Читать книгу Gretchens Rache - Isabel Rohner - Страница 10

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Die Städter kommen

Nelly Nowak packte mürrisch ihre Tasche zusammen. Gleich musste sie zur Arbeit fahren, sie hatte überhaupt keine Lust. Zudem tat ihr schon wieder der Rücken weh.

Seit dreißig Jahren schon betrieb sie das Restaurant Zur Goldenen Schlange und in dieser Zeit hatte sie sich in der Region einen Namen gemacht. Ja, die Leute kamen zu ihr, um einfach mal ein gepflegtes Bier zu trinken. Aber ihr war es auch immer wichtig gewesen, ihren Gästen eine gute Küche und ein modernes Ambiente zu bieten. Und genau das hatte sie geschafft. Bei ihr gab es eben nicht die übliche Touri-Karte. Bei ihr war alles selbstgemacht und frisch, von der Quiche mit Gartensalat bis zu hausgemachten Spätzle. Ja, das war nicht wirklich das, wofür die Gegend bekannt war. Aber was hieß das schon. Sie legte Wert darauf, dass bei ihr nur regional und bio gekocht wurde – wenn die Leute was anderes wollten, sollten sie halt in einen der Touri-Läden in Lübben oder in Lübbenau am Hafen gehen. Beim Essen ließ sie sich nicht reinreden. Eigentlich. Denn ausgerechnet an diesem Wochenende war mal wieder eine geschlossene Gesellschaft angesagt. Städter! Wie sie das hasste! Die wussten immer alles besser – bis hin zur Speisekarte.

Und dieser Typ, mit dem sie da verhandelt hatte, war eine einzige Katastrophe. Was hatte er gesagt, wer er war? Irgendein Verlagsfuzzi, der seine Schreiberlinge und weitere Fuzzis aus der Presse mitbringen wollte. Was hatte der sich aufgespielt! Und er hatte ganz klare Vorstellungen, was es zu essen geben sollte. Frisch und bio war dem nicht wichtig. Als Konsequenz war ihre Gefriertruhe jetzt voll mit Dingen, die sie verabscheute. Tiefkühlspinat, Tiefkühlfisch – und Gurken. Die hatte sich der Kerl in möglichst vielen Varianten gewünscht. Das sei ja schließlich typisch für die Gegend. Ja, als Export – aber doch nicht jeden Tag auf dem Teller! Der hatte nicht den leisesten Schimmer einer Ahnung.

Nelly merkte, dass sie allein bei der Vorstellung, ein ganzes Wochenende für diese Truppe von Städtern kochen zu müssen, anfing zu schwitzen. Dabei war ihr Blutdruck ohnehin bereits viel zu hoch, der Arzt hatte sie schon beim letzten Mal gewarnt.

»Nelly«, hatte er gesagt, »du arbeitest zu viel. Kann nicht deine Nichte den Laden langsam mal übernehmen? Du bist schließlich schon fast siebzig.«

Ha! Das war auch so einer, der überhaupt keine Ahnung hatte von der wirklichen Welt. Von was sollte sie denn leben, wenn sie nicht arbeitete? Von ihrer Ostrente? Lächerlich!

Und ihre Nichte? Sie war ja schon froh, dass es dem Mädchen inzwischen wieder besser ging, nach allem, was passiert war. Auch sie war ein Opfer dieser Städter, dieser Sauf-Touristen, die nur für einen Tag in den Spreewald kamen, um sich auf einem der Kähne volllaufen zu lassen. Mit ihrem Gegröle störten sie die Tiere und wieder an Land, pinkelten sie jeden Baum und jede Häuserwand an. Unerzogen wie eine Horde Kälber. Gemeinhin wurde das dann als Betriebsausflug betitelt – was für ein Hohn!

Und bei ihrer Nichte war es ganz schlimm gewesen. Sieben betrunkene Männer hatten das Mädchen belästigt. Sieben! Was für eine unglaubliche Frechheit, sich zu siebt an eine junge Frau heranzumachen! Ihre Nichte hatte ja gar keine Chance, umzingelt hatten die sie. Dieses übergriffige Pack!

Wenn sie damals nicht zufällig am Fließ vorbeigekommen wäre und das Gejohle gehört hätte, wäre das richtig schlimm aus­gegangen, da war sich Nelly sicher.

Diese verdammten Städter! Keine Manieren, keine Moral. Mit ihrem Einkaufsnetz war sie damals auf die Gruppe losgegangen und hatte ihnen die Kartoffeln um die Ohren gehauen. Ganz schnell waren diese Scheißkerle verschwunden, aber gelacht hatten sie trotzdem noch. Für die war das alles nur Spaß.

»Ist doch gar nichts passiert, Alte! Die hat ihr Höschen ja noch an!«

Ihre Nichte wirkte seitdem verstört. Sie war nie besonders lebhaft gewesen, aber seit dem Tag war sie noch mehr in sich zurückgezogen. Eine Anzeige hatte sie auch nicht erstattet und nicht zur Polizei gewollt, es sei ja eigentlich nichts passiert.

Oh, wenn ihr diese Kerle nochmals unter die Finger kämen – die könnten was erleben! Den Hals umdrehen würde sie ihnen.

Eigentlich hatte Nelly sich geschworen, ihr Restaurant nicht mehr an geschlossene Gesellschaften zu vermieten. Jedes Mal ärgerte sie sich schon im Voraus. Aber finanziell lief es nicht ganz so rosig, und der Verlagsfuzzi bezahlte für die zwei Tage gut. Was auch daran lag, dass ihr Restaurant eine Bühne hatte, denn für morgen waren auch noch Schauspieler engagiert.

»Ein bisschen Goethe und so«, hatte er eingebildet gesagt.

Nelly schnaufte. Sie hasste Goethe und Konsorten. Was hatte das denn heute noch mit ihr zu tun? Und sie mochte keine Schauspieler. Für sie war das alles Abschaum. Warum gingen die nicht richtig arbeiten?

Im Flur warf sie einen prüfenden Blick in den Spiegel. Was war das da auf der Wange? Akne! In ihrem Alter! Vorsichtig tastete sie darüber. Jetzt bekam sie schon beim Gedanken an die Schauspieltruppe Pickel!

Zumindest hatte sie dem Verleger erfolgreich verklickern können, dass es bei ihr kein Frühstück gab und es zum Konzept des Hotels nebenan gehörte, dass die Gäste sich aus den Automaten in der Eingangshalle selbst versorgten. Und er hatte ihr geglaubt! Dabei machte sie sonst an den Wochenenden das beste Frühstück in der ganzen Region! Na, so könnte sie zumindest vormittags länger schlafen und musste nicht schon wieder um sechs Uhr früh auf der Matte stehen – und bezahlt hatte der Typ trotzdem fürs ganze Wochenende.

Sie lachte. Der Kaffee aus den furchtbaren Automaten gehörte zum Widerlichsten, das sie je getrunken hatte. Aber was erwartete man schon von einem Hotel, in dem keine Menschen arbeiteten, sondern nur alle paar Tage eine Putzkolonne aus Polen durchfeudelte?

Das geschah diesen Touristen ganz recht.

Wieder schnaufte sie. Sie musste wirklich dringend ein paar Kilos abnehmen, so konnte das nicht mehr lange weitergehen. Auch ihre Kniegelenke waren schon wieder geschwollen.

»Für de Kohle«, sagte sie laut zu sich. »Ick tu dit für die Moneten. Und wenn die nich parieren, jibts wat uffe Schnauze, ej. Aber so wat von.«

Nein, Nelly Nowak hatte für Städter inzwischen kein Verständnis mehr.

Gretchens Rache

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