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Sport ist kein Mord

Ben

Der Bio-LK ist in Ordnung. Die Lehrerin versteht ihren Job. Larah neben mir ist ruhig. Sie hat eine schöne Handschrift und Ahnung von Bio. Wenn wir zusammen Experimente machen müssen, wird es mit ihr sicher nicht zu anstrengend. Ich habe mit ihr noch ein paar andere Kurse. Als Neue ergibt es sich irgendwie, dass wir immer nebeneinander sitzen. Es könnte unangenehmer sein. Zum Beispiel bei den Glitzer-Barbies oder ihrem Ken. Boah, sind die widerlich. Aber sie scheinen die tonangebende Clique in unserem Jahrgang zu sein. Dauernd gesellen sich andere Mädchen oder Jungs zu ihnen und himmeln sie an. Würg.

Larah scheint dagegen immun zu sein. Im Gegenteil. Einige Male sehe ich ihre finsteren Blicke, die sie der Gruppe zuwirft. Sie selbst ist stets zurückhaltend, misstrauisch, abwartend. Wie ich. Und sie beobachtet ständig, was die anderen tun. Ich auch. Paranoid.

In den Pausen sucht sie sich ruhige Ecken und verbringt die Zeit lesend. Unauffällig beobachte ich sie. Ihre Bewegungen sehen kraftvoll aus. Obwohl ihre Figur sehr schlank ist. Sie wirkt regelrecht athletisch. Auch wenn ihre allgegenwärtigen schwarzen Hoodies mit martialischen Aufdrucken das gut verbergen.

Erstaunt bin ich, dass wir beide Sport-LK haben. Nein, ich bin nicht erstaunt. Ihr Gesicht, ihre Figur, ihre Bewegungen zeigen, dass sie Sport macht. Sich fit hält. Was ich auch versuche. In den letzten Monaten fiel mir das schwer. Dafür wurde mein Leben zu sehr durcheinander gewirbelt. Aber langsam bekomme ich wieder einen Rhythmus. Dazu mache ich Sport eigentlich zu gerne.

Heute steht Leichtathletik auf dem Unterrichtsprogramm. Das ist gut. Blöderweise gehört auch Barbie-Ken zum LK. Er hat mich in letzter Zeit ein paar Mal dumm von der Seite angemacht. Solche Typen sind nur zufrieden, wenn sie Opfer finden. Anscheinend will er es bei mir ausprobieren.

Bei Larah hat er es genau einmal versucht. Scheiße, Mann, kann die finster gucken. Sie hat ihn mit irgendeinem Trick in die Knie gezwungen. Danach ist er abgedampft und macht seitdem einen großen Bogen um sie. Hat die Frau ein Selbstbewusstsein. Davon hätte ich gerne eine dicke Scheibe. Aber seit ein paar Monaten ist bei mir nicht mehr viel erhalten geblieben.

Zufällig laufe ich direkt hinter ihr von den Umkleiden zum Sportplatz. Sie hat ein langärmeliges Shirt an, aber nur kurze Laufhosen. Verdammt, hat sie muskulöse Beine. Also, toll muskulös, meine ich. Schlank, aber kräftig, das trifft es eher. Bin mal gespannt, wie sie sich nachher auf der Tartanbahn macht. Ihre Sportschuhe sehen wie oft benutzt aus. Meine bisherigen Eindrücke haben mich nicht getäuscht. Sie ist sportlich. Definitiv.

Herr Bilsbeck, unser Sportlehrer, lässt uns Aufwärmübungen machen. Einige Mädchen sabbern fast, wenn sie seinen fitten Körper betrachten. Der macht auch Sport. Reichlich. Barbie-Ken meint, er müsste sich hier produzieren. Natürlich rennt er im Muskelshirt herum. Damit auch jede(r) seinen Bizeps bewundern kann. Affe.

Schräg vor mir macht sich Larah warm. Oha, der Lehrer könnte von ihr noch etwas lernen. Blitzsauber führt sie die Übungen durch. Das macht sie nicht zum ersten Mal. Ich sehe, wie einige meiner männlichen Mitschüler sie verstohlen mustern. Vor allem ihren knackigen Hintern. Ich natürlich nicht. Nein! Auf keinen Fall.

Ein Pfeifen reißt mich aus meinen Überlegungen. „So, Herrschaften, sechs Runden um den Platz.“

Vereinzeltes Aufstöhnen begleitet seine Aufforderung. Letztlich setzen sich alle aber in Bewegung. Ich habe schnell mein Tempo gefunden. Gelaufen bin ich schon immer gerne. Vor allem die mittleren Distanzen liegen mir. Sprinten ist nicht so mein Ding. An meiner alten Schule war ich in der Leichtathletik-Mannschaft und Schulstadtmeister über 5.000 Meter. Barbie-Ken macht natürlich wieder den Maxen und sprintet los. Das wird er nicht lange durchhalten. Nach drei Runden bin ich längst an ihm vorbei. Wir sind zu fünft in der Führungsgruppe. Vier Jungs und Larah. Stetig trommeln unsere Schuhe den Kunststoffbelag der Laufbahn. Die letzte Runde beginnt. Noch 400 Meter bis zum Ziel. Jetzt gilt es. Ich ziehe an. Ruckzuck sind ein paar Meter zwischen mir und den anderen aus der Gruppe. Aber Moment, hinter mir höre ich ein Paar Füße. Dicht hinter mir. Um nicht aus meinem Rhythmus zu kommen, wage ich nicht, mich umzusehen. Die letzte Kurve. Ich höre immer noch ein Paar Füße hinter mir. Das Geräusch verändert sich. Es ist jetzt seitlich neben mir. Ein rascher Blick zeigt mir, wer mithält. Larah. Ein Mädchen ist schneller als fast alle Jungs. Gut, sie hat wirklich lange Beine. Einen kurzen Augenblick bin ich unaufmerksam. Deshalb verpasse ich den Moment, als sie beschleunigt. Schon ist sie mir zwei Schritte voraus. Ich gebe Gas. Sie auch. Langsam hole ich auf. Ganz langsam. Zu langsam. Noch zwanzig Meter. Jetzt gebe ich alles. Sie auch. Unglaublich. Ist sie schnell. Die Ziellinie. Einen halben Schritt ist sie mir voraus. Locker läuft sie aus. Als sie sich umsieht, umspielt ein leichtes Lächeln ihre Mundwinkel in dem geröteten Gesicht. Nach und nach erreicht der Rest des Kurses das Ziel. Einige lassen sich direkt fallen. Andere heben ihre Arme über den Kopf. Leute! Das waren nur sechs Bahnen! Ihr seid im Sport-LK, das müsst ihr drauf haben.

Larah geht ganz ruhig auf dem Rasen herum. Ihre Atmung hat sich schon wieder beruhigt. Herr Bilsbeck kommt mit seinem Klemmbrett zu uns.

„Larah, Ben, sehr gut. Das war eine überzeugende Zeit. Piet, Nils und Jost. Gut.“ So geht es weiter. Bis er Barbie-Ken ansieht. „Mark, das war nichts. Du bist viel zu schnell gestartet. Nimm dir ein Beispiel an Ben oder Larah. So teilt man sich seine Kräfte ein.“ Ken-Mark schaut echt böse in meine Richtung. Was kann ich denn dafür?

Unser Lehrer klatscht in die Hände. „So, weiter geht’s. Fußball.“ Er hebt einen Schwung Leibchen auf und verteilt sie im Kurs. Larah und ich bekommen eines. Mark-Ken nicht. Unsere Gruppe stellt sich zusammen.

Piet übernimmt das Kommando. Alle lassen sich das gefallen, also scheint er als Fußballer anerkannt zu sein.

„Du, Neuer, spielst du Fußball?“ Ich zucke mit den Schultern. „Gelegentlich.“

„Okay, dann gehst du in die Verteidigung.“

„Larah, richtig? Wie sieht es bei dir aus?“

„Verteidigung.“

„Okay, dann verteilen wir uns so.“

Schnell hat er seine Mannschaft aufgestellt.

Zwei Minuten später ist Anpfiff. Das Spiel ist ausgeglichen. Piet ist echt gut. Er spielt im Mittelfeld und passt geschickt zu seinen Leuten. Aber auch im Abschluss ist er fähig. Bald führen wir 2:0 dank seiner Tore.

Ken-Mark, nein Mark, bekommt den Ball. Er wirkt schon etwas angepisst. Nicht komplett sauber schafft er es, an einem unserer Mittelfeldspieler vorbei. Er spielt recht „körperbetont“, fällt mir auf. Herr Bilsbeck lässt das Spiel weiterlaufen. Larah greift ihn von der Seite an. Obwohl sie mindestens zwanzig Kilo leichter ist, lässt sie sich nicht beirren. Ohne zu zögern attackiert sie Mark. Im Gerangel rempeln sie sich an. Beide gehen zu Boden. Mark dreht sich und springt auf die Beine. Der ist schnell. Aber er kann nur noch verdattert sehen, dass Larah schon längst wieder steht und sich den Ball geschnappt hat. Sie jagt davon. Verfolgt von Mark. Von einem wutschnaubenden Mark. Trotzdem sie den Ball führt, macht sie echt Meter gut. Fix ist sie in der gegnerischen Hälfte. Sie schiebt den Ball zu Piet und der flitzt davon. Mark aber hält weiter auf sie zu. Er ist so sauer, dass er sie völlig regelwidrig in den Boden rammen will. Als hätte sie im Hinterkopf Augen weicht sie im richtigen Moment aus und Marks Angriff verpufft wirkungslos, dafür stolpert er und legt sich lang.

Mit stoischer Miene läuft sie zurück auf ihre Seite. Mark muss aus der Grasnarbenperspektive mitansehen, wie Piet mit einem Fernschuss das Ei zum 3:0 ins Nest legt.

Umringt von den anderen Stürmern unseres Teams läuft er zu Larah und klatscht sie ab. Fairer Sportsmann, er weiß, wem er die Vorlage zu verdanken hat.

Kurze Zeit später ist das Spiel vorbei. Auf dem Weg zum Spielfeldrand bekomme ich plötzlich einen Schlag in den Rücken. Ich lande auf dem Bauch. Gehässig grinsend schaut Mark auf mich runter. Ein greller Pfiff ertönt.

„MARK! WAS SOLL DAS?“

„Herr Bilsbeck, was kann ich dafür, wenn der Idiot über seine Füße stolpert?“

Der Lehrer öffnet gerade seinen Mund, als sich ein Fuß von Larah zwischen Marks Füße schiebt. Ein kurzer seitlicher Schlenker und Mark gerät ins Straucheln. Und landet ebenfalls auf dem Bauch. Wer nicht genau hingesehen hat, konnte das kaum erkennen. Mit unbeteiligter Miene und weiterhin hinter dem Rücken verschränkten Händen geht sie an dem Gestürzten vorbei. Sie gibt vor, die ganzen feixenden Gesichter nicht zu sehen.

Ich stehe auf und folge ihr zu den Umkleiden. Auf dem Weg legt sich eine Hand auf meine Schulter. Piet.

„Gut gespielt, Ben. Und lass dich von dem Arsch nicht ärgern.“ Ich nicke.

„Spielst du aktiv?“, frage ich ihn.

Er nickt. „Ja, Jugendauswahl.“

„Oh, Respekt, Mann.“ Er hält mir die Hand hin und ich schlage ein.

Lächelnd nickt er in Richtung Larah. „Sie ist aber auch nicht ohne. Wie sie Mark den Ball abgenommen hat. Und das gerade eben. Wir sollten sie uns warmhalten.“

Lachend stimme ich ihm zu. Larah ist tatsächlich eine Schau. Geheimnisvoll, aber anscheinend nicht so leicht einzuschüchtern. Und schnell.

Zwei andere Spieler gesellen sich zu uns. Umringt von ihnen, fühle ich mich aufgenommen. Ich merke, wie sehr es mich freut, akzeptiert zu werden. Mein Blick schweift zu Larah, die gerade in der Mädchenumkleide verschwindet. Sie geht alleine vom Platz. Trotzdem wirkt es so auf mich, als wenn es genau das ist, was sie will. Deshalb verstehe ich auch nicht, warum sie Mark zu Fall gebracht hat. Als wollte sie mich rächen. Und wie geschickt sie vorgegangen ist. Werde mal einer schlau aus den Frauen …

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