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Der Anfang von etwas Großem

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Ivan bewegte sich von seiner Position am linken Rand der Marmorfläche, neben dem Kaiser, vor in Richtung Mitte. Mein Herz pochte sofort aufgeregt, als mein Verstand mir kurzzeitig vorgaukelte, er könnte mir zu Hilfe eilen. Doch er rannte weiter in Richtung des vorderen Randes der Bühne und die aufgekeimte Hoffnung in mir wandelte sich zu Enttäuschung.

Meine Rolle als stumme Beobachterin dauerte an.

Sein rötlicher Haarschopf, an dem sich mein Blick nun festsaugte, war mir allzu vertraut. Seine Gestalt, die elegante Art, sich zu bewegen, sein attraktives Gesicht mit den lieb gewonnenen Zügen und den Lippen, die am Morgen noch auf meinen gelegen hatten.

Allein darüber nachzudenken löste eine Welle der Traurigkeit in meinem Körper aus. War das zwischen uns Liebe? Warum hatte alles von Anfang an so verdammt wehgetan? Und versuchte man sich nicht gegenseitig bei Gefahr zu schützen, statt an der Seite verhasster Personen zu verweilen, wie Ivan es bis jetzt getan hatte? Andererseits hatte ich mich, als ich es noch gekonnt hatte, auch nicht vom Fleck bewegt. Und schlussendlich war ich mir keinesfalls sicher, ob er dieselbe Zuneigung spürte wie ich.

Die Enttäuschung in mir stieg.

Geistesgegenwärtig kanalisierte ich die resultierende Verzweiflung und versuchte, mentale Energie daraus zu schöpfen. Enttäuschung, Verzweiflung, Wut – alles war mir recht, solange es meine Lebens­geister erweckte.

Meine Fingerspitzen vibrierten; das Netz aus gebündelten Strahlen, das sich wie eine zweite Haut an meine Gestalt schmiegte, begann daraufhin zu pulsieren. Vermutlich waren es erste Vorboten meines starken inneren Aufruhrs, den weder meine Pixiegene noch die grüne Magie eindämmen konnten.

Davon beflügelt, schürte ich die Emotion. Mir war rätselhaft, was Ivan plante. Ich malte mir das Schlimmste aus, zog mein Bewusstsein in einen Strudel aus Verletztheit und Besorgnis. Immer enger verknüpfte ich die überbordenden Gefühle mit meinem Geist, fokussierte diesen so gut es ging. Ließ die Energie meines Willens zusammenfließen und schleuderte sie dann gezielt als mächtige Kraft wie eine Speerspitze gegen den magischen Käfig, der mich gefangen hielt. Ich gab alles.

Es zeigte sich jedoch kein Loch, kein Riss – nichts.

Der mentale Schlag ließ mich schwach zurück. Einzig die grüne Magie hielt meine Gestalt aufrecht, dem magischen Netz hatte ich aber nicht einmal eine Schwachstelle abgerungen. Es war frustrierend.

Ermattet beobachtete ich nun wieder Ivans kraftvolle Bewe­gungen, die magisch verstärkt sein mussten, so schnell, wie er inzwischen vorwärtskam. Fast hatte er den Rand der Bühne erreicht.

Das rhythmische Aufstampfen von Robobots hinter mir lenkte mich ab. Es dauerte kurz, bis diese in mein Blickfeld rückten. Ein Dutzend der Maschinen bewegte sich seitlich, von dem LED-Bildschirm, der die Rückwand der Bühne bildete, kommend, über den Marmor auf uns zu.

Was hatten sie …?

Plötzlich fühlte ich etwas an meinem Handgelenk. Schnell blickte ich hinunter. Warme Haut: eine Hand. Rayns Hand! … von der ich wusste, dass der schwarze Stoff darüber zu einem perfekt sitzenden Anzug gehörte, der genauso blutbesudelt und sandig war wie mein Kleid. Weil wir beide in der Arena gekämpft hatten.

Erleichterung durchströmte mich. Richtig, Rayn stand ja immer noch neben mir, weilte an meiner Seite. Ich war so mit meinem Kampf gegen die grüne Magie beschäftigt und er so ruhig gewesen, ich hatte ihn ganz vergessen gehabt.

Bang hob ich den Blick, sah ihm ins Gesicht, suchte … Ich wusste selbst nicht so recht, was – Beunruhigung? Beruhigung? –, und registrierte doch nur seine von Furcht umwölkten Züge, die höchstwahrscheinlich die Miene der meisten hier spiegelten.

Er begriff nicht, in welcher Lage ich mich befand. Und das, obwohl ich nicht reagierte. Da fiel mir ein, dass er die Magie der Gulets und der Mensay in sich trug. Vielleicht ließ sich seine doppelte Begabung zu meinem Vorteil nutzen. Besonders seine ausgeprägten Fähigkeiten, Gefühle wahrzunehmen.

Ah!, schrie ich innerlich so laut los wie ich konnte. Ah! Und immer weiter: Ah!

Er zuckte jedoch mit keiner Wimper.

Damit war klar: Wenn ein Empath den Aufruhr, den ich innerlich veranstaltet hatte, nicht wahrgenommen hatte, blockierte die grüne Magie selbst mentale Schwingungen. In meiner Not startete ich einen neuen, verzweifelten Anlauf, um auf mein Elend aufmerksam zu machen und vollführte mit den Augen zuckende Bewegungen. Vielleicht verstand er das. Immerhin sah ich so sicher irre aus – hoffentlich irre genug.

Rechts – links.

Links – rechts.

Warum war mir das nicht gleich eingefallen?

Rechts – links.

Links – rechts.

Verdammt, war das anstrengend.

Rechts – links.

Links – rechts.

Verdammt hoch zwei! Er sah ja gar nicht her.

Ich hörte sofort auf, Energie zu verschwenden. Meine Frustration wuchs augenblicklich.

»Die sind ausschließlich für ihn hier«, flüsterte Rayn mir plötzlich, von meinem Drama unbehelligt, mit rauer Stimme zu und nickte mit dem Kinn an mir vorbei. Zu mir sah er noch immer nicht.

Ich blickte so gut es ging in die angedeutete Richtung.

Die Robobots waren bei ihrem Ziel angekommen. Sie ordneten sich und nahmen den Kaiser links von mir in ihre Mitte. Ihn umgab nun ein schillerndes blaues Licht, das ihm aus jeder Pore drang. Magie. Die Elementmagie der Gulets. Doch so faszinierend das aussah, die entgleisten Gesichtszüge seiner göttlichen Heiligkeit offenbarten jedem hier, dass unserem ranghöchsten Magician die Selbstsicherheit abhanden gekommen war. Na toll.

Allgemeine Furcht lag in der Luft.

Ich konnte es nicht glauben. War es nicht an ihm, tapfer zu sein? Sein Volk zu beschützen? Uns zu führen in der dunkelsten Stunde … oder so ähnlich? Er war der Kaiser! Der mächtigste Mann Eternys – eines der beiden Kaiserreiche der noch existenten Welt! Das sollte ihm doch etwas bedeuten.

Fassungslos sah ich zu, wie die Robobots die Zwischenräume um den anscheinend doch nicht größten Magician unserer Zeit mit einem weiteren, dieses Mal elektrischen Schild schlossen, der sich von ihren metallenen Hüllen aus bildete. Von Rumpf zu Rumpf, von Greifarm zu Greifarm, von Beinstumpf zu Beinstumpf. Einzig die Mündungen ihrer Hightechwaffen blieben außen vor und waren weiterhin schussbereit auf jeden gerichtet, der sich ihnen in den Weg stellen könnte.

Wo war die Blaue Garde?

Ich sah mich um.

Lanahaa war weiter oben gerade damit beschäftigt, ihre vier bunten Energiekugeln von ihrem Wolkenthron aus zu dirigieren. Nach einigen Sekunden meiner Beobachtung meinte ich ein System zu erkennen. Sie hatte die Kugeln geordnet und schickte nun jede schwebende Gildenfarbe nacheinander los, von ihr weg, in eine andere Richtung des Platzes.

Als der Pulk mit dem Kaiser unisono den ersten lautstarken Schritt nach hinten in Richtung der LED-Wand und damit in die Sicherheit des Gebäudes machte, hatte ich genug mitbekommen – alles, was ich wissen musste.

So war das also.

Der Kaiser war ein verdammter Feigling.

Aber hatte ich das nicht längst geahnt, seit mir gesagt worden war, dass er und Lamentos ein und dieselbe Person waren? Dass er meine Vorfahrin Rovenna hinterrücks und kaltblütig ermordet hatte, statt einen fairen Kampf gegen sie zu führen. Was hatte ich von ihm erwartet?

Stattdessen war es Ivan, der nun für uns kämpfen würde – für uns alle. Ich fokussierte meine Augen wieder auf den vor mir befindlichen Teil der Marmorfläche.

Ah. Da!

Der Kardinal der Blauen Garde verharrte reglos am vordersten Rand der Bühne, während sich langsam eine blaue Kugel, ähnlich einer gigantischen Seifenblase, um seine komplette Gestalt bildete. Sie hüllte ihn von Kopf bis Fuß ein. Der Vorgang ging immer schneller vonstatten, bis sich die durchscheinende Haut der Blase mit einem satten Plopp! völlig um ihn schloss. Ein magischer Schutzschild, begriff ich, indes sich die Blase mit Ivan darin zuerst behäbig in die Luft erhob, bevor sie beschleunigte.

Am Himmel zogen Lanahaas Kugeln stumm schnurgerade Bahnen, bis es schien, als hätten sie ihr Ziel erreicht. Sie stoppten an den vier äußersten Enden des Platzes und harrten bewegungslos aus, unzählige Meter über den Köpfen der Menschen.

Warum schwebten sie da? Welche Geheimwaffe würden sie bein­halten? Energieregen? Explosionen?! Feuerwerk?

Meine Mutter sah mit sich zufrieden aus. Sie blickte Ivan fast erwartungsvoll entgegen. Der Kampf würde jede Sekunde beginnen und sie freute sich offensichtlich darüber, denn ein feines Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.

Der Wind frischte wieder auf. Einzelne Böen fegten über den Platz. Sie rissen an meinen wirren blonden Haaren.

Ich registrierte erst jetzt, dass das Getrappel der Robobots auf der Bühne verklungen war. Der Kaiser hatte sich endgültig verabschiedet, war geflohen. Mit den Maschinen und ihren Waffen.

Rovenna steh uns bei.

Innerhalb der Menschenmenge vor der Bühne wurde das Gemurmel immer lauter. Mit der Flucht des Kaisers fiel die Starre von den Zuschauern ab und die Angst nahm mit den stärker werdenden Windböen zu. Die Reaktion des anwesenden Publikums stand in krassem Gegensatz zu der noch immer vorherrschenden Starre aller auf der Bühne.

Der Drang, sich zu retten vor dem, was auch immer kommen mochte, breitete sich plötzlich wie ein Lauffeuer auf dem Platz aus. Die Menschen rissen sich an der Kleidung und den Schultern herum und packten einander, nur um den Nebenstehenden beiseitezu­schieben; um einen Vorteil zu erringen, um sich vorzudrängen. Soweit ich sah, strömten die, die konnten, so schnell es ihnen möglich war, in die Gassen zwischen den Häusern, die vom Platz führten. Doch steckte der Hauptteil der Masse an Leibern noch immer inmitten der Panik fest.

Ivans blaue Blase bewegte sich derweil hoch oben auf Lanahaa zu, hatte sie fast erreicht …

Sie reagierte.

Blaue Lichtblitze prallten von Ivans Schild ab. Das Geräusch, welches das Aufeinandertreffen der Magie verursachte, war ohrenbetäubend. Wie das Donnergrollen eines starken Gewitters, kurz bevor der Blitz einschlägt. Der Kampf hatte begonnen. Würde einer der beiden Magicians, die mir das Wichtigste im Leben waren, sterben, so wüsste ich nicht, um wen ich mehr trauern würde. Trotz allem, was passiert war.

Mein Magen revoltierte. Meine Fingerspitzen vibrierten wieder, als der magische Käfig um meine Glieder noch stärker pulsierte. Das Herz klopfte schneller in meiner Brust und meine Lunge ächzte nach Sauerstoff. Mich überkam, als Reaktion auf meine hochkochenden Emotionen, das äußerst befremdliche Gefühl, langsam – Zelle für Zelle in der Hülle, die sich mein Körper nannte – zu ersticken.

Hier auf dieser Bühne hatte alles angefangen. Die Wahl, der Zerfall meines Lebens, mein Untergang. Damals, am ersten Tag der Wahl, hatte ich gedacht, es könnte nicht schlimmer kommen – wie sehr ich mich geirrt hatte. Hier würde es voraussichtlich nicht enden. Aber wenn ich ehrlich war, war unabhängig des Ausgangs des Kampfes heute, doch bereits eine der beiden Personen in der Luft für mich gestorben: meine Mutter. Die Frau, die mich aufgezogen hatte, hatte sich selbst in dem Augenblick ausgelöscht, in dem sie zu einer anderen geworden war.

Vertrauen konnte so schnell zerstört werden.

Man sagte, Ivan sei einer der größten Magicians unserer Zeit. Nun würde sich zeigen, wie mächtig er und wie überlegen meine Mutter sich tatsächlich präsentieren konnte. Ich wünschte, ich könnte ihm helfen.

Ängstlich verfolgte ich, wie Lanahaas Hände in kaum wahrnehmbarem Tempo immer weiter Lichtblitze auf ihn abfeuerten und sie dabei nicht im Geringsten angestrengt wirkte. Obwohl sie die elek­trische Energie, die unter blauem Flackern von Ivans Schild absorbiert oder ab und zu auch zurückgeworfen wurde, unglaublich viel Kraft kosten musste.

Ivans Gesicht war mir abgewandt, während seine Blase Lanahaas Thron zu umkreisen begann. Mehr und mehr blaue Blitze zuckten von der Außenhaut seines Schildes zu ihr zurück, ganz so, als wollte es nun all die absorbierte Energie wieder loswerden. Dabei wurde die Blase so schnell, dass ich sie bald nur noch als verschwommenen Schemen wahrnahm. Dieser schuf optisch, infolge der Kreisbe­wegung, einen blauen Ring um den Wolkenthron.

Unruhe beschleunigte meine künstlich ruhig gehaltene Atmung weiter.

Durch die fortwährende Erhöhung der Geschwindigkeit wirkte es, als ob Ivan Lanahaa von allen Seiten bombardierte.

Ich stand kurz vor einer Ohnmacht. In meinem Gehirn verknotete sich das bisschen Hintergrundwissen über Physik, das ich von meiner Mutter aufgeschnappt hatte, mit dem Geschehen. Wie lange würde Ivan der selbst geschaffenen Zentrifugalkraft standhalten, bis sie ihn aus seiner Umlaufbahn schleudern würde? Oder nutzte er die entstandene Energie und setzte sie irgendwie zu seinen Gunsten ein?

Jede Synapse in mir stand in Flammen und der Flächenbrand weitete sich aus – von meinem Gehirn kroch er langsam in den Rest meines Körpers. Ich spürte zum dritten Mal ein Kribbeln in meinen Fingerspitzen, richtete meine Aufmerksamkeit jedoch ausschließlich auf das Spektakel in der Luft. Ich wollte keine Sekunde verpassen!

Lanahaa reagierte just auf Ivans Angriffe, indem sie ihre Taktik änderte. Für einen Wimpernschlag hatte ihr Thron noch im Mittelpunkt der energetischen Bombardierung geschwebt, im nächsten war er durch eine einzelne Aufwärtsbewegung an seiner jetzigen Position: zwei Meter weiter oben. Damit hatte sie sich den Magiestößen geschickt entzogen. Und deren Schicksal nahm unvermindert ihren Lauf …

Die von Ivans Blase noch Sekunden danach unermüdlich abgefeuerten Blitze prallten in der Luft zusammen, genau dort, wo einst der Wolkenthron gewesen war und kehrten ihre Bewegung von der Stelle ihres Aufeinandertreffens nach außen um. Wie die Zacken eines Sterns lenkte die Energieerhaltung sie zurück zu Ivans Umlaufbahn, aus der er anscheinend nicht so einfach ausbrechen konnte. Nun war es fast unausweichlich, dass ihn einer davon traf.

Das würde er doch nicht zulassen, oder? Geschlagen mit seinen eigenen Waffen, das wäre … zu einfach. Nicht wahr? Die Sorge, die meinen Brustkorb enger werden ließ, zeigte mir, dass das, was ich für Ivan fühlte, nichts war, was so schnell vorbeigehen würde. Nein, wollte ich schreien, wollte ihn vor etwas warnen, das er längst gesehen hatte, nur um irgendetwas zu tun, um nicht untätig zu sein, indes er da oben kämpfte.

Ich musste dem magischen Käfig entkommen! Musste die starke Josi in mir finden und die Macht der grünen Magie brechen. Doch wie?

Ich hielt die Luft an, um dem Stechen in meiner Lunge für einen Augenblick zu entkommen. Hatte das Gefühl, dass sich die Zeit verlangsamte. Ignorierte die Taubheit in Höhe meines Brustbeins, die einsetzte, als mir mein Körper zu verstehen gab, dass er eine offene, wenn auch begrenzte Sauerstoffzufuhr allemal bevorzugte und fixierte stattdessen starr die noch immer rasanten Bewegungen in der Luft.

Ich blendete alles um mich aus, mobilisierte den letzten Rest Magie in mir. Ein mentaler Funkenregen brachte mich näher an die Grenze zur Bewusstlosigkeit, dann traf schillernde Magie in mir auf grüne Magie.

Es zerriss mich fast, als die Kräfte gewaltige Spannungen in meinem Körper erzeugten. Diese rasten durch meine Zellen, bevor sie von dem Grünschimmer auf meiner Haut absorbiert wurden.

Der Käfig war stärker denn je.

Was für ein Fehlschlag, dachte ich resigniert – der schwache Abklatsch einer starken Emotion –, saugte wieder Luft wie eine Ertrinkende in meine Lunge, entging damit der Dunkelheit, die bereits an meinem Gesichtsfeldrand lauerte und konnte den Blick nicht von Ivan abwenden. Gleich, gleich würde einer der Blitze … Ein Ansatz von Grollen bildete sich in meiner Kehle, nur um infolge meiner Starrheit zu ersterben, bevor er meinen Mund verließ.

Ivan wich erfolgreich seinen eigenen Blitzen aus, indem er nun auch in der Luft aufstieg. Halleluja.

Aber es kam schlimmer. Lanahaa setzte zum Gegenschlag an. Gelbe Energiekugeln bombardierten die Ränder der Umlaufbahn, die Ivans Kugel noch immer in einer Art Spiralflug bestritt. Sie fielen senkrecht von oben auf ihn herab wie große Glühwürmchen – von denen jedes einzelne ihn töten konnte, dessen war ich mir sicher. Und ein Treffer würde nur eine Frage der Zeit sein.

Just traf einer der gelben Schemen hart auf Ivans Schutzschild.

Ich fühlte mich, als hätte die Energie meinen Magen getroffen, statt ihn aus seiner Kreisbewegung zu katapultieren.

Die blaue Blase, in der er sich befand, schlingerte nach rechts. Gelbe Flammen fraßen aggressiv an der durchsichtigen Außenhaut und ließen den Schild wie den überdimensionierten Kopf eines angezündeten Streichholzes wirken.

Mein Herz zersprang fast, so sehr litt ich mit. Krampfhaft suchte ich einen Weg, um Ivan zu helfen. Dazu musste ich endlich den magischen Käfig zerbrechen! Jede Art von Magie hatte einen Schwachpunkt. Ich musste ihn nur entdecken und zu meinen Gunsten nutzen.

Mein Verstand jagte sinnvollen Gedanken hinterher. Ich saugte bewusst so viel Sauerstoff wie möglich in meine Lunge. Für mein Gehirn – um eine Lösung zu finden.

Weitere Energiekugeln rasten mit zischenden Geräuschen an Ivan vorbei.

Grün!, kam mir da ein Geistesblitz. Grün war die Farbe der Magie, die mich gefangen hielt und es war auch schon die ganze Zeit über der imaginäre Schlüssel zum Käfig gewesen – wenn ich richtiglag. Die Farbe der Gestaltwandler war ein Fingerzeig. Denn wenn ich bei der Wahl eines gelernt hatte, dann, dass das Wappentier, das in mir schlummerte, Wunder bewirken konnte. Meine Verwandlung in eine Sphinx, die magisch aktivierten Cuinygene, hatten mich gegen das Gift im Schmetterlingshaus immun werden lassen. Womöglich würden sie mich auch gegen die grüne Magie feien.

Ich hatte, seit mich die grüne Lichtkugel getroffen hatte, nicht daran gedacht, mich zu verwandeln, schließlich war meine Gestalt fixiert – außerdem hatte ich mich auch noch nie willentlich zur Sphinx gemacht. Ich wusste gar nicht, ob ich es überhaupt konnte. Meine Augen waren allerdings ein anderes Thema. Würde ihre Verwandlung ausreichen, um mich zu befreien?

Ich konzentrierte mich, starrte blicklos geradeaus – und da, keine drei Sekunden später hatte ich das erweiterte Blickfeld der Sphinx. Meine Pupillen waren zu Schlitzen verengt, meine Iriden golden.

Der nächste Atemzug fühlte sich befreiend an. Die Luft füllte meine Lunge bis zum Maximum und ich wusste sofort, dass sich der magische Käfig aufgelöst hatte. Unglaublich! Doch jetzt gab es Wichtigeres.

Gesteigerte Panik war mittlerweile aufgrund der sich zuspitzenden Situation über uns ausgebrochen. Vielleicht nahm ich sie jetzt aber auch nur wahr. Lanahaas gelbe Energiekugeln, die für Ivan gedacht gewesen waren, kamen den Köpfen der Menge auf dem Platz immer näher. Und würden die gelben Kugeln schließlich einschlagen, würde es viele Menschenleben kosten!

»Rayn!« Meine Stimme überschlug sich, klang rau. »Wir müssen Ivan helfen – den Menschen helfen –, etwas tun!« Aber was konnten wir tun, um den baldigen Horror zu vermeiden? Um die Menschen zu retten? Damit sie nicht vernichtet werden würden? Verbrannt. Ausgelöscht – einfach so. Weil sie zum falschen Zeitpunkt an der falschen Stelle stehen würden. Opfer, die mit dem, was sich am Himmel abspielte, nichts zu tun hatten. Die zu einer Feier gekommen waren – und sich nun inmitten eines magischen Duells befanden.

Das bisherige Schieben und Drängen war von einer Massenpanik in ihrer schlimmsten Form ersetzt worden. Schrille Schreie, Wimmern und Heulen drangen zu mir, als die Schaulustigen und die, die bisher aufgrund der Vielzahl an Menschen und den wenigen Aus­gängen nicht hatten fliehen können, begriffen, dass es jetzt um Leben und Tod ging. Dass Schaulust sie Ersteres kosten konnte. Und ihnen ihr Leben doch wichtiger war als alles andere – selbst ihre Sensations­gier. Aber auch wichtiger als Menschlichkeit, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft.

Während ich auf das blickte, was eigentlich eine fröhliche Veranstaltung hätte sein sollen, keuchte ich entsetzt auf und konnte nicht begreifen, wie es so weit hatte kommen können. Von dem Sauerstoff­entzug zuvor und meinem Kampf gegen die grüne Magie weiter entkräftet, schwankte ich. War aber nicht gewillt, mich meiner körperlichen Schwäche unterzuordnen.

Die Menschen versuchten derweil völlig unkoordiniert zu flüchten. Sie schubsten einander, drückten und rempelten. Vor der Bühne war es bis eben noch recht voll gewesen. Vielleicht hatten die Zuschauer sich so nah an den daraufstehenden mächtigen Magicians sicher gefühlt.

Ich wandte den Kopf nach hinten.

Zweiauge, das Oberhaupt der Gilde der Mensay, ein zahnloser weißhaariger Mann mit spitzem Bart und weißem Mantel, rückte in mein Blickfeld. Er verströmte ein durchdringendes weißes Licht, das in nebelartigen Wellen von ihm ausgesandt wurde und die Menschen auf dem Platz sicher in einen beruhigenden Mantel hüllen sollte.

Er kämpfte gegen die Massenpanik, den inneren Feind.

Ich sah voll unguter Vorahnung nach oben, wo sich Ivan und Lanahaa weiter mit blauen Blitzen sowie gelben Energiekugeln bombardierten und riss sofort die Arme hoch. Eine der gelben Kugeln von Lanahaas erster Angriffswelle war bereits viel zu nah bei den Menschen. Feuer züngelte an meinen Fingerspitzen, als ich meine Kräfte zu bündeln versuchte.

Da zuckte ein blauer Elementarblitz über den Himmel und prallte gegen die gelbe Kugel. Beide Ladungen verbanden sich zu einem gleißenden Ball. Dieser schlug mit lautem Krachen nur Nanosekunden später in das Dach eines nahen Hauses ein.

Glas splitterte, Metallstreben ächzten.

Panisch duckte ich mich, um mich zu schützen. Der Reflex kam viel zu spät. Aber ich war nicht unmittelbar in der Gefahrenzone. Zum Glück. Als ich mich langsam wieder aufrichtete, schaute ich mich um. Soweit ich es beurteilen konnte, gab es keine Verletzten.

Rayn neben mir holte währenddessen weitere gelbe Energiekugeln mit Elementarblitzen vom Himmel und nutzte die uns umgebenden Häuserfassaden als Bremse. Er wusste eindeutig was er tat; würde so viele gelbe Kugeln unschädlich machen, wie er konnte.

Mein Herzschlag pochte laut in meinen Ohren, meine Atmung erzeugte hektische Geräusche und mir war seltsam warm, so schnell zirkulierte das Blut in meinen Adern. Ich versuchte meine Panik zu verdrängen.

Andere waren schneller im Regenerieren und vor allem Reagieren – einige Menschen vom Platz versuchten nun in ihrem Streben nach Leben auf die Bühne zu gelangen. Doch war diese noch immer von Robobots umstellt. Maschinen, die sich bis jetzt nicht geregt hatten. Die keine einzige ihrer Hightechwaffen angehoben hatten, um meine Mutter vom Himmel zu schießen, um dem ganzen Spuk ein Ende zu bereiten. Warum? Ich wusste nicht, ob ich es bedauern oder mich darüber freuen sollte.

Mutiger straffte ich mich, war bereit, mein Elementarfeuer einzusetzen.

Auf einmal ertönte ein kollektives Knacken, dann ein Ratschen.

Ich sah verblüfft, wie die Maschinen im Angesicht der panischen Menschen ihre Waffen hoben, statt diesen zu helfen.

Sie konnten doch nicht? Würden doch wohl nicht wirklich … schießen? Wer gab hier die Befehle oder waren sie alle KI – Künstliche Intelligenzen – und entschieden selbst? Hatten sie kein oder ein verqueres Urteilsver­mögen; folgten einzig dem irrsinnigen Befehl, die Bühne zu schützen?

Ein Knall aus der Luft ließ mich aus den Gedanken schrecken und hochblicken.

Die Ereignisse überschlugen sich.

Ivan segelte im freien Fall, ohne seinen Schutzschild nach unten. Sein rechter Arm wirkte seltsam verrenkt, die ganze Gestalt leuchtete gelblich, machte keinen wirklich lebendigen Eindruck. Lanahaa hatte ihn mit weiteren ihrer Energiekugeln erwischt.

Mein Herzschlag setzte für einen Moment aus. Ich versuchte abzuschätzen, wo er aufkommen würde. Begann in Sekundenschnelle eine Bestandsaufnahme meiner Kräfte. Könnte ich rechtzeitig …?

Rayn sprang überraschend neben mir in die Luft und surfte unglaublich schnell auf einer für mich unsichtbaren Strömung in Ivans Richtung.

Ich gaffte mit offenem Mund, als er dessen Körper einige Herzschläge später mühelos aus der Luft über dem Platz pflückte und nur kurz ins Schleudern geriet, als dessen Gewicht seinen Schwerpunkt veränderte. Dass die Luft Rayns Element war, wusste ich. Aber nicht, was sich alles damit anstellen ließ. Das war ja phänomenal! Ich konnte gar nichts, wurde mir einmal mehr klar, nichts im Gegensatz zu ihm oder anderen Magicians, die ihre Magie beherrschten – oder Ivan. Trotzdem hatte Lanahaa den Kardinal der blauen Garde gerade besiegt – mit einem Knall. Welch akustische Untermalung.

Mir entwich ein gequälter Seufzer. Das bloße Stehen verlangte mir, wenn ich ehrlich war, einiges ab. Trotzdem drückte ich den Rücken durch, stabilisierte meinen Stand und täuschte äußerlich Stärke vor. Meine Kräfte regenerierten sich langsam, das spürte ich, seit ich mich aus dem magischen Käfig befreit hatte. Zu langsam. Aber immerhin.

Geschwind surfte Rayn währenddessen mit Ivan auf mich zu, ließ sich nur Zentimeter über dem Marmor mit seiner Last auf die Füße plumpsen und drückte Ivans Körper in derselben Bewegung in meine Arme. Dann trat er einen Schritt nach hinten und ließ gleichzeitig los.

Uff! Durch Ivans Gewicht wurde mir die Luft aus der Lunge gepresst. Ich krallte meine Finger in seinen Rücken, um Halt bemüht. Er war sowieso bewusstlos und bekam es nicht mit. Überfordert schielte ich zu Rayn.

Dessen Fokus lag allerdings nicht mehr auf mir. Sein Gesichtsausdruck war mörderisch. Seine Haltung zeigte unterdrückte Aggression. Er spannte die Schultern an, als ob er sich rüstete.

Er wollte Lanahaa gegenübertreten. Ich wusste es. Tu das nicht!, wollte ich rufen. Aber er war eindeutig fitter, schneller und konsequenter als ich, denn er stieß sich bereits wieder vom Boden ab.

Rayn schoss einer Rakete gleich fast senkrecht nach oben. Der Luftzug, den seine Bewegung verursachte, brachte mich und meine Last zum Schwanken. Die Muskeln in meinen Armen brannten unter der Anspannung. Automatisch packte ich Ivan stärker, schloss die Arme so eng wie möglich um die mir bekannten Glieder. Sein Kopf kollidierte dabei mit meinem und ich bekam eine ernüchternde Kopfnuss sowie einen Mund voll roter Haare ab. Prustend holte ich Luft und versuchte, unsere Körper endlich ins Gleichgewicht zu bringen, während Rayn sich Lanahaa näherte.

Mein Kampf mit all den Gliedmaßen, meiner Verwirrung und meinem Kräftehaushalt vereinnahmte mich sekundenlang. Erst dann hob ich den Blick.

Blinzelnd erkannte ich hoch oben eine athletische Gestalt, die, in blaues Licht gehüllt, fast bei Lanahaas Wolkenthron angekommen war. Rayn.

Als ob er meinen Blick spürte, drehte er den Kopf. Ein grimmiger Zug lag um seinen Mund. Blaue Funken tanzten wild auf den Spitzen seiner braunen Locken und seine Augen glänzten hart. Seine sanftmütige Maske war verschwunden. Nichts als purer Hass sprach aus einem Blick, der mich frösteln ließ, obwohl er – wie schon beim letzten Mal, als Rayn bei der Wahl bezüglich seiner Absichten ehrlich gewesen war – nicht mir galt.

Plötzlich wünschte ich, meine Mutter würde gleich denselben Schock verspüren wie ich, als ich zum ersten Mal den Mann hinter der zivilisierten Fassade gesehen hatte. Als ich verstanden hatte, wie Rayn sein konnte, wenn man ihn gegen sich aufbrachte.

Noch lächelte Lanahaa und wartete, inzwischen wieder bequem auf ihrem Wolkenthron sitzend, auf ihn. Ganz als handle es sich bei Rayns raschem Näherkommen um den Gang zu einer zuvorkommend gewährten Audienz bei ihr. Noch hatte er ihr sein Gesicht auch nicht wieder zugewandt.

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