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14. Juni 2006

Hamburg

Emma stand in Barbaras Laden und fertigte ein Gesteck an, als Simone zur Tür hereinkam.

»Hallo Emma! Schön, dich zu sehen. Ich wollte Nina abholen.«

Simone umarmte Emma und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

»Nina ist in der Küche, sie hatte Hunger und Barbara hat ihr schnell Eintopf warm gemacht. Ich halte hier so lange die Stellung.«

»Ich habe mich schon gefragt, ob du hier wieder arbeitest«, Simone grinste. »Schließlich hältst du es ohne Blumen doch nicht lange aus.«

»Das stimmt schon, aber ich habe etwas ganz anderes vor«, strahlte Emma. »Ich fahre nach Hause und besuche Doris. Am Freitag geht es los. Carla kommt übers Wochenende mit, obwohl ich sie am liebsten gleich zwei Wochen nach Möwenburg entführen würde. Sie ist so müde und gestresst, dieses Volontariat tut ihr gar nicht gut.«

»Das ist mir auch schon aufgefallen«, meinte Simone. »Sie wirkt sehr abgespannt und nicht besonders glücklich.«

»Wer ist nicht glücklich?«, dröhnte plötzlich Barbaras Stimme durch den Laden.

»Meine Schwester Carla. Sie macht ein Volontariat bei »Schiller & Tegenkamp«, seitdem ist sie ständig müde, hat dunkle Ringe unter den Augen und lächelt fast gar nicht mehr. Ihre Chefin scheint ein richtiger Drachen zu sein.« Emma fuhr sich mit dem Unterarm über die Wange. Ein winziges, grünes Blatt blieb neben ihrem Mundwinkel hängen. Fast wie ein Schönheitsfleck, dachte Simone und streckte die Hand aus, um Emma von dem Blatt zu befreien.

Barbara schaute auf das Gesteck. »Wunderschön, Emma! Das ist eine richtig tolle Kombination, da wäre ich nie drauf gekommen. Das bekommt einen Ehrenplatz im Schaufenster. Aber jetzt sag mal: Warum fahrt ihr nach Möwenburg? Du wolltest mir vorhin davon erzählen, aber wir wurden von Nina unterbrochen.«

»Das Dach ist undicht und unsere Mieter ziehen aus. Das ist wirklich schade, es war so unkompliziert mit ihnen. Wir wissen noch gar nicht, was wir jetzt mit dem Haus machen sollen. Ich würde am liebsten neue Mieter suchen. Ich möchte das Haus nicht verkaufen.« Emma schluckte. Sie griff nach der Gartenschere, um ein paar überstehende Zweige vom Gesteck abzuschneiden. Eine Träne lief ihr über das Gesicht und sie wischte sie zornig mit der freien Hand weg. Sie griff nach dem überstehenden Zweig und schnitt zu. Ein Schmerz fuhr ihr durch die Hand und im nächsten Moment tropfte Blut auf den Tresen. Emma hatte im Überschwang nicht aufgepasst und nicht nur den Zweig erwischt, sondern sich in die linke Hand geschnitten. Verwundert sah sie auf die tropfende Wunde. Es sah richtig tief aus.

»Oh«, mehr kam nicht über ihre Lippen, nur dieser einzige Laut. Barbara rannte zum Verbandskasten und holte ein Verbandpäckchen hervor.

»Passt du noch ein wenig auf Nina auf? Ich fahre Emma ins Krankenhaus. Das ist ein ziemlich tiefer Schnitt, ich fürchte, das muss genäht werden.« Simone griff schon nach ihrer Tasche. »Emma, hast du deine Krankenkassenkarte in deiner Handtasche oder liegt sie oben in eurer Wohnung?«

»Die habe ich immer dabei«, bemerkte Emma und schaute Barbara zu, die ihre Hand verband.

Simone nahm Emmas Tasche, griff nach Emmas gesunder Hand und zog sie mit zu ihrem Auto.

Eine Viertelstunde später parkten sie am Krankenhaus. Der muffelige Pförtner rief Simone noch ein »junges Fräulein, aber eine Parkkarte ziehen, nicht vergessen!«, hinterher, nachdem er ihr die Schranke geöffnet hatte. Simone murrte vor sich hin, während sie am Automaten eine Karte zog, dann ging sie mit Emma zur Notfallambulanz. Dort war es natürlich ziemlich voll. Kein Wunder, um neunzehn Uhr hatte keine Arztpraxis mehr geöffnet. Vor ihnen am Schalter stand ein etwa vierzigjähriger Mann und redete auf die Schwester ein, die hinter einer Glasscheibe saß und etwas genervt wirkte.

»Hören Sie, Sie müssen mich jetzt bitte zu einem Arzt lassen, sonst bin ich zum Anpfiff nicht rechtzeitig zu Hause.«

»Sie müssen schon warten. Wir vergeben hier Termine nach Dringlichkeit, nicht nach irgendwelchen Fußballspielen.«

»Aber das ist doch nicht irgendein Spiel! Das ist die WM! Heute spielt Deutschland!«, der Mann war wirklich verzweifelt. Simone stöhnte.

Die Schwester schaute dem Mann tief in die Augen. »Sie setzten sich jetzt bitte hin, damit ich hier weiter meine Arbeit machen kann. Je schneller Sie sitzen und je ruhiger Sie sich verhalten, desto schneller sind hier alle fertig und Sie kommen nach Hause, zu ihrem Fernseher.« Der Mann trollte sich murrend und Simone konnte endlich mit Emma an den Schalter und ihren Fall schildern.

»Eine tiefe Schnittwunde also«, wiederholte die Schwester, während sie Emmas Krankenkassenkarte durch das Lesegerät zog und auf ihrem Computer tippte. »Blutet es noch stark?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete Simone. »Sie hat einen Verband um die Hand. Aber vorhin hat es ganz schön stark getropft.«

»Setzten Sie sich bitte in den Warteraum. Ich hole Sie bald ab. Brauchen Sie Schmerzmittel?«, fragte die Schwester Emma.

Diese schüttelte den Kopf. »Nein, es tut komischerweise gar nicht weh.«

Die Schwester musterte Emma, dann wandte sie sich noch einmal an Simone. »Ich glaube, sie hat einen leichten Schock. Ich schaue mal, dass ich schnell einen Arzt finde, der sich den Schnitt ansehen kann. Setzten Sie sich so lange.«

Simone führte Emma in den Warteraum und brachte ihr einen Becher kaltes Wasser, den Emma gierig austrank.

»Das tut gut«, Emma lächelte Simone an. Dann verzog sie gequält das Gesicht. »Au, Mist, jetzt tut es doch weh.«

»Ich habe mal gehört, dass man, wenn man eine tiefe Verletzung hat, zuerst so geschockt ist, dass man nichts mehr spürt. Aber irgendwann kommt der Schmerz dann wieder.«

»Na toll!«, Emma schaute auf ihre verbundene Hand. »Dann wäre ich jetzt gerne noch im Schockzustand.«

»Ich kann die Schwester ja mal fragen, ob sie eine Schmerztablette für dich hat.«

Simone verließ das Wartezimmer und Emma schaute sich um. Das lenkte wenigstens etwas von dem pochenden Schmerz in ihrer Hand ab. Wie konnte sie auch so blöd sein und sich in die Hand schneiden. So etwas war ihr noch nie passiert. Sie sollte nicht an Pflanzen herumschnippeln, wenn sie über Probleme mit ihrem Elternhaus nachdachte. Ihr gegenüber saß der Fußballfan und tippte etwas in sein Handy, obwohl ein großes Schild im Warteraum darauf hinwies, dass man seine Mobiltelefone ausschalten sollte. Er sah nicht besonders krank aus und Emma fragte sich, was ihm wohl fehlte. Schräg gegenüber in einer Ecke saß ein Vater mit seinem etwa zehnjährigen Sohn. Der Junge hielt seinen Arm fest und erzählte seinem Vater von einem Sturz und dass es im Oberarm komisch geknackt hatte. Emma hörte schnell weg. Neben dem Jungen und seinem Vater war ein Platz frei und daneben saß eine ältere Dame, die sich einen Kühlakku an die Schläfe hielt. Die Dame sah auf und lächelte plötzlich, da bemerkte Emma den älteren Herrn, der sich neben sie setzte und ihre Hand nahm. Er flüsterte der Dame etwas zu, was klang wie »Alles wird wieder gut, Trudchen.«. Emma lächelte. Gerade wollte sie sich umdrehen, um zu schauen, wer noch in der Reihe hinter ihr saß, da kam Simone schon zurück, mit einem weiteren Becher und einer Tablette.

»Hier, die darfst du nehmen, eine Schmerztablette von der Schwester.« Simone reichte Emma die Tablette und den Becher. Eine Ärztin kam und der Fußballfan sprang auf, aber die Ärztin ignorierte ihn und nahm den Jungen mit seinem Vater mit.

»Also, das ist doch.... So eine Frechheit!«, murmelte der Mann vor sich hin.

Simone grinste. «Der sieht doch eigentlich ganz gesund aus«, flüsterte sie Emma zu.

»Ich glaube, der leidet bloß an Fußballfieber.«, bemerkte Emma und beide kicherten.

In dem Moment betraten zwei Ärzte das Wartezimmer. Der Eine ging zu der älteren Dame und ihrem Mann und bat sie, ihm zu folgen. Der Andere, ein sehr gut aussehender, großer, junger Mann, stutzte zuerst, dann lächelte er und ging schnurstracks auf Simone zu. Er strahlte sie an.

»Sind sie Frau Licht? Die Dame mit dem Schnitt in der Hand?«

»Ich bin Frau Müller und habe meine Freundin, Frau Licht, hierher gebracht.« Simone wies auf Emma und lächelte den jungen Arzt verzaubert an. Die beiden hatten nur Augen füreinander. In diesem Moment hatte Emma das Gefühl, hier gerade völlig überflüssig zu sein.

Emma folgte Simone und dem Arzt, der sich als Doktor Jäckel vorgestellt hatte, in das Behandlungszimmer. Ihre Hand schmerzte, aber dieser Arzt hatte sie bis jetzt kaum angesehen. »Hoffentlich schaut er sich meine Hand gleich richtig an und hat nicht nur Augen für Simone«, brummelte Emma vor sich hin.

»So, da wären wir, bitte schön«, sagte Dr. Jäckel und öffnete eine Tür. »Sie können sich dort auf die Liege setzen, und Sie gerne auf den Stuhl daneben.«. Der Arzt rückte Simone einen Stuhl zurecht, aber diese lächelte nur.

»Ich bleibe stehen, danke.«, erwiderte sie und lächelte Dr. Jäckel an. Dieser entfernte den Verband von Emmas Hand.

»Haben Sie den Verband angelegt? Der ist richtig gut« Dr. Jäckel strahlte Simone an.

»Den hat meine .... Freundin.... angelegt«, stotterte Simone und Emma schnaubte.

Dr. Jäckel musterte die Schnittwunde.

»Das ist ziemlich tief. Können Sie die Finger bewegen?« Er zeigte auf jeden einzelnen Finger und forderte Emma auf, abwechselnd damit zu wackeln.

»Es ist gut, dass Sie ihre Finger bewegen können«, bemerkte Dr. Jäckel, während er Simone schon wieder anstrahlte. »Wir können die Wunde kleben, dann kommt noch ein Verband darum und Ende nächster Woche können Sie das von Ihrem Hausarzt nachuntersuchen lassen. Wenn Sie allerdings vorher Probleme haben, können Sie natürlich jederzeit hier vorbei kommen.«

Bei diesen Worten schaute der Arzt schon wieder Simone an.

»Warum nur habe ich das Gefühl, dass ich damit nicht gemeint bin?«, murmelte Emma. Dr. Jäckel verließ kurz das Zimmer, um eine Schwester und das nötige Verbandszeug zu holen.

»Bin ich froh, dass er wenigstens kurz Augen für meine Hand hatte«, Emma grinste Simone an. »Den Verband hat also ein »Freundin« gemacht, aha!« Simone wurde prompt knallrot.

»Es tut mir leid, ich weiß auch nicht,« stotterte sie. »Was hätte ich denn sagen sollen? Meine Schwiegermutter? Dann würde er mich doch nicht mehr anschauen! Was soll ich denn jetzt machen?«

»Wenn du ihn sympathisch findest, dann frag ihn doch, ob er mal etwas mit dir trinken geht.« Emma musterte den Schnitt in ihrer Hand, der immer noch leicht blutete.

»Das traue ich mich nicht«, zischte Simone und verstummte schnell, weil Dr. Jäckel zusammen mit einer Schwester wieder ins Zimmer kam. Er reinigte Emmas Hand und verklebte den Schnitt, dann verband die Schwester die Hand und Dr. Jäckel erzählte noch ein paar Dinge, auf die Emma die nächsten Tage achten sollte. Dabei ließ er Simone nicht aus den Augen.

»Haben Sie eine Tetanusimpfung?«, fragte die Schwester Emma.

»Ja, die wurde erst vor einem Jahr aufgefrischt.«

»Gut, dann sind wir jetzt fertig. Ich wünsche Ihnen gute Besserung. Die Schwester lächelte Emma an und verließ das Zimmer. Kurz bevor sie durch die Tür verschwunden war, steckte sie noch einmal ihren Kopf ins Zimmer.

»Dr. Jäckel? Kann ich Ihnen dann den nächsten Patienten bringen? Da ist ein Herr, der sehr aufgebracht ist wegen des Fußballspiels. Wenn wir ihn noch länger warten lassen, hyperventiliert er.«

»Äh, ja, na gut«, bemerkte Dr. Jäckel zerstreut. Emma hüpfte von der Liege und sah Simone durchdringend an.

»Ich warte dann draußen auf dich!«, sprach sie und beeilte sich, schnell durch die Tür zu kommen, um den beiden noch einen kurzen, ungestörten Moment zu lassen. Am Ende des Ganges sah sie schon den aufgebrachten Fußballfan nahen.

»Hoffentlich tauschen sie wenigstens schnell noch ihre Handynummern aus«, war Emmas letzter Gedanke, bevor der Mann an ihr vorbei ins Behandlungszimmer rauschte. Im selben Moment kam eine selig grinsende Simone aus dem Raum, in der Hand eine Visitenkarte.

»Er hat mich gefragt, ob wir morgen etwas trinken gehen wollen. Oh mein Gott, er sieht so gut aus, oder? Er sieht doch unwahrscheinlich gut aus, findest du nicht? Er hat sogar Grübchen, wenn er lächelt.« Simone war völlig aufgelöst.

»Soll ich lieber fahren?«, bemerkte Emma trocken. Dann lächelte sie breit.

»Ja, er sieht gut aus. Aber die Hauptsache ist, dass er nett zu dir ist.«, sprach sie, hakte Simone unter und fuhr mit ihr nach Hause.

Emmas Sommermärchen

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