Читать книгу Die wichtigsten Ideen im Texas Hold'em Poker - Ivo Donev, Hans-Jürgen Gasser - Страница 8
2. Der Glücksfaktor im Poker und die Turnierstrukturen
ОглавлениеBeim Poker spielen die Spieler gegeneinander und nicht gegen ein vom Casino ausgeklügeltes System, welches die Spieler langfristig in jedem Fall verlieren lässt. Beim Poker verlieren die schwachen gegen die starken Spieler. Zwar kann ein Anfänger jederzeit eine Hand gegen einen echten Champion gewinnen – auf lange Sicht wird aber der bessere Spieler mehr gewinnen.
Die Glückskomponente ist bei diesem Spiel zweifelsohne vorhanden – ein anschaulicher Vergleich: Poker ist eine Mischung aus Schach und Roulette – Schach ist fast zu 100% Können, Roulette ist fast zu 100% Glück – Poker liegt da irgendwo dazwischen. Der Glücksfaktor im Poker ist eine Variable. Je größer der Chipstack im Vergleich zu den Blinds ist, desto kleiner wird der Glücksfaktor, weil man mit einem großen Stack genügend Spielraum hat, zu raisen, zu reraisen etc. ohne All In gehen zu müssen. In späteren Turnierphasen steigen die Blinds und im Verhältnis zu den Blinds werden die Stacks der Spieler kleiner. Je größer der Blind im Verhältnis zum Chipstack ist, desto größer wird der Glücksfaktor. Wenn man zum Beispiel am Anfang des Turniers 100.000 Chips hat und der BB ist bei 200, hat man 500 BB, der Glücksfaktor liegt hier bei zirka 20%. Hat man gegen Ende des Turniers immer noch 100.000 Chips und der BB ist nun 20.000, so hat man nur noch 5 BB und somit keinerlei Spielraum. Der Glücksfaktor ist nun also enorm hoch.
Poker ist ein Spiel unvollständiger Informationen, in dem der Spieler ständig Entscheidungen treffen muss. Ob diese Entscheidungen richtig oder falsch waren, weiß man immer erst im Nachhinein. Es kann auch vorkommen, dass die richtige Entscheidung zum Verlust eines Pots führt und umgekehrt kann auch die falsche Entscheidung zum Gewinn eines Pots führen.
Dazu ein Beispiel: Sie sitzen im BB. Vor ihnen war jede Menge Action (ein UTG Raise auf 3 BB, ein Call aus mittlerer Position und eine 3-Bet vom Button auf 9 BB). Sie blicken auf ihre Karten und freuen sich sehr: A♥A♦ - die roten Asse lachen sie an. Die Action bis zu ihnen deutet darauf hin, dass sehr starke Hände unterwegs sind. Trotz dieser vermeintlichen Traumsituation gilt es hier genau abzuwägen, ob sie
a) Callen
b) 4-betten
c) All In pushen
Was würden sie tun?
Mal angenommen, sie entscheiden sich für c) All In. Die beiden ersten Spieler folden, doch der Button callt sofort mit deutlich mehr Chips als sie haben. Er zeigt A♣K♣. Zu exakt 87,25% werden sie diesen Showdown gewinnen, aber immerhin mit einer Wahrscheinlichkeit von 11,39% gewinnt ihr Gegner diese Hand und sie haben bei einem Cashgame ihren Einsatz verloren bzw. sie sind bei einem Turnier ausgeschieden. Sie haben in so einem Fall also die richtige Entscheidung getroffen, aber das falsche Ergebnis erzielt.
Umgekehrt könnte man sagen, dass ihr Gegner einen Fehler gemacht hat (wobei sich darüber streiten lässt, denn A♣K♣ ist im Heads Up die achtbeste Hand). Wenn er die Hand gewinnt, hat er mit der falschen Entscheidung sehr viele Chips gewonnen (im Cashgame sehr viel Geld) und hat somit durch den Glücksfaktor im Poker das von ihm gewünschte Ergebnis mit der falschen Entscheidung erzielt.
Wie kann man überhaupt von richtigen oder falschen Entscheidungen im Poker sprechen? Hierzu lohnt sich die Lektüre des Meisterwerks des vermutlich bedeutendsten Pokerautors der Welt, David Sklansky, Namens „The Theory Of Poker“. In diesem Werk hat Sklansky den zentralen Lehrsatz der Pokerwissenschaft eingeführt. Dieser Lehrsatz verwendet eine Fiktion, nämlich die Annahme, dass alle mit offenen Karten spielen würden, sodass jeder die Karten des anderen sehen könnte. Sobald man im richtigen Spiel die gleiche Entscheidung getroffen hat, wie in dieser Fiktion, hat man richtig gespielt. Hätte man im fiktiven Spiel anders entschieden, als im echten, hat man gemäß dieser Theorie einen Fehler gemacht.
Sehr drastisch wirkt sich dieser Lehrsatz bei Entscheidungen auf Flop, Turn oder River aus. Stellen sie sich nochmal das vorherige Beispiel vor, diesmal entscheiden sie sich für eine 4-Bet und nur ihr Gegner, der am Button A♣K♣ hält, was sie natürlich nicht wissen, callt. Der Flop ist 2♣7♣J♣. Sie checken und ihr Gegner setzt sie All In. Würden sie seine Karten sehen können, würden sie sofort folden, denn dann sehen sie den Nutflush und nur durch entsprechende Runner-Runner-Karten verbessern sie ihre Hand noch zum Full House. Ich versichere ihnen, dass es in Echt deutlich schwerer ist, in dieser Situation zu folden. Vielleicht hat er ja nur das A♣ und damit den Nutflushdraw. Aber nicht nur ein Flush – auch das Set 2er, 7er oder Buben wäre ihr fast sicheres Todesurteil. Dazu kommt die Tatsache, dass ihr Gegner mehr Chips als sie hat. Sehr schnell sieht A♥A♦ nicht mehr ganz so stark aus und ein vernünftiger Spieler foldet in dieser Situation.
Seit vielen Jahren fragen sich Poker Spieler, wie hoch der Glücksfaktor im Poker ist. Das Pokerspiel hat sich in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt. Zahlreiche Pokerlehrbücher wurden geschrieben. Es gibt heutzutage viel mehr Pokerspieler als früher und Experten sind sich mittlerweile einig, dass der Skill-Level derart gestiegen ist, dass man bei Poker nicht länger von einem Glücksspiel reden kann. Der Glücksfaktor verändert sich während eines Pokerturniers ständig. Zum Beispiel ist in einem Hyper-Turbo-Online-Turnier mit kleinem Startstack (10-20 BB) und kurzen Levels (2 bis 5 Minuten pro Level) der Glücksfaktor extrem hoch. Man ist bald im Push-or-Fold-Modus und dadurch sind oft zwei oder mehr Spieler vor dem Flop All In.
Die Nachteile bei einem Preflop All In:
1. Egal wie gut man den Flop trifft, man kann seine Hand nicht mehr mit einer Bet schützen.
2. Man kann nicht mehr bluffen bzw. semibluffen.
3. Es gibt keine Fold Equity mehr.
Bei solchen Turnieren ist der Glücksfaktor weit über 50%. Im Endstadium vieler Turniere kommt man häufig in solche Situationen. Am Ende eines Turniers sind die Blinds schon sehr hoch und man ist oft gezwungen, zum Push-or-Fold-Modus umzuschalten. Es gibt sogar Situationen, wo der Glücksfaktor 100% ist. Nehmen wir an, man ist im BB extrem Short, man hat nur noch einen BB. Somit ist man automatisch All In. Nun ist der Glücksfaktor 100%, weil man automatisch All In ist, nichts mehr machen kann und nur noch auf einen glücklichen Ausgang des Showdowns hoffen kann. Nehmen wir eine andere (utopische) Situation an: Man hat in einem Turnier 100.000 BB erreicht. Der Average Stack liegt aber bei nur 20 BB. In einer solchen, theoretischen Situation wäre der Glücksfaktor extrem niedrig. Anders gesagt, das Können ist sogar im Bereich von 99%.
Am geringsten ist der Glücksfaktor bei Deep Stack Turnieren. So startet man beispielsweise bei einem Turnier wie dem WSOP Main Event mit 50.000 Chips. Die Leveldauer beträgt 120 Minuten und die Blinds starten mit 150/75 (somit verfügt jeder Spieler zu Beginn des Turniers über 333 Big Blinds). Bei einer so langsamen, deepen Struktur ist der Glücksfaktor nur zirka 20%. Man hat genug Zeit, auf gute Karten oder auf günstige Situationen zu warten. Dadurch kommen die Poker Skills mehr zur Geltung.
Wichtig ist dabei, die Preflop-All-In-Situationen zu vermeiden (außer mit A-A). Grob gesagt: Der Glücksfaktor im Poker ist eine variierende Zahl, meistens zwischen etwa 20 bis 50%.
Auch die verschiedenen Pokervarianten haben verschieden große Glücksfaktoren.
Dies veranschaulicht folgender Vergleich: Wie schneiden zwei sehr gute Starthände gegen einander in den drei Pokervarianten Holdem, Omaha und 7 Card Stud ab?