Читать книгу Emmas Sommermärchen - Ivy Bell - Страница 6

Оглавление

10. Juni 2006, am Nachmittag

Hamburg

Nach einem ausgiebigen Frühstück mit ihren Freundinnen beschloss Emma, Barbara einen Besuch in ihrem hübschen Blumen- und Dekoladen abzustatten. Simone wollte sowieso Nina abholen, da konnte sie diese begleiten. Der Laden war zwar schon geschlossen und Simone war mit Nina nach Hause gegangen, aber Barbara lief immer noch geschäftig hin und her, sortierte welke Blumen aus, goss Pflanzen und arrangierte Dekomaterial um. Emma lümmelte in einem Korbstuhl herum und versuchte, Barbaras Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Was gar nicht so einfach war.

»Hallo, Barbara, es ist Samstag, du hast morgen frei«, flötete Emma. Daraufhin stellte Barbara ihre Gießkanne beiseite und nahm Emma nochmal fest in die Arme.

»Na, mein Mädchen, lass dich mal anschauen«, sie schob Emma ein Stück von sich weg und sah ihr ins Gesicht. »Du siehst gut aus, frisch und zufrieden.«

»Mir geht es auch gut, der Aufenthalt in der Gärtnerei in Cornwall war richtig schön. Nach dem Studium nochmal ein wenig praktisch zu arbeiten hat mir gutgetan. Die haben dort richtig große Gärten und Parkanlagen geplant, Wahnsinn!«

»Wie geht es bei dir weiter? Du hast einen Bachelor in Gartenbau. Studierst du weiter oder suchst du dir hier eine Arbeit?«

Emma zuckte die Schultern. Sie war noch zu keinem Entschluss gekommen. Die Zeit in England war schön gewesen, aber manchmal hatte sie sich auch einsam gefühlt. Wieder einmal hatte sie die Gespräche mit ihren Eltern, vor allem mit ihrer Mutter, schmerzlich vermisst.

Im Dezember 2001 waren die Eltern von Emma und Carla bei einem Rundflug über Stockholm und die Schären verunglückt. Emma brauchte lange, um wieder in ein normales Leben zurückzufinden. Dabei war ihr gar nicht aufgefallen, dass Carla, die immer so stark wirkte und zupacken konnte, genauso litt wie sie, sich aber zusätzlich Sorgen um die Zukunft machte. Schließlich war sie Barbara begegnet, die im Dezember 2002 in ihr Wohnhaus einzog und dort einen Blumen- und Geschenkeladen eröffnete, in dem Emma immer wieder aushilfsweise eingesprungen und so nach und nach wieder ins Leben zurückgekehrt war. Hier in diesem Laden hatte sie ihre Liebe zu Pflanzen und Gärten entdeckt und sich entschlossen, Gartenbau zu studieren. Mit Barbara, die selber ihren Sohn verloren hatte, konnte sie über ihre Trauer reden. Das alles war eine große Hilfe gewesen, ihr Schicksal zu verarbeiten, und nebenbei hatte sie sogar ihren Traumberuf gefunden. Zum Sommersemester 2003 begann sie ihr Studium der Gartenbauwissenschaften an der Uni Hannover, welches sie pünktlich nach sechs Semestern mit dem Bachelor abschloss. Danach war sie für ein Praktikum nach England gereist, zum einen, um ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen, zum anderen, um dort in den herrlichen Gartenanlagen Praxiswissen zu sammeln. Und, wenn sie ehrlich war, um ein wenig Abstand von Marco zu bekommen. Seit eineinhalb Jahren waren sie zusammen, und Marco fing langsam an, zu drängeln. Er wollte mit ihr zusammenziehen, wahrscheinlich sogar bald heiraten. Eigentlich sollte sie sich geschmeichelt fühlen, aber irgendetwas sperrte sich in ihr. Es ging ihr alles zu schnell. Sie hatte das Gefühl, sich gerade aufgerappelt zu haben, da kam jemand, und wollte sie in einen goldenen Käfig sperren. Okay, das war vielleicht ein wenig übertrieben. Emma war jedenfalls froh, dass Marco zur Zeit noch in New York war. Er machte dort nach seinem Jurastudium ein Praktikum in einer großen Anwaltskanzlei. Das gab ihr Zeit, über ihre weiteren Schritte nachzudenken.

Barbara räusperte sich und holte Emma damit aus ihrer Grübelei.

»Ich habe mir noch gar keine Gedanken gemacht, ob ich weiter studieren und den Master machen möchte oder nicht. Das werden die nächsten Wochen zeigen.«

»Du bist noch so jung, du musst nichts überstürzen.« Barbara zwinkerte und kniff Emma in die Wange. »Ich habe einen Quarkkuchen gebacken, möchtest du ein Stück haben?«

»Da brauchst du mich nicht zweimal fragen«, jubelte Emma und folgte Barbara in ihre Küche.

Währenddessen saß Carla oben in ihrer Wohnung am Rechner und zog ihre Stirn kraus. Sie stöhnte. Wieder und wieder las sie den Artikel, den ihr Frau Hagen gestern noch gemailt hatte. Mit den Worten »Das ist eine Katastrophe, überarbeiten Sie das schnellstens, ich möchte die Korrektur am Wochenende haben!«, war Frau Hagen an ihrem Schreibtisch vorbei zu einem Termin gerauscht, kurz bevor Carla zum Bahnhof aufgebrochen war, um Emma abzuholen. Ihre Schwester hatte recht, sie war müde. Sie hatte genug von ihrem Volontariat in der Agentur »Schiller & Tegenkamp«. Sie war eine fertige Wirtschaftswissenschaftlerin und musste sich dort behandeln lassen wie der letzte Mensch. Der Artikel war keine Katastrophe, er war gut recherchiert und geschrieben. Sie wusste das, aber Frau Hagen piesackte Volontäre gerne. Es ging das Gerücht um, dass sie in jedem Volontär einen potentiellen Nachfolger sah und somit Angst hatte, mit über 50 Jahren plötzlich ohne Arbeit dazustehen, weil eine Jüngere besser sein könnte als sie. Völliger Quatsch! Carla grinste böse. Sie hatte nicht vor, Frau Hagen ihren Job streitig zu machen. Sie strebte die Selbständigkeit an. Seit sie bei »Schiller & Tegenkamp« arbeitete, sehnte sie den Tag herbei, an dem sie eine eigene Agentur gründen würde. Aber jetzt musste sie dieses Volontariat durchziehen. Wenn man es geschafft hatte, dort zu bestehen, standen einem alle Türen offen. Sie tippte ein wenig auf der Tastatur herum. »sdgjl« stand nun mitten in ihrem Text. Das machte es auch nicht besser. Carla löschte die Buchstaben, schloss die Datei und fuhr den Rechner herunter. Sie würde heute Abend nochmal über den Text schauen. Jetzt wollte sie erst einmal die Sonne genießen. Sie griff nach ihrer Tasche und ihrem Wohnungsschlüssel, musterte ihr müdes Gesicht im Flurspiegel und griff nach ihrer Sonnenbrille. Sie setzte die Brille auf ihre Nase und grinste keck in den Spiegel. »Die Augenringe muss ja keiner sehen, ich lasse einfach die Brille auf« flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu und verließ die Wohnung, um Emma abzuholen. Dabei dachte sie darüber nach, dass sie ganz schön fertig sein musste, wenn sie nun schon anfing, mit ihrem Spiegelbild zu sprechen. Sie hüpfte die Treppen hinunter und beschloss, sich diesen Tag von niemandem verderben zu lassen. Schon gar nicht von Frau Hagen.

Emmas Sommermärchen

Подняться наверх