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Kapitel 3 – IN LAGUNA MAR –

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»Für die letzten zehn Prozent der Reise werden wir neunzig Prozent der Zeit brauchen«, hatte Frau Sanchez sie vorgewarnt. »Wir werden über unbefestigte Wege laufen.« Trotzdem waren einige in Sandalen gekommen. Turnschuhe waren das festeste an Schuhwerk, das Erin besaß. Die Professorin zuckte bei dem Anblick mit den Achseln. »Ich habe euch informiert, meine Pflicht ist damit erfüllt.«

Zunächst fuhren sie mit der Unterseeischen-Vakuum-Bahn, kurz UVB, nach Porto Cameria. Der Zug mit den vielen kleinen Kapseln zu je sechs Sitzplätzen glitt geräuschlos durch den gläsernen Vakuumtunnel am Meeresboden, während die Studenten ihren individuellen Beschäftigungen nachgingen. Die meisten sahen dabei nichts von der faszinierenden Unterwasserwelt, die sie umgab. Sie waren in Videospielen oder Chatrooms unterwegs, die fleißigeren unter ihnen beschäftigten sich mit ihren Seminararbeiten.

In Porto Cameria spalteten sich die Kapseln ihrer Gruppe vom Rest des Zuges ab und fuhren durch eine Schleuse hinauf in die Magnetschienen, die sich durch die Häuserschluchten wanden.

Die Hafenstadt sah zunächst nicht viel anders aus als Antibique. Türme mit hohen, glänzenden Glasfassaden so weit das Auge reichte, dazwischen ein Netz aus Trassen auf verschiedenen Ebenen. Dann jedoch drangen sie immer weiter in die Randbezirke vor, bis es Gebäude nur noch in großem Abstand gab und schließlich eine Endstation in Sicht kam.

Erin war nie zuvor an einer Endstation gewesen. Südlich davon befand sich keine Bebauung mehr und es begann ein weitläufiger, zum Wasser hin abfallender Pinienwald.

Kaum ausgestiegen, verließen sie den gepflasterten Bahnsteig und wanderten auf einem schmalen Pfad in den Wald hinein. Frau Sanchez lief voraus, blieb zwischendurch aber immer wieder stehen, um sie auf etwas hinzuweisen. »Riecht ihr das?«, fragte sie. »Das ist der Pinienwald! Ich liebe diesen Duft!«

Erin nahm einen tiefen Atemzug. Es roch warm, holzig und süß-würzig. Viele Städte in Laguna Mar waren von Pinienwäldern umgeben, aber so bewusst hatte sie diesen Geruch noch nie wahrgenommen. Der Boden war mit Nadeln bedeckt, sie machten ihn federnd weich.

»Schhht«, flüsterte Professorin Sanchez plötzlich und wies sie an, stehen zu bleiben. »Seht ihr das da oben?« Sie deutete in das Astwerk eines Baumes. »Das ist eine Maranische Goldfeder

Nach etwas angestrengtem Suchen entdeckte Erin den kleinen Vogel. Er sah aus wie eine Mini-Eule und hatte auffällig abstehende, goldgelb schimmernde Federn an Kopf und Schwanz. »Den gleichen Vogel gibt es auch in Jawhara. Dort wird er Jawharanischer Sonnenvogel genannt.«

Als der Weg zunehmend steil und felsig wurde, konnte man immer wieder einen der Sandalenträger fluchen hören. Viele von ihnen waren noch nie auf solchen Wegen gewandert, denn es gab eigentlich keinen Grund für Maranes, die Städte zu verlassen, schließlich hatte man dort alles, was man brauchte. Und wer doch mal Lust auf einen Waldspaziergang hatte, machte ihn eben virtuell. Warum sollte man erst zu einer Endstation fahren, um sich dann auf einem felsigen Weg die Zehen anzuhauen?

Nach etwa zwanzig Minuten – manche beschwerten sich schon, wie lange es denn dauere – traten sie aus dem Wald hinaus auf einen kleinen, geschotterten Platz.

Vor ihnen lag ein abgeschlossenes Areal, umgeben von einem hohen, mit rostigem Stacheldraht gekrönten Zaun. Frau Sanchez öffnete das Tor darin mit einem metallenen Schlüssel, einem ziemlich alten Ding, wie es heute niemand in Laguna Mar mehr verwendete.

Sie traten ein. Zu ihrer Linken erstreckte sich hinter einer Mauer aus groben Steinen der Strand, zu ihrer Rechten befand sich am Ende eines gepflasterten Weges die Altmaranische Villa. Sie bot einen ungewöhnlichen Anblick. Ihre Fassade bestand aus ungleich großen Steinblöcken in allen Farbschattierungen. Die Fenster waren für maranische Verhältnisse recht klein und weit nach innen versetzt. Hölzerne Fensterläden verschlossen sie. Das und die verschiedenen Pflanzen, die in allen Fugen wuchsen, gaben dem Haus ein sehr verlassenes Aussehen.

Erins Meinung nach hatte es einen gewissen Charme, war nicht so geradlinig wie die heutigen Gebäude, nicht so gepflegt mit der von den Fensterläden abblätternden blauen Farbe. Es war irgendwie ... echt. Die modernen maranischen Gebäude dagegen hätten genauso gut eine Animation ihrer AR-Linsen sein können.

»Da sollen wir wohnen?«, entrüstete sich Ramón. »Das ist ja alt!«

Ein paar der Studenten hatten derweil mit anderen Problemen zu kämpfen. Naomi war plötzlich stehen geblieben und bewegte ihre Augen immer wieder nach oben links. »Ich kann keine Nachrichten empfangen! Was ist los?«

»Sieht so aus, als hättest du kein Netz.«

»Kein Netz? Was bedeutet das?«

»Kein Zugriff auf Informationen, Nachrichten, Plattformen, eben all das. Geht bei mir auch gerade nicht.«

»Bitte? Ist meine BioCom defekt? Muss ich zur Reparatur?«

Frau Sanchez versuchte, sie zu beruhigen. »Ich vergaß zu erwähnen, dass die Netzabdeckung hier nicht besonders gut ist. Dieses Gebiet ist die meiste Zeit des Jahres unbewohnt, da hat es die maranische Infrastrukturbehörde nicht für nötig gehalten, es zu versorgen. Aber macht euch keine Gedanken, es ist ja nur vorübergehend. Spätestens am Sonntag bei unserer Rückreise funktioniert alles wieder wie gewohnt.«

Die Studenten stöhnten. Naomi sagte, sie wolle sofort nach Hause.

Erin schnaubte. Die Streberin war doch nur mitgekommen, um im MarChat Beiträge darüber zu posten, wie furchtbar sie Frau Sanchez fand und wie absurd ihre Ideen waren. Wie schade, dass sie das nun nicht mehr konnte!

Die Professorin öffnete derweil die hölzerne Haustür und erweckte das Gebäude Stück für Stück zum Leben – soweit das eben möglich war. Sie zog Tücher von den Möbeln und von dem kleinen (echten!) Springbrunnen in der Eingangshalle. In einem riesigen Schaltschrank legte sie Hebel für Strom und Wasser um. Schon begann die Fontäne des kleinen Brunnens vor sich hin zu plätschern. Eine zentrale Haussteuerung mit BioCom, die man über Gesten oder AR-Linsen bedienen konnte, suchte man hier vergeblich. Stattdessen waren Schalter an allen möglichen und unmöglichen Stellen platziert, die man erst mal finden und drücken musste, damit dann im Zweifelsfall immer nicht das passierte, was man wollte.

Beim Beziehen ihres gemeinsamen Zimmers mit Erin und Mariah schaffte Livina es, die Wand zum Nachbarzimmer wegfahren zu lassen, statt das Licht anzuschalten.

Naomi beschwerte sich sofort lauthals. War es nicht schon genug, dass man sich hier ein Zimmer zu dritt teilen musste?

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