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Die Kesselschlacht bei Charkow

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Im Frühling 1942 kreisen die Gedanken im Führerhauptquartier vor allem um den sowjetischen Frontvorsprung bei Isjum, südlich Charkow. Ein gefährliches Relikt aus der Winterschlacht, entstanden durch einen russischen Einbruch in die deutschen Linien am Donez. Der weit nach Südwesten ragende Balkon ist 100 Kilometer breit und tief. In den Stäben der Heeresgruppe Süd sieht man klar: Bevor die große Sommeroffensive, der „Fall Blau“, hier den Ausgangspunkt nehmen kann, muss erst einmal diese russische „Beule“ eingedrückt werden. Die Operation erhält den Decknamen „Fridericus“. Sie sieht einen konzentrischen Angriff gegen die sowjetische 6. und 57. Armee vor. Von Norden soll General Paulus 6. Armee, von Süden die Armeegruppe Kleist mit Teilen der 1. Panzer- und 17. Armee antreten. Gelingt die Operation, wäre nicht nur eine gewaltige Kesselschlacht geschlagen, sondern auch eine günstige Basis für den „Fall Blau“ gewonnen. „Fridericus“ soll am 18. Mai starten.

Aber nicht nur Hitler, Halder und Bock befassen sich mit Angriffsoperationen. Auf der Gegenseite plant Marschall Timoschenko, der Oberbefehlshaber der Südwestfront, eine konzentrische Offensive gegen die wichtige Etappenstadt Charkow, um die 6. Armee einzuschließen. Nach Vernichtung der eingekesselten Verbände soll weiter auf Dnjepropetrowsk vorgestoßen werden. Über diesen Knotenpunkt am Dnjepr rollt ein Großteil des Nachschubs für die deutschen Großverbände im Donezgebiet und auf der Krim. Die Operation geht auf die persönliche Initiative Stalins zurück, und sie ist überaus gewagt! Immerhin richtet sich der Stoß gegen einen kampfkräftigen und erfahrenen Gegner, der selbst zur Großoffensive rüstet. Ein kompetenter Chronist der Frühjahrsschlacht um Charkow, der US-Militärhistoriker und -schriftsteller David M. Glantz, schreibt: „Unlike their Soviet counterparts, in spring 1942 German combat formations were still led and manned by battle-hardened and experienced combat veterans.“22 („Im Gegensatz zu ihren sowjetischen Gegnern, wurden die deutschen Kampfverbände im Frühling 1942 geführt von und besetzt mit schlachtgestählten und erfahrenen Kriegsveteranen.“)

In der Tat: Unter diesen Umständen droht Timoschenkos kühner Stoß zu einem gefährlichen Stich ins Wespennest zu werden …

Zwar befürwortet Armeegeneral Schukow ebenfalls Präventivschläge gegen die deutsche Front. Doch fasst der bullige Stratege dafür eher den Mittelabschnitt, deren Westfront er selbst kommandiert, ins Auge. Aber Stalin lässt sich von seinem Präventivschlag in der Ukraine nicht abbringen. Daran können auch die Bedenken seiner wichtigsten militärischen Ratgeber nichts mehr ändern. Die schweren Bedenken von Generalstabschef Schaposchnikow und seines strategisch begabten Zöglings Wassiljewski wischt Stalin beiseite.

Die Frage ist nur: Wer schlägt als Erster los – die Deutschen oder die Russen? Der 12. Mai liefert die Antwort. Aus der „Pestbeule“, wie Feldmarschall von Bock, der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd, den Donez-Brückenkopf bei Woltschansk nennt, tritt die 28. Sowjetarmee mit 16 Schützen- und Kavalleriedivisionen sowie drei Panzer- und zwei mechanisierten Brigaden gegen den Nordflügel der 6. Armee an. Nach einstündiger Artillerie- und bis zu 20-minütiger Luftvorbereitung. Der Stoß richtet sich gegen Seydlitz-Kurzbachs LI. und Hollidts XVII. Armeekorps.

Wie kritisch sich die Lage vorn bei den betroffenen Einheiten entwickelt, erlebt der Soldat Hans-Jürgen Hartmann23 von der 294. Infanteriedivision. Sein schonungsloser Bericht offenbart Entschlossenheit und Verzweiflung gleichermaßen sowie teils krasse Unterschiede in der Mentalität, Ausstattung und Versorgung der beteiligten Großverbände. Hartmann, Angehöriger einer 14. (Pak) Kompanie, blickt neidvoll auf eine benachbarte Panzerdivision, für deren Angehörige es unter anderem „Schokolade und Zigaretten satt, herrlichen Käse“ gibt. Vor allem aber ist es das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber den massiven russischen Panzerangriffen im Raum Nepokrytaja, die an der Moral der Infanterie nagen. Mancherorts geraten die Landser sogar in Panik. Hartmann schreibt über die dramatischen Ereignisse, die sich Mitte Mai ostwärts Charkow zugetragen haben:

„Aus den riesigen Staub- und Pulverwolken brachen dann die Panzer hervor, die braunen Infanterierudel gleich dahinter, und dann gab es kein Halten mehr. Weg, ab nach hinten, Kanonen sprengen – rette sich, wer kann! Dazu oben in Massen die russischen Schlachter.“24

In der Nacht vom 15. auf den 16. Mai entern einzelne Landser vorbeirollende Panzer, um oben aufsitzend mitzufahren. Entsetzt erkennen die Infanteristen dann aber rote Sterne an den Türmen. Sofort springen sie wieder herunter und flüchten sich schließlich doch lieber zu Fuß nach Westen. Laut Hartmann wirkt der verlorene Haufen wie „ein jammervoll zerfledderter, entnervter Verein, den Panzerschreck in den Knochen, verkommener Lanseradel, hin- und hergeschubst als Lückenbüßer, ohne Kanonen und Handgranaten, und wie zum Hohn bestückt mit russischen Beuteflinten.“

Noch brenzliger entwickelt sich die Lage am Südflügel der 6. Armee. General der Panzertruppe Friedrich Paulus sieht seine Offensivplanungen jäh über den Haufen geworfen. Statt selbst anzugreifen, muss sich der im Felde noch unerfahrene Kommandeur mit seinem Großverband dem überwältigenden Ansturm von zwei sowjetischen Armeen, der 6. und 57., erwehren. Nicht weniger als 26 Schützen- und 18 Kavalleriedivisionen sowie 14 Panzerbrigaden überrennen die sechs Divisionen des deutschen VIII. und rumänischen VI. Korps. Insgesamt führen die Russen 640.000 Mann, 1.200 Panzer und über 900 Flugzeuge in die große Frühjahrsschlacht um Charkow. Werden Timoschenkos Greifer nicht schleunigst angepackt, sind alle Planungen für den „Fall Blau“ obsolet.

Erst 20 Kilometer vor Charkow gelingt es General Paulus, mit der 3. und 23. Panzerdivision den ungestümen Vorwärtsdrang der russischen Nordzange durch Flankenstöße zu lähmen. Das infanteristische Rückgrat bildet die 71. Divison. Generalmajor Hartmanns Großverband ist im Herbst 1941, nach der Kesselschlacht um Kiew und den hohen Verlusten, von der Ostfront abgezogen und zur Wiederauffrischung nach Belgien verlegt worden. Der zweite Russlandeinsatz sieht die voll kampfkräftige Infanteriedivision in der Schlacht um Charkow.

Leutnant Wigand Wüster25 von der 10. Batterie/Artillerieregiment 171 erlebt die wechselvollen Gefechte. Eine seiner schweren Feldhaubitzen, Kaliber 15 Zentimeter, fällt durch Rohrkrepierer aus. Der starke Detonationsdruck hat die beiden Kanoniere auf der Lafette betäubt, Gefäße in ihrem Gesicht sind geplatzt. Aber die erlittenen Verletzungen erweisen sich als halb so schlimm. Lebensgefährlich ist dagegen die starke sowjetische Artillerie, laut Leutnant Wüsters Bericht liegt die Hauptkampflinie (HKL) „unter ständigem schweren Beschuss“. Zu allem Überfluss greifen auch noch Panzer plus Begleitinfanterie an. Im direkten Richten nehmen die Artilleristen mit ihren schweren Feldhaubitzen von einer Vorderhangstellung aus die anrollenden T 34 unter Feuer. Distanz 1.500 Meter. Dann rollt die Kanonade über das wellige Gelände. Und es gelingt tatsächlich, Wirkung zu erzielen, obwohl die Haubitzen nicht sonderlich für den Panzerabwehrkampf geeignet sind. Der erste Volltreffer reißt einem T 34 gleich den ganzen Turm herunter. An anderer Stelle genügt der Naheinschlag einer 15-Zentimeter-Granate, um einen Tank bewegungsunfähig auf die Seite zu werfen oder ihm die Ketten abzureißen. Fünf Russenpanzer kann die 10. Batterie schließlich vernichten, dann ist der Feindangriff abgeschlagen.

Hans Jürgen Hartmann von der 294. Infanteriedivision beschreibt die gefallenen Gegner in seinem Gefechtsabschnitt: „Die meisten Toten waren Mongolen mit gelben, vor Schmerz und Angst und Hitze grässlich verzerrten Gesichtern, die uns mit starren Augen und bleckenden Zähnen immer von neuem erschreckten.“26

Mehr Biss als die Nord- zeigt Timoschenkos noch stärkere Südzange. An dieser Stelle stoßen die sowjetischen Verbände bis zum 16. Mai scheinbar unaufhaltsam vor. Aber mit jedem Kilometer Raum, den die Stoßtruppen nach Westen gewinnen, verlängert sich auch ihre Südflanke, bietet selbst Angriffsfläche ...

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Die große Frage in den deutschen Stäben lautet: Soll die Armeegruppe Kleist ungeachtet der überraschenden Lageentwicklung am Fridericus-Plan festhalten? Können die 1. Panzer- und die 17. Armee immer noch nach Norden antreten, um den russischen Frontvorsprung bei Isjum abzuschneiden, und zwar allein? Denn die eingetretene Krise östlich Charkow erlaubt keine entscheidende Mitwirkung der weiterhin in schweren Abwehrkämpfen gebundenen 6. Armee mehr. Bock zögert, während Halder zur einarmigen Zange drängt, die Hitler schließlich billigt.

Am 17. Mai holt die Armeegruppe Kleist zur Konteroffensive aus, um Timoschenkos tiefe Südflanke an der Basis zu packen. Starke Luftunterstützung liefert das IV. Fliegerkorps. Heiß brennt die Sonne vom blauen Himmel. Rasch steigen die Temperaturen auf 30 Grad. Drückende Schwüle. In die Hitze des Tages platzt der Angriff des III. Panzerkorps unter General der Kavallerie Mackensen. Die völlig überraschten Truppen der 9. und 57. Sowjetarmee werden geworfen. Der Gefechtsbericht der 257. Infanteriedivision verzeichnet schwere Kämpfe. Das Regiment 466 vernichtet ein russisches Bataillon – dabei fallen 450 Rotarmisten. Mackensens gepanzerte Fäuste, die 14. und 16. Panzerdivision, schlagen mit brutaler Wucht zu. Die Einbrüche werden schnell zu Durchbrüchen erweitert.

Am 22. Mai erreicht die 14. Panzerdivision den Schlüsselpunkt Bairak am Donez, während die 44. Infanteriedivision, die Paulus 6. Armee doch noch zur Unterstützung der Gruppe Kleist freimachen kann, das Nordufer forciert. Schließlich gewinnt auch die 16. Panzerdivision bis zum 23. Mai den Strom bei Andrejewka. Damit sind die 6. und 57. Sowjetarmee eingeschlossen. Eine dramatische Wende der Schlacht! Timoschenkos Präventivschlag hat sich tatsächlich als verhängnisvoller Stich ins Wespennest erwiesen.

Um den Ausbruch der eingekesselten Sowjets zu verhindern, trifft der Kommandierende des III. Panzerkorps, General Mackensen, geschickte Gegenmaßnahmen. Tagelang toben schwerste Ausbruchskämpfe südlich von Charkow. Nachts, im Schein von Magnesium-Leuchtraketen, werden die ohne Rücksicht auf Verluste unter „Geschrei und Gejohle“ stürmenden Eingeschlossenen, vielfach „sinnlos betrunken“, massenhaft niedergemetzelt. Aber auch die deutsche 1. Gebirgsdivision, die im Zentrum der Ausbruchskämpfe steht und nach den gespentischen Gefechten 8.000 tote Russen vor ihrer Front zählen soll, verliert „auf dieser Straße des Todes“, wie es in einem dramatischen Gefechtsbericht von Generalleutnant Lanz27 heißt, zahlreiche Männer. Seit dem 17. Mai verzeichnet der Großverband nach späteren Angaben des Kommandeurs 431 Gefallene und über 1.300 Verwundete.28 Der Kommandeur, der an zwei Weltkriegen teilgenommen hat, kann sich nach dem Krieg an „kein vergleichbares Bild erinnern, wie damals an der Bereka. Unsere Verluste waren gewiss bitter, wenn auch nur ein kleiner Bruchteil von denen der Sowjets.“

Der Soldat Jakob Geimer29 schreibt am 2. Juni an seine Frau: „Dann geht das große Kesseltreiben los, und das Scheibenschießen auch. Nur keine Bange Jäb, was vor die Flinte kommt, wird umgelegt, den Hunden treiben wir‘s aus. So etwas stures gibt es nicht wieder, meinst Du die kämen aus ihren Löchern raus, was bleibt da anderes übrig, als Handgranate hinein, oder ne Kugel durch den Schädel. Was kann man da anderes machen, unsere Zeit ist kostbar, lange gefackelt wird nicht. Zäh und verbissen sind die Burschen, nützt aber nichts, wir sind besser, die Infanterie muß ja das Rennen machen.“

Und von Bocks Verbände gewinnen diese Runde. Bis zum 28. Mai meldet der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd 22 russische Schützen-, sieben Kavalleriedivisionen, 14 Panzer- und mechanisierte Brigaden als zerschlagen. 239.000 Rotarmisten werden gefangen genommen. Dazu kommen schwerste blutige Verluste, vermutlich rund 70.000 Tote, darunter der stellvertretende Oberbefehlshaber der Südwestfront, Generalmajor Bobkin, sowie die Generalleutnante Gorodnjanskij und Podlas, Führer der 6. beziehungsweise 57. Armee, die mitsamt ihren Stabsoffizieren gefallen sind. An Material büßt die Rote Armee 1.250 Panzer, 540 Flugzeuge und 2.026 Geschütze ein. Die Deutschen erleiden Verluste in Höhe von rund 20.000 Mann. Demnach ist von 5.000 Gefallenen für die an der Kesselschlacht bei Charkow beteiligten Armeen auszugehen. Ein hoher Preis für die Heeresgruppe Süd angesichts der kurz bevorstehenden großen Sommeroffensive!

Der sowjetische Versuch, General der Panzertruppe Paulus 6. Armee einzukesseln, ist katastrophal gescheitert. Angesichts der schweren Schlappe bei Charkow fällt Stalin ein vernichtendes Urteil über den Oberbefehlshaber der Südwestfront, Marschall Timoschenko, und dessen Armeekommissar, dem späteren Sowjetführer Nikita Chruschtschow. Der Diktator zürnt:

„Wenn ihr nicht gelernt habt, eure Truppen besser zu führen, wird die gesamte Ausrüstung, die im Land hergestellt wird, nicht für euch ausreichen. Merkt euch das, wenn ihr eines Tages den Feind schlagen wollt!“30

Noch schärfer rügt Stalin den Generalstabschef der Südwestfront, Generalleutnant Iwan K. Bagramian. Er wird seines Postens enthoben. In einem bitter-bösen Brief vom 26. Mai an das Frontoberkommando zürnt der Diktator:

„Während einer Dauer von nur drei Wochen ist es, dank der Kurzsichtigkeit der Südwestfront, gelungen, nicht nur die schon halb gewonnene Charkower Operation zu verlieren, sondern auch noch gelungen, 18 bis 20 Divisionen an den Feind zu übergeben.“

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Trotz des Vernichtungssieges, laut Chruschtschow die größte deutsche Leistung im Ostfeldzug, herrscht indes auch bei den Siegern eine durchaus nachdenkliche Stimmung. General von Mackensen, der Kommandierende des III. Panzerkorps, lässt am 28. Mai 1942 in einem Fernschreiben an Generaloberst Kleist verlauten: „Die Rote Führung riskiert alles. Sie faßt im Großen klare Entschlüsse und setzt alles zu ihrer Verwirklichung ein. Truppenführung und Truppe folgen ihr in der Durchführung der Entschlüsse weit mehr als im vergangenen Jahr [...] Rote Panzerwaffe und Kavallerie zeichnen sich durch unerhörten Schneid und Kampfwillen zur Vernichtung aus [...]“31

Mackensen weiß, dass der Erfolg „nur mit letzter Kraft“ errungen werden konnte. Der US-Historiker Glantz kommt zu dem Urteil, dass der deutsche Sieg bei Charkow durch überlegene taktische Führung sowie den konzentrierten Einsatz der Panzer- und Luftwaffe erreicht worden ist. Im Prinzip haben die Russen den gleichen Fehler gemacht, der ein gutes Jahr später den Deutschen vor Kursk selbst unterlaufen soll: an der stärksten Stelle der gegnerischen Verteidigung angesichts feindlicher Panzerreserven im Hinterland anzugreifen. Zwar kann man nur mutmaßen, wie die Schlacht bei Charkow wohl geendet hätte, wenn die Rote Armee, statt ins offene Messer zu rennen, in der Defensive geblieben wäre. Es spricht zwar vieles dafür, dass die angreifende Wehrmacht, wie auf der Krim eindrucksvoll demonstriert, Timoschenkos Verbände im einen wie im anderen Fall ausmanövriert haben würde. Aber vielleicht wäre der deutsche Sieg bei einer rein defensiven Ausrichtung des Gegners nicht so deutlich ausgefallen, hätte mehr Zeit und noch wesentlich größere Opfer gekostet. Denn die Rotarmisten gelten in festen Stellungen als harte Steher. Ein Trumpf, der in Bewegungsgefechten nicht stechen kann, zumal die Deutschen in dieser Hinsicht wiederum deutlich überlegen sind. Fakt ist: Während die Deutschen 1943 mit der „Operation Zitadelle“ tatsächlich eine gewisse präventive Wirkung durch Zerschlagung eines namhaften Teils der operativen Panzerreserven des Gegners erzielen, erreicht die Rote Armee vor Charkow keines der gesteckten Ziele. Ganz im Gegenteil, Paulus und Kleists schnelle Verbände sind intakt geblieben und nehmen die Ausgangsstellungen für die Sommeroffensive 1942 ein.

Angesichts des Triumphes spottet Hitler am Abend des 2. Juni über die Tendenz, militärische Niederlagen mit dummen Theorien zu bemänteln. „Er erinnere nur an die von uns im I. Weltkrieg nach der Schlacht bei Verdun vertretene Abnutzungstheorie. Solche Redensarten seien immer ein Beweis dafür, daß man nicht den Mut aufgebracht habe, ein nicht mehr Erfolg versprechendes Vorhaben sofort abzubrechen.“32 Als sich Paulus 6. Armee dreieinhalb Monate später in operativ sinnlosen Häuserkämpfen um die Ruinen von Stalingrad festbeißt, ist diese kluge Einsicht freilich schon wieder verflogen. Während der Schlacht an der Wolga soll sich Hitler selbst in „dumme Theorien“ von „ganz kleinen Stoßtrupps“ flüchten ...

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Nachdem Bocks Heeresgruppe Süd die Donezlinie zurückgewonnen hat, sollen gleich noch die nächsten Sprünge zur finalen Vorbereitung von „Fall Blau“ gemacht werden. Die Operation „Wilhelm“ richtet sich gegen die sogenannte „Pestbeule“ bei Woltschansk. Damit will die 6. Armee geeignete Absprungbasen am Donez und Burluk gewinnen. Der Angriff beginnt am 10. Juni. Binnen drei Tagen schließen das III. Panzer- und VIII. Armeekorps namhafte Verbände der 28. Sowjetarmee ein. Am 15. des Monats ist die Schlacht geschlagen. 21.000 Rotarmisten geraten in Gefangenschaft. Vor allem aber sind Brückenköpfe über den Donez gebildet, die es erlauben, ohne Zeitverzögerung in die Operation „Blau“ zu starten.

Um auch weiter südlich günstige Ausgangsstellungen am Oskol zu erkämpfen, beginnt am 22. Juni die ebenfalls umfassend angelegte Operation „Fridericus II“. Die Gruppe Mackensen, gebildet aus dem III. Panzer- und LI. Armeekorps, tritt auf Kupjansk an. 24 Stunden später beginnt weiter südlich auch der Vorstoß der Gruppe Strecker (deutsches XI. und rumänisches VI. Korps) sowie des XXXXIV. Armeekorps gegen Isjum. Bereits am 24. treffen sich die beiden Zangenarme bei Gorochovatka. Zwei Tage später ist auch diese zweite vorbereitende Operation erfolgreich geschlagen. 24.000 Rotarmisten strecken die Waffen.

Obwohl operativ erfolgreich, halten sich die Erfolgsmeldungen diesmal – gemessen an den katastrophalen Verlusten der Roten Armee auf der Krim und in der Vernichtungsschlacht bei Charkow sowie Hitlers überzogenen Erwartungen – allerdings in Grenzen. Sowohl der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe, Feldmarschall von Bock, als auch OKH-Chef Generaloberst Halder sehen darin erste Anzeichen eines Strategiewechsels beim Gegners. Statt um jeden Preis zu halten, scheint die Rote Armee nach der Charkower Katastrophe zu taktischen Rückzügen bereit und fähig gewesen. Die Abteilung Fremde Heere Ost unter Oberst Gehlen, bislang eher durch grobe Unterschätzung des Feindpotentials aufgefallen, attestiert am 28. Juni, dass sich der Gegner von der „Taktik eines unwirtschaftlich rücksichtslosen Menschen- und Materialeinsatzes“ abgewandt habe und damit zu rechnen sei, dass er seine „in der Front eingesetzten Kräfte den überraschend geführten deutschen Stößen und Umfassungsversuchen weitgehend zu entziehen und die deutschen Vorstöße aus der Tiefe des Raumes durch Angriffe gegen ihre Flanken aufzufangen“ beabsichtige.33

Und ebenjene Flanken, die nach Eröffnung der großen Sommeroffensive durch die Marschrichtung Stalingrad-Kaukasus zwangsläufig drohen, sollen gemäß Führerweisung Nr. 41 hauptsächlich die schwachen verbündeten Streitkräfte im Verlauf der sich nach Südosten gefährlich verlängernden Donlinie decken. Kein Zweifel: Die 1941 völlig versagende deutsche Feindaufklärung ist effektiver geworden. Aber die besten Prognosen nützen nichts, wenn sie ignoriert werden. Hitler malt sich lieber sein eigenes Feindbild, freilich gestützt auf die jüngsten Erfolge. Und wer will es ihm verdenken? Seit Mai hat die Heeresgruppe Süd immerhin über eine halbe Million Gefangene gemacht. Und die vermeintlich planvollen Rückzüge des Gegners können auch als erzwungene gedeutet werden. Die Rote Armee scheint tatsächlich zu wanken. Wie ein angezählter Boxer, der sich nur noch vor dem K.o. in die Ecken des Ringes flüchtet …

Ein Jahr nach Beginn des Russlandfeldzuges ist allerdings auch Hitlers Ostheer schwer angeschlagen. Stellvertretend für viele andere Verbänden stehen die Gesamtverluste der 1. Gebirgsdivision.34 Vom 22. Juni 1941 bis zum 24. Juni 1942 meldet der Eliteverband 2.296 Gefallene, 6.737 Verwundete und 144 Vermisste. Die Substanz der Kampftruppe blutet nachhaltig aus, zumal der Ersatz unzureichend und weniger gut ausgebildet ist. In dieser Zeit haben die Regimenter von Generalleutnant Lanz 2.325 Kilometer, das entspricht einem Tagesschnitt von 40 Kilometern, zurückgelegt. Durch Galizien und die Ukraine, vom San bis an den Donez. Überdies verzeichnet die Statistik nicht weniger als 304 Kampftage. Aber keine Zahl erfasst das menschliche Leid, die Verbitterung der Truppe angesichts der langen Gräberreihen gefallener Kameraden auf dem Marsch in die schier unendlichen Weiten des Ostens. Wie lange soll, kann das noch so weitergehen?

Pearls of Bulgarian Folklore

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