weg. Und plötzlich war da so ein komisches Drücken in meinem Bauch. Nein, Hunger war es nicht. Hilfe, ich musste pinkeln. Zum Glück stand die Tür zum Badezimmer offen. Ohne zu überlegen sprang ich auf den Toilettensitz – und rutschte wieder ab. Gut, dann eben in die Badewanne, doch da kam Caro angestapft, packte mich im Genick und schleppte mich durch die Küche hinaus in den Garten.
„Wage es nicht, meine Toilette zu benutzen! Raus mit dir, du hast ja sicher schon mal gesehen wie eine Katze pinkelt. Aber halte dich von meinen Rosenstöcken fern. Und denk dran: wenn du fertig bist, alles verscharren!“
Ich hasste diese Caro-Line Mac Bleistein. Noch mehr als Olaf und seine Rüpel-Bande. Und was glaubt ihr wohl, wohin ich pinkelte? Klar, genau an die Rosenstöcke. Zumindest versuchte ich es … das musste ich noch üben. Ach ja, scharren musste ich ja auch noch. Nasse Erdkrümel flogen mir um die Ohren und winzige Steinchen blieben zwischen meinen Krallen hängen. Das war eklig und pikste, aber ich fühlte mich gleich besser.
Konnte ich nicht aus dem Garten fliehen? Ein riesiger Kastanienbaum stand mitten auf dem rot-grün-schwarz karierten Rasen! Wenn ich jetzt mein Telefon hätte … aber könnte ich mit den Pfoten überhaupt Fotos schießen?
Der Garten war von einer hohen Steinmauer eingezäunt, und darüber wölbte sich noch ein Stacheldrahtzaun. Da hätte ich schon klettern müssen wie eine Spinne. Wie kletterte man überhaupt mit vier Pfoten? Ihr müsst wissen: Ich war nie sehr sportlich. Noch dazu fing es an zu regnen. Also schnell zurück in die Küche. Neben dem Wassernapf stand ein gefüllter Teller.
Moment mal. Ich schnupperte misstrauisch. War das wieder so ein Zauberzeugs? Aber ich hatte so schrecklichen Hunger. Vorsichtig probierte ich einen Bissen von diesem Matschzeug auf dem Teller. Oh, das war lecker! Katzenfutter schmeckte genau wie Hamburger – sogar besser. Hungrig schlang ich alles hinunter. Ohne Besteck und Serviette, einfach Mund auf und los mampfen. Zufrieden wischte ich mir mit der Pfote die Barthaare sauber.
Caro saß am Küchentisch, strich sich Butter – nein, die war nicht kariert – auf eine Scheibe Toast und beobachtete mich.
„Wer hat dir nur diesen albernen Namen gegeben? Klaus! So heißt doch heutzutage kein Junge mehr. Nun, jetzt bist du Klaus Kariert. Ach was, ich werde dich KK nennen, das spart Zeit und klingt wie ein wissenschaftliches Experiment. Wenn ich also KK rufe, dann kommst du sofort her. Kapiert? Und denk daran, wenn du nicht tust, was ich sage, bleibt dein Teller leer!“
Ich, Klaus Zacharias, war jetzt KK! Ich biss vor Wut die Zähne zusammen. Autsch, das tat weh! An diese nadelspitzen Reißzähne musste ich mich noch gewöhnen. Warum schnappte ich mir nicht Caros Bein und biss kräftig hinein? Nein, es war besser, der verrückten Alten zu gehorchen. Nur solange bis meine Eltern zurück waren!