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ОглавлениеDie Neue
Larah
Neue Schule, neues Glück? Irgendwer hat den Satz letztens zu mir gesagt. Stimmt trotzdem nicht. Aber egal, jetzt bin ich hier und muss das Beste in den letzten beiden Jahren bis zum Abi daraus machen. In meinem Leben ist schon so viel Scheiße passiert, da wird mich eine neue Schule bestimmt nicht umhauen. Mit jedem Quäntchen Selbstbewusstsein im Blick, das ich aufbringen kann, betrete ich den Schulhof.
Überall stehen Grüppchen zusammen. Die Nervensägen der sechsten Klasse spielen. Die Fünfte fängt erst morgen an. Die Schüler der oberen Mittelstufe geben sich betont lässig. Die Oberstufe bildet eine lockere Gruppe unter der Sporthalle, die am Rand des Schulhofes aufgebaut ist. Darunter ist ein überdachter Teil des Pausenbereiches. Von mehreren Seiten strömen immer neue Schüler auf das Gelände. Ich habe gelesen, dass die Schule mehr als 1.000 Schüler besuchen. Das ist gut. Da kann ich - vielleicht - untertauchen. Den neugierigen Blicken nach, die mir zugeworfen werden, muss ich mich dafür aber etwas anstrengen.
Ich sehe mich in einer spiegelnden Glasscheibe. Groß bin ich. Über einsachtzig. Sportlich und schlank. Dunkelblondes, glattes Haar, zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ich trage meine bevorzugte Wohlfühlkleidung. Ein Longsleeve. Aus gutem Grund. Einen Hoodie. Schwarz. Bedruckt mit einem grimmigen Totenkopf. Das Motiv lädt nicht zur Kontaktaufnahme ein. Gut so. Jeans. Blau, eng, elastisch. Sie erlaubt mir viel Bewegungsfreiheit. Boots. Nicht hübsch, aber praktisch. Und sie geben mir einen sicheren Stand, wann immer ich ihn gebrauche. Meine grauen Augen kann ich im Spiegelbild nicht erkennen. Meine Eltern, meine Adoptiveltern, bezeichnen mein Gesicht als hübsch. Mich auch. Aber das ist mir egal. Nein, eigentlich will ich gar nicht so gesehen werden. Ich weiß, warum. Aber weniger Sport machen, um zuzunehmen? Nein, so weit ist es noch nicht gekommen.
Ich gehe auf den Haupteingang zu. Als Neue muss ich mich im Sekretariat melden. Vorschrift. Vor mir geht ein Typ. Ungefähr meine Größe. Schlaksig. Er erreicht die Tür kurz vor mir. Zieht sie auf und schaut nach hinten. Als er mich sieht, hält er die Tür auf.
Ein prüfender Blick in sein Gesicht. Harmlos. Durchschnitt. Seine braunen Augen interessieren mich. Sie schauen … resigniert? Nein. Besorgt? Besser. Vorsichtig und gehetzt? Ja, kommt hin. Ich nicke ihm meinen Dank zu und übernehme die Tür. Er sieht mir kurz in die Augen und wendet sich dann ab. Schublade für die ungefährlichen Typen aufgemacht, ihn dort abgelegt. Schublade wieder zu. Weiter im Text.
Anscheinend ist er auch neu. Er bleibt stehen und sieht sich suchend um. Weil ich letzte Woche schon zur Anmeldung hier war, kenne ich den Weg. Ich gehe an ihm vorbei und marschiere zielstrebig zum Sekretariat. Hinter mir sind Schritte. Das kann nur der Typ sein. Tatsächlich neu.
Die Tür vom Sekki steht auf. Drei Leute huschen herum. Schuljahresbeginn. Stress pur. Ich trete an den Tresen. Eine ältere Frau kommt zu mir. Der Typ stellt sich neben mich.
„Du bist Larah? Mit H am Ende?“ Ich nicke. Sie greift in ein Fach unter der Theke und drückt mir ein paar Zettel in die Hand. „Hier sind deine restlichen Unterlagen. Willkommen im Stadtgymnasium.“
Ich lächle kurz und schnappe mir die Unterlagen. Mit einem Nicken verabschieden wir uns. Sie dreht sich zu dem Typen.
„Und du bist Benedict?“
Seine Antwort bekomme ich nicht mehr mit, weil ich den Raum verlasse.