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Prince of Spreewald

Schlepzig war ein abgelegenes Dorf hinter Lübben mit noch nicht einmal sechshundert Einwohnern, dafür aber mit einer hell erleuchteten Whisky-Destillation.

Ein Whisky, das wär’s jetzt, dachte Linn. Hoffentlich wohnen wir da. Doch Hartmann steuerte daran vorbei und auch ein Blick aufs Navi sagte ihr, dass es noch mindestens fünfzehn Minuten dauern würde bis zum Ziel.

Das Tagungshotel lag also noch eine ganze Ecke von Schlepzig entfernt. In der Dunkelheit konnte Linn die Fließe des Spreewaldes nur erahnen. Typisch Brandenburg, dachte sie, als sie durch ein weiteres Dorf fuhren mit diesen typischen breiten Rasenstreifen vor den Häusern. Sie vermisste die Lichter der Stadt jetzt schon – obwohl Köln bei weitem keine Schönheit genannt werden konnte, schon gar nicht die Ecke der Südstadt, in der sie wohnte und in der sich hässliche Fünfzigerjahre-Nach­kriegsbauten aneinanderreihten. Aber zumindest war dort Leben auf der Straße und hinter den Fenstern – und sie hatten den Dom, der jetzt über die Stadt leuchten würde. Das Interessanteste hier waren allerhöchstens die Plakate, die überall hingen und Werbung für den neuen Botanischen Garten in Lübben machten. Ansonsten schien der Hund begraben. Und ihre Hoffnung, zumindest in einem schönen, modernen Hotel zu übernachten, schwand mit jeder Minute.

»Sie haben Ihren Bestimmungsort erreicht«, sagte die elektro­nische Frauenstimme, als Hartmann auf den überraschend gut beleuchteten Parkplatz des Hotels fuhr.

»Das glaubst auch nur du«, antwortete Linn und seufzte schwer. Das Hotel war ein langgezogener mehrstöckiger Bau vom Typ alter Bauernhof, daneben standen noch zwei weitere Gebäude, wahrscheinlich ehemalige Scheunen oder Stallungen.

»Endlich da!«, stöhnte Hartmann.

»Das kann ich so noch nicht sagen«, erwiderte Linn. »Und wie nennt sich dieser Kasten? Prince of Spreewald? Really? Wer kommt denn auf so eine Idee – das Haus hat auch schon bessere Zeiten gesehen.«

»Ich hätte Spreewaldprinz auch besser gefunden. Man muss ja nicht alles verenglischen.«

Ob es das besser gemacht hätte? Linn hatte ihre Zweifel. Zumindest machte der Name Prince of Spreewald keinen Hehl daraus, dass sein Namensgeber offensichtlich in den 1990ern sozialisiert worden war. Wahrscheinlich ein Fan der TV-Serie Prince of Bel-Air mit Will Smith.

Während der Verleger noch seinen riesigen Koffer aus dem Kofferraum hievte, hatte sie schon ihre Reisetasche gegriffen und ging zum Hotel. Sie hörte noch, wie Hartmann ihr etwas nachrief, aber sie konnte ihn nicht wirklich verstehen. Bestimmt nur wieder eine seiner pseudolustigen Erinnerungen, dass sie sich vor dem Abendessen ihre Haare kämmen sollte.

Im Gegensatz zu ihm habe ich wenigstens noch welche, dachte Linn und betrat das Hotel durch eine massive Holztür. Irritierenderweise wartete hinter der Tür keine speckige Lobby mit einer mehr oder weniger freundlichen Rezeptionistin, sondern – nichts. Sie stand in einem menschenleeren Raum mit hellgelben Wänden und gnadenlos greller Neonbeleuchtung. Ungemütliche lange Plastiktische mit ebensolchen Bänken verliehen dem Eingangsbereich den Charme einer Jugendherberge. Hätte Linn an der Wand nicht Kaffee- und Snackautomaten entdeckt, die mit Strom liefen, sie hätte darauf gewettet, dass dieser Raum nach jedem Frühstück einfach mit einem Wasserschlauch abgespritzt werden würde. Selbst die Wände sahen abwaschbar aus.

Dieses Innenleben passte überhaupt nicht zum Typ alter Bauernhof. Dieser Spreewaldprinz – egal ob amerikanisiert oder nicht – war außen runtergekommen und innen steril und damit weit entfernt von einer Persönlichkeit.

»Ich habe doch gesagt, Sie brauchen den Code«, hörte sie Hartmann hinter sich. »Wir sind hier in einem der modernsten Tagungshotels Brandenburgs. Fast alles funktioniert vollautomatisch. Toll, nicht wahr? Die Gäste können sich autark bewegen, ihr Frühstück aus den Automaten ziehen, selbst ein- und auschecken. Und um Ressourcen zu schonen, werden die Zimmer auch nur alle drei Tage gemacht.«

»Wohl eher, um Arbeitskräfte zu sparen.«

»Alle drei Tage putzen reicht doch nun wirklich. Mehr putze ich zu Hause auch nicht.«

Linn verkniff sich einen Kommentar. Beim Thema Putzen konnte sie nun wirklich nicht mitreden.

»Darum«, fuhr Hartmann fort, »brauchen Sie nur einen Code – und natürlich haben Sie auch diese Info in Ihrem Briefing nicht gelesen. Na, haben Sie ein Glück, dass ich mir alle Codes notiert habe! Hier ist Ihrer.«

Er reichte ihr einen Zettel. »14518«, las Linn. »Und was soll ich jetzt damit?«

»Damit checken Sie sich ein.« Hartmann schaute sich um. »Ah ja, da ist er ja: der Check-In-Automat. Nicht zu verwechseln mit einer Check-Automat-in.«

»Brüllend komisch«, murmelte Linn.

Flink tippte Hartmann seinen Namen und seinen Code ein, eine weibliche Computerstimme sagte »Hart-mann, Jo-ach-im, herz-lich will-kom-men im Prince of Spri-wäld«, und der Automat spuckte eine Zimmerkarte aus.

»Ist das nicht toll?«, schwärmte Hartmann.

»Spriwäld? Die haben sie doch nicht mehr alle.«

»Ach hören Sie auf mit Ihrer Schlechtmacherei. Sie wissen ja jetzt, wie das Einchecken geht. Wir sehen uns um 20 Uhr zum Dinner.«

»Wie jetzt? Wir essen hier?«

»Quatsch, Frau Kegel. Im Nebengebäude ist ein Restaurant. Zur Goldenen Schlange heißt das oder so ähnlich. Wohl das Traditionshaus in der Gegend.«

»Na, Göttin sei Dank. Und Sie sind sicher, dass es nicht The Golden Snake of Spriwäld heißt?«

Linn konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, doch ihr Verleger rollte nur mit den Augen.

»Na gut, im Ernst, Hartmann: Wieso Schlange?«

»Hätten Sie mein Memo gelesen, wüssten Sie, dass Schlangen hier in der Gegend eine große Rolle spielen. Das sehen Sie auch bei den Giebeln der alten Häuser, da sind meistens zwei gekreuzte Schlangen zu sehen. Lesen Sie hier mal die Geschichte vom Schlangenkönig nach, dann wissen Sie Bescheid. Also bis später dann.«

Hartmann drückte ihr einen Ausdruck seines Memos in die Hand. Als er zur Treppe schlurfte – »Wie schön, ganz oben! Bestimmt mit Blick aufs Fließ!« –, begann Linn ihren Kampf mit dem Automaten. Sie tippte ihren Nachnamen ein.

»Ke-gel, Lünn«, erklang die weibliche Computerstimme erneut.

»Linn! Man sagt Linn!«

Schon wieder ein perfektes Beispiel, dass künstliche Intelligenz die Probleme der analogen Welt nur reproduzierte: Im normalen Leben konnten die Menschen ihren Namen schon nicht aussprechen – und genauso ging es ihr nun auch mit den Computern.

»Herz-lich will-kom-men im Prince of Spri-wäld!«, fuhr die Stimme unbeirrt fort.

»Ach, shut up, heb doch d’Schnorre«, fluchte Linn. Doch damit nicht genug: Anhand der ausgespuckten Zimmerkarte musste sie nämlich feststellen, dass sie ein Zimmer im Erdgeschoss zugewiesen bekommen hatte – und zwar eines, das unmittelbar vom Frühstücksraum abging.

»Kannst du Scheißgerät denn zumindest umbuchen? I want to rebook. Ich will die Nummer drei nicht!« Doch das sah das System nicht vor: »Lünn Ke-gel ist be-reits ein-ge-scheck-t!«

Linn stöhnte laut auf. »Ein Königreich für echte Menschen!«

Und warum waren eigentlich alle Computerstimmen immer weiblich? Nur deshalb, weil alle schon in der analogen Welt daran gewöhnt waren, Frauen als dienstbare Geister zu sehen? War es nicht mal an der Zeit, das zu ändern?

Linn entnahm ihre Karte und wollte sich gerade auf den Weg zum Zimmer machen, als die große Holztür aufgestoßen wurde und zwei Männer die Halle betraten: ein älterer Mittfünfziger mit edlem Halstuch und schütterem Haar, dafür üppiger Brille, und ein jüngerer, leicht zum Adipösen neigender in existenzialistischem Schwarz, inklusive Rollkragenpullover.

»Tataa!«, rief der Halstuchträger. »Und da sind wir, mein Lieber, ich hab es dir doch gesagt: Von innen sieht das alte Haus ganz anders aus. Topmoderne Independence-Architektur! Wie in Amerika bei den Motels. Phantastisch!«

»Klar in Form und Funktion«, antwortete der in Schwarz.

»Und solange der Wein gut ist, ist jedes Bett bequem«, gackerte der Ältere und klopfte seinem Begleiter gönnerhaft auf die Schultern. »Das Restaurant soll hier ganz ordentlich sein. Sonst fahren wir morgen in den Supermarkt und sorgen selber für die Getränke. Hauptsache, wir haben mal wieder ausgiebig Zeit, uns zu unterhalten, Caspar. Weißt du, das ist mir ein wirkliches Anliegen, dir zu vermitteln, worum es mir bei Neue Triebe, starker Ast geht. Dieser Roman ist eben nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern die Geschichte einer Selbstfindung. Meine Hauptfigur Max Meister findet am Ende …«

»Das ist mir doch klar, lieber Giovanni. Mach dir nicht so viele Sorgen. Meine Rezension wird hervorragend. Der Chefredakteur hat mir auch schon zugesagt, dass sie mit Foto und Teaser auf die erste Seite kommt. Ich hab mit dem Text auch schon angefangen, ich muss also dein Buch nur noch lesen.«

Linn verdrehte die Augen. Diese Männerbünde gingen ihr schon mit Abstand auf die Nerven – aus nächster Nähe waren sie fast unerträglich.

»Wunderbar, mein Lieber! Ich wusste, es ist ein Omen, dass wir hier gleichzeitig angekommen sind. Dann lass uns jetzt einchecken. Bedienung!« Sein suchender Blick blieb an Linn hängen, die immer noch neben dem Check-in-Automaten stand.

»Ah, da sind Sie ja! Wir haben zwei Zimmer bestellt: eines für Herrn Caspar Brimborius von der Hatz und eines für mich, Giovanni Faber, Schriftsteller.«

»Das ist schön für Sie«, antwortete Linn knapp.

»Äh, ja. Und jetzt hätten wir gern unsere Zimmer.« Faber nes­telte an seinem Tüchlein.

Linn lächelte säuerlich: »Oh, ihre Zimmer möchten die beiden Herren haben, wie interessant. Jetzt schauen Sie mich mal ganz genau an: Ich stehe hier in Lederjacke und mit Tasche in der Hand. Sehe ich aus wie eine Hotelangestellte? Nochmals scharf nachdenken?«

Die beiden Männer warfen sich einen irritierten Blick zu.

»Na, vielleicht wollten Sie die Tasche gerade einem Gast ins Zimmer bringen?«, mutmaßte Giovanni Faber.

Linn konnte es nicht fassen. Tat dieser Mann nur so oder war er wirklich zu doof?

»Keineswegs.« Sie hielt dem Schwarzgewandeten ihr Gepäck hin. »Aber Sie mit Ihrem schwarzen Butler-Outfit scheinen vom Hotelservice zu sein. Wenn Sie mir meine Tasche zum Zimmer brin­gen wollen, gern.«

»Was heißt das denn nun?«, antwortete Brimborius irritiert. »Ich bin kein Butler! Bekommen wir von Ihnen jetzt unsere Zimmerschlüssel oder nicht?«

Linn lachte auf: »Der Hellste sind Sie ja auch nicht gerade. Oder wollen Sie mich verarschen?«

»Wie sprechen Sie denn mit diesem Herrn?«, entrüstete sich Faber, sein Halstuch zitterte. »Wissen Sie nicht, mit wem Sie es zu tun haben? Das ist Caspar Brimborius, der Feuilletonchef der Hamburger Allgemeinen Tageszeitung.«

»Hatz reicht«, ergänzte Brimborius. »Die Dame spielte schon wieder auf meine Kleidung an – und sie hat ja recht: Ich trage immer Schwarz, das passt zum Feuilleton. Wir verhandeln schließlich intellektuelle Fragen. Im Gegensatz zu einem Butler.« Er begann gekünstelt zu lachen, der Halstuchträger stimmte mit ein.

Ui, dachte Linn, wo soll man da anfangen? Doch bevor sie zu ihrer Replik ansetzen konnte, ging die schwere Holztür ein weiteres Mal auf. Diesmal trat eine Gruppe ein: Zwei Frauen – eine hochgewachsen, mit wehendem Mantel und dunkler Turmfrisur, und eine kleinere mit blondem Pagenschnitt und sichtbar teurer Jacke mit Blumenmuster – ein paar Schritte hinter ihnen folgte ein Mann mit imposantem Schnäuzer, bepackt mit mehreren Koffern.

»Was für eine phantastische Idee, dass wir gemeinsam in den Spreewald gefahren sind!«, rief die Hochgewachsene.

»Ganz recht, liebe Frau Dampf«, keuchte der Schnauzbärtige unter dem Gewicht seiner Koffer. »Das hat sich doch förmlich angeboten, nicht wahr, Frau Coppelia.«

Frau Coppelia, echote es in Linn. Die Blondine mit der schicken Jacke ist Loretta Coppelia! Jetzt wird’s lustig, dachte sie.

»Oh, hier ist ja schon richtig was los!«, rief die Große mit der Turmfrisur, als sie Brimborius, Faber und Linn beim Automaten stehen sah. »Sind Sie das Empfangskomitee? Ich bin Professorin Waltraud Dampf. Und wer sind Sie? Kriegen wir bei Ihnen unsere Zimmer?« Ihr Blick ging fragend zu Linn. Diese verdrehte die Augen.

»Das haben wir auch schon versucht«, sagte Brimborius erklärend. »Die Dame sagt aber, sie sei hier nicht zuständig. Wir wissen aber nicht, ob das auch stimmt.«

»Hä? Wieso soll das denn bitte schön nicht stimmen?«, fragte Linn patzig. »Ich bin Linn Kegel und genauso vom Verlag zu diesem tollen Wochenende eingeladen worden wie ihr offensichtlich auch.«

Fragende Blicke trafen sie.

»Linn Kegel?«, sinnierte Giovanni Faber. »Nie gehört. Für welche Zeitung arbeiten Sie denn?«

Einen kurzen Moment war Linn tatsächlich versucht, sich mal eben eine superwichtige Zeitung auszudenken, aber dann entschied sie sich doch für die Wahrheit: »Ich schreibe Krimis, übrigens im selben Verlag wie Sie. Haben Sie denn das Memo nicht gelesen?«

Die peinliche Pause wurde durch ein lautes Lachen unterbrochen. »Linn Kegel? Duuu bist Linn Kegel? Mensch, ohne Photoshop habe ich dich gar nicht erkannt«, schmetterte Loretta Coppelia ihr entgegen. »Ich kann doch Du sagen, oder? Ich bin Loretta. Wir kennen uns ja. Also zumindest auf dem Papier.« Sie reichte Linn ihre dünne, kalte Hand. Zu den anderen gewandt setzte sie hinzu: »Wir haben uns schon gegenseitig zu Romanfiguren gemacht, das verbindet!«

»Was heißt hier ohne Photoshop? Ich sehe mir zumindest ähnlich, während du kein bisschen italienisch aussiehst.«

Loretta prustete los. »Wie? Du findest, du siehst aus wie ein Kegel? Interessant! Was mich betrifft, kann ich dich beruhigen: Blondinen gibt es auch südlich der Alpen. Ich bin Deutsch-Italienerin der vierten Generation.« Nun gab sie auch den anderen die Hand.

»Brimborius, Hatz, freut mich sehr, Frau Coppelia!«

»Giovanni Faber, Schriftsteller.«

»Romanfiguren, ja. Aber musstest du mich in Taugenixen unbedingt umbringen?«, ignorierte Linn die allgemeine Begrüßerei.

»Ach, komm«, lachte Loretta perlend. »Es kam schließlich gut an, darum geht’s – und es hat dir auch ein bisschen Aufmerksamkeit verschafft. Was willst du mehr?«

»Umgebracht, sagen Sie?«, fragte Brimborius. »Das klingt ja interessant!«

»Oho!«, rief Waltraud Dampf aus: »Ich erinnere mich an die Szene! Sie sind also Linn Kegel? Ich habe Taugenixen gelesen, ein großartiges Buch! Hochachtung, liebe Frau Coppelia. Aber Sie«, sie wandte sich wieder Linn zu, »hatte ich mir dann doch anders vorgestellt nach der Lektüre. Viel größer und … na, irgendwie auch intellektueller. Stand in den Taugenixen nicht, Sie seien einen Meter dreiundachtzig? Und einen besonders selbstbewussten Eindruck machen Sie auch nicht gerade. Daran sollten Sie arbeiten!«

Die Gruppe lachte laut. »Putzige Idee. Das Buch muss ich mir unbedingt ansehen!«, rief Brimborius aus. »Solche Anspielungen auf echte Menschen und Begebenheiten sind ja gerade sehr im Trend. Frau Coppelia, darüber müssen wir uns ausführlich unterhalten.«

»Sehr gern, Herr Brimborius«, erwiderte Loretta charmant. »Endlich lerne ich Sie mal kennen.«

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Ich wollte mir das Thema Autofiktion schon länger einmal genauer ansehen, von Thomas Mann bis Martin Suter sozusagen. Ich habe schon die Überschrift: Diese Schriftsteller spielten mit dem Leben! Gut, nicht wahr?«

Um die Mundwinkel von Loretta Coppelia zuckte es verdächtig, dann erneuerte sie ihr charmantes Lächeln: »Nach unserem Gespräch können Sie die Schriftstellerinnen da noch ergänzen.«

»Warum?«, erwiderte Brimborius irritiert. »Wir machen nur ein Hintergrundgespräch, ansonsten konzentriere ich mich auf den Kanon.«

Der Schnauzbart mit den vielen Koffern räusperte sich. »Dann wird es jetzt Zeit, dass ich mich der Runde vorstelle, nicht wahr? Roland Weißweiler von Literatur Heute. Freut mich, Sie kennenzulernen.«

»Ach, das ist ja interessant«, näselte Brimborius. »Literatur Heute. Ich wusste gar nicht, dass es die noch gibt.«

»Aber natürlich gibt es die noch, junger Mann«, lachte Professorin Dampf. »Und wie! Wer wirklich mehr über Literatur erfahren will, ist dort richtig. Das Zeitungsfeuilleton ist dagegen eher was für die flüchtigen Leser.«

»Nicht umsonst wird in der nächsten Literatur Heute ein großes Porträt von Frau Dampf erscheinen«, flankierte Weißweiler ihr Lob. »Und das Gespräch dafür werden wir am Wochenende führen, nicht wahr, Madame Dampf?«

»Ohne Zweifel, lieber Weißweiler – ich kann es kaum erwarten! Aber nennen Sie mich doch Madampf – so nennen mich meine Fans. Eine Madame, aber mit Dampf. Ach, ich freue mich wirklich, Sie wiederzusehen.«

»Seit wann hat man als Professorin Anhänger?«, fragte Giovanni Faber nicht ohne Spitze.

Sie sah in streng an: »Alle Vertreter eigener Denkschulen haben Anhänger. Haben Sie noch nie etwas von den Epikureern oder den Kantianern gehört? Meine sind die Madampfisten. Haben Sie meine Philosophiegeschichte nicht gelesen?«

Linn musste grinsen. Wenn das kein schöner Frontalangriff war.

Faber, der nicht damit gerechnet hatte, so angegangen zu werden, konterte etwas zu bemüht. »Wissen Sie, mich interessiert die künstlerische Auseinandersetzung mit der Gegenwart weit mehr als die verstaubte Vergangenheit.«

»Dann, Herr Faber, sind Sie mit Verlaub ein Idiot.«

Roland Weißweiler versuchte zu schlichten.

»Nein, nein, verehrte Madampf. Das hat Herr Faber mit Sicherheit nicht so gemeint!«

Fürs Erste hatte Linn genug. Die einen verhielten sich wie auf dem Basar, die anderen packten direkt die Waffen aus. Beides war nicht ihr Ding. Sie beschloss, auf ihr Zimmer zu gehen. Wortlos zog sie sich aus der Gruppe zurück, durchquerte den Frühstücksraum und fand ihre Zimmertür unmittelbar neben einem der Snackautomaten. Wie zur Begrüßung brummte er laut auf. Sein Kühlmechanismus brachte ihn förmlich zum Vibrieren.

Mit einem lauten Seufzer schob Linn ihre Karte in den Schlitz, schob sich ins Zimmer und warf die Tür hinter sich ins Schloss.

Dann war sie mit dem Brummen allein.

Gretchens Rache

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