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Kapitel 3 Reisepläne
ОглавлениеAlles begann mit dem Tag, an dem mein Vater Roland die Stellenanzeige in der Zeitung entdeckte. Ein Verlag suchte einen Mitarbeiter, der die Bücher anderer Schriftsteller las, bevor sie gedruckt wurden. Klar, es war nicht so toll wie selbst zu schreiben, aber er könnte mit Büchern arbeiten.
Leider war dieser Verlag in einer anderen Stadt, und die war ziemlich weit weg.
Mein Vater trug die Anzeige immer bei sich. Jeden Morgen und jeden Abend zog er sie aus der Tasche und jeden Vormittag und jeden Nachmittag. Ich hörte meine Mutter zu ihm sagen, dass er endlich eine Bewerbung losschicken sollte.
Wie gesagt: Mein Vater war genau wie ich – nicht besonders mutig. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis er eine Bewerbung schrieb.
Zwei Wochen später flatterte an einem Donnerstag ein Brief ins Haus.
Für alle, die immer alles genau wissen wollen:
Der Brief flatterte natürlich nicht, sondern lag einfach in unserem Briefkasten. Aber flattern kling hier einfach cooler!
Was in dem Brief stand, haben mir meine Eltern erst viel später erzählt. Aber ihr müsst es jetzt schon wissen, damit ihr versteht, wie es weitergeht.
Der Chef des Verlages wollte die Familie Zacharias kennenlernen. Roland und Cordula tanzten glücklich durchs Wohnzimmer, bis ihnen einfiel, dass auch ich, Klaus, ein
Teil der Familie war. Ein ziemlich übler Teil, und mein Vater hatte dem neuen Chef – das müsst ihr euch einmal vorstellen – nichts davon geschrieben, dass es mich, Klaus, überhaupt gab!
An diesem Donnerstagabend kam ich wie immer viel zu spät nach Hause. Ich schlurfte in die Küche, bohrte ausgiebig in der Nase und ließ mich auf meinen Stuhl plumpsen. Mein Vater ließ den Brief mit der Einladung in seiner Hosentasche verschwinden.
„Schönen Tag gehabt“, murmelte meine Mutter. Kein Gemecker über den verschmierten Boden, kein ‚Zieh die dreckigen Schuhe aus‘. DAS hätte mir schon zu denken geben sollen. Nein, sie stellte mir nur meinen Teller unter die Nase.
Cordula und Roland betrachteten mich mit verkniffenen Mundwinkeln und gerunzelter Stirn.
Doch ich merkte nichts, verschlang laut schmatzend mein Essen. Das Gemüse schob ich an den Tellerrand und meine Cola schlürfte ich geräuschvoll durchs Röhrchen, obwohl mich meine Eltern schon 1.033 mal gebeten hatten, leiser und gesitteter zu essen.
Aber sie wussten ja nicht, dass Olaf jederzeit draußen vorm Fenster stehen konnte und aufpasste, dass ich mich wie ein rüder Rüpel benahm. Trotzdem erklärte ich meinen Eltern einmal mehr, dass es in einigen Ländern sogar höflich war, zu schmatzen und zu rülpsen.
„Damit alle wissen, wie gut es schmeckt“, erklärte ich schlau.
„Aber mein Essen schmeckt dir doch gar nicht“, murmelte meine Mutter.
Ich ließ wie immer Teller, Besteck und Glas stehen, schlurfte rülpsend zum Kühlschrank, um noch mehr Cola zu trinken. Flink schnappte ich die Tüte mit den Chips. Jetzt waren auch Schlammkrusten auf dem Küchenboden.
„Wie wäre es mit einer Dusche“, fragte meine Mutter mit gerümpfter Nase, als ich an ihr vorbeiging.
Duschen? Nein, unmöglich. Olaf kontrollierte jeden Morgen, ob seine Rüpel auch richtig ätzend müffelten.
Meine Mutter sagte noch immer nichts. Nichts davon, dass ich einen Lappen holen und den Boden wischen und Chips und Cola zurückstellen sollte. Sie sagte kein einziges Wort. Genau an diesem Abend beschlossen Cordula und Roland, dass sie Klaus, ihren Rüpel-Sohn, zu dem wichtigen Besuch bei dem neuen Chef NICHT mitnehmen wollten.
Am nächsten Morgen rief meine Mutter bei den Eltern meiner Mitschüler an. Irgendwo musste ich ja essen und schlafen, solange sie weg waren. Doch alle sagten, sie hätten grade keine Zeit. Ja, es sei eine ansteckende Krankheit ausgebrochen, und in den Kinderzimmern seien Termiten eingebrochen. Oder es fiel ihnen ein, dass ihr Haus abgebrannt war oder es sicher bald tun würde und leider, leider … nein, wirklich vollkommen unmöglich!
Meine Mutter wusste genau, was dahinter steckte. Zu allem Übel konnte sie niemandem böse sein. Aber trotzdem war es für sie schwer zu ertragen, dass mich niemand leiden konnte.
Ja, meine Mutter war verzweifelt. Sie stellte sich wohl vor, wie ich, Klaus, bei dem neuen Chef schlürfend und schmatzend im feinen Wohnzimmer sitzen würde. Niemals würde mein Vater diesen neuen, tollen Job bekommen. Ja, sie war richtig verzweifelt, überlegte und grübelte. Und weil man dabei den Kopf hängen lässt, stieß sie mit Nachbarin Caro-Line Mac Bleistein zusammen, als diese ihren Mülleimer ausleerte.
„Könnte Klaus für ein paar Tage bei Ihnen wohnen?“, fragte meine Mutter, „mein Mann und ich müssten in einer wichtigen Angelegenheit verreisen. Alleine!“
Kaum waren die Worte aus ihrem Mund gesprudelt, als sie sich schon auf die Lippen biss.
Was hatte sie nur gedacht? Die verrückte Mac Bleistein würde jetzt gleich hämisch lachen und Sachen wie ‚Ich bin doch kein Kindermädchen‘ oder ‚Schämen Sie sich! Was sind Sie für eine Mutter?‘ sagen.
Doch Caro sagte nichts. Sie kniff Augen und Lippen noch mehr zusammen. Meine Mutter sah schon, wie sich vier Buchstaben auf Caros Lippen bildeten: NEIN!
Stattdessen lächelte die Mac Bleistein honig-zuckerwatten-süß und dann kamen wirklich VIER Buchstaben aus ihrem Mund. „GERN!“
Sie lächelte, als gäbe es für sie nichts Schöneres auf der Welt, als mich bei ihr wohnen zu lassen. Obwohl ich versucht hatte, bei ihr einzubrechen? Diesen Klaus wollte sie den ganzen Tag um sich haben?
Meine Mutter traute ihren Ohren nicht. „Sind Sie sicher? Ich rede von Klaus!“ Doch Caros süßes Lächeln klebte weiter in den Mundwinkeln.
„Ich weiß, von wem Sie reden, liebe Frau. Ja, ich kann ihn gut gebrauchen, äh, ich meine, er wird es gut bei mir haben! Bleiben Sie ruhig ein paar Tage länger!“
Jetzt klimperte die Mac Bleistein sogar mit den Wimpern – und hier, HIER hätte meine Mutter merken müssen, dass etwas nicht stimmte. Ja, sogar ober-faul war. Aber sie freute sich schon unbändig auf die Reise. Von morgens bis abends keinen Klaus! Kein Gemecker, keine Beschwerden, kein Streit … Hurra! Yippie!
Die Woche, in der sie losfahren wollten, war sogar in den Sommerferien. Caro-Line Mac Bleistein würde mich nicht morgens aus dem Haus jagen müssen, damit ich wenigsten zur dritten Stunde ankam. Jetzt musste meine Mutter nur noch mich dazu bringen, dass ICH einverstanden war. Kein Problem, denn ich wollte ja dringend in Caros Haus, aber das wusste meine Mutter nicht und hatte sich einen super-schlauen Plan ausgedacht.
Zu Mittag gab es fettige Hamburger mit fettigen Pommes und viel Ketchup, um mich friedlich zu stimmen. „Stell dir vor, die Mac Bleistein hat uns angeboten, dass du bei ihr wohnen kannst, während Paps und ich diesen neuen Chef besuchen. Was die sich einbildet, die verrückte Alte! Natürlich hab’ ich NEIN gesagt. Natürlich kommst du mit UNS!“
Sie beobachtete mich. Was, wenn ich jetzt sagen würde ‚Natürlich, liebe Mama, du hast vollkommen recht. Ich fahre mit euch!‘
Aber nein, ich enttäuschte sie nicht. In Caros Haus zu kommen, war wichtig für mich.
„ICH will zur Mac Bleistein. Die lässt sonst niemanden ins Haus!“
Stimmt, das hatte meine Mutter ganz vergessen. Sie runzelte für einen Moment die Stirn. Jetzt zog ich den Kopf ein … was, wenn sie jetzt … ? Doch sie war schon im Fieber! Im Reisefieber!
Eine Woche später stand ich mit meiner gepackten Sporttasche vor Caros Haustür. Meine Eltern zerrten mit zufriedenem Lächeln zwei riesige Koffer zum Auto. Wozu brauchten sie soviel Gepäck für zwei Tage? Ich winkte ihnen lässig, doch sie stiegen in unseren alten, weißen Mercedes und sausten mit quietschenden Reifen davon. Niemand winkte MIR zum Abschied. Mir kam es vor, als hätten sie Angst, die verrückte Mac Bleistein könnte es sich anders überlegen. Und wie fröhlich sie ausgesehen hatten! Sonst nervten sie mich ständig mit Millionen von Sorgen, die sie sich um mich machten.
Ich war traurig und stolz zugleich. Ich hatte meine Rüpel-Rolle so toll gespielt, dass sie sich keine Sorgen mehr um mich machten. Plötzlich wusste ich nicht, was mich mehr ängstigte: bei dieser verrückten Caro zu wohnen oder Olaf und seine Rüpel-Bande? Aber ich kann euch jetzt schon sagen: Es kam alles ganz anders als geplant.