Читать книгу Emmas Sommermärchen - Ivy Bell - Страница 13
ОглавлениеApril 1974
Kiel
Die Luft war noch feucht vom Regen. Es war kühl und ungemütlich und Michael schlug seinen Mantelkragen hoch, um sich vor dem beißenden Wind zu schützen. Er fror erbärmlich. Seit der letzten Nacht plagte ihn Fieber. Schon die ganze letzte Woche hatte er sich erkältet in die Uni und zu seinem Job geschleppt, aber nun fühlte er sich so schlecht, dass er einen Arzt aufsuchen musste. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal krank gewesen war. Es musste schon ewig her sein, er hatte schon lange keine Arztpraxis mehr aufgesucht. Er verglich die Adresse auf dem Zettel, den ihm sein Mitbewohner am Morgen gegeben hatte, mit dem Straßenschild und lief auf ein hübsches Backsteinhaus zu. Die Eingangstür war groß und schwer, Michael musste sich dagegen lehnen, damit sie sich öffnete. »Wie soll denn eine ältere, schwache Dame diese Tür aufbekommen?«, brummelte er vor sich hin und betrat das Treppenhaus. Er drückte auf den Lichtschalter und blickte sich um. Der Flur hatte hohe Decken mit Stuckornamenten, an der linken Wand befand sich eine Tafel, die darauf hinwies, dass sich Herr Dr. Rabe im zweiten Stock befand. Michael stieg die Treppen hinauf und schellte an der Tür des Arztes. Der Summer ertönte, er trat ein und meldete sich bei der Sprechstundenhilfe an.
»Nehmen Sie bitte links im Wartezimmer Platz. Es ist ziemlich voll, das liegt bestimmt an diesem ungemütlichen Wetter. Da werden Sie leider ein wenig warten müssen.«
»Das macht nichts«, Michael lächelte. »Ich habe heute sowieso nichts mehr vor.«
Er betrat das Wartezimmer, grüßte freundlich und sah sich nach einem freien Platz um. Und da entdeckte er sie!
Sie saß auf einem Stuhl vor dem Fenster, das fahle Licht schien ihr auf die rotblonden Haare, die ihr in Wellen über den Rücken fielen. Sie hatte eine Zeitschrift auf dem Schoß und blätterte gerade um, dabei hob sie kurz den Kopf und sah ihm geradewegs in die Augen. Michael lächelte und sie erwiderte sein Lächeln. Die Zeit schien stillzustehen. Sie hatte große, braune Augen, was ein schöner Kontrast zu ihren rotblonden Haaren war. Michael stand immer noch in der Tür des Wartezimmers, als die Sprechstundenhilfe den nächsten Patienten aufrief, der sich murrend an Michael vorbeidrängelte und schimpfte. »Sie stehen im Weg, können Sie sich nicht setzen?« Michael entschuldigte sich und ging auf die Frau zu. Wie der Zufall es wollte, war der Eckplatz an ihrer Seite frei. Michael setze sich und schniefte. Jetzt bemerkte er erst ihre ebenfalls ziemlich gerötete Nase.
»Sind Sie auch so furchtbar erkältet?«, fragte er. Sie lächelte. »Ja, und das geht schon fast eine Woche so. Gestern fing ich an zu frieren und da dachte ich mir, ich gehe lieber mal zum Arzt.«
»Genau wie bei mir«, bemerkte Micheal. Verstohlen musterte er sie. Sie war klein und schmal, trug schwarze Stiefel, die bis zu den Knien gingen, ein zipfeliges, blaues Kleid und einen Mantel mit Fellbesatz. Er knetete seine Hände und wünschte, ihm würde noch etwas Geistreiches einfallen, was er sagen könnte. Hoffentlich wurde sie nicht gleich aufgerufen. Sie beugte sich vor und legte die Zeitung auf den Tisch zurück. Dabei streifte ihr Mantel über sein Knie. Sie setzte sich wieder und schaute Michael schräg an. Ihr Pony fiel ihr ein wenig über die Augen und sie blinzelte und pustete ihn weg.
»Ich muss auch noch eine Weile warten, ich bin kurz vor Ihnen hier angekommen. Aber es ist schöner, wenn man nette Gesellschaft hat.«
»Das stimmt.«, erwiderte Michael, erleichtert, dass sie ihn offensichtlich auch sympathisch fand.
»Ich heiße Constanze«, sagte sie und hielt ihm die Hand hin.
»Michael«, antwortete er und nahm ihre schmale, weiche Hand in seine. Er hoffte, dass sie die Kratzer nicht bemerkte, die ihm vorgestern eine wütende Katze verpasst hatte. Vergeblich.
»Was ist das denn?«, fragte Constanze und deutete auf die Kratzer.
»Die sind von Kasimir, einem Kater, der partout nicht untersucht werden wollte.«
»Untersucht? Sind Sie Tierarzt?« Constanze sah ihn mit großen Augen an.
»Noch nicht. Ich studiere Tiermedizin, nebenbei arbeite ich stundenweise bei einem Tierarzt. Eine schöne Arbeit, wenn die Tiere einem nicht gerade ihre Krallen in die Hand bohren oder beißen.«
Constanze grinste. »Das ist wirklich eine schöne Arbeit. So etwas würde mich auch interessieren....«, sie seufzte und er hatte das Gefühl, dass sie etwas bedrückte. Aber da redete sie schon weiter. Sie unterhielten sich und die Wartezeit verging wie im Flug. Als Constanze fertig war, wartete sie im Flur der Praxis auf Michael. Sie verließen gemeinsam die Praxis und spazierten noch ein Stück zusammen durch den Regen. Und als ihre Wege sich trennten, verabredeten sie sich für den übernächsten Tag in einem Café ganz in der Nähe der Praxis. Als Michael sich zu Hause in sein Bett kuschelte, um ganz schnell wieder gesund zu werden, träumte er von Constanze und ihren schönen, braunen Augen. Er hatte sich heftig verliebt.