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Brückenkopf Kirischi, Kampfraum Mga, Staro-Panowo

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Im Schatten der großen Ereignisse liegen kleinere Brennpunkte, zum Beispiel der Brückenkopf Kirischi. Dieser vier Kilometer breite und zweitausend Meter tiefe Flecken Erde auf dem Ostufer des Wolchow ragt wie ein Pfahl ins Fleisch der Russen. Die vorgeschobene Bastion wird in erster Linie von ostpreußischen Verbänden in Regimentsstärke verteidigt. Der Brückenkopf soll die westlich verlaufende Bahnlinie vom Knotenpunkt Mga nach Tschudowo decken beziehungsweise – aus Sicht unverbesserlicher Optimisten – Ausfalltor nach Nordosten sein. Die Verbindung zum deutschen Hinterland erfolgt über einen schwankenden Steg. Denn die hohe Eisenbahnbrücke über den hier 350 Meter breiten Wolchow ist zum Teil gesprengt und nur noch auf diese improvisierte Weise passierbar geblieben. Eine Sichtblende aus Buschwerk am Geländer soll die Feindeinsicht erschweren. Denn jede erkennbare Bewegung auf dem Brückensteg wird von den Russen sofort unter Feuer genommen. Vor allem Scharfschützen fordern ihren Tribut.

Anfang Juni beginnt die Front stärker als sonst zu rumoren. Am 4. des Monats beginnen die russischen Geschütze, insgesamt mehr als 100 Rohre, mit dem Einschießen auf die deutschen Stellungen. 24 Stunden später steigert sich die sporadische Kanonade zum Trommelfeuer. Die Russen kommen! Mit mehreren Schützendivisionen und -brigaden. Und T 34! Aber die zähen ostpreußischen Grenadiere der 11. und 21. Infanteriedivision erweisen sich als gefürchtete Panzernahkämpfer. Nicht wenige T 34 werden mit Handminen gesprengt. Und der Unteroffizier Rump von der Panzerjägerabteilung 11, eine Einheit der 11. Infanteriedivision, setzt mit seiner Pak 15 Tanks außer Gefecht. Insgesamt werden im Verlauf der 15-wöchigen Schlacht 171 Russenpanzer vernichtet. Daneben fallen die russischen Schützen in Massen. Welle auf Welle. Bis den Angreifern das „Menschenmaterial“ ausgeht. Die gut ausgebauten, freilich nach und nach eingeebneten Stellungen der Verteidiger, ihr harter Durchhaltewille sowie das starke artilleristische Rückgrat und die wirkungsvolle Luftunterstützung durch das I. Fliegerkorps erweisen sich als unüberwindlich.

Oberleutnant Claus von Kursell, Adjutant beim II. Bataillon/Infanterieregiment 3 der 21. Division, berichtet über das umgepflügte Schlachtfeld: „Große Friedhöfe, von Bomben und Granaten zerwühlt, Häuserruinen, die nur noch die Umrisse der ehemaligen Gebäude anzeigten, Baumstümpfe ohne Äste und Blätter. Das Gelände war mit zersplitterten Brettern und Balken, Maschinenteilen, zertrümmerten Waffen und zerrissenen Ausrüstungsstücken bedeckt. Hier und da schwelte das Sägemehl einer ehemaligen Holzfabrik von der letzten Phosphorbombe her. Da und dort lagen ein toter Russe oder ein deutscher Soldat, den man noch nicht hatte bestatten können. Eine Stätte des Schreckens, ohne ordentliche Bunker und Gräben, ohne Hindernisse und Minenfelder.“53

Ein Gefechtsfeld für Einzelkämpfer. Da ist zum Beispiel jener Unteroffizier vom I. Bataillon, der, inmitten seiner gefallenen Gruppe als Letzter die Stellung verteidigend, Handgranate auf Handgranate gegen den angreifenden Feind schleudert. Bis er schwer verwundet wird und die eigene Pistole gegen sich selbst richtet.

Oder der Unteroffizier Windt, der plötzlich auf einen 20 Mann starken russischen Spähtrupp trifft, davon vier Rotarmisten mit der MPi erschießt und die restlichen Feinde in die Flucht schlägt. Und nicht zuletzt „der alte Rackwitz von der 6. Kompanie“, der mit seinem leichten Granatwerfer, Kaliber 5 Zentimeter, wendiges Sperrfeuer als 10er Salven schießt. Einmal bezieht er mit seinem Rohr sogar Feuerstellung auf einem Baum. Über das Ergebnis sagt Rackwitz in seiner typischen Mundart:

„Ich habe aber nuscht jetroffen.“

Claus von Kursell findet aber ebenso anerkennende Worte für den Gegner: „Aber auch der Russe war tapfer. Wie Schlangen krochen die Iwans vom Waldrand mit Gepäck und Nachschub über das freie Trichtergelände und brachten ihre Lasten in die vordersten Gräben, die 25 bis 150 Meter vor den eigenen Stellungen lagen. Auch für den Feind war Kirischi eine Hölle. Das russische Feuer war schlimm, aber fürchterlicher noch die deutsche Abwehr. Wo eine Bereitstellung erkannt wurde, da schlugen die Feuerzusammenfassungen ein [...] Die russischen Panzerfahrer wollten nicht mehr angreifen. Es hatte aber keinen Zweck. Ein gefangener Tankist sagte aus, daß, wer umkehrt, erschossen worden wäre. Neue Fahrer kamen in die Kampfwagen. Sie fuhren vor und verbrannten in ihren Panzern. Denn wer ausbooten wollte, den schossen die Unseren ab.“

Vom Himmel lassen Tiefflieger der roten Luftwaffe Flammöl auf die zerschlagenen Stellungen der preußischen Grenadiere regnen. Dabei fängt eine der Maschinen Feuer, brennt wie eine Fackel, wird von einem nachfolgenden Flugzeug gerammt. Beide Tiefflieger stürzend qualmend in den Wolchow. Bei Nachtangriffen der roten Luftwaffe schießen die russischen Infanteristen rote Leuchtkugeln auf die deutschen Stellungen, um diese zu markieren. Da wendet Rackwitz eine Kriegslist an. Er feuert rote Leuchtkugeln in Serie auf die feindlichen Stützpunkte. Und die russischen Piloten lassen sich tatsächlich täuschen, werfen ihre tödliche Last auf die eigenen Stellungen ab. Rackwitz hört das Rauschen der Bomben, die Explosionen, die Schreie der getroffenen Rotarmisten.

Zu den Härten der Gefechte kommen gesundheitliche Beschwerden. Das wochenlange Vegetieren in den Drecklöchern plus Läuse sorgen für Fieber, eiternde Wunden, geschwollene Füße und vor allem den unvermeidlichen „Durchmarsch“, wie von Kursell den chronischen Durchfall nennt.

Derweil kümmert sich Stabsarzt Dr. Schneider54, Chef der 1. Sanitätskompanie/21. Infanteriedivision, vordringlich um die Schwerverwundeten. Darunter ein Unteroffizier mit offenem Hals. Ein Splitter hat ihm Kehlkopf und Speiseröhre zerfetzt. Aber der stumme Mann steht immer noch. Dr. Schneider sagt nach der Operation:

„Welch ein Leidenkönnen!“

Manch einen dieser schweren Fälle kann der Arzt retten, andere muss er aufgeben. Dr. Schneider berichtet über die Sterbenden:

„Mitten unter uns kämpft der ohnmächtige Ausgeblutete seinen furchtbaren Todeskampf, ertönt das schwere, langsame letzte Röcheln des Kopfverletzten oder das rasselnde Stöhnen des Lungenverletzten, gibt mit kleinen, krampfhaften Atemstößen der Bauchverletzte sein Leben auf.“

Und die pausenlosen Gefechte im Brückenkopf sorgen dafür, dass der Strom an Verwundeten, die über die Wolchowbrücke abtransportiert werden, nicht abreißt. Als Oberleutnant von Kursells Bataillon nach vier Wochen Einsatz in der „Hölle“ Kirischi endlich abgelöst wird, sind noch 400 von ursprünglich 700 Mann übrig.55

Aber auch nach Abklingen der russischen Großangriffe, Ende September, wütet ein verbissener Kleinkrieg. Fortgesetzte Scharfschützen-, Späh- und Stoßtrupptätigkeit sorgen dafür, dass die Truppe kaum zur Ruhe kommt und immer wieder Opfer zu beklagen sind. Nachts versuchen die Russen, sich ihre „Zungen“ zu holen, das heißt, Gefangene zum Verhör einzubringen. Um diesen „Postenklau“ zu verhindern, richten die Deutschen vorgeschobene MG-Stellungen zur Rundumverteidigung ein. Mancherorts wird befohlen, die Schnellfeuerwaffen mit Draht zu verankern. Die Posten leint man zur Sicherung wie Wachhunde an!56

Deutsche Spähtrupps lassen Nichtraucher an der Spitze marschieren. Ihre sensibleren Nasen sollen den markant würzig-scharf riechenden Machorka-Tabak der Rotarmisten frühzeitig erschnüffeln. Um den Fritzen wiederum die Annäherung zu erschweren, streuen die Iwans trockenes Reisig vor ihren Stellungen aus. Das laute Knacken der dünnen Hölzer verrät pirschende Späh- oder Stoßtrupps des Gegners.

Auf dem Westufer des Wolchow, im Kampfraum Mga, ist während des Sommers 1942 neben anderen Verbänden die 217. Infanteriedivision eingesetzt. In ihren Reihen kämpft der Oberleutnant Hubert Hundrieser.57 Ein leidenschaftlicher Jäger, der seine Passion in den Sumpfwäldern und Mooren hinter der HKL regelmäßig frönt. Während viele Kameraden jene berüchtigte „grüne Hölle“ am Wolchow verfluchen, kann der Naturfreund der ursprünglichen Landschaft viel Schönes abgewinnen. Hundrieser schwärmt für die „Sonnenaufgänge mit glitzernden Tautropfen, schweigenden Fichten und dem Balzkullern Hunderter Birkhähne auf nebelverhangenem Moor“. Selbst die einfachen, strohgedeckten Bauernhäuser bieten ihm in der aufgehenden Morgensonne „ein unsagbar schönes Bild“ – das „leuchtende Moos hatte die Ärmlichkeit der Katen fortgewischt“. Während seiner Jagdausflüge erlegt der Waidmann unter anderem Birkhähne und Schneehühner, die sein Hund mit dem passenden Namen „Iwan“ brav apportiert. Im Abschnitt seines Bataillons verlaufen die Sommermonate vergleichsweise ruhig.

Eines Abends, während der Wache, wird Hundriesers Hund unruhig. Das Herrchen, mit einem Jagdgewehr an einer verkrüppelten Moorkiefer Deckung nehmend, kann zwar nichts Verdächtiges wahrnehmen. Aber der erfahrene Jäger bleibt auf der Hut. Als eine halbe Stunde später Stockenten mit Geschnatter davonfliegen, ist das für Hundrieser ein zweites Alarmzeichen. Denn diese Wasservögel rufen meist nur dann, wenn sie aufgeschreckt worden sind. Angestrengt blickt Hundrieser durch sein lichtstarkes Fernglas auf das unübersichtliche Moorgelände. Da! Ein Trupp Rotarmisten schleicht in Reihe über den schwankenden Boden. Hundrieser zählt sieben Mann. Dann greift er nach seinem Jagdgewehr und bringt den Drillich in Anschlag. Er rückt den letzten Mann der Gruppe ins Fadenkreuz. Sein Kalkül: Fällt dieser, ist die Verwirrung beim Rest am größten. Die Entfernung beträgt zirka 100 Meter. Der Jäger nimmt den Druckpunkt am Abzug, atmet tief ein und aus, hält die Luft an und krümmt den Zeigefinger. Ein Schuss kracht. Der anvisierte Russe fällt. Blitzschnell lädt Hundrieser nach. Nach dem ersten Schuss sind die Rotarmisten auseinander gestobenen und haben Deckung genommen. Als sich einer etwas erhebt, um die Lage zu peilen, setzt Hundrieser den zweiten Treffer. Dann feuert er eine rote Leuchtkugel ab, das Zeichen für einen gegnerischen Angriff. Durch das Stellen des Spähtrupps ist den Rotarmisten das Überraschungsmoment genommen. Der anschließende russische Vorstoß in Kompaniestärke auf den deutschen Bataillonsgefechtsstand scheitert.

Am entgegengesetzten Flügel der 18. Armee, westlich Leningrad, hält die 215. Division den Ring um die rote Revolutionsmetropole geschlossen. Die von der Wolchowfront abgezogenen Regimenter krallen sich seit Juli 1942 in die Kraterlandschaft rund um das völlig zerschossene Dorf Staro-Panowo. Auf beiden Seiten wirkt starke Artillerie. Von See her orgeln die schweren Geschütze des Kreuzers „Lützow“, der kurz vor Kriegsausbruch vom Deutschen Reich an die Sowjetunion verkauft worden ist, ihre großkalibrigen Granaten. Zeitweilig erinnert das Trommelfeuer an die Materialschlachten des Ersten Weltkrieges. Als beim Infanterieregiment 380 die feindlichen Fernsprechleitungen angezapft werden, fällt immer wieder ein Name: Abramkin.58 Eine Art „Mädchen für alles“ beim gegenüberliegenden russischen Bataillonsstab. Abramkin ist offenbar so beliebt wie gefragt. In den abgehörten Telefonaten heißt es unter anderem:

„Abramkin soll Essen holen.“

„Ist Abramkin noch nicht vom Leitungsflicken zurück?“

Eines Tages greift ein Stoßtrupp des I. Bataillons/Infanterieregiment 380 nach einem Feuerüberfall der Artillerie den vordersten Feindgraben an. Der Gegner wird durch den blitzartigen Vorstoß überrascht. Nach dem Einbruch in die Feindstellung schleppen die Landser einen schwerverwundeten Rotarmisten zurück. Der Mann ist von einem Granatsplitter getroffen worden. Diesen Gefangenen kann man weder verhören noch ihm helfen. Als er gestorben ist, findet der Sanitäter in der blutverschmierten Uniformtasche ein Soldbuch, das Aufschluss über die Identität des Gefallenen gibt: Abramkin, Fedor, Jahrgang 1919, geboren im Bezirk Tula. Und gefallen beim Leitungsflicken vor Leningrad. Die Mehrzahl der Toten bleibt allerdings anonym – ein vernichteter „Bolschewist“ oder „Faschist“ mehr. Aber hinter jedem toten Gegner steckt ein Gesicht, ein Mensch. Vielleicht sogar ein feiner Kerl wie dieser Fedor Abramkin, den seine Kameraden bitter vermissen werden.

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