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Kapitel 4 Bei Caro

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Sobald meine Eltern um die nächste Ecke gebraust waren, stand Caro-Line Mac-Bleistein auf der Türschwelle. Ich beschloss, cool zu grinsen, doch bevor ich grinsen konnte, packte sie mich und zerrte mich ins Haus. Sie knallte die Tür zu, drehte den Schlüssel dreimal um und drückte blitzschnell auf die Tasten eines Kästchens neben der Tür. Fünf rote Lämpchen blinkten hektisch.

„Das ist die Alarmanlage“, erklärte sie mir, „um sie auszuschalten, muss man ein Kennwort eingeben. Glaub’ nur nicht, dass du es knacken kannst. Es ist weder mein Vorname noch mein Geburtsdatum. Und es sind 25 Buchstaben und 11 Ziffern!“

Ich spitzte die Ohren. Das war ein Fall für Kevin, Olafs Computer-Rüpel. Der war total wild auf Computerspiele. Ich musste ihm unbedingt ein Foto auf sein Handy schicken.

Für alle, die immer alles genau wissen wollen:

‚Handy‘ ist ein englisches Wort und heißt einfach nur ‚praktisch‘.

In England heißt ein tragbares Telefon ‚mobile phone‘ oder ‚cell phone‘ in Amerika.

Ich wollte mein Telefon aus der Tasche ziehen, aber Caro beobachtete mich. Also ließ ich es stecken und sah mich um. Die Tapete im Flur war rot-schwarz-kariert und ein grün-gelb-karierter Schirm stand im Schirmständer. Das war nix Besonderes, das konnte man sicher irgendwo kaufen. Nein, für Olaf brauchte ich etwas viel Aufregenderes.

„Hier geht‘s lang.“ Caro stieß mich zur Treppe, die hinauf in den oberen Stock führte. Dort blieben wir vor einem Gemälde stehen, dass schief an der karierten Wand hing.

„Das ist mein Neffe Angus“, erklärte Caro, „er lebt in Schottland. Dort bin ich geboren. Er ist der Sohn meiner geliebten Schwester Emily.“

Dieser Angus musste genauso verrückt sein wie Caro, denn er trug einen Rock. Ein Mann, der einen karierten Rock trug! Diese ganze Familie Mac-Bleistein war total übergeschnappt.

„Ich habe es so geliebt, mein Schottland“, seufzte Caro leise, „aber das war in einem anderen Leben!“

Wie bitte? Ich tippte mir hinter Caros Rücken mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. In welchem anderen Leben? Man hatte doch nur eines.

„Leider ist mein Neffe ein lausiger Wissenschaftler. Viel zu ängstlich. Immer hat er mich gewarnt. Nein, Tante Caro, damit soll man nicht experimentieren. Tu’ dies nicht, tu’ das nicht. Ein richtiger Hasenfuß ist er! Dir kann ich es ja sagen, denn du wirst es niemandem erzählen.“

Plötzlich kicherte sie. Nicht fröhlich, sondern schrill und spitz. Irgendwie irre. Irre und unheimlich. Klar, würde ICH diesem Angus nie was erzählen! Ich kannte ihn ja überhaupt nicht. Und wie sollte ICH nach Schottland kommen? Caro öffnete eine Tür links neben dem Angus-Gemälde.

„Hier ist dein Zimmer. Ich werde noch oben in meinem Labor arbeiten. Du hast ja sicher etwas zu tun, mein Lieber!“ Für meine Ohren klang ‚Mein Lieber‘ als hätte sie gesagt, ‚du ungehobelte, freche, kleine Kröte, steh mir nicht länger im Weg herum.‘

Ich trug meine Sporttasche in das Zimmer. Es war winzig klein, wie eine Abstellkammer. Eine Matratze und eine rot-schwarz-karierte Decke lagen auf dem Boden. Egal, hier drin würde ich nicht oft sein. Wenn ich nur dran dachte, was ich schon alles gesehen hatte: karierte Tischdecken, Teppiche, das Sofa und der Sessel, Lampenschirme, sogar die Tulpen in der Vase. Es würde Tage dauern, alles zu fotografieren.

„Pack dein Zeug aus, mach Hausaufgaben oder lies was. Um 18 Uhr gibt es Abendessen – und ich weiß schon jetzt, dass ich nicht nach dir suchen muss.“

Caro kicherte wieder ziemlich irre, warf die Tür zu und drehte den Schlüssel um.

Eingeschlossen! Sie hatte mich eingeschlossen! Keine Fotos!

Ich hämmerte gegen die Tür und schrie „Lassen Sie mich sofort raus! Ich rufe meine Eltern an! Entführung! Ich rufe die Polizei!“

„Halt die Klappe“, kreischte Caro zurück, „steck’ deine Rotznase in deine Bücher. Das wird nicht schaden!“

Lesen? Ich hatte keine Bücher dabei. Nur mein Telefon, doch was war das? In diesem Zimmer gab es kein Netz. Das Telefon funktionierte nicht – und es gab auch keinen Fernseher! Nur ein Stapel Bücher lag in der Ecke.

Diese Verrückte hatte mich entführt! Nein, falsch! Meine Eltern hatten mich freiwillig bei ihr abgeliefert!

Rechts war ein winziges Fenster. Ich rüttelte am Griff. Natürlich verschlossen. Immerhin konnte ich von hier oben die Straße sehen. Ja, ich würde winken oder ein Schild ‚Hilfe, ich wurde entführt‘ hochhalten. Gerade ging unten Nachbar Brösel mit seinem dicken Dackel vorbei. Ich stellte mich auf Zehenspitzen und hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Scheibe. Herr Brösel blieb stehen, sah sich um und sah nach oben. Dann grinste er und ging weiter.

‚Er hat mich gesehen‘, dachte ich, ‚aber er will mich nicht sehen‘. Mir fiel ein, dass Olaf mich gezwungen hatte, seinem Dackel auf den Hintern zu schießen. Das war jetzt die Rache dafür.

Ich stolperte über den Stapel Bücher. Alles Bücher über Katzen! Hatte die verrückte Mac Bleistein irgendwo eine Katze? Ich ließ mich auf die Matratze mit der karierten Decke plumpsen und starrte hoch zur Zimmerdecke. Über mir liefen Schritte eilig hin und her, dann rumpelte, zischte und knallte es. Ich hörte Caro zornig rufen. „Verflixt, schon wieder misslungen!“

Egal, in zwei Tagen waren meine Eltern wieder da.

Eine Minute vor 18 Uhr drehte sich der Schlüssel im Schloss und die Tür sprang auf.

„Los, runter mit dir in die Küche!“ Caro polterte vor mir die Treppe hinunter.

Ich schlurfte langsam hinterher. Dabei riskierte ich einen Blick in das Zimmer links neben meinem. Das musste Caros Schlafzimmer sein: karierte Bettwäsche und eine karierte Kommode, karierte Pantoffeln standen auf einem karierten Bettvorleger.

„Das Badezimmer ist unten links“, rief Caro, „und du könntest dringend eine Dusche brauchen. So wie du riechst, kommst du nicht in meine Küche. Kein Wunder, dass sie dich nicht mitgenommen haben. Sie wollen sicher einen guten Eindruck machen, dort wo sie hingefahren sind!“ Caro verschwand in der Küche.

Ich stieß die Tür zum Badezimmer auf. Gerade wollte ich sagen, dass meine Eltern mich sehr wohl mitnehmen wollten …, als mir der Satz im Hals stecken blieb.

Wer von euch hat schon eine karierte Badewanne gesehen? Karierte Handtücher, karierte Seife. Sogar kariertes Klopapier! Das war irre! Ich schraubte die Haarshampoo-Flasche auf, um zu testen, ob das Shampoo auch kariert war. „Wie lange dauert das noch?“ Caro stand in der Tür. Ihre grauen Haare standen wirr vom Kopf ab, ihr weißer Laborkittel war voller Brandlöcher.

Ich stellte mich unter die Dusche, um zu sehen, ob kariertes Wasser aus der Leitung kam. Aber nein, es war normales Wasser. Schade, DAS hätte ein tolles Foto für Olaf gegeben. Ich zog mich wieder an und ging in die Küche.

Das karierte Klopapier war schon erstaunlich gewesen, aber auf meinem Abendbrotteller lag eine Scheibe … kariertes Brot! (ja, ja, es muss heißen: karierten Brotes!)

Misstrauisch betrachtete ich das Glas daneben. Nein, das war nur Cola. Aber der Tisch, die Stühle und natürlich mein Teller: alles kariert. Komisch, die Serviette war einfach nur rot.

„Ist das Ihr Labor, da oben über meiner Abstellkammer?“, fragte ich.

„So, du nennst dein Zimmer Abstellkammer“, kicherte Caro, „na du bist ja ein ganz Schlauer! Ja, es ist eine Abstellkammer und DU bist jetzt dort abgestellt!“

Sie öffnete den Kühlschrank. Schnell zog ich mein Telefon aus der Hosentasche, um die Brotscheibe auf meinem Teller zu fotografieren, als Caros Hand über meine Schulter griff und mir das Telefon wegriss.

„Geben Sie mir das zurück“, rief ich, „das gehört mir!“

„Jetzt nicht mehr.“ Das Telefon verschwand in der Tasche ihres Laborkittels.

„Aber Sie müssen es mir geben! Das ist Diebstahl!“

„Was du nicht sagst. Und was war das, als du mir meine Kellerfenster zerkratzt und beschädigt hast? Das war Einbruch! Du müsstest dich noch bei mir bedanken, weil ich dich nicht bei der Polizei angezeigt habe!“

Ich wurde rot. Vor Zorn und ja, auch ein wenig, weil ich mich schämte. Langsam wurde mir das alles zu blöd.

„Ich will nach Hause. Sofort. Ich warte dort auf meine Eltern. Sie können mich hier nicht einsperren. Das ist Entführung!“

„Falsch“, Caros spitze Nase schoss wie eine Nadel auf mich zu, „deine Mutter hat dich mir aufgedrängt. Weil sie alleine verreisen wollten, die zwei. Ganz alleine. Ohne dich. Also sei friedlich, dann passiert auch nix!“

Sie kniff die Augen zusammen und kicherte wieder schrill. „Wieder falsch! Es passiert ja doch was. Ja, du kannst dich freuen. Du wirst ein tolles Abenteuer erleben, mein Lieber. Du liebst doch Abenteuer, oder? Ja, alle Jungs lieben Abenteuer!“

Abenteuer? Hier bei dieser Verrückten?

„Außerdem ist es sehr unhöflich, eine alte Dame anzuschreien, mein Lieber. Zur Strafe gibt es heute kein Abendbrot. Los, verschwinde in deine Abstellkammer. Wenn du Glück hast, gibt es morgen früh was!“

„Ich hab’ aber jetzt Hunger!“

„Es schadet nicht, wenn du lernst wie sich Hunger anfühlt“, zischte Caro, „sehr abgemagert siehst du ja nicht aus! Wenn ich es mir genau überlege“, sie griff nach dem Glas Cola und kippte es in die Spüle, „DAS hier muss auch nicht sein. Leitungswasser tut es auch!“

Ich war sprachlos. So hatte noch nicht einmal meine Mutter mit mir geredet. Ja, von den vielen Hamburgern, Pommes, Pizzen und Dönern war ich um den Bauch rundlich geworden. Aber ich musste das alles essen, damit Olaf mich in Ruhe ließ. Der war selbst ziemlich speckig und duldete keinen Salat in seiner Nähe.

Caro packte mich, schubste mich hoch in meine Abstellkammer und sperrte mich wieder ein. Ich kann euch sagen, für so eine uralte Frau hatte sie unglaublich viel Kraft.

Ich muss zugeben, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben nicht wusste, was ich tun sollte. Schreien, heulen oder toben? Oder alles gleichzeitig? Aber irgendwie wusste ich auch, dass es bei Caro nichts nutzen würde.

Ich kauerte mich auf die dünne Matratze und merkte, wie hungrig ich war. Jetzt hätte ich sogar von dem gesunden Gemüsezeugs meiner Mutter gegessen. Ich vermisste … einfach alles! Mein Zimmer, mein bequemes Bett, den Fernseher, meinen Computer! Natürlich mein Telefon, sogar den Mond, der zu Hause durch mein Fenster schien. Durch dieses winzige Fenster kam fast kein Licht. Es war stock-dunkle-Nacht-finster. Und ja, ich musste es zugeben: Ich vermisste meine Mutter! Und meinen Vater! Und das schon am ersten Tag! Was war nur los mit mir?

Klaus Kariert

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