Читать книгу Moderne Engel - J. Reiph - Страница 12
ОглавлениеAnnäherung
Larah
Ich habe das Bedürfnis, mich mit Mom auszuquatschen. Sie soll mir helfen zu verstehen, warum ich Mark zu einer nahen Besichtigung des Sportplatzrasens verholfen habe. In den letzten Jahren hat es mich nie interessiert, was mit Anderen geschieht. Oder nein. Interessiert hat es mich schon, aber ich bin nie eingeschritten. Mom nimmt mich fest in den Arm.
„Du wirst erwachsen. Erwachsen zu sein, bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung für dich und dein Leben, aber auch für deine Umgebung. Niemand kann nur in seiner eigenen Blase leben. Du musstest zuerst mit dir ins Reine kommen. Ich glaube, das hast du inzwischen geschafft. Jetzt bist du bereit, dich deiner eigenen Lebensverantwortung zu stellen. Und ein Aspekt deines Wesens ist, dass du Ungerechtigkeit ablehnst. Und dass du nicht wegsehen willst, wenn Ungerechtigkeiten geschehen. Vielleicht war das bei dem Fußballspiel für dich eine Art Initialzündung, um dir zu zeigen, wie wertvoll du für deine Mitmenschen sein kannst.“
Ich schweige lange an ihrer Seite. Mit etwas unsicherer Stimme frage ich: „Denkst du?“
Ihre Stimme ist sehr entschieden. „Ja. Du hast dich zu einem ausgesprochen starken Menschen entwickelt. Deine Vergangenheit wird immer ein Teil von dir sein. Aber du kannst damit umgehen. Beginne nun ein neues Kapitel in deinem Leben. Sei auch für andere stark.“
Darüber muss ich lange nachdenken. Sehr lange. Meine Mom gibt mir die Gelegenheit dazu. An sie gekuschelt fiel es mir schon immer leicht, über meine Situation nachzudenken. Irgendwann richte ich mich auf und sehe sie an.
„Ich bin so froh, dass ihr mich aufgenommen habt.“
„Und wir sind froh, dass wir dich haben. Wir lieben dich.“
Sanft gibt sie mir einen Kuss. Unser gemeinsames Kuscheln ist damit definitiv noch nicht zu Ende. Der Abend wird lang. Alle meine Fragen beantwortet sie mit ihrer Engelsgeduld. Aber so ganz schnell werde ich mein jahrelang perfektioniertes Verhalten sicher nicht ablegen können, um mir andere Menschen vom Leib zu halten. Vielleicht irgendwann. Man soll ja nichts überstürzen.
Leise räuspert sich Ben neben mir.
„Larah, kann ich dich was fragen?“
Oh, Mann, das machst du doch gerade schon. Ich sehe ihn mit meinem üblichen Blick an. Aber, verdammt, ich habe ihm wohl schon zu oft geantwortet, denn der Blick prallt ab. Einfach so. Also verdrehe ich nur meine Augen.
Er kichert leise. Ben KICHERT. Ein Typ kichert! Das gibt’s doch nicht. Und nochmal verdammt, meine Mundwinkel zucken. Das muss ich verhindern!
Ergeben seufze ich: „Was willst du denn?“
„Kannst du mir in Englisch helfen? Ich habe den Text nicht richtig kapiert.“
Ich lasse meinen Kopf auf die Tischplatte sinken.
„Na gut, pass auf …“
Neuer Tag, neues Glück. Oder so.
Ben zappelt unruhig auf seinem Stuhl. Das nervt.
„Larah, kann ich dich was fragen?“
Dieses Mal sinkt mein Kopf direkt auf die Tischplatte.
Mein Murmeln ist sicher schwer zu verstehen. „Chemie oder Mathe?“
„Ne, was anderes.“
Ich drehe meinen Kopf und linse ihn mit einem Auge von unten her an. „Hä?“
Seine warmen, braunen Augen schauen unverwandt in meine Richtung.
„Warum trägst du immer diese schwarzen Hoodies?“
Ich schließe meine Augen. Echt jetzt? Smalltalk?
Langsam richte ich mich auf. Aus meinen Trainings krame ich meinen finstersten und einschüchterndsten Blick hervor. Ich warte, ob er darauf reagiert und es gut sein lässt. Aber niente, nada, nichts. Er wartet ernsthaft auf eine Antwort.
„Die gab’s im Dutzend billiger.“
Da lacht der Kerl doch tatsächlich. Also ehrlich. Jeden anderen Typen schlage ich mit meinen Blicken in die Flucht. Warum nicht auch ihn? Und so gut war mein Spruch nun wirklich nicht.
Freitag.
„Larah, kann ich dich was fragen?“
AAAAAAAAHHHH!!! Jetzt muss ich den Todesblick aufsetzen.
„Was hast du eigentlich für Hobbies?“
Ne, nä? Das darf jetzt nicht wahr sein. Hat er denn überhaupt keinen Überlebenswillen?
Meine Stimme ist eher ein Knurren. „Ich bringe Leute um, die mich mit Fragen nerven.“
Warum lacht der Kerl? Das habe ich ernst gemeint.
„Du bist echt Eine. Aber ehrlich, so abweisend, wie du immer tust, bist du gar nicht.“
Fragend hebe ich eine Augenbraue.
„Sonst würdest du mir nicht bei den Aufgaben helfen.“
Mist, jetzt weiß ich, welchen Fehler ich gemacht habe.
Neue Woche, neues Glück???
„Larah, …“
NEIIIIIN!! Hört das denn nie auf?
Bevor er seine Frage stellen kann, funkele ich ihn an. Aber so richtig. „Du hängst wohl nicht an deinem Leben?“
Er ist kein bisschen eingeschüchtert.
„Ich habe mir über dich Gedanken gemacht.“
Ach was.
„Du beschützt die ganzen Mädchen. Vor Mark und Konsorten.“
Stimmt, jetzt wo er es sagt. Das mache ich wirklich. Irgendwie. Mein Gespräch mit Mom fällt mir ein. Verantwortung übernehmen. Mach ich das?
„Hast du keine Angst, dass Mark dir auflauert?“
Ich sehe ihn lange an. Er hat einen sehr offenen Blick. Ich glaube, Sorge in seinen Augen zu erkennen. Sorge? Um mich?
„Nein.“ Nur dieses eine Wort muss ihm als Antwort genügen.
Verdutzt sieht er mich an. Bevor er weiter nachhaken kann, stehe ich auf und verlasse den Klassenraum.
„Larah, …“
„Was?“
„Warum hast du keine Angst vor Mark?“
Gibt Ben denn nie Ruhe?
Na gut. „Mark ist ein Arsch. Er ist nur Schwächeren gegenüber stark. Ich habe ihn in die Knie gezwungen. Deswegen kann er mich nicht einschätzen. Sicher hat er Schiss, dass ich ihn nochmal blamiere. Das Risiko wird er nicht eingehen wollen. Sein Ego würde das nicht verkraften.“
Nachdenklich nickt Ben.
„Wie hast du das gemacht?“
„Ich habe einen Trick angewandt, mit dem ich mir alle nervigen Typen vom Hals halte.“
Warum lacht er schon wieder aus vollem Hals? Ich muss allerdings eingestehen, es klingt gut, wenn er so lacht. Wieder zucken meine Mundwinkel verdächtig. Natürlich würde ich es nie zugeben, aber es gefällt mir, dass er immer wieder fragt. Also, manchmal. Ich meine, ganz selten. So als absolute Ausnahme. Ach, egal.