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ОглавлениеWarum hört niemand auf mich?
Larah
Natürlich kriege ich keine Ruhe. Ich kann noch so finster schauen, trotzdem kommen immer wieder jüngere Mädchen zu mir. Zaghaft fragen sie mich, wie ich das mit AmO gemacht habe. Wenn sie mich mit großen, unschuldigen Augen ansehen, kann ich einfach nicht weiter abweisend sein. Wie oft habe ich mir früher gewünscht, es wäre jemand da gewesen, an den ich mich vertrauensvoll hätte wenden können. Und nicht nur Erwachsene, vor denen ich eine Heidenangst hatte. Weil sie alle …, ach, lassen wir das.
Seufz. Also setze ich mich zu den Mädchen und zeige ihnen ein paar einfache Tricks, wie man sich gegen Festhalten wehrt. Ich versuche, ihnen zu vermitteln, dass niemand das Recht hat, sie gegen ihren Willen anzufassen. Egal, ob Junge oder Mädchen, Mann oder Frau. Nach und nach entwickelt sich „meine“ Ecke des Schulhofes zum Rückzugsraum vieler Mädchen der Schule. Es wird langsam eng. Aber hier ist eben AmO-freie Zone.
Und noch jemand, der einfach meine Schutzzone immer wieder durchbricht. Ben.
Er hat wohl einige Probleme, Anschluss beim Stoff zu bekommen. Es ist fast so, als hätte er schon eine Weile ausgesetzt. War er lange krank? Keine Ahnung. Etliche Male fragt er mich, ob ich Dieses oder Jenes verstanden hätte. Sein resignierter Blick lässt mich weich werden. Er wirkt wie ein geschlagener Welpe. Der Blick weckt Erinnerungen. Erinnerungen, die ich am liebsten verdränge. Denn solche Augen sah ich früher oft. Im Spiegel.
Ergeben setze ich mich in Freistunden zu ihm und erkläre es, so gut ich kann. Ab und zu gesellen sich Leute aus dem Sport-LK dazu und helfen ihm. Diese Einmischungen betrachte ich mit gesundem Misstrauen. Die Leute scheinen wohl nett zu sein, aber ich kann sie nicht einschätzen. Stellen sie für mich eine Gefahr dar, oder nicht?
Eines Abends sitze ich mit meiner Mom zusammen. Zu unseren Ritualen gehört, dass ich mich an sie kuschele und ihr von meinem Tag erzähle. Ihr gegenüber bin ich rückhaltlos offen. Niemandem schenke ich mehr Vertrauen als ihr. Aus sehr gutem Grund. Also erzähle ich ihr natürlich von AmO, den Mädchen und Ben.
Sie gibt mir einen sanften Kuss auf die Wange.
„Mein großes Mädchen. Du machst das richtig. Lass sie an dich heran. Deine Fortschritte sind so enorm. Öffne dich. Hilf ihnen. Du wirst sehen, dass es auch dir bekommt. Ich glaube, du bist langsam bereit, Freunde zu finden. Mit anderen Leuten Spaß zu haben.“
Ich kuschele mich etwas enger an sie.
„Mach deinen Sport weiter. Das gibt dir Sicherheit. Aber gehe auch auf die Mitschüler zu, bei denen du ein gutes Gefühl hast. So wie Ben. Fange wieder an zu leben.“
Lange denke ich über ihre Worte nach. So gern würde ich ein normales Leben führen. Hmm, das wird wohl nie passieren. Vielleicht finde ich „meine“ Normalität. Ich beschließe, auf den Rat von Mom zu hören. Ich werde den Mädchen, Ben und einigen Netten aus dem Sport-LK eine Chance geben. Irgendwann. Wir werden sehen.